Urteil des LG Köln vom 04.03.2009

LG Köln: grobe fahrlässigkeit, fahrzeug, unfall, fahrbahn, geschwindigkeitsüberschreitung, höchstgeschwindigkeit, subjektiv, baum, vollstreckung, mensch

Landgericht Köln, 20 O 246/07
Datum:
04.03.2009
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
20. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 O 246/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit leistet in Höhe von 110 % des jeweils beigetriebenen
Betrages.
T a t b e s t a n d :
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Der 1921 geborene Kläger macht Ansprüche aus einer bei der Beklagten für seinen
PKW Mercedes mit dem amtlichen Kennzeichen ANONYM1 abgeschlossenen
Fahrzeugvollversicherung aufgrund eines Verkehrsunfalls geltend, der sich am
21.05.2006 gegen 19.00 Uhr auf der im wesentlichen gerade verlaufenden L-Straße im
Landkreis V ereignete und bei dem sein Fahrzeug totalbeschädigt wurde.
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Im Unfallzeitpunkt befuhr der Kläger die vorgenannte L-Straße aus Richtung X2
kommend in Fahrtrichtung X. An der Unfallstelle galt eine Geschwindigkeitsbegrenzung
auf 30 km/h, weil die Fahrbahn wegen Straßenausbesserungsarbeiten mit Rollsplitt
abgestreut war. Auf Höhe des Straßenkilometers 2,35 kam der Kläger ohne
Fremdeinwirkung nach rechts von der Straße ab, geriet in den neben der Fahrbahn
verlaufenden Straßengraben und prallte schließlich gegen einen Baum.
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Der Kläger behauptet, vor dem Unfall allenfalls 50 km/h gefahren zu sein. Mit seiner
Klage verlangt er den zwischen den Parteien seiner reinen Höhe nach unstreitigen
Fahrzeugschaden von 6.680,-- € nebst angeblich vorgerichtlich angefallener
Rechtsanwaltskosten.
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Der Kläger beantragt,
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1.)
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.680,-- € nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen;
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2.)
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 603,93 € zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behauptet eine Fahrgeschwindigkeit des Klägers vor dem Unfall von zumindest 60
km/h. Weil der Kläger trotz des auf der Fahrbahn befindlichen Rollsplitts die zulässige
Höchstgeschwindigkeit um 100 % überschritten habe, müsse sie leistungsfrei sein, denn
ein derartiges Fahrverhalten sei als grobe Fahrlässigkeit zu bewerten. Ohnehin
versäume der Kläger, die mit 350,-- € vereinbarte Selbstbeteiligung in Abzug zu bringen.
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Wegen der näheren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen
Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf die von ihnen
überreichten Unterlagen Bezug genommen. Das Gericht hat zum Unfallhergang Beweis
erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 04.01.2008 durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf
das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. N vom 22.09.2008
verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist nicht begründet.
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Der Kläger hat keinen Anspruch aus §§ 1, 49 VVG a.F., 12, 13 AKB als der allein in
Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, weil die Beklagte nach § 61 VVG a.F.
leistungsfrei ist.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass der
Kläger die im Bereich der Unfallstelle angesichts des auf der Fahrbahn befindlichen
Rollsplitts angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h um zumindest 100 %
überschritten hat.
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Der Sachverständige Dipl.-Ing. N hat in seinem Gutachten nämlich ausgeführt, dass
dem eigentlichen Unfallereignis eine Instabilitätsphase vorausgegangen sei, in der sich
das Fahrzeug nach einem Fahrfehler des Klägers durch Lenk- und
Gegenlenkbewegungen immer weiter aufgeschaukelt habe, bis es schließlich nach
einer über wenigstens 30 Meter messenden Schleuderstrecke nach einer Drehung um
180 ° mit dem Heck gegen einen Baum geprallt sei. Der Mercedes habe sich dann
erneut gedreht um schließlich wieder in der ursprünglichen Fahrtrichtung zum Stehen zu
kommen. Für den Beginn der Instabilitätsphase könne anhand der objektivierbaren
Beschädigungen eine Mindestgeschwindigkeit von 60 km/h sicher festgestellt werden.
Unterstellt, der Kläger hätte während seines Schleudervorgangs auch noch gebremst,
sei sogar noch von einer deutlich größeren Geschwindigkeitsüberschreitung bezogen
auf den Beginn des Unfallereignisses auszugehen.
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Die Kammer konnte die in jeder Hinsicht nachvollziehbaren und überzeugenden
Ausführungen des Gutachters ihrer Urteilsfindung bedenkenfrei zugrunde legen, zumal
ihr seine besondere Sachkunde aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt ist.
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Das damit bewiesene Fahrverhalten des Klägers wertet das Gericht als grob fahrlässig.
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Es verkennt hierbei nicht, dass die schlichte Tatsache einer – auch erheblichen –
Geschwindigkeitsüberschreitung nicht ohne weiteres als ein objektiv und subjektiv grob
fahrlässiges Verhalten anzusehen ist.
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Vorliegend kommt zu der Geschwindigkeitsüberschreitung um jedenfalls das Doppelte
der zulässigen Höchstgeschwindigkeit aber noch hinzu, dass die Fahrbahn mit Rollsplitt
abgestreut war. Jeder Kraftfahrer weiß, dass dies eine besondere Gefahrensituation
begründet, weil hierdurch die Bodenhaftung eines Fahrzeugs erheblich herabgesetzt ist.
Selbst wenn der Kläger den Rollsplitt auf der Straße nicht gesehen haben sollte, musste
er wegen der jedenfalls wahrnehmbaren Straßenausbesserungsarbeiten mit dem
Vorhandensein von Rollsplitt rechnen; überdies ist Rollsplitt ohne weiteres akustisch
wahrnehmbar.
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Indem der Kläger gleichwohl unmittelbar vor dem Unfall mit mindestens 60 km/h fuhr,
hat er die jedem Verkehrsteilnehmer einleuchtenden Sorgfaltspflichten in einem Maße
verletzt, das die Annahme eines geringeren Fahrlässigkeitsgrades nicht mehr
ermöglicht (vgl. etwa OLG Karlsruhe, RuS 1993, 130 in einem vergleichbaren Fall).
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Dieses objektiv grob fahrlässige Verhalten rechtfertigt auch in subjektiver Hinsicht den
Vorwurf grober Pflichtwidrigkeit.
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Selbst wenn sich die hierfür beweisbelastete Beklagte insoweit nicht auf die Regeln des
Anscheinsbeweises berufen kann, lässt regelmäßig der äußere Geschehensablauf und
das Ausmaß des objektiven Pflichtenverstoßes Rückschlüsse auf die subjektive Seite
der Verantwortlichkeit zu.
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Das gilt vorliegend, ohne dass es hierauf noch entscheidend ankommt, erst recht, weil
sich dem in Ablichtung zur Akte gelangten polizeilichen Vorgang entnehmen lässt, dass
der Kläger schon im Vorfeld des hiesigen Unfalls wiederholt anderweitige Unfälle
erlitten hat. So verzeichnet der Aktenvermerk des unfallaufnehmenden Beamten vom
23.05.2006 unter anderem:
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"Der Sohn des Verunfallten (...) flehte uns am Unfallort an, seinem Vater den
Führerschein wegzunehmen. Er gab an, dass er in letzter Zeit vermehrt mit
Beschädigungen an seinem Fahrzeug nach Hause kommt (...)
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Auch habe er schon von mehreren Anwohnern mitgeteilt bekommen, dass die
Fahrweise seines Vaters beängstigend wäre (...) Er (...) kommt des öfteren in den
Bereich des Gegenverkehrs. (...) Ein Bitten, den Führerschein freiwillig abzugeben,
schlägt fehl. Er überlegt schon, welches Fahrzeug er als Nächstes kauft. Herr I,
geboren am 11.11.1921, ist zu 100 % schwerbeschädigt (...)"
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Gerade die Tatsache, dass der Kläger offensichtlich vor dem Unfall bereits wiederholt in
gefährdende Situationen geraten ist, hätte ihn veranlassen müssen, seine Fahrweise
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kritisch zu hinterfragen und sie in besonderem Maße den örtlichen Gegebenheiten
anzupassen. Dass er dies nicht getan hat, begründet über den sich ohnehin aus dem
objektiven Verkehrsverstoß ergebenden allgemein zulässigen Rückschluss auf die
subjektive Seite der Pflichtwidrigkeit hinaus auch konkret den Vorwurf eines subjektiv
schweren Verschuldens.
Erst recht ist ein solches anzunehmen, weil der Kläger wissen musste, dass ein fast
85jähriger und zu 100 % schwerbehinderter Mensch sein Fahrzeug in
Gefahrensituationen zwangsläufig in geringerem Maße beherrscht als ein körperlich
nicht eingeschränkter Verkehrsteilnehmer. Auch auf bestehende körperliche
Beeinträchtigungen ist das Fahrverhalten einzustellen, auch diesem Umstand hat der
Kläger nicht Rechnung getragen.
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Soweit der Kläger in seinem Schriftsatz vom 29.08.2007 schließlich die Auffassung
vertreten hat, angesichts des Eigengewichts seines Fahrzeugs habe die überhöhte
Geschwindigkeit für die Unfallverursachung keine Rolle gespielt, unfallursächlich sei
allein eine falsche Lenkbewegung gewesen, nicht aber die überhöhte Geschwindigkeit,
verfängt das nicht.
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Der Kläger hat die fehlende Kausalität zwischen Unfall und
Geschwindigkeitsüberschreiung nicht bewiesen, was ihm indessen oblegen hätte (vgl.
Prölss/Martin, VVG 27. Auflage, § 61 Rdnr. 17). Denn in der Rechtsprechung ist
anerkannt, dass gerade das mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung verbundene
Gefahrenpotential kaum jemals folgenlos hinweggedacht werden kann (vgl. etwa OLG
Koblenz, VersR 2000, 720). Besondere Umstände, die ausnahmsweise eine
abweichende Beurteilung rechtfertigen können, liegen nicht vor. Im Gegenteil erachtet
die Kammer aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. N vorliegend die
Argumentation des Klägers sogar als widerlegt.
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Der Gutachter hat nämlich ausgeführt, dass sich auf gerader Strecke die aufgrund des
Rollsplitts bestehende Bodenhaftung zunächst nicht auswirke; erst bei einer Kurvenfahrt
könne es wegen des Rollsplitts bei höheren Geschwindigkeiten dazu kommen, dass ein
Fahrzeug trotz anderweitiger Lenkbewegung einfach "geradeaus weiterfahre".
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Ursächlich für die Unfallverursachung waren indessen den Feststellungen des
Sachverständigen zufolge gerade sich aufschaukelnde Lenk- und
Gegenlenkbewegungen. Dass solche unmittelbar vor dem Unfall stattgefunden haben,
zwingt zu der Schlussfolgerung, dass sich das klägerische Fahrzeug in dieser Phase
des Geschehens eben nicht mehr in einer Geradeaus-, sondern vielmehr in einer
Kurvenfahrt befunden hat. Der im wesentlichen gerade Streckenverlauf an der
Unfallstelle ändert daran nichts. Bei einer Kurvenfahrt erachtet der Sachverständige,
entgegen der Auffassung des Klägers selbst, das Vorliegen einer überhöhten
Geschwindigkeit auf Rollsplitt aber sehr wohl als relevant.
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Die Kammer folgt auch insoweit den überzeugenden Ausführungen des
Sachverständigen.
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Weil bereits die Hauptforderung nicht begründet ist, sind es auch nicht die
Nebenforderungen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
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Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Streitwert:
38
6.680,-- €
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