Urteil des LG Köln vom 22.09.2005

LG Köln: negative feststellungsklage, versorgung, ortszuschlag, witwe, rente, wiederverheiratung, besoldungsstufe, gesellschafter, ausnahme, widerklage

Landgericht Köln, 2 O 95/03
Datum:
22.09.2005
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 95/03
Tenor:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt,
1) an den Kläger und den Drittwiderbeklagten zu 1) lebenslang,
beginnend ab Oktober 2005 monatlich eine Versorgung in Höhe des
Grundgehalts eines Rich-ters der Besoldungsstufe R 2, Stufe 4, ohne
Ortszuschlag, aufgerundet auf volle 50,- EUR entsprechend dem jeweils
geltenden, die Richtergehälter regelnden Gesetz, derzeit entsprechend
der geltenden Fassung des Bundesbesoldungs-gesetzes vom
10.09.2003 (BGBl. I 2003, 1798), zu zahlen,
2) an den Kläger und den Drittwiderbeklagten zu 1) 8.040,16 EUR zu
zahlen, an den Kläger nebst Zinsen in Höhe von 5%-punkten über dem
Basiszinssatz ab dem 28.10.2004 aus einem Betrag in Höhe von
3.409,60 EUR,
3) an die Witwen des Klägers und des Drittwiderbeklagten zu 1) die
Hälfte der Versorgung gemäß Ziff. 1) bis zum Zeitpunkt ihrer
Wiederverheiratung, an die Witwe des Klägers längstens bis zum
31.12.2016 und an die Witwe des Drittwi-derbeklagten längstens bis
zum 31.12.2019, zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit betreffend die Zahlungen der
Beklagten an den Kläger und den Drittwiderbeklagten zu 1) bis
September 2005 mit Ausnahme des nach Ziffer 2) zu zahlenden
Betrages erledigt ist.
Die Drittwiderklagen gegen die Drittwiderbeklagten zu 1) und 2) werden
abge-wiesen.
Der Beitritt der Streitverkündeten zu 4) wird zugelassen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner
mit Ausnahme der Kosten der Streitverkündeten zu 4) sowie der Kosten
des Zwi-schenstreits über die Zulassung der Streitverkündung. Die
Kosten des Zwischenstreits trägt der Kläger; im übrigen trägt die
Streitverkündete zu 4) ihre Kosten selbst.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
zu voll-streckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Parteien waren bzw. sind als Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen in der
Anwaltssozietät "M & E" in Köln tätig. Sie streiten um Versorgungsansprüche des
Klägers und der Drittwiderbeklagten aus dem Sozietätsvertrag vom 29.06.1996 gegen
die Beklagten, die mittlerweile sämtlich aus der Sozietät ausgeschieden sind.
2
§ 8 des Sozietätsvertrags vom 29.06.1996 lautet:
3
"1. (...)
4
a) (1) Scheiden D, S oder B nach § 7 Nr. 4 aus, zahlt ihnen die Sozietät lebenslang
jeweils eine Versorgung in Höhe des Gehalts eines Richters der Besoldungsgruppe R
2, Stufe 4 ohne Ortszuschlag, (Stand Januar 6.377,76 DM), aufgerundet auf volle 100
DM.
5
(2) Seine Witwe bekommt die Hälfte dieser Rente; die Zahlungspflicht ihr gegenüber
endet spätestens 20 Jahre nach dem Ausscheiden des Sozius oder im Falle der
Wiederverheiratung.
6
b) Für diese Verpflichtungen haften die Sozien gesamtschuldnerisch, soweit sie nicht
gemäß § 7 Ziffer 4 ausgeschieden sind.
7
2. (...)"
8
Die Abkürzung "D" in dem Sozietätsvertrag steht für den Kläger, "S" für den
Drittwiderbeklagten zu 1) und "B" für den Drittwiderbeklagten zu 2). § 7 Ziff. 4 des
Sozietätsvertrages lautet:
9
"Ein Sozius darf aus der Sozietät ausscheiden, wenn er 30 Jahre zu ihr gehört; er muss
spätestens mit Vollendung des 75. Lebensjahres ausscheiden. Ab Ausscheiden
bestimmt der Sozius seinen Arbeitsumfang selbst."
10
In § 7 Ziff. 1 des Sozietätsvertrages ist vorgesehen:
11
"Nur aus wichtigem Grund darf oder muss ein Sozius die Sozietät verlassen. In diesem
Falle setzen die übrigen Sozien die Sozietät fort."
12
Der dem Vertrag vom 29.06.1996 vorausgehende Sozietätsvertrag vom 03.09.1991
enthielt eine inhaltsgleiche Regelung. Wegen der weiteren diesbezüglichen
13
Einzelheiten wird auf die Vertragstexte (K3 und K4, Anlagenhefter Bl. 18 ff. und 30 ff.)
verwiesen.
Der Kläger schied mit Ablauf des 31.12.1996 gemäß § 7 Nr. 4 des Sozietätsvertrags aus
der Sozietät aus. Seit diesem Zeitpunkt erhält er die in § 8 Nr. 1 des Sozietätsvertrags
vorgesehene Rente von der Sozietät gezahlt; allerdings zahlt die Sozietät die seit 2004
eingetretenen Erhöhungen des Grundgehaltes eines Richters der Besoldungsstufe R 2
Stufe 4 nicht aus, sondern lediglich die Rente in bisheriger Höhe, nämlich 3.579,04
EUR. Auch der Drittwiderbeklagte zu 1), der aus der Sozietät ebenfalls zwischenzeitlich
aus Altersgründen ausgeschieden ist, erhält monatlich nur diesen Betrag ohne
Berücksichtigung der Anpassungen seit dem 01.01.2004.
14
Die Beklagten zu 2) und 4) unterzeichneten die Sozietätsverträge vom 03.09.1991 und
vom 29.06.1996; letzterer wurde auch von den Beklagten zu 1) und 6) mit unterzeichnet,
vom Beklagten zu 1) erst nachträglich am 02.01.1998. Die Beklagte zu 3) wurde durch
Partnerschaftsvertrag vom 08./09.07.1995 Juniorpartnerin in der Sozietät; in Ziff. 11
dieses Partnerschaftsvertrages ist bestimmt, dass mit Aufnahme in die Sozietät als
Seniorpartner der Sozietätsvertrag mit allen Rechten und Pflichten gilt. Am 25.09.1998
unterzeichnete die Beklagte zu 3) einen neuen Partnervertrag (Anlage K 7,
Anlagenhefter Bl. 52 ff.), der in § 9 vorsieht, dass der Partner ab Erreichung der
Gewinnstufe 3 die Rentenregelung entsprechend § 8 Abs. 2 und 3 des
Sozietätsvertrages übernimmt und er damit auch die entsprechende Verpflichtung
gemäß § 8 Abs. 1 b des Sozietätsvertrages (gesamtschuldnerische Haftung) übernimmt.
Am 24.09.1998 unterschrieb der Beklagte zu 5) einen gleichlautenden Partnervertrag
(Anlage K 8, Anlagenhefter Bl. 55). Durch Beschluss der Sozietätsversammlung vom
29.11.2000 sind die Beklagten zu 3) und 5) auf ihren Antrag in die Gewinnstufe 3
aufgenommen worden, die Beklagte zu 3) wurde überdies als Seniorpartnerin
aufgenommen. Der Beklagte zu 6) kündigte gegenüber der Sozietät zum 31.12.2000;
die Beklagten zu 1) und 4) zum 30.09.2001; auch die Beklagten zu 2), 3) und 5)
wechselten zum 30.09.2001 bzw. zum 31.12.2001 in andere Sozietäten.
15
Der Kläger und die Drittwiderbeklagten sind der Auffassung, dass die Beklagten für ihre
Versorgungsansprüche aus den Sozietätsverträgen auch nach ihrem Ausscheiden aus
der Sozietät persönlich haften. Dies folge aus der in § 8 Ziff. 1 b) des Sozietätsvertrages
vorgesehenen gesamtschuldnerischen Haftung. Diese gelte auch für Sozien, die aus
der Sozietät ausgeschieden seien; nur im Falle des Ausscheidens aus Altersgründen (§
7 Ziff. 4 des Sozietätsvertrages) sei eine Haftung ausgeschlossen.
16
Hierzu behaupten sie, dass für den Kläger die gesamtschuldnerische Haftung aller
Sozien entscheidende Bedeutung gehabt habe. Die Teilnehmer der
Sozietätsversammlung vom 12.03.1991 seien sich bei Beratung des Entwurfs des
neuen Sozietätsvertrages darüber einig gewesen, dass mit § 8 Ziff. 1 b) eine
gesamtschuldnerische Haftung auch für Sozien habe begründet werden sollen, die aus
der Sozietät ausschieden, und zwar mit Ausnahme des Ausscheidens gemäß § 7 Nr. 4
des Sozietätsvertrages; dies sei auch bei Unterzeichnung des Vertrages als
Erklärungsinhalt zugrundegelegt worden. Auch sei anlässlich des Ausscheidens des
Zeugen I bei der Sozietätsversammlung vom 27.09.1994 die Auslegung erneut
thematisiert worden und dabei klar gewesen, dass eine Haftung auch ausgeschiedener
Sozien damit gemeint sei. Auch sei mit der Beklagten zu 3) vor Unterzeichnung des
Partnervertrages am 08.07.1995 ausführlich über § 8 des Sozietätsvertrages
gesprochen und dabei Einigkeit erzielt worden, dass damit auch eine
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gesamtschuldnerische Haftung nach einem etwaigen Ausscheiden aus der Sozietät
begründet werde.
Der Kläger beantragt nach mehrfacher Antragsänderung,
18
die Beklagten als Gesamtschuldner neben den Rechtsanwälten C, r T, T1, Dr. E,
Dr. N, T3, Prof. Dr. Y zu verurteilen,
19
1) an den Kläger lebenslang monatlich eine Versorgung in Höhe des Grundgehalts
eines Richters der Besoldungsstufe R 2, Stufe 4, ohne Ortszuschlag, aufgerundet
auf volle 50 EUR entsprechend dem jeweils geltenden, die Richtergehälter
regelnden Gesetz, derzeit entsprechend der geltenden Fassung des
Bundesbesoldungsgesetzes vom 10.09.2003 (BGBl. I 1798) zu zahlen; das sind
seit dem 01.04.2004 3.950,- EUR und ab dem 01.08.2004 4.000,- EUR,
20
2) an den Kläger 8.040,16 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem
28.10.2004 aus einem Betrag in Höhe von 3.409,60 EUR zu zahlen,
21
3) an die Witwe des Klägers die Hälfte der Versorgung gemäß Ziff. 1), längstens bis
zum 31.12.2016 oder bis zum Zeitpunkt der Wiederverheiratung, wenn dieser
Zeitpunkt vor dem 31.12.2016 liegt, zu zahlen,
22
ferner hilfsweise, festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner neben
den Rechtsanwälten C, T, T1, Dr. E, Dr. N, T3, Prof. Dr. Y für die Verpflichtungen
der Sozietät "M & E" haften,
23
1) dem Kläger lebenslang eine Versorgung in Höhe des Gehalts eines Richters der
Besoldungsstufe R 2, Stufe 4, ohne Ortszuschlag, aufgerundet auf volle 50 EUR
entsprechend dem jeweils geltenden, die Richtergehälter regelnden Gesetz,
derzeit entsprechend der geltenden Fassung des Bundesbesoldungsgesetzes vom
10.09.2003 (BGBl. I 2003, 1798) zu zahlen,
24
2) der Witwe des Klägers die Hälfte dieser Rente längstens bis zum 31.12.2016
oder bis zum Zeitpunkt der Wiederverheiratung, wenn dieser Zeitpunkt vor dem
31.12.2016 liegt, zu zahlen,
25
Die Beklagten und die Streitverkündete zu 4) beantragen,
26
die Klage abzuweisen.
27
In der mündlichen Verhandlung vom 22.09.2005 hat der Kläger den Rechtsstreit
betreffend Zahlungen bis September 2005 für erledigt erklärt, weil die laufenden
Zahlungen bis dahin erfolgt seien. Die Beklagtenvertreter haben dieser
Erledigungserklärung widersprochen.
28
Ferner beantragen die Beklagten im Wege der Widerklage gegenüber dem
Drittwiderbeklagten zu 2),
29
festzustellen, dass sie nicht als Gesamtschuldner für die folgenden Verpflichtungen
der Anwaltssozietät M & E in Köln haften:
30
a) den Widerbeklagten jeweils lebenslang eine Versorgung in Höhe des Gehalts
eines Richters der Besoldungsstufe R 2, Stufe 4, ohne Ortszuschlag, aufgerundet
auf volle 50,- EUR, zu zahlen;
31
b) der jeweiligen Witwe der Widerbeklagten die Hälfte dieser Rente längstens 20
Jahre ab dem jeweiligen Ausscheiden der Widerbeklagten oder bis zu ihrer
Wiederverheiratung zu zahlen,
32
Der Drittwiderbeklagte zu 2) beantragt,
33
die Drittwiderklage abzuweisen.
34
Im Wege der Wider-Drittwiderklage beantragt der Drittwiderbeklagte zu 1),
35
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
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1) an ihn ab dem 01.10.2005 lebenslang monatlich eine Versorgung in Höhe des
Grundgehalts eines Richters der Besoldungsstufe R 2, Stufe 4, ohne Ortszuschlag,
aufgerundet auf volle 50 EUR entsprechend dem jeweils geltenden, die
Richtergehälter regelnden Gesetz, derzeit entsprechend der geltenden Fassung
des Bundesbesoldungsgesetzes vom 10.09.2003 (BGBl. I 1798) zu zahlen; das
sind zur Zeit 4.000,- EUR,
37
2) an ihn 8.040,16 EUR zu zahlen,
38
3) an seine Witwe die Hälfte der Versorgung gemäß Ziff. 1), bis zu ihrer
Wiederverheiratung, längstens bis zum 31.12.2019 zu zahlen.
39
Er erklärt seine Anträge insoweit für erledigt, als sie zuvor für den Zeitraum 01.01.2004
bis 30.09.2005 gestellt worden sind.
40
Die Beklagten und die Streitverkündete zu 4) beantragen,
41
die Wider-Drittwiderklage abzuweisen.
42
Die zunächst gegen beide Drittwiderbeklagten erhobene Drittwiderklage haben die
Beklagten hinsichtlich der Drittwiderklage gegen den Drittwiderbeklagten zu 1) für
erledigt erklärt, nachdem dieser seinerseits Wider-Drittwiderklage erhoben hat.
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Die Beklagten sind der Ansicht, dass sie für die Rente des Klägers und der
Widerbeklagten persönlich nicht in Anspruch genommen werden können. Bei den
Ansprüchen aus § 8 des Sozietätsvertrages handele es sich um Sozialverbindlichkeiten
der Sozietät. Aus dem Wortlaut der Versorgungsregelung in § 8 des Sozietätsvertrages,
der systematischen Stellung dieser Regelung sowie den übrigen Umständen folge, dass
die Beklagten als ausgeschiedene Gesellschafter für die Versorgungsansprüche nicht
hafteten; die verbliebenen Gesellschafter hafteten nur subsidiär. Bei einem Verständnis
der Versorgungsregelung als eine gegen die einzelnen Sozien gerichtete
Anspruchsgrundlage stelle sich diese Regelung als eine nach § 723 Abs. 3 BGB
unzulässige Kündigungsbeschränkung dar. Jedenfalls stehe dem Anspruch der
Einwand des Wegfalls der Geschäftsgrundlage entgegen; nach der Aufhebung der
Singularzulassung bei den Oberlandesgerichten seien die Umsätze der Anwaltssozietät
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schlagartig zurückgegangen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen
den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren, Bezug genommen.
45
Die Beklagten zu 1) bis 5) haben mit Schriftsatz vom 23.10.2003 weiteren
ausgeschiedenen Sozien den Streit verkündet. Die Streitverkündete zu 4) ist dem
Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 08.12.2003 auf Seiten der Beklagten beigetreten. Sie
hat dargelegt, sie sei durch Beschluss der Sozietätsversammlung vom 13.08.2001 u.a.
von sämtlichen Rentenansprüchen freigestellt worden; in der
Auseinandersetzungsvereinbarung mit der Sozietät vom 04.09.2001 (Anlage W 1, Bl.
358 f. GA) sei vereinbart, dass mit der Erfüllung der Vereinbarung sämtliche
wechselseitigen Ansprüche, die auch die Rentenverpflichtungen enthielten,
ausgeglichen seien. Einen von der Sozietät geforderten Innenausgleich habe sie
deshalb mit anwaltlichem Schreiben vom 19.02.2002 zurückgewiesen. Der Kläger hat
die Zurückweisung dieses Beitritts in der mündlichen Verhandlung vom 01.07.2004
beantragt und insoweit darauf verwiesen, dass den Beklagten angesichts der
Auseinandersetzungsvereinbarung ein Rückgriff gegenüber der Streitverkündeten zu 4)
nicht möglich sei, so dass sie kein rechtliches Interesse an dem Beitritt habe.
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Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 05.02.2004 durch
Vernehmung der Zeugen Dr. E, T, Prof. Dr. Y, I, C, N, C2, S und S2. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vom 01.07.2004 (Bl.
885 ff. GA) und vom 22.09.2005 (Bl. 1248 ff. GA) verwiesen.
47
Entscheidungsgründe
48
Die Klage und die Wider-Drittwiderklage des Drittwiderbeklagten zu 1) sind zulässig
und begründet, während die Drittwiderklage der Beklagten gegenüber dem
Drittwiderbeklagten zu 2) keinen Erfolg hat.
49
I.
50
1. Die Erhebung der Drittwiderklagen durch die Beklagten war zulässig. Zwar ist die
Erhebung der sog. isolierten Drittwiderklage, also einer nur gegen bisher nicht am
Rechtsstreit beteiligte Dritte erhobenen Widerklage, grundsätzlich nicht zulässig; die
Rechtsprechung lässt indes in besonders gelagerten Fällen Ausnahmen zu. Dies wird
mit dem Sinn und Zweck des Rechtsinstituts der Widerklage begründet, nach dem eine
Vervielfältigung und Zersplitterung von Prozessen vermieden werden soll (vgl. BGHZ
147, 220, 221 f.). Danach erscheint jedenfalls nach dem jetzigen Sach- und Streitstand
die Zulassung der Drittwiderklagen aus prozessualen Zweckmäßigkeitserwägungen
geboten. Denn in der Sache geht es auch im Verhältnis zwischen den Beklagten und
den Drittwiderbeklagten um dieselben Versorgungsansprüche aus dem
Sozietätsvertrag, wie sie der Kläger gegenüber den Beklagten geltend macht. Die
Behandlung einer solchen umfassenden gesellschaftsinternen Streitigkeit in einem
Rechtsstreit erscheint sachangemessen. Der Kläger und die Drittwiderbeklagten haben
denn auch die Unzulässigkeit der Drittwiderklagen nicht gerügt.
51
2. Die Zulässigkeit der Anträge von Kläger und Drittwiderklagten zu 1) auf Zahlung des
monatlichen Versorgungsanspruchs folgt aus § 258 ZPO. Voraussetzung für die Klage
52
auf wiederkehrende Leistungen nach § 258 ZPO ist, dass die Leistungen bereits der
Höhe nach bestimmbar sind, also mit ausreichender Sicherheit feststehen (vgl.
Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., 2005, § 258 Rn. 1b). Diese Voraussetzung ist erfüllt. Die
monatlich an den Kläger und den Drittwiderbeklagten zu 1) zu leistenden Zahlungen
sind ohne weiteres bestimmbar, weil sie sich nach dem Gehalt eines Richters der
Besoldungsgruppe R 2, Stufe 4 ohne Ortszuschlag richten.
II.
53
Die Klage und die Wider-Drittwiderklage des Drittwiderbeklagten zu 1) sind auch
begründet.
54
1. Dem Kläger und dem Drittwiderbeklagten zu 1) stehen die in § 8 des
Sozietätsvertrages vom 29.06.1996 vorgesehenen Versorgungsansprüche gegen die
Beklagten zu.
55
Dies folgt aus § 8 Ziff. 1 b) des Sozietätsvertrages. Danach haften die Sozien für die
dem Kläger und dem Drittwiderbeklagten zu 1) gegen die Gesellschaft zustehenden
Versorgungsansprüche gesamtschuldnerisch, soweit sie nicht gemäß § 7 Ziff. 4 des
Sozietätsvertrags, also aus Altersgründen, ausgeschieden sind. Die Beklagten sind
Sozien im Sinne dieser Regelung, weil sie den Sozietätsvertrag als Sozien
unterschrieben haben bzw. - dies gilt für die Beklagten zu 3) und 5) - durch
Partnerverträge die Geltung der in § 8 Ziff. 1 b) vorgesehenen Verpflichtung mit der
Sozietät vereinbart haben. Die Haftung, die die Beklagten damit übernommen haben,
beschränkt sich nicht auf die Zeit ihrer Zugehörigkeit zur Sozietät, vielmehr wirkt sie
über ihr Ausscheiden aus der Sozietät hinaus. Eine Ausnahme ist lediglich für den Fall
des Ausscheidens aus Altersgründen vorgesehen; dem lag – dies ist zwischen den
Parteien unstreitig – die Erwägung zugrunde, dass eine Haftung unter Rentnern
ausgeschlossen sein sollte. Allerdings ist eine Fortdauer der Haftung der vor Ablauf der
in § 7 Abs. 4 des Sozietätsvertrags vorgesehenen 30-jährigen Sozietätszugehörigkeit
ausscheidenden Sozien nicht ausdrücklich vorgesehen. Entgegen der Auffassung der
Beklagten lässt sich für die Bestimmung der Dauer der Haftung der vorzeitig
ausscheidenden Sozien der in § 7 des Sozietätsvertrags vorgesehenen Differenzierung
zwischen einem "Verlassen" der Sozietät und einem "Ausscheiden" aus der Sozietät
aus Altersgründen eine zuverlässige Aussage nicht entnehmen. Einen zuverlässigen
Anhalt für die Bestimmung der Dauer der Haftung bietet jedoch die Auslegungsregel
des § 10 Abs. 2 des Sozietätsvertrages. Nach dieser Regelung gilt im Fall einer Lücke
als vereinbart, was dem von den Parteien Gewollten wirtschaftlich am nächsten kommt.
Danach soll auch im Fall des Ausscheidens von Sozien die Fortexistenz der Sozietät
gewährleistet sein. Das folgt aus § 7 Abs. 1 des Sozietätsvertrages. Zugleich sollte –
das folgt aus § 8 Ziff. 1 a) - die wirtschaftliche Absicherung der dort genannten drei
Sozien gewährleistet sein. Diesen Zielen kommt wirtschaftlich eine Regelung am
nächsten, nach der möglichst viele – nämlich die gegenwärtigen und die vorzeitig
ausgeschiedenen – Sozien gesamtschuldnerisch für die Versorgung der drei Sozien
bzw. ihrer Witwen aufzukommen haben. Dabei bleibt es den zur Leistung verpflichteten
Sozien überlassen, die Höhe ihrer Leistungspflicht im Innenverhältnis nach
sachangemessenen Kriterien differenzierend zu bestimmen.
56
Für dieses Verständnis der Regelung in § 8 Ziff. 1 b) spricht auch ihre
Entstehungsgeschichte. Die Altersversorgung der Sozien war im Verlauf der Jahre vor
allem angesichts des Anwachsens der Gesellschafterzahl von den 70-er bis in die 90-er
57
Jahre hinein Gegenstand vielfältiger Diskussionen zwischen den Sozien; für die
jüngeren Sozien fand man schließlich in den Sozietätsverträgen von 1991 und 1996
eine Lösung zur Gewährung einer Altersversorgung über von der Sozietät
abgeschlossene Lebensversicherungen. Dass die Problematik der Haftung für Renten
nach Ausscheiden im Zuge dieser Verhandlungen jedenfalls von einem Teil der
Beteiligten gesehen wurde, zeigt sich an einer Anmerkung des Drittwiderbeklagten zu 1)
in einem Arbeitspapier aus der Zeit noch vor Abschluss des Sozietätsvertrages von
1991, in dem es heißt: "Ein weiterer Punkt: Was soll geschehen, wenn die Sozietät sich
splittet? Gesamtschuldnerische Haftung aller Vertragsbeteiligten, gleichgültig in welcher
Weise zu einem späteren Zeitpunkt der einzelne den Anwaltsberuf ausübt?" (vgl.
Anlage K 11, Anlagenhefter, Bl. 108). Ein weiterer Anhaltspunkt dafür, dass die
Problematik der Haftung nach Ausscheiden durchaus gesehen wurde, ist, dass der
Kläger sich bei Ausscheiden des Zeugen I im Rahmen der Sozietätsversammlung vom
27.09.1994, also noch vor Abschluss des nunmehr maßgeblichen Sozietätsvertrags aus
dem Jahr 1996, ihm gegenüber die Geltendmachung von Zahlungsansprüchen gemäß
§ 8 Abs. 1 des Sozietätsvertrages vorbehalten hat. Dies ist im Protokoll der
Versammlung festgehalten (vgl. Anlage K 28, Anlagenhefter 2, Bl. 45). Der Zeuge I
konnte sich insoweit zwar nicht mehr erinnern, hat aber bekundet, der Kläger habe eine
Bemerkung in die Runde gemacht, die für ihn erst Sinn ergeben habe, als der
Drittwiderbeklagte zu 1) im Anschluss an die Versammlung gesagt habe, dass er von
ihm nichts zu befürchten oder zu erwarten habe. Er hat weiter ausgeführt, dass diese
Bemerkung auch die anderen anwesenden Sozien gehört haben müssen, ohne dass
einer widersprochen habe. Auch die Zeugen Dr. E und T konnten sich an die Situation
in der Versammlung und die Bemerkung des Klägers erinnern, er behalte sich seine
Ansprüche gegen den Zeugen I vor.
Dass die Frage der Haftung nach dem Ausscheiden auch im übrigen Gegenstand der
Diskussion vor Abschluss des Sozietätsvertrags von 1991 war, haben die Zeugen Dr. E,
Prof. Dr. Y und T durchaus nachvollziehbar bekundet. Der Zeuge Prof. Dr. Y hat
ausgesagt, dass das Thema "Haftung auch nach Ausscheiden" in die Debatte
gekommen sei, weil dies eine Kompensation bezüglich der für die älteren Sozien nicht
mehr möglichen Lebensversicherung sein sollte; für ihn sei dies bei seinem
Ausscheiden kein großes Thema gewesen, weil er gewusst habe, dass betragsmäßig
für ihn nur ein Bruchteil in Betracht kommen konnte. Auch der Zeuge T hat ausgeführt,
dass die gesamtschuldnerische Haftung nach dem Ausscheiden Thema gewesen sei,
weil der Kläger hinsichtlich seiner Altersversorgung recht glücklos agiert habe und die
Versorgung aus der Sozietät das wesentliche Standbein war; dem Kläger sei es darum
gegangen, Sicherheit zu haben. Sowohl der Zeuge T als auch der Zeuge Dr. E haben
ausgesagt, dass der Kläger im Rahmen der Diskussion um den Sozietätsvertrag von
1991 Wert darauf gelegt habe, dass jeder einzelne haftet, egal was komme. Der Zeuge
Dr. E hat auch im einzelnen dargelegt, wie schwierig es war, den Kläger und die
jüngeren Sozien zu einem für alle Seiten akzeptablen neuen Sozietätsvertrag zu
bewegen, um die Sozietät auf neue Beine stellen zu können; der Kläger verhandelte
dabei - wie der Zeuge T bekundet hat - aus einer Position der Stärke, weil er nach der
bisherigen Regelung Anspruch auf 2% des Umsatzes hatte. Dass das Thema der
Haftung nach Ausscheiden im Zuge der Verhandlungen für den Sozietätsvertrag 1991
angesprochen wurde, hat der Zeuge Dr. E weiterhin plausibel mit dem Ausscheiden des
Sozius Dr. B Anfang des Jahres begründet. Die Ausführungen der Zeugen passen in
das Bild, das sich schon aus den genannten schriftlichen Unterlagen ergibt. Wenn sich
demgegenüber die Beklagten zu 2) und 4), die zu dieser Zeit schon in der Sozietät
waren, an derartige Gespräche und Diskussionen nicht erinnern können, erscheint dies
58
nach alledem wenig plausibel.
Damit ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Regelung des § 8 Ziff. 1 b)
des Sozietätsvertrags, dass durch diese Regelung die Seniorsozien, für die eine
Versicherungslösung nicht mehr in Betracht kam, abgesichert werden sollten. Eine
sinnvolle Absicherung konnten aber nur Ansprüche bringen, die sich unabhängig von
dem weiteren Schicksal der Sozietät gegen die Sozien selbst richten. Ansonsten wäre
es durch Auflösung der Sozietät ohne weiteres möglich gewesen, dass die
Versorgungsansprüche ins Leere gehen.
59
In welchem Umfang den einzelnen Beklagten die Diskussion zu der Frage der
gesamtschuldnerischen Haftung auch der Ausscheidenden bekannt war, kann im
Ergebnis nicht entscheidend sein. Denn die Beklagten konnten als Rechtsanwälte den
Regelungsgehalt ohne weiteres erfassen und den Umfang ihrer Haftung erkennen.
60
2. Angesichts der ausdrücklichen und eigenständigen Regelung der
gesamtschuldnerischen Haftung in § 8 Ziff. 1 b) Sozietätsvertrages können die
Beklagten sich nicht mit Erfolg auf den Standpunkt stellen, es handele sich um eine
Sozialverbindlichkeit, für die sie nach dem früheren Haftungskonzept der BGB-
Gesellschaft nicht hätten haften müssen.
61
3. Die Berufung des Klägers und des Drittwiderbeklagten zu 1) auf diese
gesamtschuldnerische Haftung kann auch nicht als treuwidrig im Sinne von § 242 BGB
angesehen werden. Insbesondere für den Kläger gab es - wie ausgeführt - gute Gründe,
auf einer gesamtschuldnerischen Haftung aller Sozien für seine Versorgungsansprüche
zu beharren, unabhängig davon, ob diese weiterhin in der Sozietät tätig sind. Die
Übernahme dieser gesamtschuldnerischen Haftung geschah, dies wird in den mit den
Beklagten zu 3) und 5) geschlossenen Partnerverträgen deutlich, im Gegenzug für die
Aufnahme der jüngeren Sozien in die "Versicherungslösung", also den Abschluss eines
Lebensversicherungsvertrages der Sozietät für diese. Es handelte sich damit nicht um
eine unangemessene Benachteiligung der jüngeren Sozien. Dabei verkennt die
Kammer nicht, dass diese so vereinbarte gesamtschuldnerische Haftung zu Härten
führen kann, insbesondere, wenn ein Sozius nur kurze Zeit in der Sozietät bleibt und
damit selbst nur in geringem Maße von ihr profitiert, also auch die für ihn bestehende
Altersversorgung in Form der Lebensversicherung aufgrund geringer Einzahlungen
keinen nennenswerten Wert hat. Allerdings ändern diese Härten nichts an der im
Außenverhältnis vereinbarten gesamtschuldnerischen Haftung. Hier muss vielmehr ein
Ausgleich im Innenverhältnis der Sozien untereinander gefunden werden.
62
4. Die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten im Außenverhältnis gegenüber
dem Kläger und dem Drittwiderbeklagten zu 1) verstößt auch nicht gegen § 723 Abs. 3
BGB. Die Kündigungsmöglichkeit der Sozien wird durch die Regelung nicht unzulässig
eingeschränkt. Zwar findet § 723 Abs. 3 BGB auch auf indirekt wirkende, den
Kündigungswilligen von der Ausübung seines Rechts abhaltende Beschränkungen
Anwendung, insbesondere etwa bei dem vertraglichen Ausschluss einer Abfindung
beim Ausscheiden des Kündigenden aus der Gesellschaft (vgl. MünchKomm/Ulmer,
BGB, 4. Aufl., 2004, § 723 Rn. 76). Bei der hier in Rede stehenden Haftung handelt es
sich aber nicht um eine Sanktion für den Fall der Kündigung, sondern vielmehr um das
Fortbestehen einer schon früher übernommenen Haftung auch im Falle der Kündigung.
Ob in einem solchen Fall § 723 Abs. 3 BGB eingreift, ist jedenfalls zweifelhaft. Letztlich
kann dies indes dahingestellt bleiben. Denn bei der Bewertung der Haftungsklausel fällt
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entscheidend ins Gewicht, dass die Haftung der Beklagten im Außenverhältnis zwar
uneingeschränkt besteht, im Innenverhältnis aber eine Ausgleichspflicht zwischen den
Gesamtschuldnern besteht, die dazu führt, dass jeder einzelne im wirtschaftlichen
Ergebnis nur für einen Bruchteil des Versorgungsanspruchs monatlich aufzukommen
hat.
5. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Geschäftsgrundlage der
gesamtschuldnerischen Haftung der Sozien für die Versorgungsansprüche nicht durch
die Aufhebung der Singularzulassung bei den Oberlandesgerichten weggefallen. Ein
Wegfall der Geschäftsgrundlage kann dann nicht angenommen werden, wenn das
Risiko des Wegfalls bei Vertragsschluss bewusst in Kauf genommen wurde (vgl. BGHZ
112, 259, 261 m.w.N.). Es kann davon ausgegangen werden, dass zum Zeitpunkt des
Abschlusses des hier entscheidenden Sozietätsvertrages im Jahr 1996 das Risiko des
Wegfalls der Singularzulassung für die Sozien bekannt war und sie dies bewusst
eingegangen sind. Schon Jahre vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 13.12.2000 über die Verfassungswidrigkeit dieser Regelung war absehbar, dass
die bisherige Regelung nicht aufrechterhalten würde (vgl. dazu Grunewald AnwBl.
2001, 377; Henssler JZ 2001, 337, 340). In der Sozietät ist über notwendige
Neuorientierungen schon seit den 80-er Jahren diskutiert worden und auch
Konsequenzen hieraus gezogen worden; bereits in dem Protokoll der
Sozietätsversammlung vom 15.09.1988 heißt es: "Die Sozietät geht davon aus, dass
sich die bisherigen Arbeitsbedingungen nicht weiter aufrechterhalten lassen: die Tage
der Singularzulassung am OLG sind gezählt. Es besteht Einigkeit darüber, dass die
Tätigkeit der Praxis in erster Instanz verstärkt und ausgebaut werden muss. (…)"
(Anlage K 17, Anlagenhefter, Bl. 118). Die Kanzlei hat dementsprechend in der
Folgezeit ihre Tätigkeitsbereiche im Beratungsbereich aber auch im Arbeitsrecht etc.
ausgebaut. Auch aus einem weiteren Grund kann den Beklagten die Heranziehung
dieses Rechtsinstituts nicht zum Erfolg verhelfen: Denn ein Wegfall der
Geschäftsgrundlage lässt sich nur erwägen, wenn Jungsozien, die bei Eintritt in die
Sozietät die Alterversorgung der Seniorpartner übernommen haben, angesichts des
Wegfalls der Singularzulassung im Gegenzug nicht mehr den vollen Unternehmenswert
einer OLG-Kanzlei erhalten (vgl. dazu Henssler, JZ 2001, 337, 339). Dass durch den
Wegfall der OLG-Singularzulassung eine solche nicht hinnehmbare Diskrepanz
zwischen Unternehmenswert und übernommenen Verpflichtungen für die Beklagten und
anderen Jungsozien entstand, die sich nicht nur in einem punktuellen Einbruch zeigte,
haben die Beklagten nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
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6. Die Haftung der Beklagten ist nicht durch die Nachhaftungsbegrenzung der §§ 736
Abs. 2 BGB, 160 HGB bzw. der vor dem Inkrafttreten des
Nachhaftungsbegrenzungsgesetzes geltenden sog. Kündigungstheorie eingeschränkt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob nach Art. 35 EGHGB altes oder neues
Enthaftungsrecht anzuwenden ist. Denn die in § 8 Ziff. 1 b) des Sozietätsvertrages
ausdrücklich vereinbarte gesamtschuldnerische Haftung der Sozien schloss eine
Begrenzung der Nachhaftung aus. Insoweit handelt es sich nämlich nicht um die von der
Nachhaftungsbegrenzung des § 160 HGB erfasste akzessorische Haftung eines
Gesellschafters nach § 128 HGB für eine Gesellschaftsschuld (vgl. dazu
Staub/Habersack, HGB, 4. Aufl., § 160 Rn. 8), sondern um eine ausdrücklich
vereinbarte, eigenständige gesamtschuldnerische Haftung der Sozien. Die
Nachhaftungsbegrenzung der §§ 736 Abs. 2 BGB, 160 HGB ist disponibel (vgl.
Baumbach/Hopt, HGB, 31. Aufl., 2003, § 160 Rn. 8; MünchKommHGB/Karsten Schmidt,
2004, § 160 Rn. 16 m.w.N.). In der Vereinbarung der gesamtschuldnerischen Haftung ist
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eine Abbedingung des § 160 HGB zu sehen. Dafür spricht auch die bereits geschilderte,
sich aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme ergebende Entstehungsgeschichte der
Regelung.
7. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die Versorgungsansprüche des Klägers
und des Drittwiderbeklagten zu 1) nicht von der Erstellung einer
Auseinandersetzungsbilanz abhängig. Zwar verlieren Ansprüche zwischen der
Gesellschaft und einem Gesellschafter im Falle des Ausscheidens eines
Gesellschafters ihre rechtliche Selbständigkeit; im Falle des Ausscheidens eines
Gesellschafters ist eine Auseinandersetzungsbilanz zu erstellen, die auf Abrechnung
und Abfindung zwischen dem Ausscheidenden und den übrigen Gesellschaftern
gerichtet ist. In diese Abrechnung sind alle beiderseitigen Forderungen aus dem
Gesellschaftsverhältnis als Rechnungsposten einzustellen, während Einzelforderungen
grundsätzlich nicht mehr isoliert geltend gemacht werden können. Sinn und Zweck
dieser Rechtsprechung ist, dass der Gefahr von Hin- und Herzahlungen begegnet
werden soll (BGH NJW 1999, 3557). Diese Grundsätze finden aber im vorliegenden
Fall, in dem bereits ausgeschiedene Gesellschafter Versorgungsansprüche gegen
andere –ebenfalls bereits ausgeschiedene - Gesellschafter aufgrund des
Sozietätsvertrags geltend machen, keine Anwendung. Denn in ihrem Verhältnis ist
keine Auseinandersetzungsbilanz zu erstellen, sie stehen vielmehr seit ihrem
Ausscheiden außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses. Auch besteht in diesem
Verhältnis nicht die Gefahr von Hin- und Herzahlungen.
66
III.
67
Nach alledem war die von den Beklagten erhobene negative Feststellungsklage
gegenüber dem Drittwiderbeklagten zu 2) nicht begründet, weil sie auch ihm gegenüber
aufgrund der Regelung in § 8 Ziff. 1 b) des Sozietätsvertrages für den
Versorgungsanspruch haften. Die Beklagten haben die auch gegen den
Drittwiderbeklagten zu 1) erhobene negative Feststellungsklage für erledigt erklärt,
nachdem dieser seinerseits Leistungsklage erhoben hat. Da der Drittwiderbeklagte zu 1)
der Erledigungserklärung widersprochen hat, war darüber zu entscheiden, ob durch die
Erhebung der Wider-Drittwiderklage eine Erledigung eingetreten ist. Dies ist nicht der
Fall, weil die negative Feststellungsklage bereits zum Zeitpunkt ihrer Erhebung – wie
ausgeführt – nicht begründet war.
68
IV.
69
Die Zahlungsansprüche von Kläger und Drittwiderbeklagten zu 1) sind begründet. Die
Sozietät hat die Besoldungserhöhungen jedenfalls seit Beginn des Jahres 2004 nicht an
den Kläger und den Drittwiderbeklagten zu 1) ausgezahlt. Die Differenz zwischen dem
von der Sozietät monatlich gezahlten Betrag in Höhe von 3.579,04 EUR und der dem
Kläger und dem Drittwiderbeklagten zu 1) monatlich zustehenden Zahlung in Höhe von
3.800,- EUR in der Zeit von Januar bis März 2004, 3.950,- EUR in der Zeit von April bis
Juli 2004 und in Höhe von 4.000,- EUR seit dem 01.08.2004 können der Kläger und der
Drittwiderbeklagte zu 1) von den Beklagten ersetzt verlangen. Die sich dabei ergebende
Gesamtsumme beläuft sich für Kläger und Drittwiderbeklagten zu 1) auf jeweils 8.040,16
EUR.
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Soweit Kläger und Drittwiderbeklagter zu 1) die Ansprüche mit Rücksicht auf die
zwischenzeitlich erfolgten Zahlungen für erledigt erklärt haben, war, nachdem die
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Beklagten sich diesen Erledigungserklärungen nicht angeschlossen haben, auch
insoweit über den Eintritt der Erledigung zu entscheiden. Es war festzustellen, dass sich
die ursprünglich zulässige und begründete Klage erledigt hat, weil zwischenzeitlich
Zahlungen durch die Sozietät erfolgt sind.
V.
72
Der Beitritt der Streitverkündeten zu 4) war zuzulassen, weil diese ihr rechtliches
Interesse an dem Beitritt glaubhaft gemacht hat. Ein rechtliches Interesse im Sinne von
§§ 66 Abs. 1, 74 Abs. 1 ZPO besteht dann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits
mittelbar oder unmittelbar auf die privat- oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des
Streitverkündeten rechtlich günstig oder ungünstig einwirkt; der Begriff ist weit
auszulegen (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., 2005, § 66 ZPO Rn. 8). Bei dieser
weiten Auslegung des Begriffs ergibt sich ein rechtliches Interesse der
Streitverkündeten zu 4), weil nicht auszuschließen ist, dass sie einer Inanspruchnahme
durch die Sozietät im Wege des Innenausgleichs ausgesetzt ist. Zwar mag diese
Inanspruchnahme angesichts der mit der Sozietät geschlossenen Vereinbarung vom
04.09.2001 wenig erfolgversprechend sein. Dies ändert aber nichts daran, dass sie von
der Sozietät bereits in Anspruch genommen wurde, wie aus dem vorgelegten Schreiben
vom 19.02.2002 hervorgeht. Soweit der Kläger im Schriftsatz vom 22.06.2004 auch noch
die Zurückweisung des Beitritts des Streitverkündeten zu 5) beantragt hat und auf
diesen Antrag mit Schriftsatz vom 30.11.2005 auch noch einmal Bezug genommen hat,
war hierüber schon deshalb nicht zu entscheiden, weil der Streitverkündete zu 5) im
Schriftsatz vom 12.03.2004 (Bl. 813 ff. GA) seinen Beitritt nicht erklärt hat.
Dementsprechend hat der Kläger diesen Antrag in der mündlichen Verhandlung vom
01.07.2004 auch nicht gestellt.
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VI.
74
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 100 Abs. 4, 101, 709 S. 2
ZPO.
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Streitwert: bis zum 24.06.2003: 127.680,- EUR
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bis zum 06.11.2003: weitere 319.200,- EUR
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bis zum 28.10.2004: weitere 31.920,- EUR
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bis zum 22.09.2005: weitere 16.080,32 EUR
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