Urteil des LG Krefeld vom 01.08.2008

LG Krefeld: eingriff in grundrechtspositionen, akteneinsicht, rechtliches gehör, schutzwürdiges interesse, interessenabwägung, firma, anhörung, vollmacht, vorrang, ermittlungsverfahren

Landgericht Krefeld, 21 AR 2/08
Datum:
01.08.2008
Gericht:
Landgericht Krefeld
Spruchkörper:
1. große Strafkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
21 AR 2/08
Tenor:
Auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 406 e Abs. 4 S. 2
StPO in Verbindung mit § 161 Abs. 3 S. 2 bis 4 StPO vom 18.04.2008
wird festgestellt, dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Krefeld
in dem unter dem Aktenzeichen 9 U 34/07 geführten
Ermittlungsverfahren über die Gewährung der Akteneinsicht nach § 406
e StPO rechtswidrig war.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen
des Antragstellers werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
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Am 27.12.2006 hat die Kanzlei X im Namen und in Vollmacht von sechs Firmen der
Unterhaltungsindustrie Strafantrag gegen Unbekannt gestellt und vorgetragen, ihr
Urheberrecht an diversen Musiktiteln sei durch Nutzer von Filesharing-Systemen, die
zumeist als "Tauschbörsen" bezeichnet werden, im Internet verletzt worden. Die
Verbindungsdaten wurden vorgelegt und es wurde angeregt, Beschluss zur Erhebung
von Verbindungsdaten gemäß § 100g, 100h StPO zu beantragen. Ferner wurde bereits
zu diesem Zeitpunkt zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche der Mandaten
Akteneinsicht beantragt.
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Die Staatsanwaltschaft Krefeld ermittelte daraufhin über die Deutsche Telekom AG die
Firma X GmbH als Anschlussinhaber zum betreffenden Zeitpunkt der Vergabe der IP-
Adresse.
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Das Verfahren hat die Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis darauf, dass neben dem
Firmeninhaber mehrere Mitarbeiter Zugriff auf den Internetanschluss hätten, ohne dass
einer von ihnen als Täter ausgeschlossen werden könnte, nach § 170 Abs. 2 StPO
eingestellt und dies dem Geschädigtenvertreter so mitgeteilt. Im Anschluss daran hat sie
dem Geschädigtenvertreter Akteneinsicht gewährt.
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Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung
vom 18.04.2008 (Bl. 38 d.A.).
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Dieser Antrag ist gemäß § 406 e Abs. 4 S. 2 StPO in Verbindung mit § 161 Abs. 3 S. 2
bis 4 StPO statthaft, und im Übrigen auch zulässig. Der Antrag ist darüber hinaus auch
begründet und hat in der Sache Erfolg.
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Nicht erörtert und endgültig entschieden werden soll zunächst die Streitfrage, ob die
Geschädigten ein ausreichendes Interesse an der begehrten Akteneinsicht dargelegt
haben (vgl. dazu LG Köln, StraFo 2005, 78; LG Stade, StV 2001, 159; LG Saarbrücken,
MIR 04/2008; LG München, Beschluss v. 12.03.2008, Az: 5 Qs 19/08, zitiert nach
www.juris.de; ferner: Riedel/Wallau, NStZ 2003, S. 393 (395)).
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Vielmehr fehlt es vorliegend an einer ausreichenden Interessenabwägung durch die
Staatsanwaltschaft.
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Das BVerfG hat zu den Anforderungen an die Interessenabwägung folgendes
ausgeführt (BVerfG, NJW 2007, 1052):
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Nach dem Willen des Gesetzgebers ist die Verfolgung zivilrechtlicher
Schadensersatzansprüche ein schutzwürdiges Interesse des Verletzten einer Straftat,
das zu Akteneinsicht über einen Rechtsanwalt nach § 406 e Abs. 1 S. 1 StPO
berechtigt. Begrenzt werden kann dieses Verletzteninteresse allerdings unter anderem
durch entgegenstehende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten, § 406e Abs. 2 1
StPO. Zu den schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten zählt auch sein Interesse
an der Geheimhaltung persönlicher Daten. Einer Akteneinsicht steht dieses Interesse
allerdings nur dann entgegen, wenn es das Informationsinteresse des Verletzten
überwiegt. Dies tut es nicht generell. Vielmehr hat die über die Akteneinsicht zu
entscheidende Stelle die gegenläufigen Interessen von Verletztem und Beschuldigten
gegeneinander abzuwägen, um hierdurch festzustellen, welchem Interesse im Einzelfall
der Vorrang gebührt.
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Eine Interessenabwägung im Einzelfall war vorliegend jedoch nicht nach Aktenlage
möglich, vielmehr war es erforderlich, der Betroffenen, hier der Firma über den
Firmeninhaber, rechtliches Gehör zu gewähren.
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Das BVerfG (NStZ-RR 2005, 242; vgl. auch: Schaefer, NJW-Spezial 2007, S. 327) hat
dazu ausgeführt, dass die Staatsanwaltschaft zumindest dann regelmäßig zur Anhörung
der von einem Einsichtsersuchen betroffenen Beschuldigten oder Dritten verpflichtet ist,
wenn mit der Gewährung von Akteneinsicht ein Eingriff in Grundrechtspositionen des
Betroffenen verbunden wäre.
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Komme die Staatsanwaltschaft, die an Gesetz und Recht gebunden sei, dem nach,
könne der Betroffene seine Bedenken darlegen und vorsorglich für den Fall, dass die
Staatsanwaltschaft dennoch (teilweise) Akteneinsicht gewähren oder Auskünfte an
Dritte erteilen will, eine gerichtliche Entscheidung beantragen.
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Unzweifelhaft ist vorliegend zumindest das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung der Firma tangiert.
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In der vorliegenden Konstellation, in der eine Firma mit mehren Mitarbeitern als
Anschlussinhaber ermittelt worden ist, ist die Anhörung im Einzelfall – was denkbar
wäre - auch nicht etwa entbehrlich. Der Firmeninhaber hat so vielmehr die Möglichkeit,
seine Bedenken konkret vorzutragen. So kann er beispielsweise nach Befragung seiner
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Mitarbeiter denjenigen benennen, den er als Täter des Urheberrechtsverstoßes ermittelt
hat, oder er kann sich dahin entlasten, dass er selbst nicht Nutzer gewesen sei und
seine Mitarbeiter ausreichend kontrolliert habe.
Beides wären Umstände, die die Staatsanwaltschaft zumindest in eine dann zu
erfolgende Interessenabwägung einzustellen hätte.
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Dies ist vorliegend jedoch nicht geschehen, weshalb nicht überprüft werden kann, ob
die Interessenabwägung im Ergebnis zutreffend erfolgt ist.
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Der Antrag hatte mithin bereits aus diesem Grunde in der Sache Erfolg.
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