Urteil des LG Köln vom 19.05.2006

LG Köln: markt, unternehmen, reisebüro, anteil, genehmigung, form, eingriff, produkt, steuerbehörde, missbrauch

Landgericht Köln, 81 O (Kart) 170/05
Datum:
19.05.2006
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
1. Kammer für Handelssachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
81 O (Kart) 170/05
Tenor:
I.
1. Die Beklagte wird verurteilt, der Antragstellerin die Befugnis
einzuräumen, auf Rechnungen für die Reisestellenkarte - Lodge Card -
gemäß § 14 Abs.2 Satz 5 UStG die Umsatzsteuer für Leistungen der
Antragsgegnerin auszuweisen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den
aus der Verweigerung dieser Befugnis noch entstehenden Schaden zu
ersetzen.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar; diese
beträgt für die Verurteilungen zu Nr.1. € 500.000,- und hinsichtlich der
Kosten 120% desjenigen Betrages, dessentwegen vollstreckt wird.
T A T B E S T A N D:
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Die Klägerin ist Anbieterin der von ihr sog. M-Karte, einer Reisestellenkarten für
Unternehmenskunden; hierbei handelt es sich um Kreditkarten, die (virtuell) bei einem
Reisebüro hinterlegt werden und es den Mitarbeitern des betreffenden Unternehmens
ermöglichen, die Bezahlung von durch das fragliche Reisebüro vermittelten
Reiseleistungen über die Karte vorzunehmen. Zu diesen Leistungen gehören auch
Flugverkehrsleistungen der Beklagten, die nach Behauptung der Klägerin jedenfalls im
Bereich des innerdeutschen Flugverkehrs marktbeherrschend ist.
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Die Parteien streiten seit August des vergangenen Jahres darüber, ob die Klägerin
berechtigt ist, ihren Unternehmenskunden gegenüber Rechnungen auszustellen, die die
Mehrwertsteuer bei Leistungen der Beklagten ausweisen und es den Kunden so
ermöglichen, den Vorsteuerabzug monatlich in einer Summe ohne weitere
Ausrechnungen vorzunehmen.
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Bei der Buchung der Reise durch das Reisebüro, die nach Vortrag der Klägerin ganz
überwiegend über das Reservierungssystem B erfolgt, erhält das Reisebüro von B die
für die Ausstellung einer dem Umsatzsteuergesetz entsprechenden Rechnung
notwendigen Daten; anders als dies in früheren Jahren gehandhabt wurde, stellt das
Reisebüro – so das von der Klägerin gewünschte Verfahren - dem Kunden gegenüber
aber keine steuerliche Rechnung aus, sondern überlässt ihm lediglich einen
Buchungsbeleg; zwischen B und der Klägerin sowie zwischen dem "eigentlichen"
Kreditkartenunternehmen der Klägerin (früher VISA, jetzt MasterCard) und B bestehen in
diesem Zusammenhang Vereinbarungen, die die Reisebüros verpflichten, die
Mehrwertsteuer auf ihren Belegen zu unterdrücken, damit die Mehrwertsteuer nicht etwa
zweimal ausgewiesen wird und zweimal als Vorsteuer geltend gemacht werden kann.
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Das Recht und die Pflicht, die Mehrwertsteuer auf der Rechnung auszuweisen, hat im
Grundsatz der Leistungserbringer, vorliegend also die Beklagte; wenn ein Dritter dies
unternimmt, bedarf er einer Vollmacht der Leistungserbringerin, wobei früher – d.h. bis
zum 30.6.2004 - die Reisebüros als Bevollmächtigte der Beklagten tätig geworden sind.
Seit dem 1.7.2004 ist die Praxis so gewesen, dass die Klägerin die Mehrwertsteuer für
Leistungen der Beklagten ausgewiesen hat, wobei sich die Klägerin die Auffassung
vertritt, dass jedenfalls seinerzeit eine konkludent und wirksam erteilte Untervollmacht
seitens der Reisebüros bestanden habe. Mittlerweile aber verweigert die Beklagte die
für die geschilderte Praxis ihrerseits erforderliche Zustimmung.
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Die Klägerin macht geltend, der Beklagten gehe es ausschließlich darum, die
geschäftlichen Aktivitäten von B zu fördern ; B ist ein Unternehmen aus dem
Konzernbereich der Beklagten, welches nach Vortrag der Klägerin eines von insgesamt
sehr wenigen Unternehmen ist, die auf dem Markt der Reisestellenkarten unmittelbar
miteinander konkurrieren.
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Sie ist der Auffassung, sie habe einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihr die
Genehmigung zum Mehrwertsteuer-Ausweis erteile, denn die Beklagte sei auf dem mit
dem Markt der Reisestellenkarten verbundenen Markt des innerdeutschen Flugverkehrs
marktbeherrschend. Sie behindere mit dieser Weigerung die Klägerin ganz massiv,
denn eine Reisestellenkarte ohne den mittlerweile gewohnten Komfort werden von den
großen Kunden umso weniger akzeptiert als B genau diese Leistung nach wie vor und
nach dem Willen der Beklagten jetzt als Einzige anbietet.
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Sie beantragt,
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wie erkannt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie leugnet, marktbeherrschend zu sein – einen Markt "innerdeutscher
Linienflugverkehr" gebe es nicht; vielmehr sei immer eine bestimmte Strecke
maßgebend - oder sich kartellrechtswidrig verhalten zu haben. Von der Praxis in Bezug
auf die Mehrwertsteuer-Unterdrückung habe sie erst im Sommer 2005 erfahren und
könne und wolle sie nicht dulden, weil Bedenken der Steuerbehörde gegen diese
Praxis bestünden; keinesfalls sei ihr Motiv eine Förderung von B gewesen. Vielmehr
habe die Steuerbehörde gegen einen Mehrwertsteuer-Ausweis von Leistungen der
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Beklagten durch B wegen deren Zugehörigkeit zu ihrem - der Beklagten -
Unternehmensbereich nichts einzuwenden.
Die M-Karte sei nichts anderes als eine Kreditkarte mit Zusatzfunktionen und gehöre
deshalb auch nicht einem besonderen Markt "Reisestellenkarten" an; allenfalls gebe es
einen Markt "Kreditkarten" und/oder "unbarer Zahlungsverkehr". Insbesondere die
Möglichkeit, die Mehrwertsteuer gesondert auszuweisen, sei kein zentrales Element
dieser Karte wie sich schon allein daran zeige, dass es Reisestellenkarten ohne den
gesonderten Ausweis gebe. Die Reisestellenkarte ermögliche außer der bargeldlosen
Abwicklung der Mitarbeiter-Reisen durch die einmalige Hinterlegung in einem
Reisebüro die zentrale Abrechnung und unterscheide sich dadurch von der
Unternehmenskreditkarte (CCC).
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Ein kartellrechtswidriger Missbrauch scheide schon deshalb aus, dass eine – bestrittene
– Marktbeherrschung auf der Flugstrecke Frankfurt – Berlin - oder einer anderen
Flugstrecke - keine Auswirkungen auf den Kreditkartenmarkt habe. Selbst wenn man
den "innerdeutschen Flugverkehr" als maßgeblich ansehe, fehle es an der für die
Annahme einer relevanten Drittmarktbehinderung erforderlichen unmittelbaren Nähe der
beiden Märkte; außerdem fehle es an dem Merkmal, dass die beteiligten Unternehmen
auf beiden Märkten (oder zumindest die Klägerin auch auf dem Markt, auf dem die
Beklagte angeblich marktbeherrschend ist) tätig sind.
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Vorsorglich bestreitet sie auch die Berechtigung des
Schadensersatzfeststellungsanspruchs, weil es wegen der einstweiligen Verfügung 81
O (Kart) 155/05 Landgericht Köln zu keinem Schaden habe kommen können.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt
verwiesen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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Die Klage ist begründet.
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Die Klägerin kann von der Beklagten die begehrte Erlaubnis und
Schadensersatzfeststellung nach Maßgabe des Tenors verlangen, weil die Beklagte
den in relevanter Weise benachbarten Markt des innerdeutschen Luftreiseverkehrs (für
Geschäftsleute) beherrscht und die Klägerin jedenfalls deshalb in kartellrechtswidriger
Weise diskriminiert, weil sie die fragliche Genehmigung ohne rechtfertigenden Grund
dem Unternehmen B erteilt und dadurch einseitig deren Wettbewerb auf dem Markt der
Reisestellenkarten zu Lasten der Marktposition der Klägerin fördert, Art. 82 EG, § 19
GWB.
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An dieser Stelle sei klargestellt, dass der Kern des Vorwurfs gegen die Beklagte nicht
darin besteht, dass sie sich das Recht eigener Rechnungserstellung vorbehalten oder
dieses Recht den Reisebüros belassen will und deshalb der Klägerin gegenüber die
Zustimmung verweigert (die Beurteilung dieser Problematiken bleibt als unerheblich für
die Entscheidung über die Klageanträge ausdrücklich offen), sondern dass es keinen
sachlich rechtfertigenden Grund dafür gibt, B einerseits und die Klägerin andererseits
als ein Unternehmen, das ebenso wie B Reisestellenkarten mit Mehrwertsteuer-
Ausweis anbieten will, unterschiedlich zu behandeln. Vor diesem Hintergrund –
tatsächlich erteilte Zustimmung zum Mehrwertsteuer-Ausweis zu Gunsten von B – hat
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die Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte, auch ihr die Zustimmung zu erteilen;
der Tenor zu 1. braucht sich deshalb nicht darauf zu beschränken, die Beklagte zu
verurteilen es zu unterlassen, die Klägerin in Bezug auf die Erteilung der Zustimmung
anders zu behandeln als B.
Ebenso wenig ist der Anregung der Beklagten für eine Tenorierung "zu angemessenen
Bedingungen" zu folgen, denn die Klägerin weist zu Recht darauf hin, dass ein solcher
Tenor als zu unbestimmt nicht vollstreckbar wäre.
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Im Einzelnen:
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Die Beklagte beherrscht den Markt "Innerdeutscher Flugreiseverkehr für
Geschäftsleute".
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Ausgehend vom Bedarfsmarktkonzept entscheidet sich die Frage nach dem relevanten
Markt danach, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die von der Beklagten und
ihren Mitbewerber angebotenen Leistungen für die Gegenseite untereinander
austauschbar sind.
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Die Beklagte betreibt ein Luftverkehrsunternehmen zum Transport – nur hierauf kommt
es vorliegend an – von Personen und ist damit weltweit tätig. Wenn und soweit die
Frage zu prüfen ist, ob ein geplanter Zusammenschluss der Beklagten mit anderen
Luftverkehrsunternehmen eine wettbewerbsstörende Marktmacht begründet, kann dies
in aller Regel nur danach beurteilt werden, wie sich der Zusammenschluss auf
bestimmten, einzelnen Strecken auswirkt; für die Marktgegenseite – die Passagiere – ist
eine Reise von Köln nach Berlin nicht austauschbar mit einem Flug von Osnabrück
nach Stuttgart.
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Vorliegend gehört die relevante Gegenseite nicht einem beliebig zu verstehenden Markt
"Personentransport", sondern in der Person der Klägerin einem Markt an, der sich mit
unbaren Bezahlsystemen als Dienstleistung für reisewillige Personen befasst; im
Zusammenhang mit dieser Tätigkeit ist sowohl für die Klägerin als auch für deren
Kunden, die im hier interessierenden Zusammenhang zugleich Kunden der Beklagten
sind, die einzelne Flugstrecke ohne jede Bedeutung, denn tendenziell alle Flugstrecken
(und andere Reisebewegungen) können und sollen über die Klägerin bezahlt werden.
Nachdem im Rahmen dieses Bereichs eine Eigenschaft in Frage steht, die
ausschließlich gewerbliche Nachfrager betrifft, nämlich die Möglichkeit, die im
Reisepreis enthaltene Mehrwertsteuer gegenüber dem Finanzamt geltend zu machen,
ist der sachliche Markt auf Geschäftsreisende ("zeitsensible Reisende") zu begrenzen.
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Der räumliche Markt besteht in Reisen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
(und nicht etwa – wie die Beklagte anspricht – europa- oder weltweit zu sehen), denn
nur bei Reisebewegungen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland fällt
Mehrwertsteuer an und besteht für Unternehmen die hier in der Diskussion stehende
Möglichkeit, die gezahlte Mehrwertsteuer als Vorsteuer geltend zu machen.
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Auf diesem Markt ist die Beklagte beherrschend, wie sich im Einzelnen aus der von der
Klägerin vorgelegten Airclaims - Untersuchung (Anlage 44) ergibt, der die Beklagte bis
zum Schluss der mündlichen Verhandlung nichts Konkretes entgegen gehalten hat und
auf die deshalb Bezug genommen wird. Als unmittelbar Betroffene kann sie sehr genau
darauf antworten und darf sich deshalb nicht darauf zurückziehen, die dort dargestellten
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Zahlen seien unklarer Herkunft. Soweit sie nach Schluss der mündlichen Verhandlung
in ihrem insoweit nicht nachgelassenen Schriftsatz – der Schriftsatznachlass hat sich
nur auf den letzten Schriftsatz der Klägerin bezogen, nicht auf denjenigen, in dem die
Untersuchung vorgelegt worden ist – zu einzelnen Strecken konkret vorgetragen hat, ist
dies verspätet und nicht zuzulassen. Im übrigen weist die Klägerin zu Recht darauf hin,
dass diese einzelnen Einwände an der Feststellung der grundsätzlichen Position der
Beklagten im innerdeutschen Linienflugverkehr für Geschäftsreisende nichts ändern.
Zwar setzt sich eine Marktbeherrschung auch aus der jeweiligen Position bei einzelnen
Strecken zusammen; die besondere Stärke der Beklagten und ihre Unentbehrlichkeit
gerade für Geschäftsleute besteht in ihrem umfassenden Streckenangebot, auch in
zeitlicher Hinsicht. Gerade aus den vorstehenden, ergänzenden Erwägungen heraus
ergibt sich zwanglos, dass die sog. "Billigflieger" schon von ihrem Geschäftskonzept her
dafür keine wirkliche und spürbare Konkurrenz darstellen können, zumal – dies ist
unstreitig und im übrigen auch allgemein bekannt – nur wenige Gesellschaften dieser
Art überhaupt Inlandsflüge anbieten.
Vor diesem Hintergrund ist mit der Klägerin auf der Grundlage der von ihr vorgelegten
Studie für die Entscheidung davon auszugehen, dass die Beklagte auf dem gesamten
relevanten Markt über einen Anteil in der Größenordnung von rund 3/4 verfügt; wegen
der Einzelheiten kann auf den diesbezüglichen Vortrag der Klägerin in ihrem Schriftsatz
vom 9.2.2006 verweisen werden.
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Der Markt, aus dem heraus die Klägerin ihre Ansprüche geltend macht, betrifft nicht etwa
ganz allgemein "unbare Zahlungssysteme", denn der Streitpunkt besteht nicht in der
Frage, ob und in welcher Form die Klägerin eine Zahlungsfunktion zu erfüllen berechtigt
ist. Vielmehr geht es um die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch gegenüber der
Beklagten hat auf die Erteilung der für den Mehrwertsteuer-Ausweis auf ihren
Rechnungen gegenüber ihren Kunden notwendigen Zustimmung hat. Da diese
Möglichkeit nach dem unstreitigen Vorbringen beider Parteien im hier interessierenden
Zusammenhang nur der Reisestellenkarte zukommt, besteht ein gesondert zu
beurteilender Markt für solche Karten, denn es bedarf keiner besonderen Darlegungen,
dass der ganz immense Vorteil, der in der übersichtlichen Zusammenfassung der
Vorsteuer liegt, von den Unternehmenskunden gewünscht und nachgefragt wird. Der
Streit der Parteien darüber, ob die Möglichkeit des Mehrwertsteuer-Ausweises eine
"zentrale" Funktion der M-Karte darstelle oder nicht, trifft nach allem den Kern des
Problems nicht genau: es mag durchaus sein, dass eine Reisestellenkarte für eine
eigenständige Existenz ausreichende Vorteile aufweist im Verhältnis zur Corporate
Credit Card (CCC), auch wenn sie auf ihren Monatsrechnungen keine Mehrwertsteuer
ausweisen kann; dies bleibt aber als entscheidungsunerheblich ausdrücklich offen.
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Die Weigerung der Beklagten, auch der Klägerin die begehrte Zustimmung zu erteilen,
ist in rechtlich relevanter Weise missbräuchlich, weil die unterschiedliche Behandlung
zu B nicht sachlich gerechtfertigt ist.
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Ausgangspunkt bei den Erwägungen der Kammer ist der berechtigte Hinweis der
Beklagten, ein rechtlich erheblicher Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
könne in Fällen der vorliegenden Art, in denen unterschiedliche Märkte betroffen sind,
nur dann vorliegen, wenn besondere Umstände gegeben sind. Auch ein
marktbeherrschendes Unternehmen bleibt im Grundsatz frei in seinen Entscheidungen,
selbst wenn sich sein Verhalten – zwangsläufig – auf dem von ihm beherrschten Markt
negativ auswirkt; dies gilt erst recht dann, wenn sich die negativen Auswirkungen auf
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einem anderen Markt zeigen als auf dem, auf dem das agierende Unternehmen einen
beherrschenden Anteil hat.
Entgegen der Auffassung der Beklagten gibt es aber für die Feststellung eines
Missbrauchs keine förmlichen Voraussetzungen wie etwa eine Betätigung beider
streitenden Unternehmen auf beiden Märkten, denn solche Besonderheiten haben
nichts mit der Frage zu tun, ob ein Unternehmen zu Lasten des Wettbewerbs und
konkreter anderer Unternehmen seine Marktmacht in zu missbilligender Weise ausnutzt.
Wenn und soweit solche Konstellationen in höchstrichterlichen Entscheidungen
vorgelegen haben und in den Begründungen dargestellt worden sind, handelt es sich
eben um die Besonderheit des jeweiligen konkreten Falles, nicht aber um Elemente, die
für eine positive Entscheidung unabdingbar sind. Die Beklagte trifft deshalb nicht den
Kern des Problems, wenn sie – zutreffend – meint, eine zu Zwecken der Argumentation
unterstellte Marktbeherrschung auf der Strecke Frankfurt – Berlin weise keine engen
Verbindungen auf zum Kreditkartenmarkt; mit dieser von Formalien geprägten
Gegenüberstellung wird sie nicht der wirtschaftlichen Bedeutung des von der Klägerin
angegriffenen Verhaltens gerecht.
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Der Kreditkartenmarkt, zu dem der Markt für Reisestellenkarten als Untergruppierung
gehört, gehört zu den Hilfsmärkten für den Markt, den die Beklagte beherrscht, denn er
erleichtert den Vertrieb der von der Beklagten angebotenen Transportleistungen durch
die unbare Abwicklung der Übermittlung des Entgeltes; damit stehen beide Märkte
durchaus in einer gewissen Nähe zueinander. Speziell die Verbindung zwischen den
Leistungserbringern auf dem Markt für innerdeutsche Geschäftsreisen und dem Markt für
Reisestellenkarten ist aber schon deutlich enger, denn die Erbringung eines der
Alleinstellungsmerkmale der Reisestellenkarten – der gesonderte Ausweis der
Mehrwertsteuer – ist ohne die dafür erforderliche Zustimmung des jeweiligen
Leistungserbringers gar nicht möglich. Allerdings – hierin unterscheiden sich die von
den Parteien intensiv diskutierten EuGH – Entscheidungen "Magill" und
"Telemarketing" - liegt hier keine produktbedingte Unentbehrlichkeit der begehrten
Leistung der Beklagten vor, denn das Produkt "Reisestellenkarte" als solches bleibt
möglich und hängt von der Zustimmung der Beklagten nicht ab.
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Es kann dahinstehen, ob die oben beschriebene gewisse Nähe schon ausreicht, der
Klägerin bei Fehlen einer ausreichenden Rechtfertigung einen Anspruch auf die
begehrte Zustimmung zuzubilligen oder ob die Weigerung zu den unternehmerischen
Freiheiten eines einen anderen Markt Beherrschenden gehört, denn wie oben schon
erwähnt, ist dieser Sachverhalt nicht Streitgegenstand. Jedenfalls nämlich hat die
Beklagte die notwendige Besonderheit der Sachverhaltskonstellation dadurch
geschaffen, dass sie durch die Erteilung der Zustimmung gegenüber B bei gleichzeitiger
Verweigerung gegenüber den anderen einschlägigen Unternehmen selbst unmittelbar
in den Drittmarkt eingegriffen und diese besondere Nähe beider Märkte geschaffen hat.
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Auf dieser Grundlage – nicht etwa schon zur Begründung einer Besonderheit der
vorliegenden Fallgestaltung – kann festgestellt werden, dass der Eingriff der Beklagten
in den Markt der Reisestellenkarten nur deshalb ganz erheblich spürbare Auswirkungen
auf die wettbewerbliche Betätigung der Klägerin hat, weil die Beklagte über die oben
dargestellte herausragende Marktstellung verfügt. Die Beklagte hat zwar – zulässiger
Weise, weil sie selbst dazu keine Kenntnis haben kann – bestritten, dass der hier
einschlägige Umsatz der Klägerin mit Leistungen der Beklagten 60% oder mehr
ausmache; auf die genaue Zahl kommt es aber gar nicht an, denn es ist zwingende
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Folge der festgestellten Marktbeherrschung seitens der Beklagten, dass die Klägerin auf
einem Markt, der sich ausschließlich mit der Bezahlung von Leistungen befasst, die von
einem Reisebüro vermittelt werden, einen ganz erheblichen Anteil an Umsatz mit
mehrwertsteuerfähigen Leistungen gerade auch der Beklagten macht.
Bei dieser Sachlage ist es zwingend, dass der Klägerin eine ganz massive
Umsatzeinbuße droht, wenn sie – im Gegensatz zu B – ihren Kunden den Komfort eines
einheitlichen Mehrwertsteuer – Ausweises nicht bieten kann, sodass die Kammer die
Auffassung der Klägerin teilt es bestehe die Gefahr, das Produkt "M-Karte" werde
bedeutungslos werden oder sogar ganz eingestellt werden müssen. Die drohenden
Konsequenzen für das Folgegeschäft bei den Unternehmenskreditkarten mögen von der
Klägerin etwas kräftiger dargestellt worden sein als sie tatsächlich sind: ganz sicher
aber hat die Entscheidung eines Unternehmenskunden, den Reisestellenkarten –
Anbieter zu wechseln auch negative Folgen für das übrige Geschäft.
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Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, B die Erlaubnis zu erteilen, der Klägerin aber
nicht.
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Zur Frage, inwieweit die jetzt angegriffene Praxis auf Vorgaben des Finanzamtes zurück
zu führen ist, hat die Beklagte trotz der entsprechenden Ausführungen der Kammer im
Verfügungs-Urteil 81 O (Kart) 155/05 nicht konkret dargelegt, in welcher Form und
warum die Finanzverwaltung sie trotz des eindeutigen Wortlautes des Gesetzes
angehalten haben sollte, die Zustimmung (z.B.) gegenüber der Klägerin nicht zu
erteilen, dies gegenüber B aber nicht beanstande; dieser Einwand kann deshalb keine
Berücksichtigung finden.
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Soweit sie darauf hinweist, dass B zu ihrem Konzern gehört und sich insoweit auf die
Entscheidung "Aktionsbeträge" der BGH beruft, vermag dies ihren Eingriff ebenso wenig
zu rechtfertigen. Die Entscheidung "Aktionsbeträge" ist nämlich schon deshalb nicht
einschlägig, weil es bei der unterschiedlichen Verteilung der Zuschüsse um die
Förderung des eigenen Absatzes gegangen ist, was vorliegend unter keinem Aspekt
eine Rolle spielt: die Beklagte verkauft keinen einzigen Platz mehr, wenn nur B in der
Lage ist, den Unternehmenskunden die Mehrwertsteuer auszuweisen.
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Auch der Schadensersatzfeststellungsantrag ist begründet, denn es ist durchaus
möglich, dass die Turbulenzen im Zusammenhang mit der Weigerung der Beklagten zu
Schäden bei der Klägerin führen werden, die jetzt noch nicht bekannt sind; so können
z.B. Unternehmen wegen der entstehenden Unsicherheiten davon abgehalten worden
sein, zur Klägerin zu wechseln.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.
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Streitwert: € 1.000.000,-.
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