Urteil des LG Krefeld vom 13.03.2007

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Landgericht Krefeld, 12 O 102/06
Datum:
13.03.2007
Gericht:
Landgericht Krefeld
Spruchkörper:
2. Kammer für Handelssachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 O 102/06
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.703,40 € nebst Zinsen in
Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
08.08.2006 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagen auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu
vollstrecken-den Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Die Klägerin war bis zum 31.12.2005 – zusammen mit elf weiteren Unternehmen der
Hygienebranche – Kommanditistin der Beklagten und begehrt nunmehr die Auszahlung
ihres – der Höhe nach unstreitigen – Gewinnanteils für 2005 von 12.703,40 €.
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Die Beklagte besorgt die Koordination des Einkaufs und des Vertriebs von
Hygieneartikeln aller Art für ihre Kommanditisten. Sie trägt sich im Wesentlichen durch
sog. Marketingbeiträge, die die Kunden (Lieferanten) ihrer Kommanditisten zahlen.
Wegen der Einzelheiten des Gesellschaftszwecks und der sonstigen
Satzungsbestimmungen wird auf den Gesellschaftsvertrag vom 24.10.1986 verwiesen
(Bl. 39-55 GA).
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Neben der Klägerin hatten sechs weitere Kommanditisten ihre Beteiligung an der
Beklagten zum 31.12.2005 fristgerecht gekündigt, von denen vier auf ihren Gewinnanteil
für 2005 verzichteten, als sie am 08.08.2006 einen Kooperationsvertrag mit der
Beklagten schlossen. Von den restlichen ausgeschiedenen Gesellschaftern verlangt
neben der Klägerin eine weitere Kommanditistin in einem Parallelprozess ebenfalls die
Ausschüttung ihres Gewinnanteils für das Jahr 2005.
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Die Beklagte erwirtschaftete ausweislich des Jahresabschlusses in 2005 einen
Überschuss von 99.634,53 € (vgl. Bl. 8 GA). Anfang/Mitte 2006 beschlossen die
verbliebenen Gesellschafter – ohne Beteiligung der ausgeschiedenen Kommanditisten
–, dass dieser Überschuss als offene Rücklage ("andere Gewinnrücklagen") in die
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Bilanz eingestellt und nicht an die Gesellschafter ausgeschüttet wird.
Die Klägerin meint, die Beklagte hätte ohne die ausgeschiedenen Gesellschafter nicht
über die Verwendung des Gewinns des Jahres 2005 entscheiden dürfen.
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Die Klägerin beantragt,
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wie tenoriert.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie meint, wegen nachwirkender Treuepflichten der ausgeschiedenen Kommanditisten
bestünde ein Anspruch auf Ausschüttung des Gewinns nicht. Dazu behauptet sie, dass
sie ohne die Bildung der offenen Rücklage in 2006 insolvent geworden wäre, da sich
die Umsätze (Marketingbeiträge der Lieferanten) wegen des Ausscheidens von sieben
der zwölf Kommanditisten bei gleich bleibenden Kosten erheblich verringert hätten.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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I.
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a)
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Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die Beklagte derzeit – seit Anfang 2006 und
damit nach Eintritt der Rechtshängigkeit – keinen Geschäftsführer hat. Zwar wird die
Beklagte durch die persönliche haftende GmbH vertreten und diese wiederum durch
den Geschäftsführer (§ 35 GmbHG), so dass der Beklagten derzeit der gesetzliche
Vertreter fehlt und sie damit eigentlich nicht prozessfähig ist (§ 51 ZPO). Jedoch wird die
von einer Partei wirksam erteilte Prozessvollmacht durch den später eintretenden
Verlust ihrer Prozessfähigkeit nicht berührt (§ 86 ZPO), so dass auch eine
Sachentscheidung ergehen kann (vgl. BGH NJW 1993, 1654, 1655). Einen Antrag auf
Unterbrechung nach § 246 Abs.1, 2. Hs. ZPO hat der Prozessbevollmächtigte der
Beklagten nicht gestellt, so dass es bei dem Grundsatz des § 246 Abs.1, 1. Hs. ZPO
bleibt und eine Unterbrechung des Verfahrens nicht eintritt.
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b)
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Der Zulässigkeit der auf Auszahlung des Gewinnanteils gerichteten Klage steht auch
nicht entgegen, dass die Klägerin diesen Anspruch isoliert geltend macht. Zwar können
Abfindungs- und Auseinandersetzungsansprüche bei Ausscheiden eines
Gesellschafters bzw. bei Auflösung der Gesellschaft nur im Rahmen einer – alle
gegenseitigen Ansprüche berücksichtigenden – Auseinandersetzungsrechnung geltend
gemacht werden. Ob das auch für Ansprüche auf Ausschüttung des Gewinns gilt, kann
offen bleiben. Denn eine isolierte Geltendmachung der genannten Ansprüche ist
zulässig, wenn schon vor Beendigung der Auseinandersetzung mit Sicherheit feststeht,
dass jedenfalls ein bestimmter Betrag verlangt werden kann (vgl. BGH NJW 1995, 188,
189; NJW 2000, 2586, 2587). So liegt der Fall hier, da außer dem Gewinnanteil keine
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weiteren Ansprüche zwischen den Parteien streitig sind und mit dessen Zahlung oder
eben Nichtzahlung die Auseinandersetzung abgeschlossen ist :
Über die – gemäß § 25 Abs.1 des Gesellschaftsvertrages zu zahlende – Abfindung
haben die Parteien sich vorgerichtlich geeinigt, indem die Beklagte den von der
Klägerin geforderten Betrag von 5.317,44 € anerkannt und den ersten Teilbetrag (vgl. §
25 Abs.3 des Gesellschaftsvertrages) von 2.658,72 € bereits gezahlt hat. Auch in dem
Schriftsatz der Beklagten von 15.02.2007, in dem sie ihre Einkommens- und
Vermögensverhältnisse näher darlegt (vgl. Bl. 60-66 GA) tauchen nur die Abfindungs-
und Gewinnauszahlungsansprüche der ausgeschiedenen Gesellschafter auf, nicht aber
irgendwelche Gegenforderungen der Beklagten, die den Gewinnanteil der Klägerin
schmälern könnten.
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II.
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Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat aus § 15 Abs.1 des
Gesellschaftsvertrages gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung ihres – der
Höhe nach unstreitigen – Gewinnanteils von 12.703,40 €.
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a)
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Die Voraussetzungen des § 15 Abs.1 des Gesellschaftsvertrages liegen vor: Für das
Jahr 2005 ist in der Bilanz ein Gewinn von 99.634,53 € festgestellt worden. Davon
stehen der Klägerin – entsprechend ihres Anteils an den Marketingbeiträgen aus den
Lieferantenumsätzen – 12,75% zu, mithin 12.703,40 €.
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b)
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Die Anfang/Mitte 2006 von den verbliebenen Gesellschaftern der Beklagten
beschlossene Bildung einer offenen Rücklage steht der Ausschüttung nicht entgegen.
Dieser Beschluss ist nämlich mangels ausreichender Mehrheit nicht wirksam.
Bilanzierungsentscheidungen, die der Sache nach Ergebnisverwendung sind, wie die
Bildung offenere Rücklagen, können grundsätzlich nur durch alle Gesellschafter
gemeinschaftlich getroffen werden, soweit der Gesellschaftsvertrag keine anderweitige
Regelung enthält; dabei genügt ein Gesellschafterbeschluss mit vertragsändernder
Mehrheit (vgl. BGH NJW 1996, 1678, 1681). Gründe dagegen, diese Grundsätze der
Rechtsprechung auch auf den vorliegenden Fall der Ergebnisverwendung nach
Ausscheiden eines Kommanditisten zu übertragen, bestehen nicht. Es ist und bleibt
eine Bilanzentscheidung über einen gemeinsam erwirtschafteten Gewinn, unabhängig
davon, ob der Kommanditist in der Gesellschaft verbleibt ist oder inzwischen – nach
Ablauf des fraglichen Jahres, um dessen Gewinn es geht – ausgeschieden ist.
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Der Beschluss über die Ergebnisverwendung wurde nicht mit der vertragsändernden
Mehrheit getroffen, da die ausgeschiedenen Kommanditisten bei der Beschlussfassung
nicht mitgewirkt haben. Nach § 12 Abs.1 des Gesellschaftsvertrages hätte es – wie bei
jedem anderen Gesellschafterbeschluss auch – einer ¾-Mehrheit der abgegebenen
Stimmen bedurft. Eine davon abweichende Einstimmigkeit für Satzungsänderungen
fordert der Gesellschaftervertrag zwar nicht. Doch ohne die ausgeschiedenen sieben
Kommanditisten konnten die verbliebenen Gesellschafter nicht mit der verlangten
Mehrheit von ¾ entscheiden. Da die Beklagte die ausgeschiedenen Gesellschafter nicht
einmal zu der maßgeblichen Gesellschafterversammlung eingeladen hatte, kommt es
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nicht darauf an, wie viele Stimmen "abgegeben" worden sind.
c)
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Die Klägerin verstößt nicht gegen Treu und Glauben, indem sie die Zahlung ihres
Gewinnanteils für 2005 begehrt. Ein Verstoß gegen § 242 BGB könnte zwar vorliegen,
wenn sie – nach entsprechender Einladung durch die Beklagte – bei der
Beschlussfassung Anfang/Mitte 2006 auf Grund ihrer nachwirkenden Treuepflicht als
Gesellschafterin verpflichtet gewesen wäre, der Bildung der offenen Rücklage
zuzustimmen; dagegen spricht indes, dass sie tatsächlich nicht eingeladen worden ist
und so keinerlei Möglichkeit hatte, auf die Willensbildung in der Gesellschaft Einfluss zu
nehmen. Diese Frage kann aber letztlich offen bleiben, da die insoweit darlegungs- und
beweisbelastete Beklagte einen solche Zustimmungspflicht der Klägerin nicht
nachvollziehbar dargelegt hat. Dabei geht die Kammer von folgenden Grundsätzen aus:
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Die Entscheidung über die Ergebnisverwendung steht nicht im Belieben eines jeden
Gesellschafters. Vielmehr sind die Ausschüttungsinteressen der einzelnen
Gesellschafter gegenüber dem Bedürfnis der Selbstfinanzierung und Zukunftssicherung
der Gesellschaft abzuwägen. Dabei besteht kein allgemeiner Vorrang des
Thesaurierungsinteresses der Gesellschaft vor dem Ausschüttungsinteresse der
Gesellschafter. Das Gesetz geht vielmehr – wie auch hier der Gesellschaftsvertrag der
Beklagten in § 15 Abs.1 – generell von einer Vollausschüttung des Gewinns aus. Eine
Grenze für die Ablehnung einer Thesaurierung besteht dort, wo sich die Bildung von
Rücklagen erforderlich erweist, um das Unternehmen für die Zukunft lebens- und
widerstandsfähig zu machen.
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Es kann offen bleiben, ob diese Grundsätze der Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 1996,
1678, 1681 m.w.N.) auf den hier vorliegenden Fall eines ausgeschiedenen
Kommanditisten ohne Einschränkungen übertragbar sind. Auf jeden Fall muss bei der
Abwägung das Ausscheiden des Gesellschafters maßgeblich berücksichtigt werden:
Während eine Thesaurierung und Bildung einer offene Rücklage dem in der
Gesellschaft verbleibenden Gesellschafter im nächsten Jahr zumindest mittelbar zugute
kommt, profitiert ein ausgeschiedener Gesellschafter davon nicht mehr, da sich sein
Gewinnanspruch auf das letzte Jahr beschränkt. Das führt dazu, dass allenfalls in
besonderen Ausnahmefällen dem ausgeschiedenen Gesellschafter zugemutet werden
kann, auf seinen Gewinn (auch nur teilweise) zu "verzichten". Auf den Fall bezogen
heißt das: Allenfalls dann, wenn die Beklagten dargelegt (und ggf. bewiesen) hätte,
dass die Bildung der offenen Rücklage die einzige Möglichkeit war, die Beklagten vor
einer unmittelbar bevorstehenden Insolvenz zu retten, hätte die Klägerin – wie die
anderen ausgeschiedenen Gesellschafter – verpflichtet gewesen sein können, der
Bildung der offenen Rücklage zuzustimmen. Das ist aber nicht der Fall:
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Dabei ist es nicht notwendig, auf das Zahlenwerk der Beklagte in ihrem Schriftsatz vom
15.02.2007 (Bl. 60-66 GA) einzugehen und zu prüfen, ob damit eine unmittelbar
bevorstehende Überschuldung und/oder Zahlungsunfähigkeit hineichend dargelegt ist.
Sie hat jedenfalls nicht nachvollziehbar begründet, dass die Bildung der offenen
Rücklage die einzige und unbedingt notwendige Maßnahme war, um die Gesellschaft
zu sanieren und zukunftssicher zu machen. Die Umstände sprechen sogar dagegen: So
hat der frühere Geschäftsführer Bodewig in seiner Vorlage zur
Gesellschafterversammlung am 16.01.2006 drei Vorschläge zur "Wiederherstellung der
Wirtschaftlichkeit" unterbreitet (vgl. Bl. 67/68 GA): 1. die Übernahme der Kapitalanteile
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der ausgeschiedenen Gesellschafter durch die verbliebenen Kommanditisten oder eine
Kapitalerhöhung, 2. der Abschluss von Kooperationsverträgen mit einigen der
ausgeschiedenen Gesellschafter und 3. der Beginn eines eigenen "operativen
Geschäfts" unter Bereitstellung "entsprechender Mittel".
Die Beklagte schweigt sich dazu aus, warum zwei dieser Maßnahmen gar nicht (Nr. 1
und 3) und die letzte (Nr. 2) mit dem Abschluss der Kooperationsverträge im August
2006 nur sehr viel später, jedenfalls nach Fassung des
Gewinnverwendungsbeschlusses, verwirklicht worden sind. Bezüglich des 1.
Vorschlages trägt die Beklagte nur lapidar vor, die Gesellschafter hätten ihn nicht
akzeptiert. Es versteht sich von selbst, dass es nicht zu Lasten eine ausgeschiedenen,
an der Willensbildung der Gesellschaft nicht mehr beteiligten Gesellschafters gehen
kann, wenn die verbliebenen Gesellschafter sich nicht einigen können oder einen
Sanierungsvorschlag nicht umsetzen wollen. Ähnliches gilt für den 3. Vorschlag; dazu
trägt die Beklagte gar nichts vor. Die Zerstrittenheit der jetzigen Gesellschafter zeigt sich
auch daran, dass sie es bislang nicht einmal schaffen, sich auf einen neuen
Geschäftsführer zu einigen.
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Dass die Klägerin sich nicht treuwidrig verhält, zeigt auch folgender Umstand: Die vier
Kommanditisten, die auf ihren Gewinnanteil verzichtet haben, haben diesen Verzicht
erst im Rahmen der vereinbarten Kooperation erklärt. Es kann unterstellt werden, dass
sie sich von der Kooperation wirtschaftliche Vorteile – welcher Art auch immer –
versprechen. Es kann aber nicht sein, dass die Gesellschafter, die eine solche
Kooperation ablehnen, über die Bildung einer offenen Rücklage ohne jede
Gegenleistung zu einem "Verzicht" gezwungen werden.
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III.
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Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus §§ 286 Abs.1, 288 Abs.2 BGB. Die prozessualen
Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs.1, 709 S.1, 2 ZPO.
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Streitwert: 12.703,40 €
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