Urteil des LG Krefeld vom 20.04.2010

LG Krefeld (ersatz der kosten, bürgschaftsvertrag, höhe, gläubiger, bürgschaft, forderung, sittenwidrigkeit, vereinbarung, nichtigkeit, haftungsbeschränkung)

Landgericht Krefeld, 1 S 140/09
Datum:
20.04.2010
Gericht:
Landgericht Krefeld
Spruchkörper:
1. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 S 140/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Krefeld, 1 C 104/09
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Krefeld
vom 05.10.2009 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1
I.
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Die Klägerin übernahm im Jahr 2001 gegenüber der Beklagten eine
selbstschuldnerische Bürgschaft zugunsten ihres Ehemannes. Mit Schreiben vom
11.09.2008 nahm die Beklagte die Klägerin aus dieser Bürgschaft auf Zahlung von
419.259,34 € in Anspruch. Daraufhin beauftragte die Klägerin ihren jetzigen
Prozessbevollmächtigten mit der Abwehr dieser Forderung. Mit Schreiben vom
31.10.2008 verzichtete die Beklagte auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem
mit der Klägerin geschlossenen Bürgschaftsvertrag. Die Klägerin verlangt von der
Beklagten nun Ersatz der Kosten ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten in Höhe von
4.293,52 €. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 540 ZPO auf den
Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
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Das Amtsgericht hat der Klage, bis auf einen Teil der Nebenforderungen, stattgegeben.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die ihren erstinstanzlichen Antrag
unter Wiederholung ihres Sachvortrages weiterverfolgt.
4
II.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
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1.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch wegen der
Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht gemäß den §§ 311 Abs. 2 Nr. 3, 241 Abs. 2,
765 Abs. 1 BGB in Höhe von 4.293,52 €.
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a)
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Zwischen den Parteien besteht eine vertragliche Sonderverbindung nach § 311 Abs. 2
Nr. 3 BGB. Der im Jahr 2001 zwischen den Parteien geschlossene Bürgschaftsvertrag
war zwar von Anfang an nichtig. Allerdings stellen nichtige Verträge
rechtsgeschäftsähnliche Kontakte im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB dar (BGH NJW
2005, 3208 f.). Auch diese begründen wechselseitige vertragliche Nebenpflichten nach
§ 241 Abs. 2 BGB.
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Die anfängliche Nichtigkeit des zwischen den Parteien geschlossenen
Bürgschaftsvertrages ergibt sich aus § 138 Abs. 1 BGB. Der in Rede stehende
Bürgschaftsvertrag stellt eine krasse Überforderung der Klägerin dar und ist deshalb
sittenwidrig. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin bereits zum
Zeitpunkt der Abgabe der Bürgschaftserklärung zugunsten ihres Ehemannes
vermögenslos war und weniger als 1.000,00 € verdiente. Die Beklagte hat die krasse
wirtschaftliche Überforderung der Klägerin auch nicht in Abrede gestellt. Nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wird bei Ehegattenbürgschaften
die den Bürgen krass überfordern, (widerlegbar) vermutet, dass die Mithaftung ohne
rationale Einschätzung der Interessenlage und der wirtschaftlichen Risiken aus
emotionaler Verbundenheit übernommen worden ist und dass das Kreditinstitut die
emotionale Beziehung zwischen Hauptschuldner und Mithaftendem in sittlich
anstößiger Weise ausgenutzt hat (BGH NJW 2005, 971; BGH NJW 2002, 744; BGH
NJW 2001, 815). Dies war vorliegend der Fall.
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Die von der Beklagten behauptete Gefahr von Vermögensverschiebungen zwischen der
Klägerin und ihrem Ehemann steht der Sittenwidrigkeit des Bürgschaftsvertrages nicht
entgegen. Um sich gegen Vermögensverlagerungen zu schützen, dürfen sich
Kreditinstitute auch von Ehegatten ohne signifikantes Einkommen oder Vermögen
Bürgschaften geben lassen. Bei krass überfordernden Bürgschaften entfällt die
Sittenwidrigkeit aber nur, wenn der beschränkte Haftungszweck unzweideutig
vertraglich festgelegt ist. Ohne besondere, vom Kreditinstitut darzulegende und notfalls
zu beweisende Anhaltspunkte kann grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden,
dass eine krass überfordernde Bürgschaft von vornherein nur eine erhebliche
Vermögensverlagerung zwischen dem Hauptschuldner und dem Bürgen verhindern
soll. Eine solche Vereinbarung wäre unüblich und kann regelmäßig nicht den außerhalb
der Vertragsurkunde liegenden Umständen entnommen werden. Wer unter Berufung auf
den wirklichen Willen verständiger Vertragsparteien eine solche einschränkende
Auslegung der Bürgschaft vornimmt, setzt sich daher über allgemein anerkannte
Auslegungsgrundsätze hinweg und verstößt überdies gegen das Verbot einer
geltungserhaltenden Reduktion formularmäßiger Bürgschaftsverträge. Nimmt das
Kreditinstitut den Bürgen in Anspruch, ohne auch nur ansatzweise zu behaupten, dass
und in welchem Umfang eine im Verhältnis zur Darlehenssumme erhebliche
Vermögensverschiebung stattgefunden hat, so zeigt auch dieses im Rahmen der
Vertragsauslegung zu berücksichtigende nachvertragliche Verhalten, dass die
Annahme einer stillschweigend getroffenen Haftungsbeschränkung nicht gerechtfertigt
werden kann (BGH NJW 2002, 2228). Der zwischen den Parteien geschlossene
Bürgschaftsvertrag enthält keine Haftungsbeschränkung im Hinblick auf eine mögliche
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Vermögensverlagerung. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt auch keine
stillschweigende oder mündliche Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung in
Betracht. Zum einen wäre diese vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofes unbeachtlich und zum anderen wurde von der Beklagten nicht
dargelegt, wie die Parteien eine entsprechende Vereinbarung geschlossen haben
sollten. Die Beklagte kann sich auch nicht auf eine Entscheidung des
Bundesgerichtshofes vom 25.11.1999 stützen. In dem genannten Fall ging es speziell
um die Bürgschaft einer wirtschaftlich leistungsfähigen Ehefrau. Folglich kam schon die
Vermutung der Sittenwidrigkeit wegen einer krassen Überforderung der Bürgin nicht zu
Anwendung (BGH NJW 2000, 362).
b)
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Durch die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem nichtigen Bürgschaftsvertrag hat
die Beklagte gegen ihre vertraglichen Nebenpflichten aus den §§ 311 Abs. 2 Nr. 3, 241
Abs. 2 BGB verstoßen. Die Beklagte forderte von der Klägerin pflichtwidrig eine
Bürgschaftszahlung in Höhe von 419.259,34 € ein.
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Eine Vertragspartei, die von der anderen Vertragspartei etwas verlangt, das ihr nach
dem Vertrag nicht geschuldet ist, oder ein Gestaltungsrecht ausübt, das nicht besteht,
verletzt ihre Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB. Danach hat jede
Vertragspartei auf die Rechte und Interessen der anderen Partei Rücksicht zu nehmen.
Zu diesen Rechten und Interessen gehört auch das Interesse des Schuldners, nicht in
weitergehendem Umfang in Anspruch genommen zu werden als geschuldet (BGH NJW
2009, 1262; BGH NJW 2008, 1147). Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des
Bundesgerichtshofes vom 12.12.2006 ist insoweit nicht einschlägig. In dem genannten
Verfahren war zwischen den Parteien keine vertragliche Sonderverbindung gegeben,
die entsprechende Schutz- bzw. Rücksichtnahmepflichten hätte begründen können
(BGH NJW 2007, 1458).
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Die Geltendmachung von Bürgschaftsansprüchen durch die Beklagte stellte eine
Nebenpflichtverletzung nach den §§ 311 Abs. 2 Nr. 3, 241 Abs. 2 BGB dar, weil die
Forderung sachlich unbegründet und die Inanspruchnahme der Klägerin pflichtwidrig
war.
16
aa)
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Wie bereits dargestellt, war der die Klägerin krass überfordernde Bürgschaftsvertrag
gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und nichtig. Die Inanspruchnahme der Klägerin
aus diesem Bürgschaftsvertrag war deshalb sachlich unbegründet.
18
bb)
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Die sachlich unbegründete Inanspruchnahme der Klägerin durch die Beklagte war
zudem nach § 276 Abs. 2 BGB pflichtwidrig.
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Fahrlässig handelt der Gläubiger nicht schon dann, wenn er verkennt, dass seine
Forderung in der Sache nicht berechtigt ist. Die Berechtigung einer Forderung kann
sicher nur in einem Rechtsstreit geklärt werden. Dessen Ergebnis vorauszusehen, kann
vom Gläubiger im Vorfeld oder außerhalb eines Rechtsstreites nicht verlangt werden.
Dies würde den Gläubiger überfordern und ihm die Durchsetzung seiner Rechte
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unzumutbar erschweren. Der im Verkehr nach § 276 Abs. 2 BGB erforderlichen Sorgfalt
entspricht der Gläubiger vielmehr schon dann, wenn er prüft, ob der eigene
Rechtsstandpunkt plausibel ist. Bleibt dabei ungewiss, ob tatsächlich ein Anspruch
gegeben ist, darf der Gläubiger diesen geltend machen, ohne Schadensersatzpflichten
wegen einer schuldhaften Vertragsverletzung befürchten zu müssen, falls sich sein
Verlangen im Ergebnis als unberechtigt herausstellen sollte (BGH NJW 2009, 1262;
BGH NJW 2008, 1147).
Die Beklagte hat die Inanspruchnahme der Klägerin nicht hinreichend auf Plausibilität
geprüft und handelte daher pflichtwidrig. Bei einer pflichtgerechten Prüfung der Sach-
und Rechtslage hätte die im Kreditgeschäft erfahrene Beklagte erkennen müssen, dass
gegen die Klägerin keine Bürgschaftsforderung gegeben war.
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Die Beklagte behauptet, sie habe ab Sommer 2008 über Anhaltspunkte für eine
Vermögensverschiebung zugunsten der Klägerin verfügt. So sei der Erlös des
Ehemanns der Klägerin aus der Veräußerung seines KV-Sitzes in Höhe von
ca. 200.000,00 € später nicht mehr im Vermögen des Ehemannes der Klägerin
vorhanden gewesen. Dies wird von der Klägerin bestritten. Dem Vortrag der Beklagten
kann jedoch nicht entnommen werden, unter welchen Umständen der in Rede stehende
Betrag der Klägerin zugeflossen sein soll. Es bleibt daher unklar, ob tatsächlich eine
Verschiebung von Vermögenswerten zur Klägerin beabsichtigt war oder bereits
durchgeführt wurde. Daher hält die Inanspruchnahme der Klägerin wegen einer
drohenden Vermögensverlagerung schon aus tatsächlichen Gründen einer
Plausibilitätsprüfung nicht stand.
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Allerdings ist der auf eine drohende Vermögensverschiebung gestützte
Rechtsstandpunkt der Beklagten auch in rechtlicher Hinsicht nicht plausibel. Wie bereits
ausgeführt, war der Bürgschaftsvertrag der Parteien bereits bei Abschluss im Jahr 2001
nichtig. Die Unwirksamkeit des in Rede stehenden Bürgschaftsvertrages nach § 138
Abs. 1 BGB ist endgültig und dauerhaft. Eine nachträgliche Heilung der Nichtigkeit des
Bürgschaftsvertrages ist nicht möglich. Daher konnte der Bürgschaftsvertrag auch nicht
wegen einer drohenden Vermögensverschiebung zulasten der Beklagten im Jahr 2008
Rechtswirksamkeit erlangen. Selbst eine von der Beklagten nachgewiesene
tatsächliche Vermögensverlagerung zugunsten der Klägerin wäre nicht geeignet
gewesen, eine nachträgliche Wirksamkeit des nichtigen Bürgschaftsvertrages
herbeizuführen. Wegen der umfangreichen Tätigkeiten der Beklagten im Kreditgeschäft
muss davon ausgegangen werden, dass der Beklagten die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes zur Nichtigkeit sittenwidriger Ehegattenbürgschaften auch bekannt
war. Anders als in der von der Beklagten zitierten Entscheidung des
Bundesgerichtshofes vom 16.01.2009 (BGH NJW 2009, 1262) war der vorliegend in
Rede stehende Bürgschaftsvertrag bei der Entstehung von Anhaltspunkten für eine
mögliche Vermögensverschiebung bereits endgültig rechtsunwirksam. Daher war die
Geltendmachung von Ansprüchen aus dem im Jahr 2001 geschlossenen
Bürgschaftsvertrag offensichtlich nicht möglich.
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c)
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Die Höhe der im Wege des Freistellungsanspruches geltend gemachten
Gebührenforderung des jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurde
zutreffend berechnet.
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Ausgehend von einem Gegenstandswert von 419.259,34 € beträgt die 1,3-Gebühr
3.588,00 €. Zuzüglich einer Auslagenpauschale von 20,00 € und der Umsatzsteuer
ergibt sich eine Gebührenforderung in Höhe von 4.293,52 €.
27
2.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte zudem ein Anspruch auf Prozesszinsen gemäß §
291 BGB ab dem 03.06.2009.
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Ein weitergehender Anspruch der Klägerin auf Verzugszinsen nach den §§ 288 Abs. 1,
286, 280 Abs. 2 BGB besteht nicht, weil die Beklagte nicht in Verzug gesetzt wurde.
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Aus dem gleichen Grund kann die Klägerin von der Beklagten auch nicht nach den
§§ 286, 280 Abs. 2 BGB Ersatz ihrer vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe
von 446,13 € verlangen.
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3.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in den §§ 708 Nr.
10, 711, 713 ZPO.
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Streitwert: 4.293,52 €
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