Urteil des LG Krefeld vom 09.07.2010

LG Krefeld (treu und glauben, erhöhung, zpo, allgemeine geschäftsbedingungen, unterlagen, anlage, zahlung, tarif, umfang, gas)

Landgericht Krefeld, 1 S 8/10
Datum:
09.07.2010
Gericht:
Landgericht Krefeld
Spruchkörper:
1. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 S 8/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Krefeld, 7 C 48/08
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 02.12.2009 verkün-dete
Urteil des Amtsgerichts Krefeld insoweit abgeändert, als die Kosten des
Rechtsstreits erster Instanz der Klägerin zu 17 % und dem Beklagten zu
83 % auferlegt werden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
1
I.
2
Die Parteien sind durch einen Gaslieferungsvertrag miteinander verbunden, der durch
die Entnahme von Gas aus dem Netz der Klägerin seitens des Beklagten faktisch
zustande kam. Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die vollständige Bezahlung der
Verbrauchsabrechnungen der Jahre 2006, 2007 und 2008 sowie der von November
2008 bis einschließlich Mai 2009 geleisteten Abschlagszahlungen. Insoweit nahm der
Beklagte jeweils Kürzungen vor unter Berufung darauf, dass die Klägerin nicht zu den
erfolgten Preiserhöhungen befugt gewesen sei. Ergänzend beruft er sich darauf, dass
die Klägerin, sofern ihr überhaupt ein Ermessen bei der Preiserhöhung zugestanden
habe, dieses Ermessen unbillig ausgeübt habe.
3
Die Klägerin hat ihre Klage, die sich zwischenzeitlich auf 824,64 € belief, noch in erster
Instanz teilweise zurückgenommen und zuletzt eine Hauptforderung in Höhe von 684,87
€ geltend gemacht.
4
Wegen der weiteren Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand
des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
5
Das Amtsgericht Krefeld hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt und ihm die
gesamten Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Hiergegen richtet sich die Berufung des
Beklagten, der seinen Antrag aus erster Instanz weiter verfolgt.
6
II.
7
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat nur insoweit
Erfolg, als das Amtsgericht dem Beklagten rechtsfehlerhaft die gesamten Kosten des
Rechtsstreits auferlegt hat.
8
Im Einzelnen:
9
1.
10
Soweit der Beklagte erstinstanzlich mehrfach die Zuständigkeit des Amtsgerichts
verneint hat, kommt es hierauf nach § 513 Abs. 2 ZPO nicht mehr an. Im Übrigen hat der
Beklagte seine Zuständigkeitsrügen in zweiter Instanz – zu Recht – nicht mehr
aufrechterhalten:
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Zunächst war eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf nicht
gegeben, weil die Voraussetzungen weder des § 87 (i.V.m. § 89) GWB noch des § 102
(i.V.m. § 103) EnWG gegeben sind: Voraussetzung einer Zuständigkeit gemäß § 87
GWB ist, dass eine Spruchreife nur unter Beantwortung einer kartellrechtlichen Frage
erreicht werden kann. Dies ist hier nicht der Fall. Denn streitentscheidend ist vorliegend
die Frage des § 315 Abs. 3 BGB, insbesondere dahingehend, ob die
Gaspreiserhöhungen durch gestiegene Bezugskosten gerechtfertigt werden können
oder nicht. Eine inhaltliche Prüfung etwa des § 19 GWB ist daher nicht notwendig: Sind
die beanstandeten Gaspreiserhöhungen billig, können sie nicht auf einem Missbrauch
im kartellrechtlichen Sinne beruhen. Umgekehrt kann bei einer unbilligen
Preiserhöhung die kartellrechtliche Frage des Missbrauchs einer
wettbewerbsbeherrschenden Stellung dahinstehen. Eine sachliche Unzuständigkeit des
Amtsgerichts konnte auch nicht nach § 102 EnWG angenommen werden, weil
Gegenstand des Energiewirtschaftsgesetzes in erster Linie das "Ob" der Versorgung ist;
demgegenüber beurteilt sich die Frage der Billigkeit der Gaspreiserhöhungen nach
bürgerlichem Recht (vgl. insoweit auch LG Hagen, Urteil vom 25.03.2009 – 7 S 84/08).
12
Soweit der Beklagte überdies erstinstanzlich die Auffassung vertreten hat, die Kammer
für Handelssachen sei zuständig, ist dies insbesondere im Hinblick auf § 95 GVG nicht
nachvollziehbar.
13
2.
14
Die Klage ist auch begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte
Zahlungsanspruch gegen den Beklagten zu:
15
a)
16
Zunächst hat die Klägerin ihre Klageforderung hinreichend substantiiert und die ihr
zugrunde liegenden einzelnen Positionen aufgeschlüsselt. Ausweislich ihres
Schriftsatzes vom 25.09.2009 verlangt die Klägerin von dem Beklagten die Zahlung von
17
235,84 € aus der gekürzten Jahresverbrauchsabrechnung 2006,
123,68 € aus der gekürzten Jahresverbrauchsabrechnung 2007,
136,56 € aus der gekürzten Jahresverbrauchsabrechnung 2008 sowie
insgesamt 188,79 € aus den seit November 2008 bis einschließlich Mai 2009
gekürzten 7 Abschlagszahlungen.
18
19
Dies ergibt insgesamt die noch streitgegenständliche Klageforderung in Höhe von
684,87 €.
20
Soweit der Beklagte in zweiter Instanz die schlüssige Darlegung der Klageforderung –
die sich entgegen der Berufungsbegründung vom 10.03.2010 im Übrigen auch nicht
mehr auf 824,64 € beläuft – rügt, ist er hiermit präkludiert, nachdem er auf die
Schriftsätze der Klägerin vom 25.09.2009 und vom 30.09.2009, denen zwei
Forderungsaufstellungen beigefügt waren, mit Schriftsatz vom 09.10.2009 mitgeteilt hat,
dass "die Rechenschritte der Klägerin nunmehr nachvollziehbar sind." Hat der Beklagte
also noch in erster Instanz sein anfängliches Bestreiten insoweit nicht mehr
aufrechterhalten, ist ihm das erneute Bestreiten in zweiter Instanz verwehrt.
21
b)
22
Die Klägerin kann von dem Beklagten die vollständige Zahlung der gekürzten 3
Jahresverbrauchsabrechnungen und 7 Abschlagsforderungen verlangen. Denn sie war
zur Erhöhung ihrer Gaspreise in dem vorgenommenen Umfang berechtigt:
23
aa)
24
Allerdings greift der Einwand der Klägerin, der Beklagte könne ihr die etwaige
Unbilligkeit der Gaspreiserhöhungen überhaupt nicht entgegenhalten und er sei ihr
gegenüber schon deshalb zur Zahlung verpflichtet, nicht durch. Denn der Beklagte
musste die von ihm angenommene Unbilligkeit der Preiserhöhungen nicht selbstständig
im Wege der Feststellungsklage klären lassen, sondern er kann seinen Einwand auch
gegenüber der Leistungsklage der bestimmungsberechtigten Klägerin einredeweise
geltend machen (vgl. Palandt-Grüneberg, 69. Aufl., § 315 Rdnr. 17).
25
Die insoweit erhobene Einrede ist auch nicht unbeachtlich, weil der Beklagte etwa sein
insoweit bestehendes Recht verwirkt hätte: § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB bestimmt für die
Erhebung der dort vorgesehenen Klage keine besondere Frist; allerdings kann der
Betroffene sein Klagerecht verwirken (vgl. dazu BGH, Urteil vom 06.03.1986 – III ZR
195/84, Rz. 36). Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung
längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die
verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen
26
(Umstandsmoment). Beides ist hier nicht der Fall:
Der Beklagte wandte sich gegen die Gaspreiserhöhungen erstmals mit Schreiben vom
08.02.2006. Aus den weiteren als Anlagenkonvolut K2 vorgelegten wechselseitigen
Schreiben ergibt sich, dass die Parteien stets ihre konträren Rechtsansichten
beibehielten und die später anwaltlich vertretene Klägerin dem Beklagten eine
umgehende Beschreitung des Klageweges in Aussicht stellte. Mit Schreiben vom
13.08.2007 forderte die Klägerin den Beklagten sodann zur Zahlung auf; nach weiterer
Korrespondenz erwirkte sie am 05.12.2007 einen Mahnbescheid. Der Beklagte musste
in dem kurz bemessenen Zeitraum nicht noch zuvor eine gerichtliche Überprüfung der
Tariferhöhungen beantragen.
27
bb)
28
Die Berechtigung der Klägerin zur Erhöhung ihrer Gaspreise findet ihre Grundlage in § 4
Abs. 1 und 2 AVBGasV (galt bis zum 07.11.2006) bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV (seit dem
08.11.2006). In § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV war bestimmt, dass das
Gasversorgungsunternehmen zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen
Gas zur Verfügung stellt und dass Änderungen der allgemeinen Tarife und
Bedingungen erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam werden. Nach der
Begründung des Verordnungsgebers sollte durch die Einfügung des Wortes
"jeweiligen" klargestellt werden, dass das Versorgungsunternehmen die Möglichkeit
hat, die allgemeinen Tarife durch öffentliche Bekanntgabe gleitend, mit anderen Worten
ohne Kündigung zu ändern (BR-Dr. 77/79, S. 34). Daraus leitet die höchstrichterliche
Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, her, dass § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV
den Gasversorgungsunternehmen im Bereich der Versorgung von Tarifkunden ein
einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gewährt. Diese Vorschriften sind durch § 5 Abs.
2 GasGVV ersetzt worden, ohne dass sich hierdurch in der Sache etwas ändern sollte
(BGH, Urteil vom 15.07.2009 – VIII ZR 56/08, Rz. 19 f.).
29
cc)
30
Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten finden die § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV, §
5 Abs. 2 GasGVV vorliegend auch Anwendung:
31
Soweit der Beklagte zunächst die Ansicht vertritt, die Vorschriften der AVBGasV bzw.
der GasGVV seien wegen des Fehlens der Voraussetzungen der §§ 305 ff. BGB nicht
wirksam in den Vertrag einbezogen worden, verkennt er, dass es sich bei beiden
Verordnungen nicht um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, sondern um eine
auf Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) beruhende Verordnung im
Sinne des Art. 80 GG, die unmittelbar für die in ihren jeweiligen § 1 genannten Verträge
gilt. Einer Einbeziehung nach den AGB-rechtlichen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB
bedurfte es deshalb nicht.
32
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist dieser auch Tarifkunde im Sinne von § 1
Abs. 2 AVBGasV. Für die Beurteilung, ob es sich bei – wie hier – öffentlich bekannt
gemachten Vertragsmustern und Preisen um Tarif- bzw. Grundversorgungsverträge mit
allgemeinen Tarifpreisen, Allgemeinen Tarifen oder Allgemeinen Preisen im Sinne der
§§ 6 Abs. 1, 10 Abs. 1 oder 36 Abs. 1 EnWG handelt, kommt es darauf an, ob das
betreffende Versorgungsunternehmen die Versorgung zu den öffentlich bekannt
gemachten Bedingungen und Preisen aus der Sicht eines durchschnittlichen
33
Abnehmers im Rahmen seiner Versorgungspflicht nach den vorbezeichneten
Vorschriften oder unabhängig davon im Rahmen seiner allgemeinen Vertragsfreiheit
anbietet (BGH, Urteil vom 15.07.2009 – VIII ZR 225/07, Rz. 14). Ersteres ist hier der Fall:
Unstreitig kam der Gaslieferungsvertrag zwischen den Parteien dadurch zustande, dass
der Beklagte Gas aus dem Netz der Klägerin bezog. Durch diesen faktischen
Vertragsschluss wird aber gerade kein Sondervertrag begründet. Es handelt sich
vielmehr um den klassischen Fall eines Tarifkundenvertrags im Sinne des § 1 Abs. 2
AVBGasV. Die von der Klägerin praktizierte Best-Preis-Abrechnung, die allen ihrer
Tarifkunden zugutekommt, weil sie dem einzelnen Kunden entsprechend seinem
jeweiligen Verbrauch den für ihn jeweils günstigsten Tarif zuweist, ändert hieran nichts.
Nach dem Vorgenannten handelt es sich bei dem Beklagten auch um einen
Haushaltskunden im Sinne des § 1 Abs. 2 GasGVV.
34
dd)
35
Soweit sich der Beklagte zunächst gegen die Gaspreiserhöhung zum 01.01.2005
wendet, dringt er mit seinem Einwand schon aus dem Grunde nicht durch, als eine
Billigkeitskontrolle insoweit nicht stattfindet. Denn vertraglich vereinbarte Preise für die
Lieferung von Gas unterfallen weder in unmittelbarer noch in analoger Anwendung des
§ 315 BGB einer Billigkeitskontrolle. Insoweit ist das Amtsgericht in seinem
angefochtenen Urteil zutreffend davon ausgegangen, dass der seit dem 01.01.2005
geltende Arbeitspreis zwischen den Parteien konkludent dadurch vereinbart wurde,
dass sich der Beklagte vorprozessual lediglich gegen die Erhöhungen ab dem
01.10.2005 gewandt und auf der Grundlage der seit dem 01.01.2005 geltenden Preise
eine Kürzung seiner Zahlungsverpflichtungen vorgenommen hat. Denn wird nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Tarif (schon dann) zum vereinbarten Tarif, wenn
der Kunde eine Jahresabrechnung auf der Grundlage dieses erhöhten Tarifs hinnimmt,
ohne diese Tariferhöhung binnen angemessener Zeit als unbillig zu beanstanden, liegt
eine Tarifvereinbarung erst recht dann vor, wenn der Kunde sich lediglich gegen spätere
Tariferhöhungen wendet und eine frühere Tariferhöhung dadurch als berechtigt
anerkennt.
36
ee)
37
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist das Amtsgericht auch zutreffend davon
ausgegangen, dass die seit dem 01.10.2005 vorgenommenen Preiserhöhungen billig im
Sinne von § 315 BGB sind:
38
(1)
39
Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten ist es grundsätzlich nicht zu
beanstanden, dass die Klägerin erhöhte Bezugskosten an ihre Kunden weitergibt. Denn
Gasversorgungsunternehmen besitzen nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung
ausdrücklich ein anerkennenswertes Interesse daran, Kostensteigerungen in adäquater
Weise an ihre Kunden weiterzugeben (BGH, Urteil vom 24.03.2010 – VIII ZR 178/08,
Rz. 32, 35). So liegt es hier:
40
Das Amtsgericht ist im Rahmen der Auswertung der von der Klägerin vorgelegten
Unterlagen zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die Erhöhung ihrer
Bezugskosten – auf die sie die Erhöhung ihrer Abgabepreise gegenüber dem Beklagten
41
stützt – im Einzelnen dargelegt hat. So ergeben sich aus der von ihr vorgelegten Anlage
K27 einerseits die Preisveränderungen, die die Klägerin auf der Bezugsseite – hier
gegenüber ihrer Vorlieferantin, der Firma X AG – treffen, sowie andererseits die
Änderungen des Abgabepreises gegenüber den Kunden der Klägerin, mithin dem
Beklagten. Aus der Anlage K27 ergibt sich insoweit beispielhaft, dass die Klägerin zum
01.04.2005 eine Erhöhung ihrer Bezugspreise um 0,1495 Ct/kWh, zum 01.07.2005 eine
Erhöhung der Bezugspreise um 0,0005 Ct/kWh sowie zum 01.10.2005 eine Erhöhung
der Bezugspreise um 0,2654 Ct/kWh, insgesamt also 0,4154 je Ct/kWh, hinnehmen
musste. Diese Erhöhung hat sie zum 01.10.2005 an ihre Kunden in Form einer
Preiserhöhung von (lediglich) 0,3000 je Ct/kWh weitergegeben hat. Mit anderen Worten
hat die Klägerin 0,1154 Ct/kWh der sie auf Bezugsseite treffenden Preiserhöhungen
nicht an ihre Kunden weitergegeben.
Insgesamt ergibt sich aus der Anlage K27 zum Einen, dass die Klägerin die sie auf der
Bezugsseite treffenden Preiserhöhungen nicht vollständig an ihre Kunden
weitergegeben hat, sie zum Anderen aber die ihr auf der Bezugsseite zu Gute
kommenden Preissenkungen auch nicht stets im Verhältnis 1:1 an ihre Kunden
weitergegeben hat. Letzteres betrifft insbesondere die Preisanpassungen in dem
Zeitraum vom 01.07.2006 bis zum 01.07.2007. Dies ändert indes insgesamt nichts
daran, dass die Klägerin in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum ab dem
01.10.2005 gerade nicht die insgesamt auf der Bezugsseite erfolgten Preissteigerungen
an ihre Kunden weitergegeben hat: So stiegen die Abgabepreise der Klägerin im
Zeitraum vom 01.10.2005 bis zum 01.04.2009 um insgesamt 0,2329 Ct/kWh weniger als
die von der Klägerin an die X AG zu entrichtenden Bezugspreise.
42
Eine Unbilligkeit der Preiserhöhungen liegt nicht einmal im Hinblick auf den
beschränkten Zeitraum vom 01.10.2005 bis zum 01.07.2007 einschließlich (in dem der
Beklagte allenfalls einwenden könnte, die Abgabepreise der Klägerin hätten sich stärker
erhöht als ihre Bezugspreise) vor: So hat die Klägerin ausweislich Anlage K27 zwar
zum 01.10.2005 0,1154 Ct/kWh, zum 01.01.2006 0,0600 Ct/kWh und zum 01.04.2006
0,1479 Ct/kWh der sie auf Bezugsseite treffenden Preiserhöhungen nicht an ihre
Kunden weitergegeben; sie hat andererseits zum 01.07.2006 0,0141 Ct/kWh, zum
01.10.2006 0,1071 Ct/kWh, zum 01.01.2007 0,0300 Ct/kWh, zum 01.04.2007 0,1022
Ct/kWh und zum 01.07.2007 0,0773 Ct/kWh (insoweit zu ihren Gunsten) nicht in die
Veränderungen der Abgabepreise einfließen lassen, obwohl die Bezugspreise der
Klägerin insoweit gesenkt bzw. weniger stark erhöht wurden. Addiert man die
vorgenannten Zahlen, ergibt sich insoweit eine Differenz von 0,0074 Ct/kWh zu Gunsten
des Beklagten; mit anderen Worten hat die Klägerin in dem vorgenannten Zeitraum ihre
Abgabepreise insgesamt um 0,0074 Ct/kWh stärker erhöht als ihre Bezugspreise einer
Preiserhöhung unterlegen haben. Eine Unbilligkeit der Preiserhöhungen insoweit
vermag die Kammer allerdings aus zweierlei Gründen nicht zu erkennen:
43
Zum Einen hat die Klägerin die sie zunächst treffenden Preiserhöhungen zum
01.10.2005, 01.01.006 und 01.04.2006 nicht in vollem Umfang an ihre Kunden
weitergegeben, so dass die insgesamt errechnete geringfügige Differenz von 0,0074
Ct/kWh wenigstens dem Zinsvorteil entspricht, den die Kunden dadurch gewonnen
haben, dass die Klägerin die sie treffenden Preisaufschläge nicht sofort in vollem
Umfang weitergegeben hat. Zum Anderen musste die Klägerin bereits am 01.10.2007
eine erneute Erhöhung ihrer Bezugspreise um 0,1528 Ct/kWh hinnehmen, die sie zu
diesem Zeitpunkt überhaupt nicht an ihre Kunden weitergegeben hat. Gerade in
Ansehung der zum Teil starken Preisschwankungen (so erhöhte sich beispielsweise der
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Bezugspreis zum 01.01.2006 um mehr als 14 %) ist es zur Überzeugung der Kammer
grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Klägerin die Erhöhung der Bezugspreise
zunächst nicht in vollem Umfang an ihre Kunden weitergibt und zur Kompensierung
dieses Nachteils zu einem späteren Zeitpunkt Bezugspreissenkungen ebenfalls nicht
vollständig in die Abgabepreise einfließen lässt, um starke Preisänderungen in die eine
wie auch die andere Richtung zu vermeiden. Eine andere Beurteilung wäre
gerechtfertigt, wenn die Klägerin Preisvorteile auf der Bezugsseite über einen nicht bloß
kurzfristigen Zeitraum ihren Kunden vorenthalten hätte, insbesondere zur
ungerechtfertigten Gewinnsteigerung; dies ist mit Blick auf den gesamten hier
maßgeblichen Zeitraum indes gerade nicht der Fall.
(2)
45
Der Einwand des Beklagten, die Klägerin habe nicht ihre gesamte Kalkulation
offengelegt und sie habe dem Gericht überdies geschwärzte Unterlagen vorgelegt, führt
zu keinem anderen Ergebnis. Die Klägerin hat nachvollziehbar vorgetragen, dass sie
alle relevanten Unterlagen vorgelegt habe, aus denen sich die Erhöhung ihrer
Bezugskosten ergebe. Soweit das Amtsgericht dem gefolgt ist und den
Tatsachenvortrag der Klägerin für bewiesen erachtet hat, ist ein Rechtsfehler in dem
angefochtenen Urteil nicht erkennbar. Insbesondere ergibt sich aus der vorgelegten
Anlage K28 – deren Richtigkeit der Beklagte nicht substantiiert bestritten hat – die
Richtigkeit der von der Klägerin in Anlage K27 aufgeführten Bezugspreisänderungen.
Dem Beklagten kann überdies schon nicht darin gefolgt werden, dass die Klägerin
schlechthin alle für eine Überprüfung erforderlichen Unterlagen und Kalkulationen
uneingeschränkt offenlegen müsste, weil das für den Beklagten streitende Gebot des
effektiven Rechtsschutzes nicht schrankenlos gilt, sondern mit dem nach Art. 12 Abs. 1
GG geschützten Interesse des Gasversorgers – hier der Klägerin – an einer
Geheimhaltung konkreter Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse abzuwägen und in
Ausgleich zu bringen ist (BGH, Urteil vom 19.11.2008 – VIII ZR 138/07).
46
(3)
47
Die weitere Rüge des Beklagten, das Amtsgericht habe nicht alle Beweismittel
ausgeschöpft, insbesondere hätte ein Sachverständigengutachten eingeholt werden
müssen, ist zur Überzeugung der Kammer nicht berechtigt. Denn der Beklagte hat
erstinstanzlich die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen, soweit sie die zu den
Tariferhöhungen führenden Kostenfaktoren betreffen, nicht mit der erforderlichen
Substantiiertheit bestritten. Vielmehr ist er lediglich pauschal – insbesondere auch mit
Schriftsatz vom 09.05.2009 – der Richtigkeit der vorgelegten Unterlagen entgegen
getreten. Dies war angesichts des dezidierten Vorbringens der Klägerin nicht
ausreichend. Gelangte das Amtsgericht bereits auf der Grundlage der von der Klägerin
vorgelegten Unterlagen – deren Inhalt nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestandenen gilt –
zu dem Ergebnis, dass die Preiserhöhungen auf einer Erhöhung der Bezugskosten der
Klägerin beruhten, war die Einholung eines Sachverständigengutachtens insoweit nicht
erforderlich. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens wäre angesichts des
pauschalen Bestreitens des Beklagten auf eine Ausforschung hinausgelaufen, weil es
dem Beklagten so möglich gemacht worden wäre, etwaige für ihn günstige Tatsachen in
Erfahrung bringen zu können, um hierdurch überhaupt erst sein pauschales Bestreiten
substantiieren zu können.
48
(4)
49
Nach der Rechtsprechung des BGH darf ein Versorgungsunternehmen Steigerungen
der Bezugskosten an seine Kunden weitergeben, sofern es diese nicht durch etwaig
rückläufige Kosten in anderen Bereichen auffangen kann; andernfalls könnte das
Unternehmen dies zur unzulässigen Gewinnsteigerung zum Nachteil seiner Kunden
ausnutzen (vgl. BGH, Urteil vom 24.03.2010 – VII ZR 178/08, Rz. 36 ff.). Nach den
aufgrund der Beweisaufnahme – hier der Vernehmung des Zeugen von Beckerath –
getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts war dies hier indes nicht der Fall. Der
Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurfte es nach den vorstehenden
Ausführungen auch insoweit nicht, zumal der Beklagte weder weitere Einsparpotenziale
auf Seiten der Klägerin dargetan noch dem auch insoweit substantiierten Vorbringen der
Klägerin entgegen getreten ist. Rechtsfehler zum Nachteil des Beklagten vermag die
Kammer insgesamt nicht zu erkennen.
50
3.
51
Das Amtsgericht hat der Klage deshalb insgesamt zu Recht stattgegeben. Allerdings
war das angefochtene Urteil hinsichtlich der erstinstanzlichen Kostenentscheidung wie
aus dem Tenor ersichtlich abzuändern, weil die Klägerin ihre Klage von
zwischenzeitlich 824,64 € teilweise zurückgenommen hat auf zuletzt 684,87 €, mithin
um 17 %. Die Kostenentscheidung konnte daher entgegen dem angefochtenen Urteil
nicht auf § 91 Abs. 1 ZPO gestützt werden. Auch eine Verpflichtung des Beklagten zur
Tragung der gesamten Kosten des Rechtsstreits nach § 92 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO kommt
im Hinblick auf § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO nicht in Betracht, weil die Geringfügigkeitsgrenze
bei maximal 10 % des Streitwertes angenommen werden kann. Dies ist hier nicht der
Fall.
52
4.
53
Der Kostenausspruch beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat der Beklagte die
gesamten Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, nachdem er sich mit der Berufung
letztlich ausschließlich gegen die noch rechtshängige Klageforderung und nicht
lediglich gegen die Kostenentscheidung gewehrt hat; vgl. im Übrigen auch BGH, NJW
1992, 2969, 2970.
54
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 713 ZPO.
55
5.
56
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO, die der
Prozessbevollmächtigte des Beklagten jedenfalls in der mündlichen Verhandlung vor
der Kammer in Aussicht gestellt hat, liegen nicht vor.
57
Streitwert: 684,87 €
58