Urteil des LG Köln vom 30.11.2005

LG Köln: grauer star, schmerzensgeld, brille, linse, alter, diagnose, kunst, heilbehandlung, sicherheitsleistung, nachoperation

Landgericht Köln, 25 O 304/02
Datum:
30.11.2005
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
25. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
25 O 304/02
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 15.000,- nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
09.11.2001 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 4/10 und der Beklagte
zu 6/10.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages.
Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung des Beklagten wegen der
Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren
Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
T A T B E S T A N D:
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Der Kläger nimmt den beklagten Augenarzt wegen einer fehlerhaft durchgeführten
Heilbehandlung auf Schmerzensgeld in Anspruch.
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Der Kläger, geboren 11.12.1961, ein bei einem Notar als wissenschaftlicher Mitarbeiter
angestellter Jurist, begab sich am 22.10.1998 erstmals in die Behandlung des
Beklagten. Er war auf dem linken Auge stark weitsichtig und auf dem rechten Auge
leicht kurzsichtig. Am 11.11.1998 wurde dem Kläger in einer ersten ambulanten
Operation durch den Beklagten eine künstliche Linse im linken Auge eingesetzt. Am
16.11.1998 erfolgte eine Nachuntersuchung. Bei einer zweiten ambulanten Operation
wurde am 18.11.1998 die künstliche Linse ausgetauscht. Am 28.01.1999 erfolgte eine
dritte ambulante Operation wegen eines sog. Nachstars.
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Der Kläger wirft dem Beklagten vor, er habe ihn nicht ausreichend über die Folgen einer
Operation aufgeklärt, insbesondere nicht über den Verlust der Akkomodationsfähigkeit
und die daraus nach der Behandlung folgende Notwendigkeit einer Sehhilfe für den
Nahbereich. Der Beklagte habe überdies nicht deutlich gemacht, dass eine Operation
überhaupt nicht indiziert gewesen sei, sondern nur aus kosmetischen Gründen erfolge.
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Zu dem seien die Linsen bei der ersten und zweiten Operation nicht ordnungsgemäß
berechnet worden. Die zweite Operation habe nicht zu einer Besserung der Sehkraft
geführt. Er habe die Akkomodationsfähigkeit auf dem linken Auge verloren. Er sehe im
Ergebnis schlechter als vor der Behandlung durch den Beklagten. Er brauche nunmehr
Brillen jeweils für Fern- und Nahsicht, während er zuvor nur eine Fernbrille gebraucht
habe. Seine Augen ermüdeten schneller als zuvor.
Der Kläger beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an ihn DM 50.000,- (€ 25.564,59) nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
09.11.2001 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte tritt dem Vorliegen eines Behandlungsfehlers entgegen. Er behauptet, der
Kläger habe eine volle Korrektur gewünscht. Die Operation sei bei Vorliegen der
Diagnose: grauer Star medizinisch indiziert gewesen. Der Kläger sei über die möglichen
Folgen ausreichend aufgeklärt worden.
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Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß den Beweisbeschlüssen vom 16.10.2002, Bl.
62 ff. d.A., in der Fassung des Beschlusses vom 12.10.2005, sowie vom 12.10.2005. Für
das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Prof.
Dr. L, Universitätsklinik Frankfurt/Main, vom 12.03.2003, Bl. 83 ff. d.A., nebst
ergänzender Stellungsnahme vom 02.04.2004, Bl. 142 ff. d.A., sowie das Protokoll der
mündlichen Verhandlung vom 12.10.2005, Bl. 193 ff. d.A. Bezug genommen.
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Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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Die Klage ist nur im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch aus Schmerzensgeld aus §§ 823
Abs. 1, 847 BGB in Höhe von € 15.000,-. Denn die Behandlung des Beklagten ist
entgegen den Regeln der ärztlichen Kunst und ohne eine wirksame Einwilligung des
Klägers erfolgt und daher eine Körperverletzung.
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Die Beweisaufnahme hat eine Abweichung der Behandlung des Klägers durch den
Beklagten vom medizinischen Standard und eine unzureichende Risikoaufklärung
ergeben.
15
Der Sachverständige Prof. Dr. L kommt nach sorgfältiger Auswertung der Akte und
körperlicher Untersuchung des Klägers überzeugend und nachvollziehbar zu folgenden
Ergebnissen:
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Auf der Grundlage der Dokumentation des Klägers, der einen grauen Star als Diagnose
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niedergelegt hat, war die erste Operation grundsätzlich medizinisch indiziert. Jedenfalls
lässt sich ex post nicht mehr feststellen, dass die Linse des linken Auges nicht getrübt
war.
Nicht verständlich ist, warum nicht bei ersten Operation vom 11.11.1998 ein
emmetropes Ergebnis angestrebt wurde. Demnach wurde die Kunstlinse falsch
berechnet. Die zweite Operation vom 18.11.1998 war nicht indiziert, weil zunächst die
weitere Entwicklung der Fehlsichtigkeit hätte abgewartet werden müssen.
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Der - notwendig mit dem Einsetzen einer Kunststofflinse verbundene - Verlust der
Akkomodationsfähigkeit ist aufklärungspflichtig. Die schriftliche Aufklärung (vgl. Bl. 14,
21 ff. SH I) spricht den Verlust der Akkomodationsfähigkeit nicht klar an. Die
Formulierung "3-4 Wochen nach der Operation wird eine Übergangsbrille verschrieben.
Die endgültigen Brillengläser erhalten Sie ca. 3. Monate später." kann aus
medizinischer Sicht allenfalls als Andeutung des Problems verstanden werden.
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Die Kammer folgt dieser nachvollziehbaren Beurteilung des herausragend qualifizierten
Sachverständigen nach eigener Prüfung. Die vorgenommene Heilbehandlung vom
11.11.1998 und 18.11.1998 stellt sich damit als rechtswidrig dar, weil sie nicht
entsprechend den Regeln der augenärztlichen Kunst erfolgt ist. Zudem ist eine
Aufklärung vor dem ersten Eingriff nicht in ausreichender Weise erfolgt. Dem Kläger
wurde der wegen der weit reichenden Folgen aufklärungspflichtige Verlust der
Akkomodationsfähigkeit im vorliegenden Aufklärungsbogen nicht ausreichend erläutert.
Eine weitere mündliche Aufklärung hat der Beklagte nicht ausreichend dargelegt. Die
pauschale Behauptung, dass der Patient nach der Operation stets mit einer Brille
versorgt werden müsse, sei - wie stets - auch vorliegend mündlich erläutert worden,
enthält schon keine Angaben dazu, ob die Aufklärung vor der ersten Operation erfolgt
ist. Überdies wird durch die Notwendigkeit, eine Brille tragen zu müssen, der Verlust der
Akkomodationsfähigkeit nicht ausreichend erläutert.
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Bei der Bemessung des damit geschuldeten Schmerzensgeldes hat die Kammer
ausgehend von den glaubhaften Angaben des Klägers zu den Folgen in seiner
Parteivernehmung gemäß § 287 Abs. 1 S. 3 ZPO folgende Gesichtspunkte
berücksichtigt: Der Kläger musste sich einer nicht indizierten, ambulanten
Nachoperation am 18.11.1998 unterziehen. Zwar ist es im Ergebnis durch die
Augenoperationen beim Kläger insgesamt zu einer Verbesserung der Fehlsichtigkeit
gekommen. Operationsbedingt benötigt er nunmehr aber zwei Brillen, einen für den
Nahbereich und einen für den Fernbereich. Dem Beklagten kommt nicht zu gute, dass
der Kläger mit einer Gleitsichtbrille nicht zu recht kommt.
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Die Notwendigkeit einer Nahbrille ist Folge des Akkomodationsverlustes, über den der
Kläger nicht hinreichend aufgeklärt worden ist. Eine Besserung des subjektiven
Sehvermögens ist dadurch nach der glaubhaften, zurückhaltenden Schilderung des
Klägers nicht eingetreten. Vielmehr ist es nachvollziehbar, dass sich diese Folge gerade
im akademischen Beruf des Klägers, der insbesondere mit vielem Lesen und der Arbeit
an einem Bildschirmarbeitsplatz verbunden ist, besonders störend auswirkt. In diesem
Zusammenhang hat der Kläger glaubhaft von einer schnelleren Ermüdung und im
Einzelfall auftretenden Doppelbildern berichtet.
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Dagegen sind die weiteren Vorwürfe des Klägers, insbesondere es habe keine
medizinische, sondern nur eine kosmetische Indikation zur Implantation einer Kunstlinse
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bestanden, nicht erwiesen.
Andererseits war auch zu berücksichtigen, dass der Kläger eine Brille für den
Nahbereich mit Rücksicht auf sein fortgeschrittenes Lebensalter nach der
überzeugenden Darstellung des Sachverständigen auf kurze Sicht ohnehin gebraucht
hätte. Zudem stand der Kläger im Alter von 38 Jahren im Behandlungszeitraum kurz vor
dem Eintreten der Presbyopie, also dem im Alter von 40 bis 45 Jahren einsetzenden
allmählichen Verlust der Akkomodationsfähigkeit.
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Unter Berücksichtigung der vorstehenden Umstände hat die Kammer zum Ausgleich der
immateriellen Schäden des Klägers und zu seiner Genugtuung insgesamt ein
Schmerzensgeld als billige Geldentschädigung unter Berücksichtigung von
vergleichbaren Fällen, wie sie sich aus den Zusammenstellungen bei Jäger/Luckey und
Hacks/Ring ergeben, einen Betrag von insgesamt € 15.000,- als angemessen erachtet.
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Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 291 BGB; der Mahnbescheid ist dem Beklagten am
09.11.2001 zugestellt worden.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 108 Abs. 1, 708 Nr. 11, 709, 711
ZPO. Die Anwendung des § 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kommt vorliegend nicht in Betracht, da
das bezifferte Schmerzensgeld den zugesprochenen Betrag wesentlich übersteigt.
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Streitwert
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