Urteil des LG Krefeld vom 28.03.2008

LG Krefeld: allgemeine geschäftsbedingungen, rücktritt vom vertrag, akte, ware, vorleistungspflicht, gegenleistung, schutzwürdiges interesse, kaufpreis, käufer, textilindustrie

Landgericht Krefeld, 1 S 61/07
Datum:
28.03.2008
Gericht:
Landgericht Krefeld
Spruchkörper:
1. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 S 61/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Krefeld, 1 C 283/06
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Krefeld
vom 14.05.2007 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Streitwert für die Berufungsinstanz: € 3.930,50
Entscheidungsgründe
1
I.
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Über das Vermögen der X GmbH wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Krefeld vom
03.05.2004 das Insolvenzverfahren zum 01.06.2004 eröffnet und der Kläger zum
Insolvenzverwalter bestellt (90 IN 43/04 AG Krefeld).
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Am 06.09.2004 bestellte die Beklagte über die Zeugin X bei der X GmbH, deren
Geschäfte auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortgeführt wurden, Textilien für
die Saison Frühjahr/Sommer 2005. Die Ware sollte im Zeitraum vom 02.01.2005 bis
zum 15.02.2005 ausgeliefert werden (Anlage K 2 zur Klageschrift vom 14.06.2006,
Bl. 22 d. Akte). Auf dem Auftragsformular der X GmbH wurde auf die Zahlungs- und
Lieferbedingungen verwiesen; die Einheitsbedingungen der Bekleidungsindustrie in der
Fassung vom 01.01.2002 (Bl. 68 d. Akte) waren auf der Rückseite des Formulars
abgedruckt. Darin ist u.a. geregelt:
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"§ 8 Zahlung nach Fälligkeit (...)
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2. Vor vollständiger Zahlung fälliger Rechnungsbeträge einschließlich Zinsen ist der
Verkäufer zu keiner weiteren Lieferung aus irgendeinem laufenden Vertrag
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verpflichtet. (...)
3. Bei Zahlungsverzug des Käufers oder bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder
sonstiger wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Käufers
kann der Verkäufer nach Setzung einer Nachfrist von 12 Tagen für noch ausstehende
Lieferungen aus irgendeinem laufenden Vertrag unter Fortfall des Zahlungszieles
bare Zahlung vor Ablieferung verlangen oder vom Vertrag zurücktreten oder
Schadensersatz geltend machen."
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Mit Schreiben vom 18.10.2004 erhielt die Beklagte eine auf den 15.10.2004 datierte
Auftragsbestätigung, auf der u.a. das Konto des Klägers, der Kaufpreis von € 5.366,00
sowie nach der Artikelnummer 26220 die Lieferzeit vom 01.02.2005 bis zum 28.02.2005
angegeben waren (Anlage K 3 zur Klageschrift, Bl. 23 ff. d. Akte).
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Zum Zeitpunkt der Bestellung der Textilien für die Saison Frühjahr/Sommer 2005 waren
von der Beklagten Rechnungen aus dem Jahr 2004 für vorausgegangene Lieferungen
noch nicht bezahlt. Hinsichtlich dieser Forderungen wurde die Beklagte mehrfach zur
Zahlung aufgefordert, u.a. mit Schreiben vom 28.10.2004. Am 04.11.2004 bat die
Beklagte die X GmbH, den im Schreiben vom 28.10.2004 genannten Betrag von
€ 5.527,52 in drei Raten begleichen zu dürfen (Anlage BB 2 zum Schriftsatz des Klägers
vom 19.11.2007, Bl. 256 d. Akte). Daraufhin verfasste die Zeugin X unter dem
05.11.2004 ein Schreiben an die Beklagte, wonach zwar die Zahlungstermine
abgeändert wurden, zugleich aber die Auslieferung der Frühjahr/Sommer-Ware 2005
nur gegen Vorkasse erfolgen sollte (Anlage BB 3 zum Schriftsatz des Klägers vom
19.11.2007, Bl. 257 d. Akte). Die Beklagte wurde um kurze Bestätigung gebeten, die
jedoch nicht erfolgte. Die Beklagte bestreitet, das Schreiben vom 05.11.2004 erhalten zu
haben.
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Am 29.11.2004 überwies die Beklagte einen Teilbetrag von € 2.000,00 an die X GmbH.
Nachdem weitere Zahlungen ausblieben, forderte die X GmbH die Beklagte mit
Schreiben vom 09.02.2005 zur Zahlung von € 3.527,52 bis zum 18.02.2005 auf (Anlage
K 7 zum Schriftsatz des Klägers vom 29.09.2006, Bl. 69 d. Akte). Mit Anwaltsschreiben
vom 18.02.2005 mahnte die X GmbH die Beklagte unter Hinweis auf das Schreiben vom
09.02.2005 erneut zur Zahlung von € 3.527,52 und setzte ihr eine Frist bis zum
04.03.2005 (Anlage BB 5 zum Schriftsatz des Klägers vom 19.11.2007, Bl. 259 f. d.
Akte).
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Hinsichtlich der streitgegenständlichen Ware forderte der Kläger die Beklagte mit
Anwaltschreiben vom 31.05.2005 (Anlage K 4 zur Klageschrift, Bl. 27 f. d. Akte) zur
Zahlung des Betrags von € 5.366,00 bis zum 21.06.2005 auf und wies darauf hin, dass
die Auslieferung der Textilien für Frühjahr/Sommer 2005 im Hinblick auf die
offenstehenden Rechnungsforderungen von insgesamt € 3.627,52 entsprechend den
Einheitsbedingungen der deutschen Textilindustrie erst nach Vorkasse erfolgen werde.
Für den Fall des Ausbleibens einer fristgerechten Zahlung kündigte der Kläger den
Rücktritt vom Vertrag sowie die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen an.
Unter dem 09.06.2005 erklärte er den Rücktritt vom Vertrag für die Kollektion gemäß
Auftragsbestätigung vom 15.10.2004, nachdem weitere Zahlungen der Beklagten nicht
erfolgt waren (Anlage K 11 zum Schriftsatz des Klägers vom 16.01.2007, Bl. 134 f. d.
Akte).
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Mit der Klage begehrt der Kläger Schadensersatz und trägt dazu vor, die
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streitgegenständlichen Ware sei im Juni 2005 durch den Zeugen X zu einem Kaufpreis
von nur € 1.435,50 an einen Abnehmer in Frankreich verkauft worden. Dagegen wendet
die Beklagte u.a. ein, die Zeugin X habe ihr auf einer Messe in Düsseldorf im Februar
2005 mitgeteilt, die Fa. X sei insolvent und sie müsse mit einer Lieferung der Ware nicht
mehr rechnen und entsprechend auch den Kaufpreis nicht mehr zahlen; spätestens im
Februar 2005 hätten die Parteien von dem Vertragsverhältnis Abstand genommen, ohne
dass eine Partei mit der Schadensersatzpflicht der anderen überzogen werden sollte.
Wegen der weiteren Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand
des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts Krefeld Bezug genommen.
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Der Kläger hat die Beklagte zunächst in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter auf
Schadensersatz in Höhe des Differenzbetrages von € 3.930,50 (€ 5.366,00 - € 1.435,50)
in Anspruch genommen. Nachdem das Amtsgericht Krefeld das Insolvenzverfahren mit
Beschluss vom 21.02.2007 aufgehoben hatte, ist der Kläger von der X GmbH ermächtigt
worden, den Rechtsstreit im eigenen Namen fortzuführen.
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Das Amtsgericht Krefeld hat, nachdem die Zeugen X und X vernommen worden sind,
der Klage mit Urteil vom 14.05.2007 stattgegeben und die Beklagte antragsgemäß zur
Zahlung von € 3.930,50 nebst Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten an die X
GmbH verurteilt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, der
Schadensersatzanspruch sei aus §§ 281, 325 BGB gerechtfertigt, da die Beklagte den
gemäß § 8 Nr. 2 der Einheitsbedingungen fälligen Kaufpreis nicht gezahlt habe; im
Übrigen habe die Zeugin X auch die Behauptung der Beklagten zum Inhalt des
Gesprächs auf der Messe in Düsseldorf nicht bestätigt.
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Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die ihren Antrag auf Klageabweisung
weiterverfolgt. Der Kläger beantragt unter Bezugnahme auf seinen erstinstanzlichen
Vortrag, den er nach Hinweis der Kammer vertieft und u.a. durch die Vorlage des
Schreibens der Zeugin X vom 05.11.2004 (Bl. 257 d. Akte) und des Anwaltsschreibens
vom 18.02.2005 (Bl. 259 f. d. Akte) ergänzt hat, die Zurückweisung der Berufung.
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II.
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Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere gemäß §§ 517, 519, 520 ZPO
form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Anders als vom Amtsgericht angenommen ist der Schadensersatzanspruch ungeachtet
der von der Beklagten angegriffenen Beweiswürdigung des Amtsgerichts und der Frage,
ob die Zeugin X der Beklagten im Februar 2005 mitgeteilt hat, dass sie angesichts der
Insolvenz der X GmbH mit der Lieferung der streitgegenständlichen Ware nicht mehr
rechnen und entsprechend auch den Kaufpreis nicht mehr zahlen müsse, nicht
begründet. Denn es fehlt bereits an einer den Schadensersatzanspruch begründenden
Pflichtverletzung der Beklagten.
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1. Zutreffend ist das Amtsgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Kläger, auch
nachdem das Insolvenzverfahren durch Beschluss vom 21.02.2007 aufgehoben worden
ist, weiterhin zur Prozessführung befugt ist. Denn der Kläger, der im Hinblick auf seine
vorherige Stellung als Insolvenzverwalter der Gesellschaft ein eigenes schutzwürdiges
Interesse an der Fortsetzung des von ihm aufgenommenen Rechtsstreits hat, ist nach
seinem Vortrag, dem die Beklagte nicht entgegengetreten ist, von der X GmbH dazu
ermächtigt worden, den Rechtsstreit in eigenem Namen fortzuführen.
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2. Dem Kläger steht ein durch den Deckungskauf entstandener Schaden in Höhe des
Mindererlöses jedoch weder aus §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 BGB noch aus § 280 Abs.
1 BGB, jeweils i.V.m. § 433 BGB, zu.
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a) Allerdings stimmt die Kammer mit dem Amtsgericht darin überein, dass über die von
der Beklagten gemäß Auftragsformular vom 06.09.2004 bestellte Ware ein Kaufvertrag
zustande gekommen ist.
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aa) Zwar war zum Zeitpunkt der Auftragsbestätigung im Oktober 2004 das
Insolvenzverfahren bereits eröffnet. Die Fähigkeit des Schuldners, rechtswirksame
Verpflichtungen einzugehen, wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch
insoweit eingeschränkt, als er während der Dauer des Insolvenzverfahrens keine der
Masse gegenüber wirksamen Verpflichtungen eingehen kann (MüKo/Ott, InsO, Bd. 1, 2.
Aufl., 2007, § 81 Rn. 5). Unwirksame Rechtsgeschäfte können jedoch entsprechend den
§§ 182, 184 Abs. 1 BGB vom Insolvenzverwalter genehmigt werden. Der Kläger hat die
Beklagte als Insolvenzverwalter mit Anwaltsschreiben vom 31.05.2005 nicht nur zur
Zahlung von € 5.366,00 aufgefordert, sondern ihr darüber hinaus auch mitgeteilt, dass
die Ware zur Auslieferung bereit stehe und unmittelbar nach Zahlungseingang
ausgeliefert werden könne. Damit hat er den Vertrag über die streitgegenständliche
Ware jedenfalls entsprechend §§ 182, 184 Abs. 1 BGB genehmigt. Entgegen der
Ansicht der Beklagten war auch zu diesem Zeitpunkt eine Genehmigung noch möglich.
Für die Genehmigung besteht grundsätzlich keine Frist; sie kann vielmehr auch noch
nach Jahr und Tag erklärt werden, es sei denn, dass Verwirkung eingetreten ist (vgl.
Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl., 2007, § 184 Rn. 1 m.w.N.). Eine Verwirkung im Sinne
des § 242 BGB hat die Beklagte indes nicht substantiiert dargetan. Auch wenn als
Lieferzeit der Zeitraum bis Februar 2005 angegeben war, ergibt sich aus dem
Beklagtenvortrag nicht hinreichend, dass nach der getroffenen Vereinbarung nur bis zu
diesem Zeitpunkt die Leistung möglich sein sollte. Daher hätte es – gerade da es sich
um Saisonware handelte und ein Liefertermin nicht im Sinne von § 3 Nr. 1 der
Einheitsbedingungen (Werktag oder eine bestimmte Kalenderwoche) nicht bestimmt
war – einer Fristsetzung durch die Beklagte bedurft, die jedoch nicht erfolgt ist.
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bb) Entgegen der Berufung ist insoweit auch nicht erheblich, dass die Beklagte nach
ihrem Vortrag zum Zeitpunkt ihrer Bestellung nicht über die Insolvenzeröffnung über das
Vermögen der X GmbH informiert war. Denn selbst wenn sich die Beklagte im Oktober
2004 über ihren Vertragspartner im Irrtum befunden haben sollte (vgl. zum Irrtum über
den Geschäftspartner Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl., 2007, § 119 Rn. 13, 26), hätte
sie den Vertrag nach § 121 Abs. 1 BGB unverzüglich anfechten müssen, nachdem sie
von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hatte. Eine Anfechtung des Vertrags hat
die Beklagte, die nach ihrem Vortrag seit Februar 2005 wusste, dass sich die X GmbH in
Insolvenz befand, jedoch nicht erklärt.
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b) Der Schadenersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 BGB setzt allerdings
voraus, dass die Beklagte ihre primäre Leistungspflicht, hier der Zahlung der zu
liefernden Modetextilien, nicht erfüllt hat. Das kann die Kammer nicht feststellen,
insbesondere war die Beklagte – anders als vom Amtsgericht angenommen – nicht zur
Vorleistung verpflichtet.
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aa) Aus den Einheitsbedingungen der Bekleidungsindustrie, die der Bestellung der
Frühjahr/Sommer-Ware 2005 zu Grunde lagen, ergibt sich vielmehr, dass grundsätzlich
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der Verkäufer vor Zahlung zu liefern hat. Die Einheitsbedingungen sind – wie das
Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat – auch Vertragsgegenstand geworden. Bei
Unternehmern werden Allgemeine Geschäftsbedingungen bereits dann Vertragsinhalt,
wenn der Verwender, wie hier die X GmbH, auf den Bestellscheinen auf die Allgemeine
Geschäftsbedingungen hinweist und der andere Vertragspartner, wie hier die Beklagte,
ihrer Geltung nicht widerspricht (Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl., 2007, § 305 Rn. 52
m.w.N.). § 7 Nr. 2 der Einheitsbedingungen räumt dem Käufer ein Zahlungsziel von 60
Tagen ab Rechnungsdatum mit abgestufter Rabattstaffel bei früherer Zahlung ein. Diese
Skontoregelung schafft für den Käufer einen Anreiz, vor Fälligkeit zu zahlen, wenn ihm
liquide Mittel zur Verfügung stehen (vgl. Dax/Oefinger, Kommentar zu den
Einheitsbedingungen der deutschen Textilwirtschaft, 7. Aufl., 2005, Rn. 129). Demnach
ist gemäß § 7 der Einheitsbedingungen grundsätzlich der Verkäufer zur Vorleistung
verpflichtet.
bb) Diese Regelung haben die Parteien nicht individualvertraglich abgeändert.
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Nach dem Vortrag des Klägers hat die X GmbH der Beklagten zwar mit Schreiben vom
05.11.2004 mitgeteilt, dass die von der Beklagten gewünschte Ratenzahlung (nur) bei
gleichzeitiger Vorleistungspflicht der Beklagten hinsichtlich der Frühjahr/Sommer-Ware
2005 akzeptiert werde. Eine Vorleistungspflicht der Beklagten aufgrund einer
(nachträglichen) Einigung scheitert hier jedoch schon daran, dass die Beklagte nach
ihrem Vortrag das abgeänderte Angebot der X GmbH nicht erhalten hat. Beweis für den
Zugang dieses Schreibens hat der Kläger nicht angeboten. Auch aus dem Umstand,
dass die Beklagte am 29.11.2004 eine Überweisung mit dem Verwendungszweck
"Teilzahlung laut Vereinbarung" vorgenommen hat, folgt nicht, dass der Beklagten das
Schreiben vom 05.11.2004 zugegangen ist. Denn die Zahlung der € 2.000,00 konnte
sich – wie die Beklagte vorträgt – auch darauf beziehen, dass die Beklagte ihrerseits mit
Schreiben vom 04.11.2004 die Begleichung des offen stehenden Saldos in drei Raten –
die erste Rate in Höhe von € 2.000,00 – angekündigt hatte.
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cc) Entgegen der Ansicht des Klägers folgt eine Vorleistungspflicht der Beklagten, auf
die der Kläger Schadensersatzansprüche stützen kann, auch nicht aus § 8 der dem
Vertrag zu Grunde liegenden Einheitsbedingungen. Denn nach Ansicht der Kammer
hält § 8 Nr. 3 einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 BGB nicht stand.
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Nach § 8 der Einheitsbedingungen soll die Vorleistungspflicht des Verkäufers unter den
dort genannten Voraussetzungen entfallen, wenn der Käufer mit fälligen Zahlungen in
Verzug gerät. Insoweit sieht § 8 Nr. 2 nicht nur vor, dass der Verkäufer vor vollständiger
Zahlung fälliger Rechnungsbeträge zu keiner weiteren Lieferung aus irgendeinem
laufenden Vertrag verpflichtet ist, sondern räumt dem Verkäufer darüber hinaus in § 8
Nr. 3 ein, bei Zahlungsverzug des Käufers nach dem Setzen einer Nachfrist von 12
Tagen für noch ausstehende Lieferungen aus irgendeinem laufenden Vertrag unter
Fortfall des Zahlungsziels bare Zahlung vor Ablieferung zu verlangen oder vom Vertrag
zurückzutreten oder Schadensersatz geltend zu machen.
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Die Klausel führt damit – anders als § 321 BGB, der keinen Anspruch auf die
Gegenleistung oder auf Sicherheitsleistung Zug um Zug auslöst – zu einem Wechsel
von der Vorleistungspflicht des Verkäufers zu einer Vorleistungspflicht des Käufers und
begründet – abweichend von der gesetzlichen Regelung des § 321 BGB, der nur die
Möglichkeit der Sicherheitseinrede bzw. des Rücktritts vom Vertrags vorsieht (vgl. etwa
Jauernig/Stadler, BGB, 12. Aufl., 2007, § 321 Rn. 11) – einen Schadensersatzanspruch
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des Verkäufers (vgl. Dax/Oefinger, Kommentar zu den Einheitsbedingungen der
deutschen Textilwirtschaft, 7. Aufl., 2005, Rn. 142). Diese Rechtsfolge ist, auch wenn sie
erst nach dem erfolglosen Ablauf einer Nachfrist eingreift, nach Ansicht der Kammer mit
dem wesentlichen Grundgedanken des § 321 BGB nicht zu vereinbaren.
Im Falle des drohenden Ausbleibens oder der zu erwartenden Vertragswidrigkeit der
Gegenleistung soll dem an sich Vorleistungspflichtigen zwar nicht zugemutet werden,
ohne Sicherheit vorzuleisten. Die Regelung des § 321 BGB begründet zugunsten des
Vorleistungspflichtigen allerdings primär (nur) eine besondere Einrede, wenn nach
Abschluss des Vertrages erkennbar wird, dass sein Anspruch auf die Gegenleistung
durch mangelnde Leistungsfähigkeit des anderen Teils gefährdet wird. Dagegen bewirkt
die Erhebung der sog. Unsicherheitseinrede nicht, dass der Vertrag Zug um Zug
abzuwickeln ist. Der Vorleistungspflichtige kann den Vorleistungsberechtigten nach
§ 321 BGB weder zur Gegenleistung noch zur Sicherheitsleistung zwingen (vgl.
Staudinger/Otto, BGB, Neubearbeitung 2004, § 321 Rn. 46; Palandt/Grüneberg, BGB,
66. Aufl., 2007, § 321 Rn. 8; MüKo/Emmerich, BGB, 5. Aufl., 2007, § 321 Rn. 32; krit.
Erman/Westermann, BGB, 11. Aufl., 2004, Rn. 11). Um zu verhindern, dass die
Vertragsabwicklung gerade bei einer wie hier vorliegenden, beständigen
Vorleistungspflicht, also einer solchen Pflicht, bei der die Fälligkeit der Gegenleistung
von der Erbringung der Vorleistung abhängig ist, in einen andauernden
Schwebezustand zu geraten droht, eröffnet § 321 Abs. 2 BGB dem
Vorleistungspflichtigen die Möglichkeit, eine Frist zu bestimmen, innerhalb derer der
andere Teil seine Leistung Zug um Zug zu bewirken oder Sicherheit zu leisten hat und
damit sein Recht auf die Vorleistung praktisch aufgibt. Nach erfolglosem Fristablauf gibt
§ 321 Abs. 2 S. 2 BGB dem Vorleistungspflichtigen sekundär das Recht, vom Vertrag
zurückzutreten. Will der Vorleistungsverpflichtete den Wert seiner Leistung nicht
riskieren, muss er demnach auf die Ausführung des Vertrages verzichten
(Staudinger/Otto, BGB, Neubearbeitung 2004, § 321 Rn. 46), da der
Vorleistungspflichtige im Falle einer Vermögensverschlechterung des
Vorleistungsberechtigten unter den Voraussetzungen des § 321 Abs. 2 S. 2 BGB nur
vom Vertrag zurücktreten kann.
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Dagegen führt § 8 Nr. 3 der Einheitsbedingungen – weitergehender als § 321 Abs. 1
BGB – eine Vorleistungspflicht des Käufers ein und eröffnet dem Verkäufer damit nicht
nur ein Rücktrittsrecht, sondern darüber hinaus auch einen Anspruch auf die
Gegenleistung, auf den Schadensersatzansprüche, etwa wegen entgangenen Gewinns,
gestützt werden können. Damit weicht die Klausel erheblich von der gesetzlichen
Konzeption des § 321 BGB ab.
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Schon vor Einführung des Rücktrittsrechts (§ 321 Abs. 2 BGB) durch das
Schuldrechtsmodernisierungsgesetz hat der BGH die Frage aufgeworfen, inwieweit im
Hinblick auf § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG (a.F.) ein Anspruch auf Ersatz des
Erfüllungsschadens zugunsten des Vorleistungspflichtigen wirksam durch Allgemeine
Geschäftsbedingungen begründet werden könne (vgl. BGH, Urteil v. 26.11.1984, VIII ZR
188/83, NJW 1985, 1220). Allerdings hat der BGH diese Frage offen gelassen, da die
Klausel der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Liefer- und Zahlungsbedingungen der
Textilindustrie bereits aus anderen Gründen unwirksam war. Das OLG Oldenburg hat
eine Klausel, wonach der Verkäufer berechtigt sein sollte, für noch ausstehende
Lieferungen aus irgendeinem laufenden Vertrag unter Fortfall des Zahlungsziels bare
Zahlung vor Ablieferung der Ware zu verlangen, wenn der Käufer mit einer fälligen
Zahlung in Verzug oder in seinen Vermögensverhältnissen eine wesentliche
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Verschlechterung eingetreten ist, als unwirksam angesehen, weil sich die Regelung zu
weit vom dispositiven Recht entferne. Schon aufgrund des Umstandes, dass in den
damaligen Einheitsbedingungen – ebenso wie auch in den streitgegenständlichen
Einheitsbedingungen – die Rechtsfolge u.a. an den Zahlungsverzug des Käufers
geknüpft wurde, ist der Lieferant nach Ansicht des OLG unangemessen gegenüber der
gesetzlichen Regelung bevorzugt. Darüber hinaus hat das OLG die durch die
Einheitsbedingungen bestimmte Änderung der Rechtsfolge der Vorleistungspflicht des
Verkäufers in eine Vorleistungspflicht des Käufers auch deshalb für nicht gerechtfertigt
gehalten, da dadurch dem Käufer, der häufig die Bestellung nur unter dem
Gesichtspunkt vorgenommen habe, die Bezahlung der Ware mit dem Erlös aus dem
Weiterverkauf vorzunehmen, eine zur Absicherung des Verkäufers nicht notwendige
zusätzliche Belastung zugemutet werde (OLG Oldenburg, Urteil v. 10.01.1991, 1 U
125/90, NJW-RR 1991, 633).
Dieser Gedanke findet sich auch in der amtlichen Begründung zur Neufassung des
§ 321 BGB. Danach stellt sich die Kodifizierung des Kündigungsrechtes als Ergebnis
eines gerechten Ausgleichs zwischen den schützenswerten Interessen beider
Vertragsparteien dar. Der Vorleistungsberechtigung des Käufers soll mit Rücksicht auf
seine Interessenlage nur die Unsicherheitseinrede bzw. ein Rücktrittsrecht des
Verkäufers gegenüberstehen, nicht jedoch auch ein Anspruch auf die Gegenleistung
Zug um Zug gegen die vom Vorleistungspflichtigen zu bewirkende Leistung, wie dies
vor der Schuldrechtsreform vereinzelt vertreten worden ist (vgl. dazu die Nachweise bei
MüKo/Emmerich, BGB, 5. Aufl., 2007, § 321 Rn. 28, Fn. 82; Soergel/Wiedemann, BGB,
13. Aufl., 2005, § 321 Rn. 50). Denn dies ließe – so die amtliche Begründung – die
Interessen des Vorleistungsberechtigten unberücksichtigt, der gerade im Hinblick auf
das weitgehende Zahlungsziel so kalkuliert habe, dass er die Mittel für die
Gegenleistung erst aus der Verwendung der Vorleistung erlangen will (vgl. BT-Drucks
14/6040, S. 180), worauf auch der BGH in seiner Entscheidung vom 26.11.1984
hingewiesen hat (BGH, a.a.O.). Gerade im Hinblick auf § 7 der Einheitsbedingungen der
Textilindustrie, wonach der Kaufpreis (ohne Abzug eines Skontos) erst ab dem 31. bis
zum 60. Tag nach Rechnungsstellung zu zahlen ist und erst ab dem 61. Tag Verzug
eintritt, ist davon auszugehen, dass viele kleine und mittlere Gewerbetreibende sich die
Mittel zur Zahlung ihrer Lieferanten im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb aus dem
Abverkauf der Waren beschaffen müssen. Damit erscheint es jedoch auch im
kaufmännischen Verkehr unangemessen, dass der vorleistungsberechtigte Käufer für
den Fall, dass er die Durchführung des Vertrags mangels Bewirken der Gegenleistung
oder einer Sicherheitsleistung nicht mehr retten kann, zusätzlich noch einem auf das
Erfüllungsinteresse des Verkäufers gerichteten Schadensersatzanspruch ausgesetzt
wird (vgl. AG Peine, Urteil v. 03.03.2004, 24 C 281/03, NJOZ 2005, 736). Insgesamt
entfernt sich demnach die Regelung in § 8 Nr. 3 so weit vom gesetzlichen Leitbild des
§ 321 BGB, dass sie unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 S. 1 BGB
und damit unwirksam ist.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Erwägungen des Klägers im Schriftsatz
vom 28.01.2008 (Bl. 301 ff. d. Akte). Auch wenn dem Verkäufer nicht zuzumuten ist,
"sehenden Auges" Abnehmer zu beliefern, welche offensichtlich nicht in der Lage sind,
ihren Zahlungsverpflichtungen aus der gemeinsamen Geschäftsbeziehung
nachzukommen, folgt daraus gerade nicht, dass sich der Unternehmer über das in § 321
BGB geregelte Rücktrittsrecht auch wirksam Schadensersatzansprüche durch
Allgemeine Geschäftsbedingungen einräumen kann. Bereits durch die in § 321 BGB
normierte Unsicherheitseinrede und das Rücktrittsrecht sind die Interessen des
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Verkäufers hinreichend gewahrt (vgl. so auch BT-Drucks 14/6040, S. 180). Denn
dadurch hat es der Verkäufer – auch bei Saisonware – selbst in der Hand, durch
rechtzeitige Fristsetzung vom Vertrag zurückzutreten, sofern er den Wert seiner Leistung
nicht riskieren will.
Auch wenn der Kläger demnach hier mit Anwaltsschreiben vom 18.02.2005 (Bl. 259 f. d.
Akte) eine Frist im Sinne von § 8 Nr. 3 der Einheitsbedingungen gesetzt hat (vgl. zum
Erfordernis einer Fristsetzung im Sinne der Allgemeinen Geschäftsbedingungen OLG
Hamm, Urteil v. 10.01.1995, 28 U 251/93, NJW-RR 1995, 503; Staudinger/Otto, BGB,
Neubearbeitung 2004, § 323 Rn. B 67), konnte damit eine Vorleistungspflicht der
Beklagten, auf die ein Schadensersatzanspruch gestützt werden könnte, nicht wirksam
durch § 8 Nr. 3 der Einheitsbedingungen der Textilindustrie begründet werden.
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c) Der Kläger hat auch im Übrigen einen Schadensersatzanspruch nach § 281 Abs. 1
bzw. § 280 Abs. 1 BGB nicht substantiiert dargetan. Inwieweit im Falle einer ernsthaften
und endgültigen Erfüllungsverweigerung ein Schadensersatzanspruch gegen den
Vorleistungsberechtigten begründet sein kann (vgl. Staudinger/Otto, BGB,
Neubearbeitung 2004, § 321 Rn. 47, 55; MüKo/Emmerich, BGB, 5. Aufl., 2007, § 321
Rn. 27, 34; Soergel/Wiedemann, BGB, 13. Aufl., 2005, § 321 Rn. 62), kann hier schon
deshalb offen bleiben, da der Kläger lediglich vorgetragen hat, dass sich die Beklagte
nicht gerührt und sich "gänzlich passiv" verhalten habe, mithin eine ernsthafte und
endgültige Erfüllungsverweigerung der Beklagten nicht vorgetragen worden ist. Auch
hat der Kläger sonst eine Pflichtverletzung der Beklagten, auf die der geltend gemachte
Schadensersatzanspruch gestützt werden könnte, nicht dargetan.
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Demnach ist die Klage insgesamt abzuweisen. Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
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III.
39
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10
ZPO.
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Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da die Frage der
Vereinbarkeit von § 8 Nr. 3 der Einheitsbedingungen der Bekleidungsindustrie mit § 321
BGB und die Zulässigkeit der Ausweitung der Rechtsfolgen dieser Norm durch
Allgemeine Geschäftsbedingungen nach Ansicht der Kammer grundsätzliche
Bedeutung haben.
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