Urteil des LG Köln vom 18.12.2003
LG Köln: eintritt des versicherungsfalls, avb, einstellung der zahlungen, sitz im ausland, firma, datum, ware, versicherungsvertrag, fax, zahlungseinstellung
Landgericht Köln, 24 O 425/02
Datum:
18.12.2003
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
24. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
24 O 425/02
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrags.
TATBESTAND:
1
Zwischen den Parteien besteht seit 1980 ein Ausfuhrkreditversicherungsvertrag
(Versicherungsschein GA Bl. 17 ff.), der Zahlungsausfälle im Zusammenhang mit
Warenlieferungen an Kunden mit Sitz im Ausland, u.a. Australien, abdeckt und dem die
Allgemeinen Bedingungen für die Ausfuhrkreditversicherung (GKS AVB AKV 88.2, im
folgenden die "AVB", GA Bl. 38 ff.) zugrunde liegen.
2
Der Versicherungsvertrag war zunächst bis zum 30.06.2000 befristet, wurde jedoch von
den Parteien i.E. bis Ende 2001 verlängert. Im Jahre 2001 betrug die
Höchstversicherungssumme 1 Mio. DM; weiter war eine Selbstbeteiligung von 20 %
sowie eine Entschädigungsfranchise je Schadensfall in Höhe von 1.000,- DM
vereinbart.
3
Die australische Kundin der Klägerin E war seit dem 01.03.1989 von der vorgenannten
Ausfuhrkreditversicherung erfasst (vgl. Schreiben der Beklagten vom 14.04.1989, GA Bl.
45).
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Als bedingungsgemäßes äußerstes Kreditziel für die Kundin bei einer Meldegrenze von
5.000,- DM (vgl. insoweit Nachtrag zum Versicherungsvertrag GA Bl. 19) war ein
Zahlungszeitraum von 6 Monaten vereinbart. Der Pflicht nach § 7 Abs. 2 AVB, eine
Überschreitung des äußersten Kreditziels der Beklagten mitzuteilen, kam die Klägerin
für diese Kundin in mindestens 6 Fällen nicht nach (zu Einzelheiten vgl. GA Bl. 88
oben).
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Am 17.01.2001 wurde das äußerste Kreditziel für die Kundin überschritten.
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Im April 2001 wurde die E zahlungsunfähig, wovon die Klägerin nach eigener
7
Behauptung erstmals am 09.04.2001 erfuhr; Zahlungsschwierigkeiten der Kundin seien
vorher nicht absehbar gewesen. Am 10.04.2001 teilte sie die Insolvenz der Beklagten
mit (vgl. Schreiben vom 10.04.2001, GA Bl. 46, bei der Beklagten eingegangen am
12.04.2001).
Am 23.04.2001 teilte die Klägerin einem Mitarbeiter der Beklagten Außenstände in
Höhe von 1.790.728,02 DM telefonisch mit; teilweise befinde sich Ware allerdings noch
auf dem Lieferweg im Zoll, diese könne man zurückholen (die Klägerin behauptet,
mitgeteilt zu haben, die Ware könne an eine weitere ihrer Kundinnen, die Firma U2,
umgeleitet werden, die die Ware dann auch bezahlen könne; der telefonisch genannte
Ausfallbetrag werde sich deshalb voraussichtlich noch mindern).
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Mit Datum vom 23.04.2001 übersandte die Klägerin der Beklagten sodann eine Offene-
Posten-Liste (vgl. GA Bl. 93), die offene Ausgangsrechnungen mit Datum ab dem
05.06.2000 bzw. endend mit dem 22.11.2000 sowie ein Volumen offener Forderungen
in Höhe von 1.262.094,40 DM auswies; unter dem 17.07.2000 waren zwei bisher nicht
beglichene Rechnungen oberhalb der Meldegrenze vereinbart.
9
Im Mai 2001 meldete die Klägerin durch eine australische Kanzlei ihre offenen
Forderungen zur Tabelle an. Der "Administrator's Report to Creditors" vom 03.05.2001
(GA Bl. 139 ff.) sprach von offenen Forderungen der Klägerin gegenüber der
Insolvenzschuldnerin in Höhe von 1.520.639,- Dollar. (Die Beklagte erhielt den Bericht
am 13.08.2001 über die Maklerfirma der Klägerin.)
10
Nach Übersendung der OP-Liste meldete die Klägerin der Beklagten am 08.05.2001
nach schriftlicher Aufforderung durch diese vom 27.04.2001 (vgl. Schreiben GA Bl. 95)
durch Übersendung von Rechnungskopien und Kontoauszügen die noch
offenstehenden Forderungen zunächst in Höhe von 1.262.094,40 DM. Hierbei übersah
sie, dass zwei Rechnungsposten hätten in Abzug gebracht werden müssen, da die
zunächst in Rechnung gestellten Waren Mängel hatten und deshalb Beträge von
54.510,47 DM und 18.055,88 DM der Kundin zum Monatsende noch gutzuschreiben
waren.
11
Der Meldung war zudem eine weitere OP-Liste (Bl. 129) beigefügt, die weitere acht
zusätzlichen Positionen mit einem Volumen von insgesamt 528.633,62 DM enthielt,
sämtliche mit Datum nach Überschreitung des äußersten Kreditziels am 17.01.2001, die
zu dem Betrag von 1.262.094,40 DM hinzuaddiert den am 23.04.2001 telefonisch
mitgeteilten Gesamtbetrag ergaben, jedoch von der Liste gestrichen worden waren.
12
Nach Auswertung der Gesamtunterlagen teilte die Beklagte mit Schreiben vom
13.09.2001 mit, dass sie sich auf Leistungsfreiheit nach § 14 Nr. 1 AVB berufe, da die
Überschreitung des äußersten Kreditziels am 17.01.2001 nicht mitgeteilt worden sei (die
am 23.04.2001 übersandte Liste enthielt zwei auf den 17.07.2000 datierende
Rechnungen, die innerhalb der Sechsmonatsfrist seitens der insolventen Kundin nicht
beglichen worden waren). Mit der Bitte des Maklerbüros der Klägerin, nachdem die
divergierenden Angaben mit organisatorischen Problemen erklärt wurden, auf
Kulanzbasis den Ausfall zur Hälfte zu tragen, erklärte sie sich jedoch einverstanden.
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Am 23.10.2001 übersandte die Beklagte der Klägerin sodann eine vorläufige
Kulanzschadensabrechnung (vgl. GA Bl. 48), in der sie anbot, die Hälfte des Ausfalls bis
zum versicherten Höchstbetrag von 1 Mio. zu tragen, wenn der
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Kreditversicherungsvertrag zu den bestehenden Bedingungen um zwei Jahre verlängert
werde und die Klägerin einen aktuellen Kontoauszug für den Kunden vorlege (keine
OP-Liste). In Anlehnung an § 11 Nr. 1 der AVB erfolge die Abrechnung zunächst auf
einer Basis von 50 % des mutmaßlichen versicherten Ausfalls.
Die Schadensabrechnung ging dabei von den zuvor mitgeteilten offenen Forderungen
in Höhe von 1.262.094,40 DM aus; die Beklagte stellte eine Kulanzzahlung in Höhe von
199.500,- DM bzw. 102.002,73 EUR in Aussicht.
15
Die beigefügte "Erklärung zur Schadensabrechnung" (Bl. 147 d.A.) sandte die Klägerin
mit auf den 20.11.2001 datierender Unterschrift zurück.
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Die Klägerin behauptet, mit auf den 19.11.2001 datiertem Einschreiben vom 03.12.2001
(GA Bl. 50) habe sie der Beklagten mitgeteilt, das Kulanzangebot annehmen zu wollen;
dem Schreiben habe sie neben einer Übersicht zum besseren Verständnis desselben
(Anlage K7) auch einen aktuellen Kontoauszug beigefügt, auf dem erstmals die zwei
o.g. Gutschriften aufgeführt gewesen seien. Es sei widersinnig anzunehmen, daß sie
lediglich die Erklärung zur Schadenabrechnung ohne Anschreiben zurückgesandt habe.
Aus dem Text des Anschreibens ergebe sich zudem, daß ein aktueller Kontoauszug in
der Anlage beigefügt gewesen sei.
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Unter dem 07.11./16.11.2001 war zuvor der Ausfuhrkreditversicherungsvertrag um zwei
weitere Jahre verlängert worden.
18
Am 21.12.2001 ließ die Beklagte durch das Maklerbüro S mitteilen (vgl. deren
Kurzmitteilung an das Maklerbüro GA Bl. 56), dass eine Auszahlung der Kulanzsumme
erfolgen werde; dies unterblieb jedoch in der Folgezeit. Stattdessen teilte die Beklagte
erstmals per Fax vom 15.02.2002 (GA Bl. 57) mit, den Kontoauszug, den die Klägerin
ihrem Schreiben vom 03.12.2001 beigefügt haben will, nicht erhalten zu haben. Die
Klägerin übersandte daraufhin über ihre Muttergesellschaft, die M AG, erneut der
Beklagten mehrere Unterlagen per Fax, darunter erstmals einen vierseitigen
Kontoauszug des buchhalterischen Kundenkontos der insolventen Kundin (GA Bl. 159
ff.). Diesem Auszug war ein Soll in Höhe von 2.176.706,45 DM zu Ende 2001 zu
entnehmen. Im Jahre 2001 erfolgten jedoch erhebliche Zahlungseingänge, die den
Saldo drastisch reduzierten (zu Einzelheiten vgl. GA Bl. 85). Auch nach Insolvenzeintritt
wies das Konto erhebliche Zahlungseingänge aus.
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Die Beklagte sah sich darauf hin nicht mehr an die Kulanzzusage gebunden, da ihr
ausweislich des nunmehr übersandten Kontoauszugs Transaktionen bis zum Datum der
Zahlungseinstellung (05.04.2001) bewußt vorenthalten worden seien, und lehnte mit
Schreiben vom 01.03.2001 ihre Einstandspflicht ab.
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Mit Schreiben vom 25.04.2002, GA Bl. 59 ff., forderte die Klägerin die Beklagte deshalb
unter Setzung einer Frist von 2 Wochen erfolglos auf zu bestätigen, dass sie ihre
Verpflichtung aus der Kulanzzusage erfüllen werde.
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Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 10.05.2002, GA Bl. 62/63, unter Berufung auf die
Obliegenheitsverletzung der Klägerin nach § 7 Abs. 2 AVB ihre Einstandspflicht ab.
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Auf eine weitere Aufforderung vom 10.06.2002 seitens der Klägerin (vgl. GA Bl. 64 ff.),
die entsprechende Bestätigungserklärung abzugeben, teilte die Beklagte mit Schreiben
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vom 05.07.2002 mit, dass sie endgültig nicht leisten werde, und erklärte gleichzeitig
nach § 123 BGB die Anfechtung der Schadensabrechnung vom 23.10.2001.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte sei sowohl aus dem Versicherungsvertrag als
auch aus der Kulanzzusage einstandspflichtig.
24
Die Nichtanzeige der Überschreitung des äußersten Kreditziels sei nicht kausal für den
Eintritt des Versicherungsfalls gewesen, da die Beklagte die Klägerin nicht daran hätte
hindern können, auch nach diesem Zeitpunkt noch Geschäfte mit der Kundin zu tätigen.
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Leistungsfreiheit nach § 8 der AVB bestehe nicht, da sie keinesfalls Anzeichen
sinkender Kreditwürdigkeit der Beklagten nicht rechtzeitig mitgeteilt habe, sondern
vielmehr bis Mitte des Jahres 2000 die Kundin sämtliche Forderungen erfüllt habe. Nach
Juni 2000 datierende Rechnungen seien bis zum Eintritt der Insolvenz zumindest
teilweise noch erfüllt worden.
26
Die Beklagte sei auch aus der Kulanzzusage einstandspflichtig.
27
Die verspätete Anzeige der Gutschriften sei nicht kausal für die Feststellung des
Umfangs der Leistungspflicht der Beklagten gewesen, da auch nach deren Abzug die
Höchstversicherungssumme noch überschritten gewesen sei, die Beklagte jedoch
ohnehin lediglich eine Zahlung von 50 % des mutmaßlichen versicherten Ausfalls bis
zur Höchstversicherungssumme von 1 Mio. kulanzhalber zugesagt habe. Auch für die
Herbeiführung des Versicherungsfalls sei die verspätete Meldung nicht kausal
gewesen.
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Die Kulanzzusage, bei der es sich um ein abstraktes Schuldanerkenntnis im Sinne von
§ 780 BGB handele, sei auch nicht von der Zusendung eines aktuellen Kontoauszugs
abhängig gewesen. Die Abrechnung sei lediglich wegen der noch nicht genau
feststehenden Insolvenzquote vorläufig gewesen. Daß ein Ausfall entstünde, der die
Höchstversicherungssumme übersteige, habe festgestanden; insofern habe sich der
kulanzweise zugesagte Betrag auch nicht mehr durch spätere Korrekturen der noch
offenen Posten der Kundin verändern können.
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Die Kulanzzusage könne nicht wegen arglistiger Täuschung angefochten werden, da
die nicht gemeldeten Zahlungseingänge sämtlich nach Überschreitung des äußersten
Kreditziels eingegangen seien; dann hätte jedoch keine Meldepflicht mehr bestanden.
Zudem hätte eine Verrechnung auf die jeweils ältesten Forderungen nach § 2 Ziff. 3 der
AVB lediglich zu einer zeitlichen Verschiebung des Schadens geführt.
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Nach der Überschreitung des äußersten Kreditziels am 17.01.2001 erfolgte
Zahlungseingänge seien überwiegend durch die Firma U2 erfolgt, so daß diese nicht
den bedingungsgemäßen Anrechnungsbestimmungen unterlegen hätten. Seitens E
erfolgte Zahlungen verminderten zudem allenfalls den versicherten Ausfall, führten
jedoch nicht dazu, daß die Beklagte an die erteilte Kulanzzusage nunmehr nicht mehr
gebunden sei.
31
Der Feststellungsantrag sei zulässig, da die Höhe des Zahlungsantrags auf einer
Schadensschätzung der Beklagten beruhe, die davon ausgehe, dass die Klägerin eine
Insolvenzquote von 50 % erreichen könne, was jedoch nicht zwingend der Fall sein
müsse.
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Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 102.002,73 EUR nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz seit dem 30.10.2002 zu zahlen;
2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, an sie einen über den Betrag von
102.002,73 EUR hinausgehenden, nach Maßgabe der Allgemeinen Bedingungen
für die Ausfuhrkreditversicherung der Beklagten (GKS AVB AKV 88.2) sowie des
zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossenen
Ausfuhrkreditversicherungsvertrags in seiner im November 2001 geltenden
Fassung zu berechnenden Betrag für den Fall zu zahlen, daß die im Rahmen des
über das Vermögen der E eröffneten Insolvenzverfahrens zugunsten der Klägerin
erzielte Insolvenzquote niedriger als 50 % ausfällt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, nicht aus dem Versicherungsvertrag einstandspflichtig zu
sein.
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Zunächst bestünde schon kein Versicherungsschutz. Die erheblichen
Zahlungseingänge vom Zeitpunkt der Überschreitung des äußersten Kreditziels an, d.h.
mit Ablauf des 16.01.2001, bis zum Zeitpunkt der Einstellung der Zahlungen durch die
klägerische Kundin am 05.04.2001 seien nach § 2 der AVB auf die ältesten
bestehenden Forderungen anzurechnen gewesen. Da annähernd Zahlungseingänge in
Höhe des versicherten Limits erfolgt seien, sei bei der Klägerin jedoch schon kein
versicherter Ausfall eingetreten.
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Sie beruft sich zudem auf Leistungsfreiheit nach § 7 Abs. 2 der AVB, da die Klägerin
verschiedentlich die Überschreitung des äußersten Kreditziels durch ihre Kundin nicht
angezeigt habe. Tatsächlich müsse die Überschreitung des äußersten Kreditziels
bereits deutlich früher als am 17.01.2001 eingetreten sein, da sich anders als durch die
Nichtberücksichtigung älterer offener Rechnungen nicht die fast 50%-ige Diskrepanz
zwischen der am 23.04.2001 überlassenen Aufstellung und dem erstmals am
15.02.2002 übersandten Kontoauszug erklären lasse.
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Auch nach § 8 der AVB sei sie leistungsfrei, da die Klägerin ihren in dieser Vorschrift
normieren Anzeige- und Verhaltenspflichten in eklatantem Maße nicht nachgekommen
sei.
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Die Obliegenheitsverletzungen seien auch relevant, da seit dem 17.01.2001 aufgrund
des Verhaltens der Klägerin zweieinhalb Monate ungenutzt verstrichen sind, in denen
noch erfolgreich Außenstände hätten beigetrieben werden können; die Kundin habe erst
zum 05.04.2001 auf Anraten ihrer Hausbank die Zahlungen eingestellt.
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Darüber hinaus müsse sie auch nicht aus der Kulanzzusage leisten, da die Klägerin
keinen aktuellen Kontoauszug für die insolvente Kundin übersandt habe. Die
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Kulanzzusage habe jedoch unter dem Vorbehalt gestanden, daß sich der noch zu
übersendende Kontoauszug mit der Offene-Posten-Liste decke. Dies sei jedoch in
erheblichem Maße nicht der Fall gewesen. Deshalb fehle der Kulanzzusage auch die
Geschäftsgrundlage, so daß sie sich jedenfalls nachträglich von dieser lösen können
müsse.
Die Diskrepanzen ließen sich auch nur dadurch erklären, daß die Klägerin die Beklagte
über die tatsächliche Entwicklung des Kundenkontos habe täuschen wollen; sie habe
die Kulanzzusage deshalb wegen arglistiger Täuschung wirksam angefochten.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien und
ihre zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
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Die zulässige Klage ist unbegründet; der Klägerin steht gegen die Beklagte weder ein
Anspruch aus dem mit dieser abgeschlossenen Ausfuhrkreditversicherungsvertrag noch
aus der vorprozessual durch die Beklagte erteilten Kulanzzusage zu.
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Zunächst ist ein Anspruch aus dem zwischen den Parteien bestehenden
Ausfuhrkreditversicherungsvertrag nicht gegeben. Die Kammer hat dabei, ebenso wie
die Beklagte, schon erhebliche Zweifel, ob der Klägerin überhaupt ein versicherter
Ausfall entstanden ist. Dies kann jedoch im Ergebnis dahingestellt bleiben, da die
Klägerin jedenfalls unstreitig die Überschreitung des äußersten Kreditziels durch E nicht
angezeigt und damit die Obliegenheit des § 7 Abs. 2 AVB verletzt hat. Die gemäß § 14
Ziff. 1 und 2 AVB vermutete Kausalität hinsichtlich des späteren Ausfalls bzw. das
vermutete Verschulden der Klägerin konnte diese nicht widerlegen, da jedenfalls nicht
dargelegt ist, daß die Verletzung keinen Einfluß auf den Umfang der dem Versicherer
anläßlich des Versicherungsfalls obliegenden Leistung gehabt hat. Insoweit trifft zwar
zu, daß die Beklagte bei ordnungsgemäßer Anzeige die Klägerin dennoch nicht hätte
daran hindern können, mit der späteren Insolvenzschuldnerin weiter Geschäfte zu
tätigen. Sie hätte aber die Möglichkeit gehabt, hinsichtlich des Unternehmens eine
erneute Bonitätsprüfung durchzuführen und den für dieses bestehenden
Versicherungsschutz entweder einzuschränken oder sogar vollständig zu versagen, so
daß nach Überschreitung des äußeren Kreditziels vorgenommene Geschäfte nicht oder
jedenfalls nicht mehr vollumfänglich versichert gewesen seien. Daß sie hierzu aufgrund
des Verhaltens der Klägerin nicht in der Lage war, muß sich diese zurechnen lassen.
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Auch übersieht die Klägerin, daß ausweislich der AVB die Überschreitung des
äußersten Kreditziels in jedem Fall anzeigepflichtig ist, unabhängig davon, ob bis zum
tatsächlichen Eintritt der Insolvenz Rechnungen noch beglichen werden oder nicht. Eine
entsprechende Anzeige soll - wie beschrieben - eben gerade die Versicherung in die
Lage versetzen, die Situation des Schuldners ihres Versicherungsnehmers
dahingehend zu überprüfen, ob die Nichtzahlung auf bloßer Zahlungsunwilligkeit beruht
oder bereits eine Bonitätsverschlechterung eingetreten ist. Dies war der Beklagten hier
verwehrt. Zudem hat die Insolvenzschuldnerin E eben gerade nicht alle gegenüber der
Klägerin noch ausstehenden Forderungen bis zum späteren Insolvenzeintritt beglichen.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Regelung in Ziffer 10.5.3 des
Versicherungsvertrags (Protracted Default): Die Klägerin übersieht insoweit, daß die
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Nichtzahlungsmeldung ausweislich des Wortlauts der entsprechenden Klausel
keinesfalls drei Monate nach Überschreitung des äußersten Kreditziels, sondern bereits
drei Monate nach Überschreiten der ursprünglich vereinbarten Fälligkeit zu erfolgen hat
und die entsprechende Meldepflicht zudem "unbeschadet" der Anzeigepflicht gemäß §
7 Nr. 2 AVB WKV (Meldung einer Kreditzielüberschreitung) besteht, somit zusätzlich zu
erfüllen ist und bereits zu einem früheren Zeitpunkt greift.
Ein Anspruch der Klägerin besteht auch nicht aus der dieser vorprozessual erteilten
Kulanzzusage:
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Bei dieser handelt es sich zunächst nicht um ein abstraktes Schuldversprechen im
Sinne von § 780 BGB, da sie ausdrücklich "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht"
erteilt worden ist.
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Die beiden Bedingungen, unter denen die erteilte Kulanzzusage stand, hat die Klägerin
zwar erfüllt, insbesondere hat sie der Beklagten im Februar 2002 einen aktuellen
Kontoauszug zugesandt.
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Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob die Beklagte bereits mit auf Ende
November/Anfang Dezember 2001 datierendem Einschreiben der Klägerin einen
aktuellen Kontoauszug erhalten hat. In diesem Zusammenhang verwundert es schon,
daß eine auf Dezember 2001 datierende, dem Auszug vom 15.02.2002 ähnelnde
Übersicht zu keinem Zeitpunkt von der Klägerseite zu den Akten gereicht werden
konnte, auch wenn das Begleitschreiben ausdrücklich von einem solchen Kontoauszug
spricht. Das Fax der Beklagten vom 15.02.2002, in dem die Zusendung eines aktuellen
Kontoauszugs angemahnt wurde, da man einen solchen bisher nicht erhalten habe, ist
jedenfalls als Verzicht darauf zu werten, aus der Tatsache, daß man einen solchen
bisher nicht erhalten hatte, Rechte herzuleiten, die Kulanzzusage nicht zu erfüllen.
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Die Klägerin hat auf das vorgenannte Schreiben auch einen aktuellen Kontoauszug, GA
Bl. 159 ff., übersandt.
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Dieser war zwar zum damaligen Zeitpunkt aktuell, da er bis Ende 2001 weitere
Forderungen in erheblichem Umfang vermerkte, des weiteren erhebliche
Zahlungseingänge ab Anfang 2002. Für die Beklagte mußte sich hieraus jedoch der
Verdacht ergeben, daß die Klägerin die Anrechnungsbestimmung des § 2 Ziff. 3 der
AVB versucht hatte zu umgehen, nach der Zahlungseingänge bis zur
Zahlungseinstellung auf ältere, versicherte, nicht auf nach Überschreitung des
äußersten Kreditziels begründete, nicht versicherte Forderungen anzurechnen sind mit
der Folge, daß für die Klägerin hinsichtlich der insolventen Kundin gegebenenfalls
überhaupt kein versicherter Ausfall bestanden hätte. Unter diesen Voraussetzungen
mußte sich die Beklagte nicht mehr an ihre Kulanzzusage gebunden sehen.
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In diesem Zusammenhang ist die der Klägerin erteilte Kulanzzusage dahingehend
auszulegen, daß sie von vornherein unter dem Vorbehalt stand, daß sich aus dem noch
zuzusendenden aktuellen Kontoauszug hinsichtlich des versicherten Ausfalls keine
wesentliche Abweichung vom bei Erteilung der Kulanzzusage bekannten Sachstand
ergeben würde. Dies ergibt sich, so zutreffend die Beklagte, insbesondere aus der
Formulierung in der Kulanzzusage, 50 % des "mutmaßlichen" versicherten Ausfalls
tragen zu wollen. Die Zusendung eines aktuellen Kontoauszugs war insofern keine
bloße Formalität, sondern sollte der Beklagten gerade eine entsprechende Nachprüfung
56
ermöglichen.
Der Klägerin ist insofern zuzugestehen, daß die bloße fehlende Erwähnung der
Gutschriften noch keine so wesentliche Abweichung hinsichtlich des versicherten
Ausfalls vom ursprünglich mitgeteilten Sachverhalt darstellte, daß die Beklagte sich
allein deswegen von ihrer Kulanzzusage hätte lösen können, zumal der auf erste Sicht
augenscheinlich entstandene Ausfall die Höchstversicherungssumme ohnehin mit oder
ohne Berücksichtigung der Gutschriften überschritt. Entsprechend spricht § 11 der AVB
auch nur von einer vorläufigen Schadensabrechnung, sollte eine annähernde
Schadensschätzung innerhalb einer Frist von 3 Monaten nach Eintritt des
Versicherungsfalls nicht möglich sein.
57
Im vorliegenden Fall war jedoch eine Abweichung sogar dergestalt gegeben, daß die
Beklagte bei bedingungsgemäßer Anrechnung der Zahlungseingänge bis zum
Insolvenzeintritt gegebenenfalls gar nicht einstandspflichtig gewesen wäre. Hätte die
Beklagte dies bei Erteilung der Kulanzzusage bereits gewußt, hätte sie eine solche
wohl nicht abgegeben. Hieran würde sich auch dann nichts ändern, wenn es sich - so
die Klägerin - bei den erstmals im Kontoauszug vom 15.02.2002 berücksichtigten
Buchungsvorgängen überwiegend um Zahlungen der Firma U2 handelte. Die
entsprechenden Zahlungen erfolgten ausdrücklich aufgrund einer Weiterleitung von
Waren durch E an die Firma U2, die dann die ursprünglich auf die Insolvenzschuldnerin
ausgestellten Rechnungen auch bezahlte. Entsprechend wurden die Zahlungen auf die
Insolvenzschuldnerin gebucht. Zahlungseingänge seitens der Firma U haben jedoch
ebenso wie Zahlungseingänge seitens der späteren Insolvenzschuldnerin vor der
endgültigen Zahlungseinstellung Einfluß auf den der Klägerin entstehenden
versicherten Ausfall.
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Die durch die Klägerin mitgeteilten Beträge waren in höchstem Maße widersprüchlich.
In diesem Zusammenhang erschließt es sich der Kammer nicht, inwiefern es den im
Administrator's Report to Creditors festgestellten Ausfallbetrag der Klägerin von über
eineinhalb Millionen Dollar maßgeblich beeinflussen soll, wenn es sich um Australische
und nicht um US Dollar handelte, zumal der Kurs des Australischen Dollar sich zum
gegenwärtigen Zeitpunkt bei 1,66 EUR, d.h. deutlich über dem USD Kurs, bewegt und
seit der Erstellung des Reports eher gesunken ist. Der Verdacht, daß es in der
Buchhaltung der Klägerin zumindest Unregelmäßigkeiten gab, wenn nicht sogar
Informationen bewußt vorenthalten wurden, mußte sich der Beklagten unter diesen
Voraussetzungen berechtigter Weise aufdrängen.
59
Im übrigen hält es die Kammer für ausgeschlossen, daß Zahlungseingänge nach
Überschreitung des äußersten Kreditziels am 17.01.2001, die bedingungsgemäß auf die
ältesten ausstehenden Forderungen zu verrechnen gewesen wären, den späteren
Forderungsausfall der Höhe nach nicht beeinflußt haben; wieso dies der Fall sein soll,
bleibt das Geheimnis der Klägerin. Der klägerseits hierfür angebotene Zeugenbeweis
war deshalb nicht zu erheben. Für einen hinreichend substantiierten Vortrag wäre es
Aufgabe der Klägerin gewesen darzulegen, daß und in welcher Höhe Zahlungen noch
erfolgt und in welcher Reihenfolge sie auf Außenstände verrechnet worden sind; dies
hat sie nicht getan und sich mit dem entsprechenden Vortrag der Beklagtenseite, es sei
gegen die Anrechnungsbestimmungen der AVB verstoßen worden, auch nicht
hinreichend substantiiert auseinandergesetzt, sondern lediglich pauschal bestritten, daß
dies der Fall gewesen sei.
60
Daß die Klägerin die ihr aufgegebene Bedingung der zweijährigen Verlängerung des
Versicherungsvertrags erfüllt hat, kann umgekehrt nicht dazu führen, daß die Beklagte
nunmehr ihrerseits an die Kulanzzusage gebunden ist. Zwar hat die Klägerin
vordergründig ebenfalls das ihrige getan, d.h. einen aktuellen Kontoauszug übersandt.
Dies war jedoch aus den angeführten Gründen nicht ausreichend, um aus der
Kulanzzusage eine Zahlung beanspruchen zu können.
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Ob die Beklagte wegen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage an die Kulanzzusage
nicht mehr gebunden war bzw. ihr diesbezüglich ein Anfechtungsrecht wegen arglistiger
Täuschung durch die Klägerin zustand, konnte nach dem Vorgenannten dahingestellt
bleiben.
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Der nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 28.11.2003 bot keinen Anlaß zur
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 ZPO: Die Klägerin trägt
nunmehr selbst vor, daß seitens E nach Überschreitung des äußersten Kreditziels noch
Zahlungseingänge in Höhe von insgesamt 447.578,- DM (nach Abzug von Gutschriften)
zu verzeichnen gewesen seien, die nicht auf Außenstände verrechnet worden seien.
Daß im Kontoauszug vom 15.02.2002 nachträglich aufgeführte Zahlungseingänge der
Firma U in Höhe von insgesamt fast 750.000,- DM sich allein aus buchungstechnischen
Gesichtspunkten, da es nicht möglich gewesen sei, ein eigenes Buchungskonto für U
einzurichten, auf dem Kontoauszug der Insolvenzschuldnerin befanden, deutet
zumindest auf erhebliche Probleme bzw. eine weitgehend fehlende Übersicht in der
Buchhaltung der Klägerin hin. Die Kammer hält es zudem eher für möglich, daß die
Zahlungen von U2 aufgeführt waren, weil - so daß Vorbringen der Klägerin - die
entsprechende Ware von E an U umgeleitet worden ist. Eine Schuldübernahme
unterstellt, minderten dann Zahlungseingänge von U natürlich den hinsichtlich der
Insolvenzschuldnerin bestehenden Forderungsausfall und wären entsprechend zu
verrechnen gewesen. In der Klageschrift hatte die Klägerin jedoch selbst noch
vorgetragen, sämtliche der Beklagten mitgeteilten offenen Rechnungsposten seien
weder von der Insolvenzschuldnerin noch von Dritten (d.h. auch nicht von U2) beglichen
worden.
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Bei Zusammenrechnung der Zahlungseingänge seitens U2 sowie E ergibt sich ein
Betrag, der die versicherte Höchstsumme sogar überschreitet und offensichtlich auf
Außenstände bedingungswidrig nicht angerechnet worden ist. Unter dieser
Voraussetzung war eine Einstandspflicht aus der Kulanzzusage zu verneinen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen ergehen nach §§ 91, 709 ZPO.
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Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt:
66
Klageantrag zu 1): 102.002,73 EUR
67
Klageantrag zu 2): 50.000,- EUR
68
Landgericht, 24. Zivilkammer
69