Urteil des LG Köln vom 18.03.2009
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Landgericht Köln, 23 O 331/08
Datum:
18.03.2009
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
23. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
23 O 331/08
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.717,68 € nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 3.12.2007 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte mit Ausnahme
der Kosten der Anrufung des unzuständigen Landgerichts
Berlin, die dem Kläger auferlegt werden.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar;
für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 120 % des zu vollstreckenden Betrages.
Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte
gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Krankheitskostenversicherung.
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Wegen einer bei ihm bestehenden organischen Sterilität ließ er gemeinsam mit seiner
Lebensgefährtin im Juni/August 2006 und im Oktober/November 2006 jeweils eine IVF-
ICSI-Behandlung durchführen. Der zweite Versuch war erfolgreich und führte zur Geburt
eines gesunden Kindes.
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Die Beklagte übernahm nach einer vorherigen Leistungszusage für insgesamt drei
Versuche die durch die Behandlungen entstandenen Kosten bis auf den mit der Klage
geltend gemachten Betrag. Insoweit handelt es sich um die mit GOÄ 4873D und GOÄ
1114C analog abgerechnete Befruchtung von 13 Eizellen im Rahmen des ersten
Versuchs und von 8 Eizellen im Rahmen des zweiten Versuchs. Die Beklagte erstattete
die entsprechenden Rechnungsbeträge lediglich in Bezug auf jeweils 6 Eizellen.
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Der Kläger trägt mit weiteren Einzelheiten vor, die Befruchtung aller 19 Eizellen im
ersten Versuch und aller 14 Eizellen im zweiten Versuch sei medizinisch notwendig
gewesen und zutreffend abgerechnet worden.
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Er beantragt,
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wie erkannt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bestreitet die medizinische Notwendigkeit der Befruchtung von mehr als sechs
Eizellen pro Versuch. Wegen der Einzelheiten ihrer Argumentation wird auf die
Klageerwiderung sowie auf den Schriftsatz vom 10.12.2008 Bezug genommen.
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Auch aus gebührenrechtlichen Gründen sei die Abrechnung auf insgesamt sechs
Eizellen beschränkt. Da die entsprechenden GOÄ-Ziffern analog abgerechnet worden
seien, müsse § 6 Abs. 2 GOÄ berücksichtigt werden, wonach nicht nur die
Gleichartigkeit sondern auch die Angemessenheit zu berücksichtigen sei. Diese sei
aber keinesfalls gegeben.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Verwertung eines in dem Rechtsstreit 23 O
51/08 LG Köln mündlich erstatteten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. O.
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Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom
8.10.2008 in dem Rechtsstreit 23 O 51/08 LG Köln verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist begründet.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der weiteren
Behandlungskosten hinsichtlich der IVF-ISCI-Behandlungen im Juni/August und
Oktober/November 2006 in einer Gesamthöhe von 7.717,68 € aus dem mit dieser
bestehenden Krankheitskostenversicherungsvertrag in Verbindung mit der von ihr
erteilten Leistungszusage.
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Diese verpflichtet die Beklagte zur Erstattung der Behandlungskosten, soweit sie
medizinisch notwendig waren.
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Die medizinische Notwendigkeit bestand entgegen der Einschätzung der Beklagten
nicht nur hinsichtlich der Befruchtung von jeweils sechs Eizellen pro Versuch, sondern
hinsichtlich aller in Rechnung gestellten Befruchtungen. Dies ergibt sich aufgrund der
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durchgeführten Beweisaufnahme.
Eine Behandlungsmaßnahme ist medizinisch notwendig, wenn es nach den objektiven
medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der
Behandlung vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen (BGH VersR
1996, 1224). Vertretbar ist die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung, wenn
sie sowohl in begründeter und nachvollziehbarer wie wissenschaftlich fundierter
Vorgehensweise das zugrunde liegende Leiden diagnostisch hinreichend erfasst und
eine ihm adäquate, geeignete Therapie anwendet ( BGH aaO).
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Der Sachverständige Prof. Dr. O, dessen hoher Sachverstand der Kammer aus einer
Vielzahl schriftlich erstatteter Gutachten bekannt ist und von den Parteien auch nicht in
Zweifel gezogen wird, hat im Rahmen seines mündlich erstatteten Gutachtens vom
8.10.2008 im einzelnen zu der Bedeutung der Anzahl gewonnener und befruchteter
Eizellen hinsichtlich der Erfolgsaussicht der Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung
Stellung genommen.
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Er hat dabei zunächst dargelegt, dass im Rahmen der Hormonbehandlung angestrebt
wird, ca zehn Eizellen zu gewinnen. Im Einzelfall ist es aber möglich, auch eine höhere
Zahl von Eizellen zu gewinnen, so wie im Fall der Lebensgefährtin des Klägers, bei der
die Behandlung im ersten Versuch insgesamt 19 Eizellen und im zweiten Versuch
insgesamt 14 Eizellen hervorgebracht hat.
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Es liegt auf der Hand, dass eine Befruchtung aller Eizellen die Erfolgsaussicht der
Behandlung erheblich steigert. Der Sachverständige hat nämlich ausgeführt, dass
ungefähr 1/3 der (männlichen und weiblichen) Keimzellen einen genetischen Defekt
aufweisen, der den Eintritt einer Schwangerschaft verhindert. Ein solcher Defekt ist aber
in dem Frühstadium der Eizelle nicht erkennbar. Es bestehe keine Möglichkeit, die
Qualität der Eizelle nach ihrer Entnahme zu beurteilen.
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Eine Auswahl der Eizellen bei einer Befruchtung nur eines Teils wäre danach also
völlig willkürlich und könnte nicht anhand der besseren Geeignetheit erfolgen.
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Ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt ist, dass nach den Darlegungen des
Sachverständigen unbefruchtete Eizellen bei einem Einfrieren zur Hälfte in Gefahr sind
zerstört zu werden, während dies bei bereits befruchteten Eizellen nur zu 15-20 % der
Fall ist.
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Schließlich hat der Sachverständige auch darauf hingewiesen, dass nur 50 bis 60 % der
befruchteten Eizellen überhaupt das Vorkernstadium erreichen, in dem sie wieder
eingesetzt werden können.
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Wenn aber zum einen eine Auswahl der Eizellen, die befruchtet werden sollen,
willkürlich ist und nicht nach medizinisch begründbaren Kriterien erfolgen kann, wenn
zum anderen ein Einfrieren der unbefruchteten Eizellen mit einem 50%igen Risiko ihrer
Zerstörung verbunden ist und wenn schließlich nur etwa 50 bis 60 % der befruchteten
Eizellen das erforderliche Vorkernstadium erreichen, so ist es als medizinisch
notwendig anzusehen, alle gewonnenen Eizellen zu befruchten und in dem
befruchteten Zustand einzufrieren, um ein optimales Behandlungsergebnis zu erzielen.
Ein willkürlicher Verzicht auf die Befruchtung einzelner gewonnener Eizellen wäre nicht
vertretbar.
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Dies gilt besonders deshalb, weil nach der Rechtsprechung des BGH, der die Kammer
sich angeschlossen hat, eine Beschränkung der Maßnahmen zur künstlichen
Befruchtung auf eine bestimmte Anzahl von Versuchen von der Krankenversicherung
nicht geltend gemacht werden kann, sondern die Kosten aller Versuche zu erstatten
sind, so lange noch die erforderliche Erfolgsaussicht der Behandlung besteht (BGH
VersR 2005, 1673). Wenn man die Risiken berücksichtigt, die der Sachverständige bis
zum Erreichen des Vorkernstadiums genannt hat, so schränkt sich die Zahl der
möglichen Versuche, bei denen jeweils bis zu drei Eizellen eingesetzt werden können,
ohnehin erheblich ein.
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Schließlich muss auch bedacht werden, dass ein erfolgreiches Einfrieren der Eizellen
weitere belastende Hormonbehandlungen entbehrlich macht und auch zu einer
erheblichen Kostenersparnis führt.
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Soweit die Beklagte auf den von dem Sachverständigen vorgelegten Jahresbericht des
IVF-Registers 2005 verweist, woraus sich ergibt, dass ab 10 – 15 befruchteten Eizellen
bereits das Optimum zur Erreichung einer Schwangerschaft besteht, steht dies der
Annahme der medizinischen Notwendigkeit auch der Befruchtung einer größeren Zahl
von Eizellen nicht entgegen. Es handelt sich insoweit lediglich um einen statistischen
Wert. Ein Verzicht auf die Möglichkeit, gewonnene Eizellen zu befruchten und
einzufrieren, bedeutet für die Kammer einen Verzicht auf eine Verbesserung der
Erfolgsaussichten der künstlichen Befruchtung, der nicht sachgerecht wäre.
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Die Beklagte kann die Erstattung der geltend gemachten Behandlungskosten auch nicht
aus gebührenrechtlichen Gründen verweigern.
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Die Befruchtung der Eizellen konnte jeweils gesondert nach GOÄ 1114 und 4873A
analog abgerechnet werden. Die Vergleichbarkeit dieser GOÄ-Ziffern wird von der
Beklagten letztlich nicht in Frage gestellt. Sie ergibt sich auch zwanglos aus der
Leistungsbeschreibung.
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Eine Abrechnung ist auch für jeden einzelnen Vorgang gesondert zulässig und kann
nicht etwa als nicht gleichwertig i. S. des § 6 Abs. 2 GOÄ angesehen werden.
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Ziff. 1114 GOÄ betrifft die Insemination des männlichen Samens. Dies ist für jeden
einzelnen Befruchtungsvorgang erfolgt.
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Ziff. 4873 berechnet die die mikroskopische Isolierung und Aufnahme eines Spermiums,
die ebenfalls pro jeweiliger Befruchtung einmal angefallen ist. Insoweit bestehen keine
Bedenken hinsichtlich der Gleichwertigkeit. Soweit die Beklagte geltend macht, es gebe
in anderen medizinischen Bereichen Behandlungen, die obwohl erheblich aufwendiger
nicht höher bewertet seien, kann dies nicht gegen die Zulässigkeit der Berechnung
sprechen. Es ist insbesondere zu beachten, dass die Schwierigkeit einer
Behandlungsmaßnahme auch durch den Steigerungsfaktor Berücksichtigung finden
kann, der vorliegend nur mit 1,8 bzw. 2,3 und somit im unteren Bereich angesetzt wurde.
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Soweit die Beklagte auf vorübergehend geltende Richtlinien der Bundesärztekammer
verweist, hat sie selbst vorgetragen, dass diese Richtlinien nicht aufrechterhalten
worden sind.
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Die Zinsforderung ist gem. §§ 291, 288 BGB gerechtfertigt.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 281 Abs. 3, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
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