Urteil des LG Krefeld vom 04.11.2009

LG Krefeld (gefahr im verzug, anordnung, stpo, blutprobe, gefahr, verzug, beweiserhebung, ausdrücklich, beschwerde, ordnungswidrigkeit)

Landgericht Krefeld, 21 Qs-12 Js 1482/09-224/09
Datum:
04.11.2009
Gericht:
Landgericht Krefeld
Spruchkörper:
1. Strafkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
21 Qs-12 Js 1482/09-224/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Krefeld, 23 Gs 2189/09
Tenor:
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Be¬schluss
auf¬geho¬ben.
Die Kos¬ten des Be¬schwer¬de¬ver¬fah¬rens wer¬den der
Staats¬kas¬se auf¬er¬legt.
Gründe
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Auf die Beschwerde hin war der angefochtene Beschluss aufzuheben.
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1. Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand sind dringende Gründe für die Annahme,
dass dem Beschwerdeführer die Fahrerlaubnis entzogen werden wird (§ 111 a Abs. 1 S.
1 StPO), nicht vorhanden. Denn das Ergebnis der um 20.50 Uhr angeordneten und dem
Beschuldigten um 21.40 Uhr entnommene Blutprobe ist im vorliegenden Fall wegen
Verstoßes gegen den Richtervorbehalt des § 81 a Abs. 2 StPO als Beweismittel
unverwertbar.
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a) Die Kammer hält dabei ausdrücklich an ihrer Rechtsprechung fest, wonach die
Strafprozessordnung die Anordnung der Blutprobenentnahme zwar für den Regelfall,
aber gerade nicht ausnahmslos dem Ermittlungsrichter zuweist. Bei Gefahr im Verzug
kann die Anordnung durch die Polizeibeamten getroffen werden. Gefahr im Verzug liegt
dann vor, wenn aufgrund der Verzögerung, die durch die Einschaltung des Richters zu
besorgen wäre, eine Vereitelung oder wesentliche Erschwerung des Beweiserfolges zu
befürchten ist (vgl. Beschluss der Kammer v. 10.09.2009, Az.: 21 Qs-16 Js 928/09-
171/09).
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Ist aufgrund des Zeitpunktes der Anordnung einer Blutprobeentnahme ein Richter nicht
erreichbar und ist deshalb der Untersuchungserfolg gefährdet, so sind gem. § 81 a Abs.
2 StPO die ermittelnden Polizeibeamten zur Anordnung befugt. § 81 a StPO verpflichtet
durch die ausdrücklich vorgesehene Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer
Ermittlungspersonen die Gerichte auch gerade nicht dazu, eine jederzeitige
Erreichbarkeit des Richters durch Eil- oder Nachtdienste sicherzustellen.
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Zwar muss nach der Rechtsprechung - insbesondere des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfGE 103, 142) - die Erreichbarkeit des Richters gegebenenfalls durch die
Errichtung eines Eil- und Notdienstes gesichert werden. Dies gilt jedoch nicht
schrankenlos, sondern in erster Linie für die Tageszeit außerhalb der üblichen
Dienstzeiten (BVerfG, NJW 2004, 1442). Insbesondere muss zur Nachtzeit i.S.d. § 104
Abs. 3 StPO nicht ohne weiteres ein richterlicher Eil- und Notdienst eingerichtet werden
(BVerfG, NJW 2004, 1442), sondern lediglich dann, wenn ein praktischer Bedarf
besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht.
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b) Im vorliegenden Fall wurde die Blutentnahme jedoch um 20.50 Uhr angeordnet,
mithin zu einer Uhrzeit, zu der der beim Amtsgericht eingerichtete richterliche Eildienst
hätte angetroffen werden können. Ein entsprechender Versuch, den zuständigen
Ermittlungsrichter telefonisch zu erreichen, ist dem Akteninhalt nicht zu entnehmen.
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Eine etwaige weitere zeitliche Verzögerung wäre in dem konkreten Fall zudem
hinzunehmen gewesen. Bei dem Angeklagten wurde ein Atemalkoholgehalt von 1,39
mg/l gemessen. Gerade bei hohen Alkoholwerten kann der mögliche Abbau in der
Regel unproblematisch durch Rückrechnung ausgeglichen werden (vgl. Dencker, DAR
2009, 257, 259). Zwar ist der tatsächliche Abbauwert von situativen und individuellen
Faktoren (z.B. den Trinkgewohnheiten und der Konstitution des Betroffenen) abhängig.
Die von der Rechtsprechung entwickelten Rückrechnungsformeln arbeiten
demgegenüber mit allgemeinen Sicherheitszuschlägen und -abschlägen, was zu
Ungenauigkeiten führt. Je weiter sich die Atemalkoholwerte aber von den Grenzwerten
zur Abgrenzung einer Ordnungswidrigkeit von einer Straftat bzw. zur absoluten
Fahruntüchtigkeit entfernen, desto weniger ist eine Gefährdung des
Untersuchungserfolgs durch zeitliche Verzögerungen anzunehmen (vgl. hierzu OLG
Hamm, NJW 2009, 242 ff.; OLG Bamberg, NJW 2009, 2146 ff.; Brandenburgisches OLG,
1 Ss 15/09 vom 25.03.2009 – zitiert nach juris –).
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Die Beweiserhebung war daher im vorliegenden Fall aufgrund der fehlenden
richterlichen Anordnung der Blutprobeentnahme rechtswidrig.
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2. Die rechtswidrige Beweiserhebung führt im vorliegenden Fall auch - entsprechend
den Grundsätzen, die das OLG Hamm in seinem Beschluss vom 12.03.2009 (3 Ss
31/09) aufgezeigt hat (vgl. auch Dencker, DAR 2009, 257, 259 ff.) - zu einem
Beweisverwertungsverbot, da nach dem Akteninhalt (Bl. 3 d.A.) offenbar keiner der
anwesenden Polizeibeamten sich zur Frage der Anordnungsvoraussetzung der Gefahr
im Verzug Gedanken gemacht hat, sondern die Anordnung ohne vorheriges Bemühen
um die Einschaltung des vorhandenen richterlichen Eildienstes getroffen wurde.
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3. Die Kammer weist für den weiteren Verfahrensgang darauf hin, dass in der
Hauptverhandlung die Fahruntüchtigkeit gegebenenfalls auch ohne Blutprobe
festgestellt werden kann. Die Feststellung alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit durch den
Tatrichter ist ausnahmsweise auch dann möglich, wenn eine Blutprobe nicht
entnommen wurde, den festgestellten Beweisanzeichen jedoch eine außergewöhnliche
(überdurchschnittliche) Überzeugungskraft zukommt (OLG Düsseldorf, Urteil v.
15.07.1981, Az.: 2 Ss 378/81 – 231/81 III, zitiert nach juris). Auch angesichts des
fehlenden vollen Beweiswertes eines Atemalkoholtestergebnisses stellt dies jedenfalls
bei Hinzutreten weiterer aussagekräftiger Indizien, die sich im konkreten Fall als Folge
des Alkoholgenusses ausweisen, ein geeignetes Beweisanzeichen für die
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alkoholbedingte Fahrunsicherheit eines Kraftfahrers dar (LG Gera, Beschluss v.
17.01.1996, Az.: 4 Qs 5/96; Jagow/Burmann/Heß, StraßenverkehrsR, 20. Aufl. 2008, §
316, Rdnr. 19/20).