Urteil des LG Konstanz vom 16.04.2002

LG Konstanz: eigenhändiges testament, gesetzliche erbfolge, verfügung von todes wegen, gemeinschaftliches testament, letztwillige verfügung, stieftochter, nachlassgericht, erbschein, lebenserfahrung

LG Konstanz Beschluß vom 16.4.2002, 6 T 208/01 B
Ehegattentestament: Annahme der Wechselbezüglichkeit zugunsten des Ersatzerben eines weggefallenen Schlußerben
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beteiligten ---- und ---- wird der Vorbescheid des Notariats Furtwangen vom 19.09.2001 aufgehoben.
2. Das Nachlassgericht wird angewiesen, den Beschwerdeführern den von ihnen am 16.08.2001 beantragten gemeinschaftlichen Erbschein zu
erteilen.
3. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
4. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten über die Erbfolge nach der am 22.07.2001 im Alter von 92 Jahren verstorbenen Erblasserin ----. Deren Ehemann, ---- , ist
bereits am 10.12.1983 vorverstorben. Aus dieser Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. Aus der ersten Ehe des Ehemannes der Erblasserin ist
die am 13.08.1928 geborene Tochter ---- hervorgegangen. Diese ist am 28.05.1986 ebenfalls vorverstorben. Die Beteiligten Ziff. 1 bis 5 sind
leibliche Abkömmlinge der ----. Die Beteiligten Ziff. 6 und 7 sind Neffen der Erblasserin.
2
Die Erblasserin und ihr Ehemann errichteten am 14.03.1976 eigenhändig ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu
Alleinerben einsetzten mit der Maßgabe, dass der Überlebende über das gesamte Vermögen unter Lebenden frei verfügen kann. Ziffer 2. dieses
Testaments enthält sodann folgende Regelung:
3
„Nach dem Tode des Letztlebenden von uns erhält das dann noch vorhandene Vermögen -----, derzeit wohnhaft ---- (vgl. As. 13).
4
Am 10.02.1993 errichtete die Erblasserin ein eigenhändiges Testament, in dem sie die Beteiligten ---- zu Erben einsetzte, ferner verschiedene
Vermächtnisse verfügte (vgl. 15).
5
In einer weiteren letztwilligen Verfügung vom 18.03.1993 regelte die Erblasserin noch Einzelheiten hinsichtlich ihrer Bestattung und der
Grabpflege (vgl. As. 19).
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Die Beteiligten Ziff. 6 und 7 sind der Auffassung, dass sich die Erbfolge nach dem eigenhändigen Testament der Erblasserin vom 10.02.1993
richte und sie haben daher einen gemeinschaftlichen Erbschein beantragt, wonach sie und die Beteiligten Ziff. 1 und 2 zu je 1/4 Erben geworden
sind. Die Beteiligten Ziff. 1 und 2 haben sich diesem Antrag mit einem Eigenantrag vom 15.08.2001 angeschlossen (vgl. As. 87).
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Der Beteiligte ---- ist dem entgegengetreten und hat, gestützt auf das gemeinschaftliche Testament vom 14.03.1976, einen Erbschein beantragt,
der ihn und die Beteiligten Ziff. 1 bis 4 zu Miterben von je 1/5 ausweist. Die Beteiligte Ziff. 3 hat für sich die Erteilung eines Teilerbscheins zu 1/5
beantragt, ebenfalls aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 14.03.1976.
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Das Nachlassgericht hat die Erteilung eines Erbscheins nach dem Antrag des Beteiligten ---- angekündigt. Es hat hierbei die Auffassung
vertreten, dass sich die Erbberechtigung der Kinder der vorverstorbenen Stieftochter ---- aus dem eigenhändigen gemeinschaftlichen Testament
vom 14.03.1976 ergebe. Hiergegen haben die Beteiligten ---- und ----- Beschwerde eingelegt. Sie halten an ihrer Rechtsauffassung fest, dass
sich die Erbfolge nach dem eigenhändigen Testament der Erblasserin vom 10.02.1993 beurteile.
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Im einzelnen wird Bezug genommen auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses sowie auf die von den Verfahrensbeteiligten eingereichten
Schriftsätze.
10 Die gem. §§ 19, 20 FGG zulässige Beschwerde der Beteiligten Ziff. 6 und 7 ist begründet.
11 Die Erbfolge beurteilt sich vorliegend nicht nach dem gemeinschaftlichen Testament vom 14.03.1976, sondern nach dem eigenhändigen
Testament vom 10.02.1993.
12 Die vorliegende letztwillige Verfügung der Ehegatten ---- vom 14.03.1976 stellt ein wirksames gemeinschaftliches eigenhändiges Testament im
Sinne des § 2267 BGB dar. Nach dieser Bestimmung genügt es, wenn einer der Ehegatten das Testament in der Form des § 2247 BGB errichtet
und der andere Ehegatte die gemeinschaftliche Erklärung eigenhändig mitunterzeichnet. Der mitunterzeichnende Ehegatte soll hierbei angeben,
zu welcher Zeit (Tag, Monat, Jahr) und an welchem Ort er seine Unterschrift beigefügt hat. Sämtliche Voraussetzungen dieser Norm sind
vorliegend erfüllt. ---- hat das Testament eigenhändig geschrieben und unterschrieben sowie auch datiert. Darunter befindet sich, ebenfalls mit
einer handschriftlichen Datierung - 14. März 1976 -, die Unterschrift der Erblasserin. Der von ---- geschriebene Wortlaut des Testaments enthält
mehrfach einen klaren Hinweis auf die Gemeinschaftlichkeit: So heißt es zu Beginn: „Wir, die Eheleute .... bestimmen hiermit“ sowie dann weiter
„Wir setzen uns gegenseitig ...“ und dann „Nach dem Tod des Letztlebenden von uns“. Wenn die Erblasserin sodann die von ihrem Ehegatten
getroffene Verfügung mit unterzeichnete, und zwar an dem selben Tag, brachte sie nach Meinung der Kammer damit unmissverständlich zum
Ausdruck, dass sie auch für ihre Person Verfügungen treffen wollte, die denen ihres Ehegatten entsprachen. Aus dieser Mitunterzeichnung ergibt
sich folglich eine gemeinschaftliche Erklärung im Sinne des § 2267 BGB (vgl. Palandt-Edenhofer, BGB, 61. Auflage, § 2267 Rz, 1).
13 Wenn sodann nach dem Tode des Letztlebenden das dann noch vorhandene Vermögen an ---- fallen sollte, erhielt diese damit die
Rechtsstellung einer sogenannten Schlusserbin, § 2269 Abs. 1 BGB. Die Wechselbezüglichkeit dieser Schlusserbeneinsetzung folgt schon aus
der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB. ---- war zwar kein leiblicher Abkömmling der Eheleute ----. Sie stammte vielmehr aus der ersten
Ehe des ---- und war somit eine Stieftochter der Erblasserin. Dass nicht nur der Vater ein gutes Verhältnis zu seiner Tochter hatte, sondern dies
ebenfalls bei der Erblasserin der Fall war, hat die Beteiligte Ziff. 3 in ihrem Erbscheinsantrag vom 27.08.2001 (As. 99) dargelegt und insoweit
unwidersprochen ausgeführt:
14 „Gerade weil die als Schlusserbin Eingesetzte nur die Tochter des Ehemannes war, sollte auch sichergestellt werden, dass sie ein Erbrecht bei
Überleben der Ehefrau hätte.
15 Zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments und bis zum Tode der eingesetzten Schlusserbin bestand auch ein herzliches Verhältnis zwischen
der Erblasserin und ihr, wie sich darin zeigte, dass die Erblasserin darauf bestand, ---- im Familiengrab in Furtwangen beizusetzen, obwohl sie
sich gegenüber ihrem Ehemann und ihren Kindern dahin erklärt hatte, dass sie anonym beigesetzt werden wollte. Sie wurde also wie eine
Tochter der Erblasserin von dieser angesehen.“
16 Infolge ihres Vorversterbens hat allerdings die Schlusserbin den Erbfall, für den sie berufen war, nicht mehr erlebt, § 2923 Abs. 1 BGB.
17 Weitere Ermittlungen zum Sachverhalt versprechen keinen Erfolg. Auf die entsprechende Aufforderung der Kammer kam lediglich die Mitteilung,
dass der gemeinsame Testierwille nicht mehr erforscht werden kann (Schreiben ----, As. 195). Auch die Beteiligte ---- hat in ihrem
Erbscheinsantrag vom 27.08.2001 nur mitteilen können, dass es „beide Testatoren es wohl für selbstverständlich hielten, dass für den Fall des
Todes der Tochter/Stieftochter deren Kinder an ihre Stelle treten würden“. Diese Erklärung ist durch keinerlei tatsächliche Angaben belegt, stützt
sich vielmehr auf die Bestimmung des § 2069 BGB.
18 Es lässt sich somit weder aus den bekannten Nebenumständen noch aus dem Inhalt der Testamentsurkunde vom 14.03.1976 selbst ein Wille der
testierenden Ehegatten zur Einsetzung eines Ersatzerben für den Schlusserben entnehmen. Auch die Beteiligten vermochten keinerlei
überzeugende Anhaltspunkte für einen auch nur hypothetischen Willen zu einer Ersatzerbberufung anzugeben. Da somit die vorrangige
individuelle Auslegung mithin ohne Ergebnis bleibt, kommt die Regel des § 2069 BGB zum Zuge, die auch bei Einsetzung eines Schlusserben
im gemeinschaftlichen Testament gilt (vgl. BGH, NJW 1983, 277; Leipold in: Münchner Kommentar, § 2069 Rz. 3).
19 Danach sind hier Ersatzerben geworden die zur gesetzlichen Erbfolge nach der weggefallenen Schlusserbin ---- berufenen Abkömmlinge,
vorliegend also die Beteiligten Ziff. 1 bis 5. Nach dieser an die gesetzliche Erbfolge anknüpfenden Regelung des § 2069 BGB kommt es auf den
Zeitpunkt des Schlusserbfalls nach dem gemeinschaftlichen Testament an, das heißt, den 22.07.2001, und zwar auch, soweit sich die gesetzliche
Erbfolge rechtlich geändert hat (Staudinger/Otte, BGB 1996, § 2069 Rz. 24, Leipold in: Münchner Kommentar, § 2069 Rz. 21).
20 Für eine Wechselbezüglichkeit (§ 2270 Abs. 1 BGB) der sich aus § 2069 BGB ergebenen Ersatzerbfolge der Beteiligten Ziff. 1 bis 5 des
vorliegenden Beschwerdeverfahrens zu je 1/5-Anteil, lassen sich im gemeinschaftlichen Testament vom 14.03.1976 und auch sonst keinerlei
Anhaltspunkte finden. Damit kommt es auf die Bestimmung des § 2270 Abs. 2 BGB an.
21 Der in der Rechtsprechung und in der Literatur kontrovers beurteilten Rechtsfrage, wie der Wegfall des im Ehegattentestament eingesetzten
Schlusserben in der Vermutung der Wechselbezüglichkeit zugunsten möglicher Ersatzerben zu beurteilen ist, hat nunmehr der BGH in
allerjüngster Zeit auf einen Vorlagebeschluss des BayObLG in einer Entscheidung vom 16.01.2002 Stellung genommen (NJW 2002, 1126). In
dieser Entscheidung ist unter anderem folgendes ausgeführt:
22 „c) Im Vorlagebeschluss vertritt das BayObLG nunmehr die Auffassung, die Wechselbezüglichkeit könne sich immer nur auf letztwillige
Verfügungen beziehen, die vom (zumindest durch Auslegung feststellbaren) Willen der testierenden Ehegatten getragen seien. Nur dann mache
die Auslegungsregel des § 2270 II BGB nach der ihr zu Grunde liegenden Lebenserfahrung Sinn: Wenn die Verfügung des einen Ehegatten als
Gegenleistung für die Verfügung des anderen erscheine, entspreche die Bindungswirkung regelmäßig dem Interesse der Testierenden. Zwar
beruhe auch § 2069 BGB auf einer Lebenserfahrung. Eine Kumulation der Auslegungsregel des § 2069 BGB mit derjenigen des § 2270 II BGB
führe indessen dazu, dass ein durch individuelle Auslegung nicht feststellbarer Wille zur Bindung bezüglich einer durch individuelle Auslegung
nicht zu ermittelnden Verfügung angenommen werde. Eine derartige Gesetzesanwendung lasse sich nicht mehr mit allgemeinen Erfahrungen
rechtfertigen.
23 d) Dem schließt sich der Senat an; soweit er sich bisher anders geäußert hat, hält er daran nicht fest. § 2270 II BGB knüpft die Annahme einer
Wechselbezüglichkeit an die Einsetzung bestimmter Personen als Erben im gemeinschaftlichen Testament. Dem liegt die Vorstellung zu Grunde,
dass in Fällen wie dem vorliegenden zwischen der Einsetzung des überlebenden Ehegatten als Alleinerben unter Ausschluss der nächsten
Verwandten oder sonst nahe stehender Personen und der Einsetzung gerade dieser Verwandten oder nahe stehenden Personen zu
Schlusserben nach dem längstlebenden Ehegatten typischerweise ein Gegenseitigkeitsverhältnis derart besteht, dass die eine Verfügung nicht
ohne die andere getroffen worden wäre, sie also miteinander stehen oder fallen sollen. Eine solche Interessenlage der Testierenden lässt sich
indessen mangels konkreter Anhaltspunkte nur unterstellen, wenn sich ein Wille der Testierenden, bestimmte Verwandte oder nahe stehende
Personen oder auch die nach der gesetzlichen Erbfolge berufenen Abkömmlinge als Schlusserben einzusetzen, zumindest im Wege
ergänzender Auslegung aus dem Testament entnehmen lässt. Für die Feststellung, ob das in § 2270 II BGB vorausgesetzte Verwandtschafts-
oder Näheverhältnis zu den testierenden Ehegatten gegeben ist, kommt es mithin auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung an.“
24 Im vorliegenden Fall lassen sich keinerlei Anhaltspunkte für einen auf die Einsetzung der Beteiligten Ziff. 1 bis 5 als Ersatzerben gerichteten
Willen der testierenden Eheleute feststellen. Mit dem Vorversterben der Schlusserbin entfiel somit jegliche Bindungswirkung für die Erblasserin
aus dem gemeinschaftlichen Testament. Die zunächst bestandene wechselbezügliche Verfügung bezüglich der Bedachten ---- wurde
gegenstandslos infolge deren Vorversterbens. Die Erblasserin konnte somit wieder eine neue Verfügung von Todes wegen errichten, die in
wirksamer Form in dem eigenhändigen Testament vom 10.02.1993 zu sehen ist. Die Formerfordernisse des § 2247 BGB sind insoweit gegeben.
Die Kammer legt dieses Testament dahin aus, dass die dort aufgeführten vier Personen zu gleichen Teilen Erben der Erblasserin sein sollen,
wenngleich die Erblasserin diese nur als „Erben“ eingesetzt hat ohne nähere Bruchteilsbestimmung. Insoweit greift dann die Ergänzungsregel
des § 2091 BGB.
25 Dieser von der Kammer vorgenommenen rechtlichen Bewertung des vorliegenden Sachverhalts trägt der Erbscheinsantrag der
Beschwerdeführer vom 16.08.2001 Rechnung. Dem gemäß war der angefochtene Vorbescheid des Nachlassgerichts vom 19.09.2001
(ergangen vor dem maßgeblichen BGH-Beschluss vom 16.01.2002) aufzuheben und zugleich das Nachlassgericht zur Erteilung des von den
Beschwerdeführern beantragten Erbscheins anzuweisen.
26 Die Kostenentscheidung folgt aus § 131 KostO, § 13 a FGG.
27 Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 30 KostO. Hierbei wurde entsprechend dem wirtschaftlichen Interesse der
Beschwerdeführer am Ausgang dieses Verfahrens ein Wert des Nachlasses mit 200.000,00 DM zugrundegelegt.