Urteil des LG Krefeld vom 24.11.2005

LG Krefeld: nichtabholung bei der post, rückgabe, internationale zuständigkeit, allgemeine geschäftsbedingungen, sachliche zuständigkeit, rückzahlung, anlagevertrag, aktionär, begriff, anfechtung

Landgericht Krefeld, 5 O 272/04
Datum:
24.11.2005
Gericht:
Landgericht Krefeld
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 O 272/04
Nachinstanz:
Oberlandesgericht Düsseldorf, I-17 U 4/06
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.782,30 Euro nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
01.07.2003 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger verlangt die Rückzahlung einer Geldanlage, die er bei der Beklagten getätigt
hat. Bei der Beklagten handelt es sich um eine in Luxemburg ansässige Holding, die
eine Niederlassung / Generalvertretung in Köln hat, und deren
Unternehmensgegenstand der Erwerb von Anteilen an bestehenden und noch zu
gründenden Unternehmen ist.
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Mit einem in türkischer Sprache verfassten Vertrag vom 22.05.2000 (Anlage K 1 zur
Klageschrift) legte der Kläger, der vorher keinerlei Erfahrungen mit Kapitalanlagen
gemacht hatte, 25.000 DM bei der Beklagten an und erhielt hierfür zunächst
Optionsschein-Zertifikate, die zum Umtausch in Aktien berechtigen. Auf der Rückseite
der Optionsschein-Zertifikate sind Allgemeine Geschäftsbedingungen der Beklagten
abgedruckt, die insbesondere Regelungen zur Rückgewähr des eingezahlten Kapitals
(Ziff. 9, 10) und zur Anwendung luxemburgischen Rechts (Ziff. 15) enthalten. Wegen der
Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichten Geschäftsbedingungen der Beklagten
(Anlage K 1 zur Klageschrift) Bezug genommen.
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Mit Einschreiben, das dem Kläger am 8.11.2003 zugegangen ist (BI. 45 d.A.), erhielt der
Kläger die Aktienurkunden von der Beklagten.
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Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 21.07.2004 hat der Kläger den
Vertrag aufgrund einer von ihm behaupteten arglistigen Täuschung angefochten.
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Der Kläger behauptet, er sei bei bei Vertragsschluss durch Inaussichtstellung einer
hohen Rendite von ca. 20 % p.a., die einmal jährlich ausgezahlt werden sollte, bzw.
einer Wertsteigerung der Aktien um jährlich 15 -25 % und durch InaussichtsteIlung der
Rückzahlung des Anlagebetrages innerhalb von einem bis drei Monaten nach einer
jederzeit
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möglichen Kündigung getäuscht worden. Ihm stünden daher Schadensersatzansprüche
und ein Anfechtungsrecht zu. Ein Mitarbeiter der Beklagten habe dem Kläger bei
Vertragsschluss eine völlig risikolose Anlagemöglichkeit mit hohen Renditen in Aussicht
gestellt.
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Der Kläger behauptet, die Beklagte habe mit Schreiben vom August / September 2002
den Anlegern im Wege eines Rundschreibens angeboten, ihre Vertragsunterlagen
gegen Rückzahlung des gesamten eingezahlten Geldes zurückzugeben.
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Der Kläger behauptet weiter, er habe im Jahr 2002 die Rückzahlung des gesamten
Anlagebetrages verlangt, worauf jedoch keine Reaktion der Beklagten erfolgt sei. Er
habe den Vertrag mit der Beklagten mit Schreiben vom 26.06.2003 unter Bezugnahme
auf den Vorgang aus dem Jahr 2002 nochmals gekündigt.
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Der Kläger ist der Ansicht, es sei deutsches Recht anzuwenden, da der Vertrag in
Deutschland geschlossen wurde. In den Vertragsbedingungen der Beklagten sei keine
generelle Anwendung luxemburgischen Rechts (sondern nur eine partielle Geltung für
bestimmte -hier nicht betroffene - Fragen) vorgesehen.
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Er ist weiter der Ansicht, die Beklagte habe gegen Aufklärungspflichten verstoßen,
indem sie ihn nicht darüber unterrichtet habe, dass nach luxemburgischen Recht die
Beklagte die Aktien nicht zurückkaufen könne. Der Kläger behauptet, er hätte den
Vertrag nicht abgeschlossen, wenn er entsprechend aufgeklärt worden wäre. Er ist
weiterhin der Ansicht, die Beklagte hätten Aufklärungs-, Informations- und
Beratungspflichten aus einem Anlagevertrag getroffen hinsichtlich des mit dem
Aktienerwerbs verbundenen Risikos, denen die Beklagte nicht genügt habe.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 12.782,30 Euro nebst 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit
dem 22.05.2000 zu zahlen.
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hilfsweise,
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1. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Geschäftsjahre 2000, 2001, 2002,
2003 durch Vorlage der Bilanz zu legen und ihm Auskunft über die Gewinn- und
Verlustanteile aus dem Gesellschaftsvertrag vom 22.05.2000 per 31.12.2003 zu
erteilen;
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2. falls erforderlich, die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben zu versichern
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3. an den Kläger einen nach Auskunftserteilung zu bezifferndes
Auseinandersetzungsguthaben aus dem Gesellschaftsvertrag vom 22.05.2000 per
31.12.2003 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte verweigert die Rückzahlung der Beiträge mit der Begründung, dass der
Kläger infolge der Zeichnung der Aktien Aktionär der Beklagten sei und ein Rückkauf
von Aktien nach luxemburgischen Recht verboten sei.
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Eine Kündigung der Aktienzertifikate sei nicht fristgerecht erfolgt.
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Die Beklagte behauptet, der Kläger sei durch Mitarbeiter der Beklagten darüber
aufgeklärt worden, dass mit der Anlage sowohl Gewinn als auch Verlust gemacht
werden könne. Dies ergebe sich auch aus der Unterschrift des Klägers unter das
Erwerbsprotokoll vom 22.05.2000. Sie ist zudem der Ansicht, dass eine Anfechtung
wegen Ablaufs der Jahresfrist des § 124 BGB ausgeschlossen sei.
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Die Beklagte behauptet, der Kläger habe die Aktien seinerzeit unbedingt erwerben
wollen, da sie seinerzeit zweistellige Wertzuwachsraten aufgewiesen hätten. Ihm sei die
Form der Anlage durch Aktienerwerb bewusst und erwünscht gewesen.
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Die Beklagte behauptet ferner, dass es sich bei dem Schreiben aus dem August /
September 2002 lediglich um eine Umfrage gehandelt habe, die zudem nicht von der
Beklagten, sondern von der türkischen Holding unternommen worden sei. Derartige
Umfragen seien nötig, um den aktuellen Willen der Aktionäre zu ermitteln, da die
Beklagte keinen Börsengang wünsche.
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Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung gegen Ansprüche aus Deliktsrecht und
gem. § 37 a WPHG.
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Entscheidungsgründe
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I. Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Krefeld ergibt sich aus Art. 16 Abs.
1 in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 c) EuGWO, weil der Kläger Verbraucher ist und die
Beklagte eine gewerbliche Tätigkeit in Deutschland ausübt. Die EuGWO ist in zeitlicher
Hinsicht anwendbar, da die Klage nach deren Inkrafttreten (01.03.2000) erhoben wurde
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(Art. 66 Abs. 1, 76 EuGWO). Der persönliche Anwendungsbereich ist bei juristischen
Personen eröffnet, wenn sich der satzungsmäßige Sitz in einem Mitgliedsstaat befindet,
Art. 2 i.V.m. Art 60 EuGWO. Dies trifft auf die Beklagte, die ihren Sitz in Luxemburg hat,
zu.
Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts Krefeld ergibt sich aus § 29 c ZPO (vgl.
Zöller / Vollkommer, § 29, Rn. 25, Stichwort "Bankgeschäfte", für den Fall einer
Beratung außerhalb von Geschäftsräumen). Die Voraussetzungen des § 29 c ZPO
liegen im Fall eines Beratungsgesprächs über Anlagen in der Wohnung des Kunden
vor, wenn der Besuch nicht auf vorhergehende Bestellung des Kunden 8 erfolgt ist
(BGH, NJW 2003, 1190). § 29 c ZPO gilt auch für Verträge, die vor dem
Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, das zum 1.1.2002 in Kraft getreten ist,
geschlossen wurden, soweit sie dem § 1 HWiG a.F. unterfallen (BGH, NJW 2003, 1190).
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II. Der Rechtsstreit ist nach deutschem Recht zu beurteilen. Zwar sieht Ziff. 15 der
Geschäftsbedingungen der Beklagten die Anwendbarkeit luxemburgischen Rechts vor.
Diese Klausel ist jedoch entsprechend der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (WM
1994, 376; 1995, 1349; 1996, 1489), der sich die Kammer anschließt, gemäß Art. 229
EGBGB in Verbindung mit § 3 AGBG a.F. als überraschende Klausel unwirksam, wenn
ein Vermittler eines ausländischen Unternehmens in Deutschland mit einem deutschen
Verbraucher einen Anlagevertrag schließt.
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II. Der Kläger ist wirksam von dem Anlagevertrag zurückgetreten. Die
Rücktrittsvoraussetzungen sind in Ziff. 9, 10 der Geschäftsbedingungen der Beklagten
geregelt. Diese Vorschriften sind als Regelungseinheit zu bewerten, da Ziff. 10 der
Geschäftsbedingungen die Modalitäten der Rückgabe im Sinne von Ziff. 9 der
Geschäftsbedingungen und ihre Wirksamkeitsvoraussetzungen regelt.
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1. Nach dem Wortlaut der Ziff. 9,10 der Geschäftsbedingungen erfolgt eine Rückgewähr
des eingezahlten Kapitals, wenn der Anleger seine Zertifikate vor dem Tausch gegen
Aktien zurückgibt, wobei die Rückgabe der Zertifikate nur wirksam sein soll, wenn sie
der Gesellschaft mindestens drei Monate vor der beabsichtigten Rückgabe schriftlich
mitgeteilt wird. Dieser Wortlaut lässt keine eindeutige Bestimmung seines Inhalts zu.
Eine "Rückgabe" von Zertifikaten kann schlechthin nicht "mindestens drei Monate vor
der beabsichtigten Rückgabe" (Ziff. 10 der Geschäftsbedingungen der Beklagten)
schriftlich mitgeteilt werden. Eine Rückgabe als reiner Realakt kann zudem auch weder
"wirksam" im Sinne der Ziff. 10 der Geschäftsbedingungen der Beklagten noch
unwirksam sein. Diese Unklarheiten beruhen darauf, dass in den
Geschäftsbedingungen der Beklagten der Begriff des "Rücktritts" durch den Begriff der
"Rückgabe" ersetzt worden ist, wie sich aus den in Parallelverfahren vorgelegten
früheren Geschäftsbedingungen der Beklagten ergibt (Landgericht Köln, 22 0 300/04,
Urteil vom 13.01.2005, S. 8, Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 28.04.2005;
Landgericht Köln, 22 0 634/01, Urteil vom 30.01.2003, Anlage K 4 zur Klageschrift).
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Infolge dieser Begriffsersetzung sind die Geschäftsbedingungen jedoch nunmehr unklar
geworden, da aus Sicht des Vertragspartners nicht verständlich ist, wie etwa eine
"Rückgabe" der Zertifikate "drei Monate vor der beabsichtigten Rückgabe" mitgeteilt
werden könnte.
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Derartige Unklarheiten wirken sich gemäß Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB in Verbindung mit §
5 AGBG a.F. zum Nachteil des Verwenders, mithin der Beklagten, aus. Als gesicherter
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Inhalt der Ziff.9, 10 der Geschäftsbedingungen der Beklagten verbleibt, dass der
Vertragspartner die Möglichkeit haben soll, sich von dem Vertrag zu lösen und sein
eingezahltes Kapital zurückzuerlangen, wenn dieser Wille vor dem Tausch der
Zertifikate gegen Aktien erklärt wird und mindestens drei Monate vor der Rückgabe
schriftlich mitgeteilt wird.
2. Diesen Anforderungen hat der Kläger genügt. Er hat den Vertrag mit Schreiben vom
26.06.2003 gekündigt, mithin mehr als vier Monate vor Erhalt der Aktien und damit erst
recht rechtzeitig vor der im Termin vom 27.10.2005 angebotenen Rückgabe der Aktien.
Dass die Beklagte das Schreiben vom 26.06.2003 erhalten hat, ergibt sich zweifelsfrei
aus ihrem Antwortschreiben vom 30.06.2003 (Anlage K 3 zur Klageschrift).
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4. Der Anspruch ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil nach luxemburgischem
Recht ein Rückkaufverbot von Aktien, das § 57 AktG entspricht, bestehen mag (BI.
31 d.A.). Denn § 57 AktG steht Leistungen an den Aktionär im Rahmen einer
Rückabwicklung (Gewährleistung, Schadensersatz, Bereicherungsausgleich nach
Anfechtung usw.) nicht entgegen; bei einer solchen Rückabwicklung handelt es
sich nicht um eine verbotene Einlagenrückgewähr (Münchener Kommentar zum
AktG / Bayer, 2. Aufl. 2003, § 57, Rn. 38 m.w.N.).
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4. Der Anspruch ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte versucht
haben mag, dem Kläger die Aktien bereits Anfang des Jahres 2003 per Einschreiben
zuzustellen und dieser das Schreiben nicht bei der Post abgeholt hat (Schreiben der
Beklagten an den Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 30.06.2003). Ein
tatsächlicher Zugang ist infolge der Nichtabholung bei der Post nicht erfolgt (Palandt /
Heinrichs, § 130, Rn. 6, 7). Eine Fiktion des rechtzeitigen Zugangs nach den
Grundsätzen der Zugangsvereitelung würde voraussetzen, dass die Beklagte nach
Kenntnis vom Scheitern des Zustellungsversuches unverzüglich einen weiteren
Zustellversuch unternimmt (BGHZ 137, 205, 209; Palandt / Heinrichs, § 130, Rn. 18).
Für eine arglistige Zugangsvereitelung, hinsichtlich der anderes gelten mag (BGHZ 137,
205, 209/210), bestehen keine Anhaltspunkte. An einem demnach erforderlichen
unverzüglichen weiteren Zustellungsversuch fehlt es hier. Vielmehr hat die Beklagte
dem Kläger die Aktien erst im November 2003 übersandt.
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5. Soweit dem Kläger ein Anspruch auf Rückgewähr der dem Kläger ausgehändigten
Aktien und Erwerbszertifikate Zug um Zug gegen Rückzahlung des Anlagebetrages
zusteht, ist die Einrede des § 322 BGB vom Beklagten nicht erhoben worden.
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III. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 Abs. 1, S. 2 BGB. Die
verzugsbegründende Mahnung ergibt sich aus dem Schreiben des Klägers vom
26.06.2003, in dem der Beklagten eine Zahlungsfrist bis zum 30.06.2003 gesetzt wird.
Es ist zulässig, die Mahnung mit der die Fälligkeit
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auslösenden Handlung zu verbinden (BGH, WM 70, 1141; Palandt I Heinrichs, § 286,
Rn. 16).
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Hinsichtlich des vom Kläger erhobenen weitergehenden Zinsanspruchs war die Klage
dagegen abzuweisen.
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IV. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 92 Abs. 2,
709 S. 1 ZPO.
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Streitwert: 12.782.30 Euro.
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