Urteil des LG Köln vom 22.02.2007

LG Köln: treu und glauben, rechtsgeschäftsähnliche handlung, abrechnung, auflage, fristablauf, umzug, wohnung, disposition, verjährungsfrist, untergang

Landgericht Köln, 6 S 378/06
Datum:
22.02.2007
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
6. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 S 378/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Wermelskirchen, 2 C 141/05
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts
Wermelskirchen vom 29.08.2006 - 2 C 141/05 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e :
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Die Beklagten hatten von der Klägerin in der Zeit vom 01.05.2000 bis 31.01.2005 eine
Wohnung gemietet. Mit der Klage hat die Klägerin Nebenkostennachforderungen für die
Jahre 2002 (562,65 €) und 2003 (602,84 €) geltend gemacht. Eine
Betriebskostenabrechnung für 2002 wurde am 29.10.2004 erstellt und für 2003 eine am
05.11.2004. Da beide Abrechnungen formell nicht ordnungsgemäß waren, sind am
23.03.2005 korrigierte erstellt worden. Die Klage bezüglich der
Nebenkostennachforderung für 2002 ist zurückgenommen worden.
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Mit Schreiben vom 25.10.2004 hatten die Beklagten ihre Wohnung zum 31.01.2005
gekündigt und erklärt, dass die noch ausstehenden Abrechnungen (2002, 2003, 2004)
ihnen bis Ende März 2005 zukommen sollen.
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Die Klägerin meint, die Beklagten hätten mit dem Schreiben vom 25.10.2004 den
Nachzahlungsansprüche dem Grunde nach anerkannt und könnten sich nicht mehr mit
Erfolg auf die Ausschlussfrist des § 556 Abs.3 Satz 2 und 3 BGB berufen. Auf die
Ausschlussfrist sei insoweit § 212 Abs.1 Nr.1 BGB anwendbar.
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Die Klägerin behauptet zudem, die Beklagten hätten dem Hausverwalter gegenüber
nach Erhalt der Abrechnung vom 05.11.2004 im Dezember 2004 und Januar 2005
zugesichert, den Rückstand von 602,84 € nach ihrem Umzug auszugleichen.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die
Frist des § 556 Abs. 3 Satz 2 BGB bei der Erstellung der formell ordnungsgemäßen
Abrechnung am 23.03.2005 abgelaufen und die Vorschrift des § 212 BGB auf die
Ausschlussfrist des § 556 Abs.3 BGB nicht anwendbar sei. Nichts anders folge aus §
242 BGB.
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Mit der Berufung verfolgt die Klägerin unter Aufrechterhaltung ihrer Rechtsauffassung
zur Anwendung des § 212 BGB ihr Begehren weiter.
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Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
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Die Klägerin hat für das Abrechnungsjahr 2003 ihren
Nebenkostennachzahlungsanspruch wegen der Ausschlussfrist des § 556 Abs.3 Satz 1
und 2 BGB verloren.
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Unstreitig war die Abrechnung vom 05.11.2004 nicht prüffähig. Die sodann erfolgte
Abrechnung vom 23.03.2005 war verfristet. Insoweit kommt es darauf an, ob es den
Beklagten aufgrund ihres Verhaltens, nämlich des Schreibens vom 25.10.2004 und der
von der Klägerin behaupteten Zusage an den Hausverwalter, die Rückstände nach dem
Umzug auszugleichen, verwehrt ist, sich auf die Ausschlussfrist zu berufen.
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Mit dem Amtsgericht geht die Kammer davon aus, dass für eine analoge Anwendung
des § 212 Abs.1 Nr.1 BGB kein Raum ist. Die Abrechnungsfrist des § 556 Abs. 3 S. 2
BGB und der durch § 556 Abs. 3 S. 3 BGB angeordnete Ausschluss von
Nachforderungen nach Fristablauf dienen der Abrechnungssicherheit für den Mieter und
sollen Streit vermeiden. Der Vermieter verliert daher bei Verstreichenlassen der Frist
den Anspruch auf Nachzahlung. Die Vorschriften gewährleisten eine zeitnahe
Abrechnung, damit der Mieter in einem überschaubaren zeitlichen Zusammenhang mit
dem Abrechnungszeitraum entweder über ein sich zu seinen Gunsten ergebendes
Guthaben verfügen kann oder Gewissheit darüber erlangt, ob und in welcher Höhe er
mit einer Nachforderung des Vermieters rechnen muss (BGH NJW 2006, 903, 904).
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Demgegenüber ist die Vorschrift des § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB Ausfluss des Grundsatzes
von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB und trägt den Rechtsgedanken, dass es dem
Schuldner aufgrund widersprüchlichen Verhaltens versagt ist, sich gegenüber einer
(soeben) anerkannten Forderung auf die Verjährung zu berufen (vgl. BGH WM 2004,
392, 393).
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Das Amtsgericht Wermelskirchen hat die entsprechende Anwendung von § 212 Abs. 1
Nr. 1 BGB wegen der Vorschrift des § 556 Abs. 4 BGB, der die Unwirksamkeit einer zum
Nachteil des Mieters abweichenden Vereinbarung anordnet, ausgeschlossen.
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Diesem Auslegungsergebnis steht der Wortlaut der Vorschrift entgegen. Das
Anerkenntnis im Sinne von § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist nämlich keine Vereinbarung (wie
etwa eine Mietvertragsklausel mit negativ abweichendem Abrechnungszeitraum),
sondern ein tatsächliches Verhalten, also nur eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung
(vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Auflage, 2007, § 212, Rn. 2). Vom Wortlaut her ist das
Anerkenntnis daher von § 556 Abs. 4 BGB unberührt.
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Das Amtsgericht stützt seine Argumentation jedoch ferner auf den Sinn und Zweck des
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Verbots abweichender Vereinbarungen. Das Gericht nimmt einen "Erst-Recht-Schluss"
in dem Sinne an, dass die Vorschrift aus Gründen des Mieterschutzes erst recht auf
einseitige Handlungen anzuwenden sei. Dies wird damit begründet, dass die
Ausschlussfrist anders als die Hemmung der Verjährung nicht in der Disposition des
Mieters steht, was sich vor allem daraus erkennen ließe, dass die Ausschlussfrist von
Amts wegen zu prüfen ist. Alleine die Tatsache, dass die Ausschlussfrist, anders als die
Einrede der Verjährung, von Amts wegen zu prüfen ist, verbietet jedoch nicht die
Annahme einer – wenn auch eingeschränkten - Disposition der Ausschlussfrist durch
die Parteien. Die Vorschrift des § 556 Abs. 4 BGB soll den Mieter nämlich in erster Linie
vor Übervorteilung durch den Vermieter insbesondere durch formularmäßig vorgefertigte
Mietvertragsklauseln schützen. Daher sind insbesondere nachträgliche Einigungen
auch nicht durch die Vorschrift ausgeschlossen (vgl. Palandt/Weidenkaff, § 556, Rn. 13).
Dies steht ferner in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH, dass dem Mieter, der in
Unkenntnis der Ausschlussfrist geleistet hat, ein bereicherungsrechtlicher Anspruch
nicht versagt ist (BGH NJW 2006, 903 f.). Die Leistung in Kenntnis der Ausschlussfrist
muss demnach zulässig sein und auch einen Rückforderungsanspruch ausschließen.
Daher führt die Vorschrift des § 556 Abs. 4 BGB nicht grundsätzlich zur Unwirksamkeit
eines Anerkenntnisses im Sinne von § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB (so auch
MünchKomm/Schmid, BGB, Band 3, 4. Auflage 2004, § 556, Rn. 102 f.).
Nach der Rechtsprechung des BGH ist die entsprechende Heranziehung einzelner für
die Verjährung geltender Bestimmungen auf Ausschlussfristen auch nicht schlechthin
ausgeschlossen; vielmehr ist von Fall zu Fall nach Sinn und Zweck der jeweiligen
Bestimmungen zu entscheiden, inwieweit Verjährungsvorschriften auf Ausschlussfristen
auch dann anzuwenden sind, wenn nicht ausdrücklich auf sie verwiesen wird (st. Rspr.;
vgl. nur: BGH NJW 2006, 903 m.w.N.).
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Zur Frage der analogen Anwendung des § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB auf die Ausschlussfrist
des § 556 Abs. 3 S. 3 BGB hat sich der BGH – entgegen der Auffassung der Beklagten -
bislang nicht geäußert. In seinem Urteil vom 18.01.2006 (NJW 2006, 903) hat er nämlich
lediglich die entsprechende Anwendbarkeit der Vorschrift des § 214 Abs. 2 S. 1 BGB in
dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall abgelehnt. Der BGH hat dies damit
begründet, dass der Ausschluss der Rückforderung gemäß § 214 Abs. 2 BGB darauf
beruhe, dass der Anspruch durch die Verjährung nicht erlischt und der Schuldner somit
das erhalten hat, worauf er einen – wenn auch einredebehafteten - Anspruch besaß. Bei
einer Ausschlussfrist geht der Anspruch dagegen unter, weshalb nach Sinn und Zweck
der Vorschrift § 214 Abs. 2 BGB nicht anwendbar sei (BGH NJW 2006, 903, 904).
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Eine ähnliche Argumentation wird in der Literatur einer entsprechenden Anwendbarkeit
des § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB auf Ausschlussfristen entgegengehalten.
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Der Ablauf einer Ausschlussfrist, der - anders als der Ablauf einer Verjährungsfrist –
nicht zu einer bloßen Einredebefugnis gegenüber einem fortbestehenden Recht führt,
sondern den Untergang des Rechts zur Folge hat (vgl. auch BGHZ 122, 23, 24), stehe
der vollständigen Erneuerung der Frist – wie es die Rechtsfolge des § 212 BGB vorsieht
- entgegen (vgl. nur Staudinger/Peters, BGB, §§ 164-240 (AT Band 5), Neubearbeitung
2004, § 212, Rn. 34; Palandt/Heinrichs, a.a.o., § 212, Rn. 1; MünchKomm/Grothe, BGB,
Band 1, 5. Auflage 2006, § 212, Rn. 1). Ein Neubeginn der Ausschlussfrist würde den
Untergang des Rechts und insbesondere auch den Zweck, Rechtssicherheit zu
schaffen, unterlaufen (vgl. MünchKomm/Grothe, § 212, Rn. 1; ähnlich Staudinger/Peters,
§ 212, Rn. 34).
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Wegen dieser dogmatischen Unterschiede zwischen Verjährungsfrist und
Ausschlussfrist, die im Hinblick auf die Rechtsfolge des § 212 Abs. 1 BGB vorliegend
auch nicht durch den Sinn und Zweck der Vorschriften überwunden werden können,
scheidet eine analoge Anwendung des § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB auf die Ausschlussfrist
des § 556 Abs. 3 BGB daher aus.
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Das Verhalten der Beklagten könnte allerdings als deklaratorisches Schuldanerkenntnis
oder im Rahmen des § 242 BGB von Bedeutung sein mit der Folge, dass der Anspruch
der Klägerin nicht wegen der Ausschlussfrist untergegangen ist. Voraussetzung ist
jedoch, dass sich die Beklagten ihrer Nachzahlungspflicht bewusst waren und auch von
dem Fristablauf Kenntnis hatten (vgl. BGH NJW 2006, 903).
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Was das Schreiben vom 25.10.2004 anbelangt, mit dem die Beklagten die Klägerin um
Übersendung der Abrechnungen für 2002 bis 2005 gebeten haben, ist dies schon
deswegen zu verneinen, weil noch gar keine Abrechnung vorlag und die Beklagten
insoweit auch gar kein Bewusstsein hinsichtlich einer Nachzahlungsverpflichtung
hatten.
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Hinsichtlich der seitens der Klägerin behaupteten Zahlungszusage an den
Hausverwalter lag demgegenüber eine - wenn auch nicht prüffähige - Abrechnung vor.
Die Klägerin hat jedoch nicht dargetan, dass die Beklagten Kenntnis von dem
Fristablauf hatten- Auch liegen insoweit keinerlei Anhaltspunkte vor, die auf eine
Kenntnis der Beklagten schliessen lassen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO, die über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr.10 ZPO.
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Die Revision ist gemäß § 543 Abs.2 Nr. 1 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung
der Sache hinsichtlich der Frage der analogen Anwendung des § 212 Abs.1 Satz 1 BGB
auf die Ausschlussfrist des § 556 Abs.3 Satz 3 BGB zuzulassen.
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Berufungswert: 602,84 €
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