Urteil des LG Köln vom 02.03.2004

LG Köln: rücktritt vom vertrag, kündigung, angemessene entschädigung, ersparnis, reiseveranstalter, antritt, datum, beendigung, reisender, offenlegung

Landgericht Köln, 11 S 279/03
Datum:
02.03.2004
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
11. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 S 279/03
Vorinstanz:
Amtsgericht Köln, 133 C 126/03
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 5. September 2003
verkündete Urteil des Amtsgerichts Köln - 133 C 126/03 - teilweise
abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden den Klägern auferlegt.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 313 a Abs. 1
Satz 1, 540 Abs. 2 ZPO).
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Soweit das
Amtsgericht der Klage stattgegeben hat, ist das Urteil abzuändern. Die Klage ist nicht
begründet.
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Die Kläger können aufgrund der Kündigung des Vertrages, der einen
Gastschulaufenthalt ihrer Tochter in den USA zum Gegenstand hatte, von dem
Beklagten keine weitergehende als die vorprozessual erfolgte Erstattung eines Teils
des Reisepreises fordern. Die Kammer vermag nicht der Auffassung des Amtsgerichts
zu folgen, in Höhe von 40% des gezahlten Reisepreises von 6.120,00 € sei ein
Rückzahlungsanspruch gegen den Beklagten unter dem Gesichtspunkt der
ungerechtfertigten Bereicherung in Verbindung mit Ziff. 8 der vereinbarten
Teilnahmebedingungen entstanden. Ein solcher Anspruch lässt sich weder auf die
gesetzlichen Vorschriften über den Gastschulaufenthaltsvertrag als Sonderform des
Reisevertrages stützen noch auf eine, wie das Amtsgericht offenbar meint, zugunsten
des Reisenden hiervon abweichende oder wenigstens unklare Regelung in den
Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Beklagten.
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Für den Vertrag gelten, da er nach dem 1. September 2001 geschlossen wurde, gemäß
Art. 229 § 4 Abs. 1 EGBGB die durch Gesetz vom 23. Juli 2001 in das
Reisevertragsrecht eingefügten Vorschriften des § 651 l BGB. Nach § 651 l Abs. 4 Satz
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1 BGB konnten die Kläger den Vertrag bis zur Beendigung der Reise jederzeit
kündigen. Eine solche Kündigung und nicht etwa ein gemäß § 651 i BGB nur vor
Reisebeginn jederzeit möglicher Rücktritt des Reisenden vom Vertrag war mit dem aus
persönlichen Gründen erfolgten Abbruch des bereits begonnenen Auslandsaufenthalts
der Tochter der Kläger verbunden.
Das Gesetz unterscheidet scharf zwischen Kündigung nach Antritt der Reise, die bei
normalen Reiseverträgen nicht uneingeschränkt, sondern nur nach Maßgabe der §§ 651
e und 651 j BGB möglich ist, und dem bei allen Reiseverträgen vor Reisebeginn gemäß
§ 651 i Abs. 1 BGB jederzeit möglichen Rücktritt des Reisenden vom Vertrag. Bei einem
solchen Rücktritt verliert der Reiseveranstalter gemäß § 651 i Abs. 2 BGB den Anspruch
auf den vereinbarten Reisepreis. Er kann nur noch - falls nicht etwa bei einem
vorgesehenen Gastschulaufenthalt der Tatbestand des § 651 l Abs. 3 BGB erfüllt ist,
was hier nicht zutrifft - eine angemessene Entschädigung verlangen. Die Höhe der
Entschädigung bestimmt sich nach dem Reisepreis unter Abzug des Wertes der vom
Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie dessen, was er durch anderweitige
Verwendung der Reiseleistungen erwerben kann.
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Im Vertrag kann gemäß § 651 i Abs. 3 BGB für jede Reiseart unter Berücksichtigung der
gewöhnlich ersparten Aufwendungen und des durch anderweitige Verwendung der
Reiseleistungen gewöhnlich möglichen Erwerbs ein Vomhundertsatz des Reisepreises
als Entschädigung festgesetzt werden. Die Teilnahmebedingungen, auf deren
Grundlage der vorliegende Vertrag geschlossen worden ist, enthalten in Ziff. 8 Abs. 2
nichts anderes als eine solche nach dem Gesetz mögliche Pauschalierung der
Entschädigung für den Fall des Rücktritts vom Vertrag vor Reisebeginn.
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Für die hier erfolgte Kündigung des Vertrages nach Reisebeginn gelten die Vorschriften
des § 651 i Abs. 2 und 3 BGB und die in Ziff. 8 Abs. 2 der Teilnahmebedingungen
getroffene Regelung nicht. Der Beklagte als Reiseveranstalter blieb gemäß § 651 l Abs.
4 Satz 2 BGB berechtigt, den vereinbarten Reisepreis abzüglich der ersparten
Aufwendungen zu verlangen. Seine Verpflichtung, gemäß § 651 l Abs. 4 Satz 3 BGB die
infolge der Kündigung notwendigen Maßnahmen zu treffen und insbesondere die
Gastschülerin zurückzubefördern, hat er unstreitig erfüllt. Es liegt auch kein Fall einer
nach § 651 e BGB oder § 651 j BGB gerechtfertigten Kündigung des Reisenden vor, für
deren Folgen nach § 651 l Abs. 4 Satz 5 BGB die vorstehenden Sätze nicht gelten
würden.
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Allein auf die Angabe des Datums des 8. August 2002 in Ziff. 8 Abs. 2 der
Teilnahmebedingungen und den Umstand, dass der Programmbeginn, nämlich die
Reise in die USA, hier zeitlich vor dem 8. August 2002 lag, lässt sich nicht die
Auffassung stützen, die nach dem 8. August 2002 und nach Programmbeginn erfolgte
Vertragskündigung sei nicht anderes zu behandeln als der gemäß Ziff. 8 Abs. 1 der
Teilnahmebedingungen nur vor Programmbeginn ohne Angabe von Gründen mögliche
Rücktritt, der Reisende schulde also statt des Reisepreises nur eine mit 60 % dieses
Preises pauschalierte Entschädigung. Es trifft nicht zu, dass die Teilnahmebedingungen
wegen der Angabe des im konkreten Fall nach dem Programmbeginn liegenden
Datums des 8. August 2002 eine Unklarheit enthalten, die sich nach der auf den
vorliegenden Vertrag noch anwendbaren Vorschrift des § 5 AGB-Gesetz bzw. jetzt § 305
c Abs. 2 BGB zum Nachteil des Verwenders, also des Beklagten, auswirken könnte.
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Die Beklagte hat eine plausible Erklärung dafür gegeben, dass als zeitliche Grenze, von
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der ab bei einem vor Programmbeginn erfolgenden Rücktritt die Entschädigung
grundsätzlich in Höhe von 60 % des Programmpreises geschuldet wird, dieses Datum
angegeben ist. Der mit der Anreise verbundene Programmbeginn liegt, wenn das
Schuljahr in den USA Anfang September beginnt, wie dies auch für den Schulbesuch
der Tochter der Kläger gegolten hätte, oft oder sogar in den meisten Fällen nach dem 8.
August 2002. Liegt er früher, so ist die bei der Bemessung der Pauschale angegebene
Zeitgrenze des 8. August 2002 für den Reisenden, der vor dem Programmbeginn vom
Vertrag zurücktritt, von Vorteil, weil die Pauschale dann weniger als 60% des
Reisepreises beträgt. Letzteres mag, worauf es hier aber nicht entscheidend ankommt,
damit zusammenhängen, dass bei einem so großen zeitlichen Abstand zum Beginn des
Schuljahres die im Inland und im Gastland vor Programmbeginn entstandenen
Aufwendungen niedriger kalkuliert werden können.
Ein verständiger Leser der unter der Überschrift "Rücktritt vom Vertrag" stehenden
Bestimmungen kann sich aber nicht im Unklaren darüber sein, dass die auf Abs. 1
folgenden Bestimmungen im Abs. 2 und 3 sich auf den nach Maßgabe des Abs. 1, also
nur vor Programmbeginn, möglichen Rücktritt und die für diesen Fall vorgesehene
Entschädigung beziehen. Der Programmbeginn oder, wie es im BGB heißt,
Reisebeginn ist die entscheidende Zäsur. Das ist objektiv ohne weiteres erkennbar.
Man kann vernünftigerweise nicht annehmen, dass die mit dem Antritt der Reise
verbundene Inanspruchnahme von Leistungen des Veranstalters trotz des eindeutigen
und an der gesetzlichen Regelung des § 651 i Abs. 1 BGB orientierten Wortlauts von
Ziff. 8 Abs. 1 keine Rolle für die Beantwortung der Frage spielt, ob der Veranstalter sich
einen mit dem grundsätzlichen Verlust des Vergütungsanspruchs verbundenen Rücktritt
vom Vertrag oder nur eine in Ziff. 8 der Teilnahmebedingungen nicht geregelte
Kündigung gefallen lassen muss.
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Bei der vom Amtsgericht vertretenen Auslegung könnte eine Kündigung, die wie ein
Rücktritt im Sinne von Ziff. 8 der Teilnahmebedingungen zu behandeln wäre, bei der der
Beklagte also grundsätzlich nicht den Anspruch auf den Reisepreis, sondern nur den
Anspruch auf eine pauschalierte Entschädigung behalten würde, theoretisch noch
erheblich später als im vorliegenden Fall und eventuell sogar erst kurz vor der
vertraglich vorgesehenen Beendigung des Gastschulaufenthaltes erfolgen. Die
Vorschrift des § 651 l Abs. 4 Satz 2 BGB wäre damit vertraglich zugunsten des
Reisenden außer Kraft gesetzt. In diesem Sinne waren die Teilnahmebedingungen mit
Sicherheit nicht zu verstehen.
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Es spricht übrigens auch nichts dafür, dass die Kläger sie im konkreten Fall so
verstanden und den Vertrag im Vertrauen darauf geschlossen haben. Bei
Geltendmachung des streitgegenständlichen Erstattungsanspruchs haben sie sich
zunächst weder dem Grunde noch der Höhe nach an Ziff. 8 Abs. 2 der
Teilnahmebedingungen orientiert. Sie haben sich vielmehr in der Klagebegründung auf
die bei Kündigung eines Werkvertrags geltende Vorschrift des § 649 BGB berufen.
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Für die Kündigung eines Vertrages über einen Gastschulaufenthalt enthält § 651 l Abs.
4 BGB in Satz 1 und Satz 2 eine vom allgemeinen Reisevertragsrecht abweichende
Regelung, die sich weitgehend an § 649 BGB anlehnt (vgl. Palandt-Sprau, 63. Aufl.
2004, Rn. 7 zu § 651 l BGB). Der Veranstalter behält den Anspruch auf den Reisepreis
abzüglich einer etwa anzurechnenden Ersparnis. Die Möglichkeit eines
anzurechnenden anderweitigen Erwerbs des Veranstalters infolge der Kündigung des
Vertrages nach Reisebeginn liegt allerdings angesichts der langfristigen
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organisatorischen Vorbereitung, die ein Gastschulaufenthalt erfordert, so fern, dass sie –
anders als nach dem Wortlaut des § 649 BGB - nicht berücksichtigt wird.
Insoweit besteht auch ein Unterschied zu der in § 651 i Abs. 2 Satz 3 BGB getroffenen
Regelung über die Höhe der Entschädigung bei einem Rücktritt vor Reisebeginn: dort
geht das Gesetz von der zumindest theoretischen Möglichkeit eines die Höhe der
Entschädigung beeinflussenden Erwerbs des Reiseveranstalters durch anderweitige
Verwendung der Reiseleistungen aus.
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Vorliegend bleibt es dabei, dass nur die Ersparnis anzurechnen ist. Die Kläger können
nicht mit Erfolg geltend machen, der Beklagte habe ihre Höhe nicht so substantiiert
dargelegt, wie dies nach § 651 l Abs. 4 Satz 2 BGB und der vergleichbaren Vorschrift
des § 649 Satz 2 BGB erforderlich sei.
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Dass diese Ersparnis bei weitem nicht in Höhe von 40% des Reisepreises
angenommen werden kann, zeigt folgende Überlegung:
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Bei einem nach dem 8. August, jedoch vor Reisebeginn erfolgten Rücktritt gemäß § 651
i Abs. 1 BGB bzw. Ziff. 8 Abs. 1 der Teilnahmebedingungen hätte dem Beklagten eine
unter Berücksichtigung gewöhnlich ersparter Aufwendungen und eines durch etwaige
anderweitige Verwendung der Reiseleistungen gewöhnlich möglichen Erwerbs eine
pauschal auf 60% des Reisepreises festgesetzte Entschädigung zugestanden. Durch
den Antritt der Reise und die erforderliche Rückbeförderung erhöhten sich jedoch die
Aufwendungen des Veranstalters und verringerte sich entsprechend die aus dem
vorzeitigen Abbruch des Aufenthalts resultierende Ersparnis erheblich. Insoweit wären
zunächst die Flugkosten von 900,00 € einer bei Rücktritt nach dem 8. August, aber vor
Reisebeginn geschuldeten Entschädigung hinzuzurechnen. Bereits daraus ergibt sich
nach Auffassung der Kammer, dass allenfalls hinsichtlich der Differenz zwischen dem
vom Amtsgericht zuerkannten Erstattungsbetrag und den Flugkosten, also hinsichtlich
eines Betrages von 1.287,90 € - 900,00 € = 387,50 €, noch darum gestritten werden
könnte, ob die anzurechnende Ersparnis über die von dem Beklagten berücksichtigten
Beträge von 1.160,10 € hinausgeht.
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Dass mit dem begonnenen Aufenthalt der Tochter der Kläger in den USA
Aufwendungen des Beklagten auch über die Flugkosten hinaus verbunden waren, die
nicht durch den vorzeitigen Abbruch erspart worden sind, liegt jedoch auf der Hand. Der
Vortrag des Beklagten, dass sich insoweit keine größere Ersparnis ergeben hat als
diejenige, die in Höhe von insgesamt 1.160,10 € durch Erstattung von Teilen der
Versicherungskosten und der bei der Partnerorganisation in den USA angefallenen
Kosten eingetreten ist, hat nach Auffassung der Kammer genügend Substanz und reicht
aus, um auch hinsichtlich des oben genannten Spitzenbetrages von 387,50 € die
Unbegründetheit der Klage festzustellen. Er wird durch das Klagevorbringen nicht
widerlegt. Es besteht kein Anlass, dem Beklagten eine weitergehende Offenlegung
seiner Kalkulation aufzugeben.
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Von ersparten Personalkosten etwa durch verringerten Betreuungsaufwand am Ort oder
durch Nichtteilnahme der Kläger und ihrer Tochter an einem Nachbereitungsseminar
kann nicht ausgegangen werden. Zum einen sind die Personalkosten feste Kosten, die
der Beklagte vorhalten muss und bei denen man sich schlecht vorstellen kann, dass sie
sich nennenswert verringern, wenn ein Reisender bzw. Gastschüler
Betreuungsleistungen vor Ort oder Leistungen im Rahmen der Nachbereitung nicht oder
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nur teilweise in Anspruch nimmt. Zum anderen trägt der Beklagte unwiderlegt vor, dass
Betreuungsleistungen bis zur vorzeitigen Rückreise aus konkretem Anlass in durchaus
erheblichem Umfang angefallen sind.
Die Klage war nach allem unter Abänderung des angefochtenen Urteils als unbegründet
abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Zur Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
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Berufungsstreitwert: 1.287,90 €
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