Urteil des LG Krefeld vom 25.03.2010

LG Krefeld (kläger, anlage, höhe, unternehmen, haftung, wahrscheinlichkeit, quelle, vermutung, eigentum, rechtshängigkeit)

Landgericht Krefeld, 3 O 260/09
Datum:
25.03.2010
Gericht:
Landgericht Krefeld
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 O 260/09
Nachinstanz:
Oberlandesgericht Düsseldorf, I-22 U 70/10
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt,
an den Kläger zu 1) 3.763,58 €,
an die Kläger zu 2) 3.779,73 €,
an den Kläger zu 3) 2.540, 63 €
an den Kläger zu 4) 2.686,00 €,
an den Kläger zu 5) 5.673,97€,
an den Kläger zu 6) 3.175,54 €,
an die Kläger zu 7) 3.201,74 €,
an den Kläger zu 8) 3.274,31 €,
jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 22.07.2009 zu zahlen sowie an die Kläger
außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.641,21 € nebst
Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 04.11.2009 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
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Die Kläger wohnen in der Nähe eines von der Beklagten betriebenen Edelstahlwerkes
X. Seit dem Jahr 2001 kam es durch staubartige Ablagerungen wiederholt zu
Verschmutzungen der Fahrzeuge, die die Kläger auf bzw. nahe den von ihnen
bewohnten Grundstücken geparkt hatten. Auf Beschwerde der Kläger gestattete ihnen
die Beklagte wiederholt, die Fahrzeuge auf ihre Kosten reinigen und polieren zu lassen.
Mit der Zeit führten die Verschmutzungen jedoch zu Schäden, die nur durch
Neulackierung bzw. Austausch der Scheiben zu beseitigen waren. Die Reparaturkosten
betrugen im Einzelnen:
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Fahrzeug: X Schaden: 3.763,58 € (Kläger zu 1)
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X 3.779,73 € (Kläger zu 2)
4
X 2.540, 63 € (Kläger zu 3)
5
X 2.686,00 € (Kläger zu 4)
6
X 1.910,39 € (Kläger zu 5)
7
X 3.763,58 € (Kläger zu 5)
8
X 3.175,54 € (Kläger zu 6)
9
X 3.201,74 € (Kläger zu 7)
10
X 3.274,31 € (Kläger zu 8).
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Die Kläger führen die Verschmutzungen auf Emissionen des von der Beklagten
betriebenen Edelstahlwerks zurück und begehren Schadensersatz in Höhe der
vorbezeichneten Beträge. Sie nehmen Bezug auf die Beweislastregel des § 6 I
UmweltHG.
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Die Kläger beantragen,
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die Beklagte zu verurteilen,
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1. an den Kläger zu 1) 3.763,58 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2009 zu zahlen,
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2. an die Kläger zu 2) 3.779,73 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2009 zu zahlen,
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3. an den Kläger zu 3) 2.540,63 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2009 zu zahlen,
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4. an den Kläger zu 4) 2.686,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2009 zu zahlen,
18
5. an den Kläger zu 5) 1.910,39 € sowie 3.763,58 € nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2009 zu zahlen,
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6. an den Kläger zu 6) 3.175,54 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2009 zu zahlen,
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7. an die Kläger zu 7) 3.201,74 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2009 zu zahlen,
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8. an den Kläger zu 8) 3.274,31 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2009 zu zahlen.
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9. an die Kläger wegen vorgerichtlich entstandener Anwaltskosten 2.641,21 €
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bestreitet die Ursächlichkeit von Emissionen ihrer Anlage. Sie behauptet, sie habe
die Anlage stets bestimmungsgemäß betrieben, insbesondere sämtliche
Emissionsbegrenzungen eingehalten. Zudem seien auf ihrem Werksgelände noch
weitere Unternehmen tätig, die als potentielle Emittenten in Betracht kämen. Die
Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass die beschädigten PKW im Eigentum der
Kläger stehen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen. Die Akte 3 OH 7/08 des Landgerichts Krefeld lag vor und war
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist bis auf einen Teil der Zinsforderung begründet.
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Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche stehen den Klägern zu.
Anspruchsgrundlage ist § 1 UmweltHG.
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Die Beklagte betreibt mit dem Edelstahlwerk eine Anlage im Sinne von § 1 UmweltHG.
Die Beklagte ist Haftungsadressat des § 1 UmweltHG, da sie Inhaberin der Anlage ist.
Inhaber ist derjenige, der die Gefahrenquelle dauernd für eigene Zwecke benutzt, d. h.
auf eigene Rechnung betreibt, die Kosten für ihre Unterhaltung aufbringt und ihren
Einsatz tatsächlich beherrscht (Landmann/Rohmer/Rehbinder, UmweltHG, § 1 Rn. 49;
Salje/Peter, §§ 1,3 Rn. 16.). Das ist die Beklagte als Betreiberin der gesamten
Industrieanlage. Für die Haftung nach dem UmweltHG ist unerheblich, dass auf ihrer
Anlage, insbesondere dem Schlackeplatz, noch andere Unternehmen tätig sind. Denn
dies ändert nach dem eben Gesagten nichts daran, dass die Beklagte die gesamte
Anlage betreibt und deren Inhaberin ist.
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Bei den Ablagerungen handelt es sich um Umwelteinwirkungen im Sinne von §§ 1, 3 I
UmweltHG. Mit den PKW wurden Sachen, die im Eigentum der Kläger standen,
beschädigt. Die Beklagte hat zwar das Eigentum der Kläger mit Nichtwissen bestritten,
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dieses wird aber gemäß § 1006 BGB vermutet. Dass die Kläger die jeweiligen
Fahrzeuge im Besitz hatten, zeigt sich schon daran, dass sie ausweislich des
Gutachtens des Sachverständigen X aus dem Verfahren 3 OH 7/04 die Fahrzeuge zur
Begutachtung vorgestellt haben. Gegen die Vermutung trägt die Beklagte nichts vor.
Die Schäden an den Fahrzeugen beruhen auf Emissionen der Anlage. Dies ist zur
Überzeugung der Kammer bewiesen, und zwar unabhängig von der Vorschrift des § 6 I
UmweltHG. Diese begründet eine Vermutung dafür, dass eine festgestellte Emission –
bzw. die Immission auf eine Sache oder eine Person – kausal ist für eine
Rechtsgutsverletzung, etwa in Fällen von Krankheiten, die vielfältige Ursachen haben
können. Die Kausalität ist hier aber unproblematisch gegeben. Es besteht Einigkeit,
dass die Ablagerungen kausal für die eingetretenen Schäden sind. Es geht nur um die
Frage, wer der Emittent ist, d.h. ob der abgelagerte Staub von der Anlage der Beklagten
stammt. Ob § 6 I UmweltHG auch hierfür eine Vermutung aufstellt, ist zweifelhaft, kann
hier aber offen bleiben (vgl. zu den unterschiedlichen Meinungen
Landmann/Rohmer/Rehbinder, UmweltHG § 1, Rn. 17; Salje/Peter, § 6 Rn. 21;
Schmidt/Salzer, § 6 Rn. 64.). Denn der Nachweis ist geführt. Er beruht auf mehreren
Indizien. Die Beklagte räumt zunächst selbst ein, dass es bei Industrieanlagen zu
Verschmutzungen kommt. Dass sie einen gewissen Zusammenhang zwischen den
Verschmutzungen und ihrer Anlage sieht, wird auch dadurch deutlich, dass sie sich
wiederholt – wenn auch ohne Anerkennung einer Rechtspflicht – zur Reinigung der
Fahrzeuge bereit erklärte. Dies ist aber letztlich nicht der entscheidende Gesichtspunkt.
Vielmehr stützt die Kammer ihre Überzeugung maßgeblich darauf, dass ein auffälliges
sachliches, räumliches und zeitliches Zusammentreffen paralleler Schadensfälle in der
Nähe der Anlage vorliegt, das den Klägern den Beweis erleichtert. In einem solchen Fall
ist zwar denkbar, dass bei allen Betroffenen unterschiedliche Ursachen kausal waren.
Je mehr Personen in vergleichbarer Weise betroffen sind, desto unwahrscheinlicher
wird es aber. Umgekehrt wird um so wahrscheinlicher, dass sich bei allen Geschädigten
die konkret mögliche Schadensursache, hier die von der Beklagten betriebene Anlage,
realisiert hat, bis hin zum Indizien- oder zumindest Anscheinsbeweis. Dies gilt
naturgemäß für alle Stufen der Verursachungskette, d.h. auch für die Frage, ob
überhaupt Emissionen einer bestimmten Anlage vorlagen (vgl. Schmidt/Salzer, § 6 Rn.
79 ff., insb. Rn. 82 f.; Salje/Peter, § 6 Rn. 15; zu ähnlichen Fällen außerhalb des
Umweltrechts vgl. BGHZ 51, 91; BGH NJW 1982, 2447; VersR 1991, 816; BGHSt 37,
106.). Hier tritt die Beweiswirkung ein, da die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen von
Emissionen der Beklagten hoch, die Wahrscheinlichkeit für die Ursächlichkeit einer
Alternativ-Quelle aber verschwindend gering ist.
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Es sind zehn Kläger mit neun Fahrzeugen betroffen, die ihre Fahrzeuge alle in
unmittelbarer Umgebung der Anlage der Beklagten abstellten. Wie der Sachverständige
X in seinem Gutachten vom 27.07.2005 anschaulich und nachvollziehbar ausgeführt
hat, weisen alle Fahrzeuge das nahezu gleiche Schadensbild auf, nämlich Anhaftungen
von Staubpartikeln, Oxidationsspuren und Materialfraß sowie tropfenförmige
Oberflächenanätzungen an den Scheiben. Diese Ausführungen des Sachverständigen
macht sich das Gericht zu Eigen. Weiter hat der Sachverständige verständlich und
nachvollziehbar ausgeführt, dass die fraglichen Abstellorte innerhalb der
vorherrschenden Windrichtung (Süd/West) liegen. Die Schäden traten auch alle etwa
innerhalb des gleichen Zeitraums auf, nämlich beginnend im Jahr 2001. Schließlich legt
nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen
X auch die Zusammensetzung der Staubpartikel nahe, dass sie von der Anlage der
Beklagten stammen. Die hohen Calcium- und Siliziumanteile sind vergleichbar mit
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denen, die in der Edelstahlproduktion freigesetzt werden. Allerdings kommen sie auch
im normalen Straßenstaub vor, auffällig ist jedoch, dass die Partikel Nebenbestandteile
aus Natrium, Magnesium, Aluminium, Kalium, Titan und Mangan aufweisen und
insbesondere Mangan, Titan und Aluminium typische bei der Edelstahlerzeugung zur
Desoxidation verwendete Elemente sind. Ferner sind die bei der Edelstahlproduktion
entstehenden gebrannten und ungebrannten Kalke stark ätzend, was mit den
Anätzungen der Scheiben der Fahrzeuge korrespondiert. Angesichts all dieser Indizien
besteht – wie auch der Sachverständige X darlegt – insgesamt eine hohe
Wahrscheinlichkeit, dass die Emissionen von der Anlage der Beklagten stammen. Es
kommt hinzu, dass keiner der Beteiligten eine theoretisch denkbare Alternativ-Quelle
der Emissionen aufzeigt. Wenn noch andere Unternehmen auf der Anlage tätig sind, ist
das keine Alternativ-Quelle, da es sich um ein und dieselbe Anlage handelt.
Zusammengefasst bedeutet dies nach den dargestellten Grundsätzen, dass davon
auszugehen ist, dass die Emissionen von der Anlage der Beklagten stammten, wobei
dahinstehen kann, ob es sich um einen Indizien- oder letztlich um einen
Anscheinsbeweis handelt (vgl. Schmidt/Salzer, § 6 Rn. 81; Salje/Peter, § 6 Rn. 15.).
Jedenfalls sind keine Tatsachen zur Erschütterung eines derartigen Beweises
vorgetragen.
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Die Höhe der jeweils entstandenen Schäden ist zwischen den Parteien nicht streitig.
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Ob die Beklagte Grenzwerte und Auflagen einhält oder nicht, ist in diesem
Zusammenhang unerheblich. Da es nicht auf § 6 I UmweltHG ankommt, ist auch § 6 II
UmweltHG nicht anwendbar. Auch der Einwand der Beklagten, nach den einschlägigen
Vorschriften zulässige Emissionen seien hinzunehmen, geht ins Leere. Das UmweltHG
begründet eine Haftung nicht nur für Störfälle, sondern es erfasst auch den
rechtmäßigen Normalbetrieb. Dies zeigen insbesondere die §§ 5, 6 II-IV UmweltHG, die
den rechtmäßigen Normalbetrieb privilegieren, ohne aber die Haftung auszuschließen
(Landmann/Rohmer/Rehbinder, UmweltHG § 1, Rn. 17.). Die Anwendung von § 5
UmweltHG scheidet angesichts der ganz erheblichen Beschädigungen der Fahrzeuge
der Kläger aus.
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Der Zinsanspruch beruht bezüglich der Hauptforderungen auf den §§ 291, 288 BGB.
Rechtshängigkeit trat am 22.07.2009 ein, dem Tag nach Zustellung der Klageschrift, §
187 I BGB. Für einen Beginn der Verzinsung am 01.01.2009 ist nichts vorgetragen.
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Die Kläger haben auch Anspruch auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in
Höhe von 2.641,21 €. Die Kosten sind vom Schutzzweck des § 1 UmweltHG erfasst.
Das Aufsuchen eines Rechtsanwalts war adäquates Mittel zur Rechtsverfolgung. Der
Anspruch errechnet sich bei einer begründeten Hauptforderung von 31.821,92 € wie
folgt: 0,65 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (539,50 €), Erhöhung nach Nr. 1008
VV auf die zweifache Gebühr (1.660,00 €), zuzüglich einer Pauschale nach Nr. 7002 VV
(20,00 €) und Umsatzsteuer in Höhe von 19 Prozent. Der Zinsanspruch beruht auf §§
288, 291. Die Zinspflicht beginnt am 04.11.2009, dem Tag nach Zustellung des Antrags,
§§ 263, 253 I, 189 ZPO.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 I 1, 709 ZPO.
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Streitwert: 31.821,92 €
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