Urteil des LG Köln vom 05.01.2011

LG Köln (kläger, treu und glauben, höhe, zpo, kündigung, allgemeine geschäftsbedingungen, zeitpunkt, vertrag, anlass, preis)

Landgericht Köln, 9 S 207/10
Datum:
05.01.2011
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 S 207/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Gummersbach, 16 C 254/09
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts
Gummersbach vom 21.07.2010 – 16 C 254/09 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des auf
Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e :
1
I.
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Der Kläger verlangt von der Beklagten, einem regionalen Gasversorgungsunternehmen,
die Rückzahlung eines Betrages in Höhe von insgesamt 1.247,10 € aufgrund
unwirksamer Gaspreisanpassungen in der Zeit vom 01.10.2004 bis zum 31.03.2009.
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Die Rechtsvorgängerin der Beklagten schloss mit dem Kläger am 20./25.10.2003 einen
vorformulierten Erdgas-Lieferungsvertrag (Sondervertrag). In § 2 dieses Vertrages ist ein
Arbeitspreis von 3,08 ct/kWh (netto) vereinbart. Im Folgenden heißt es: "Der Gaspreis
ändert sich, wenn eine Änderung der allgemeinen Tarife der Gasgesellschaft eintritt.
Änderungen der Preise und Bedingungen werden in der Tagespresse bekanntgegeben
und dadurch wirksam." In § 5 ist geregelt, dass das Vertragsverhältnis zum 10.10.2003
beginnt und nach Ablauf von 12 Monaten auf das Ende eines Kalendermonates
schriftlich gekündigt werden kann.
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Aufgrund der vorgenannten Preisanpassungsklausel änderte die Beklagte im
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streitgegenständlichen Zeitraum wiederholt ihre Preise. Wegen der einzelnen
Preisänderungen wird auf BI. 19 der Gerichtsakte verwiesen. Der Kläger widersprach
den Preisänderungen nicht.
Am 09.11.2005 wurde in der lokalen Presse unter der Überschrift "Protestwelle bei der
C-Gas" ein Artikel mit folgendem Inhalt veröffentlicht: "(...) Viele Kunden haben Ihre
Einzugsermächtigung zurückgezogen und andere Zahlungsmodalitäten gewählt. Diese
Protestwelle führte dazu, so C-Gas-Geschäftsführer B, dass wir zwei zusätzliche
Mitarbeiter beschäftigen müssen. Dabei, so macht B deutlich, verlieren die Kunden, die
keine Rechtsmittel einlegen, keinen Rechtsanspruch: Wir behandeln alle Kunden
gleich. Es wird also keinen Unterschied zwischen den Kunden geben, die uns ihre
Vorbehaltszahlung schriftlich mitteilen, noch denjenigen, die nicht geschrieben haben.
(…)"
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Der Kläger hat ausgehend von einem Arbeitspreis in Höhe von 3,08 ct/kWh (zu der
Berechnung im Einzelnen vgl. Bl. 5 GA) im ersten Rechtszug beantragt, die Beklagte zu
verurteilen, an ihn 1.247,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz ab dem 10.04.2009 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von
186,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage
abzuweisen.
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Das Amtsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von
1.247,10 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 23.07.2009 zu zahlen. Hinsichtlich der weitergehend beantragten Zinsen und den
geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten hat es die Klage im Übrigen
abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe ein
Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zu. Die vertragliche
Preisänderungsklausel sei unwirksam. Die Preise seien auch nicht durch
widerspruchslose Hinnahme der Jahresabrechnungen konkludent neu vereinbart
worden. Ebenso wenig komme eine ergänzende Vertragsauslegung angesichts der für
die Beklagte bestehenden Kündigungsmöglichkeit in Betracht. Aus diesem Grund sei
der Vertrag auch nicht insgesamt gem. § 306 Abs. 3 BGB unwirksam. Auf Entreicherung
nach § 818 Abs. 3 BGB könne sich die Beklagte mangels Kausalzusammenhang
zwischen der Bereicherung und den getätigten Aufwendungen nicht berufen.
Schließlich sei der Rückzahlungsanspruch des Klägers auch nicht verwirkt. Der
Anspruch sei zwar für die vor dem 01.05.2005 liegenden Zeiträume verjährt, der
errechnete Rückzahlungsbetrag für die Monate ab 01.05.2005 übersteige jedoch bereits
die Klageforderung.
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Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten. Sie wiederholt und vertieft dabei
insbesondere ihr Vorbringen, wonach aufgrund ergänzender Vertragsauslegung von
einem Preisänderungsrecht der Beklagten ausgegangen werden müsse. Unabhängig
von der Frage, ob sie Anlass zur Kündigung der bestehenden Verträge gehabt habe,
wäre eine Kündigung wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht nicht möglich
gewesen. Überdies seien die geltend gemachten Ansprüche für den Zeitraum bis zum
31.12.2005 verjährt.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Amtsgerichts Gummersbach vom 21.07.2010 (Az. 16 C 254/09)
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abzuändern und die Klage abzuweisen;
hilfsweise, den Rechtsstreit unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Gummersbach
zurückzuverweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung u.a. unter Vertiefung seiner
Rechtsansicht, das der Beklagten zustehende Kündigungsrecht spreche entscheidend
gegen eine nicht hinzunehmende einseitige Begünstigung auf Kundenseite.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der
Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
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II.
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Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten
hat in der Sache keinen Erfolg.
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Die Entscheidung des Amtsgerichts ist rechtsfehlerfrei und die gem. § 529 ZPO
zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung, § 513 ZPO.
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Das Amtsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass dem Kläger ein Anspruch aus
ungerechtfertigter Bereicherung gem. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB zustehe.
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1) Soweit der Kläger in der Zeit vom 01.10.2004 bis zum 31.03.2009 Entgeltzahlungen
an die Beklagte erbrachte, die auf einem Arbeitspreis von mehr als 3,08 ct/kWh
basierten, erfolgten diese ohne Rechtsgrund.
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a) Das in § 2 des Sondervertrages aus dem Jahr 2003 niedergelegte vertragliche
Preisänderungsrecht ist – was die Beklagte nicht in Abrede stellt – gem. § 307 Abs. 1
BGB unwirksam, weil die Klausel hinsichtlich des Umfangs der Preisänderung nicht klar
und verständlich ist und sie die Kunden deswegen unangemessen benachteiligt (vgl.
BGH, Urt. v. 17.12.2008 – VIII ZR 274/06).
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b) Durch die widerspruchslose Hinnahme der Jahresabrechnungen ist es auch nicht zu
einer konkludenten Vereinbarung neuer Preise gekommen. Den Ausführungen des
Bundesgerichtshofes in seiner Entscheidung vom 14.07.2010 (Az. VIII ZR 246/08,
insbes. Rn. 57 ff., zitiert nach juris), wonach bei einer einseitigen Preiserhöhung eines
Gasversorgungsunternehmens aufgrund einer unwirksamen Preisanpassungsklausel
die vorbehaltlose Zahlung des erhöhten Preises durch den Kunden nach Übersendung
einer auf der Preiserhöhung basierenden Jahresabrechnung nicht als stillschweigende
Zustimmung zu dem erhöhten Preis angesehen werden kann, schließt sich die Kammer
an. Die Rechtsprechung zur Billigkeitskontrolle von einseitigen Preisanpassungen ist
auf den Fall der Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel bei Sonderkunden nicht
übertagbar. Denn bei einseitigen Preiserhöhungen in einem Tarifkundenvertrag gemäß
§ 4 AVBGasV ist nicht zweifelhaft, ob das Versorgungsunternehmen den Preis
überhaupt anpassen darf. Im Rahmen eines Sonderkundenvertrages kann die
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vorbehaltlose Zahlung eines erhöhten Preises nach Übersendung einer
Jahresabrechnung aus Sicht eines objektiven Empfängers nach §§ 133, 157 BGB
dagegen nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sich der Kunde mit der
vertraglichen Begründung eines einseitigen Preisänderungsrechts des Versorgers
einverstanden erklärt. Ein entsprechendes Erklärungsbewusstsein wird in solchen
Fällen auf Kundenseite regelmäßig fehlen. Demzufolge verbleibt es bei dem Grundsatz,
dass bloßem Schweigen auch bei Begleichung einer Rechnung kein darüber
hinausgehender Erklärungswert zukommt (vgl. auch OLG Hamm, Urt. v. 29.05.2009 – 19
U 52/08).
c) Ein gesetzliches Preisänderungsrecht aus § 4 Abs. 1 AVBGasV bzw. § 5 Abs. 2
GasGVV stand der Beklagten nicht zu, weil es sich bei dem Kläger nicht um einen
"Tarif-" bzw. "Haushaltskunden" handelt.
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d) Durch die Bezugnahme in § 6 Nr. 1 des Sondervertrages auf die Bestimmungen der
AVBGasV ist ein entsprechendes Preisänderungsrecht auch nicht in die Verträge
wirksam einbezogen worden. Zwar hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom
14.07.2010 ausgeführt, eine Preisanpassungsklausel, die das im Tarifkundenverhältnis
bzw. für die Grundversorgung bestehende gesetzliche Preisänderungsrecht nach § 4
Abs. 1 und 2 AVBGasV unverändert in einen formularmäßigen Gassondervertrag
übernimmt, also davon nicht zum Nachteil des Kunden abweicht, stelle keine
unangemessene Benachteiligung des Sonderkunden im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1
oder 2 BGB dar. Eine wirksame Einbeziehung ist indes nicht erfolgt, weil in § 2 des
Sondervertrages gerade ausdrückliche Regelungen zur Änderung des Gaspreises
getroffen wurden. Aus Sicht eines durchschnittlichen Kunden stellen sich diese als
abschließend dar.
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e) Ein Recht der Beklagten zur einseitigen Preisänderung ergibt sich auch nicht nach
ergänzender Vertragsauslegung gem. §§ 133, 157 BGB.
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Sind Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht Vertragsbestandteil geworden oder
unwirksam, so bleibt der Vertrag grundsätzlich nach § 306 Abs. 1 BGB im Übrigen
wirksam. Sein Inhalt richtet sich gemäß § 306 Abs. 2 BGB nach den gesetzlichen
Vorschriften, wozu auch die Bestimmungen der §§ 157, 133 BGB über die ergänzende
Vertragsauslegung zählen. Nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofs in der
Entscheidung vom 14.07.2010 (Rn. 49 ff.), welche sich die Kammer zu eigen macht,
kommt eine ergänzende Vertragsauslegung jedoch nur dann in Betracht, wenn sich die
mit dem Wegfall einer unwirksamen Klausel entstehende Lücke nicht durch dispositives
Gesetzesrecht füllen lässt und dies zu einem Ergebnis führt, das den beiderseitigen
Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trägt, sondern das
Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten des Kunden verschiebt.
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Das ist hier nicht der Fall.
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Gemäß § 5 des Sondervertrages aus dem Jahr 2003 steht der Beklagten das Recht zu,
sich nach Ablauf der Mindestvertragslaufzeit von zwölf Monaten zum Ende eines
Kalendermonats bzw. mit einer Frist von drei Monaten zum Ablauf eines weiteren
Jahres vom Vertrag zu lösen. Wenn die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt an den
vertraglich vereinbarten Preis gebunden bleibt, so führt dies nicht ohne weiteres zu
einem unzumutbaren Ergebnis. Bereits Ende 2005 hatten etliche Kunden der Beklagten
durch Widersprüche deutlich gemacht, dass sie mit den Preiserhöhungen der Beklagten
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nicht einverstanden sind. Unabhängig davon, dass der Kläger selber den
Preiserhöhungen nicht widersprochen hat, bestand für die Beklagte deshalb Anlass,
auch eine Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Vertrages in Betracht zu ziehen.
Dabei kann es – anders als die Beklagte meint – aus Sicht der Kammer letztlich keinen
Unterschied machen, ob lediglich die "Unbilligkeit" der Preiserhöhungen durch die
Kunden der Beklagten oder auch explizit die "Unwirksamkeit" der den Erhöhungen
zugrunde liegenden Preisanpassungsklauseln moniert wurde. Eine solche
Differenzierung dürfte die an einen durchschnittlichen Kunden zu stellenden
Anforderungen überspannen. Die Kammer interpretiert insoweit auch die Ausführungen
des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 14.07.2010 (Rn. 51) dahingehend, dass
es bereits ausreicht, wenn die Kunden durch Widerspruch deutlich machen, sie seien
mit der Preiserhöhung der Beklagten "nicht einverstanden", gleich aus welchem Grund.
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Soweit der Bundesgerichtshof weiter (Rn. 52) offen gelassen hat, ob eine andere
Beurteilung geboten ist, wenn es sich um ein langjähriges Gasversorgungsverhältnis
handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden
Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und
nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der
Preiserhöhungen geltend macht, und durch erheblich gestiegene Gestehungskosten ein
erhebliches Missverhältnis zwischen Leistung und Preis begründet wird, besteht
vorliegend keine Veranlassung zu einer abschließenden Klärung dieser Frage.
Maßgeblich stellt der Bundesgerichtshof nämlich darauf ab, dass in einer solchen
Konstellation für länger zurück liegende Zeiträume eine Kündigung durch das
Versorgungsunternehmen überhaupt nicht in Betracht gezogen werden musste.
Vorliegend hatte jedoch bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels am
09.11.2005 in der örtlichen Presse eine Vielzahl von Kunden widersprochen.
Dementsprechend bestand für die Beklagte jedenfalls zu diesem Zeitpunkt
hinreichender Anlass, eine Kündigung aller Verträge in Erwägung zu ziehen.
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Ein Anspruch besteht aber auch nicht für die Zeiten vor Veröffentlichung des Artikels.
Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten davon ausgehen würde, dass sie erst zum
Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels Kenntnis von den Widersprüchen gehabt hat
und vor diesem Zeitpunkt kein Anlass hatte, eine Kündigung in Betracht zu ziehen, so
handelt es sich nach Ansicht der Kammer bei dem Zeitraum, in dem kein Anlass zur
Kündigung bestand, nicht um einen längeren Zeitraum im Sinne der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofes. Denn der Zeitraum zwischen dem 01.05.2005 (nicht
verjährter Beginn der Rückforderungsansprüche) und der Veröffentlichung des Artikels
beträgt weniger als sechs Monate.
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Zudem führen die in diesem Zeitraum von sechs Monaten entstandenen
Gestehungskosten, die Grundlage der Preiserhöhung waren, aus Sicht der Kammer
nicht zu einem erheblichen Missverhältnis zwischen Leistung und Preis. Die
Preiserhöhungen betrugen in diesem Zeitraum insgesamt ca. 60,00 €. Das
Vertragsgefüge wird insofern nicht völlig einseitig zugunsten des Kunden verschoben.
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Der Beklagten war es auch rechtlich möglich, die Sonderverträge mit ihren Kunden zu
kündigen. Selbst wenn die Beklagte zum maßgeblichen Zeitpunkt Monopolistin auf dem
Gasmarkt gewesen sein sollte, so hätte sie durch die Kündigungen der Sonderverträge
nicht ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht und gegen § 29 GWB verstoßen.
Es stand der Beklagten frei, Sonderverträge mit Kunden abzuschließen. Daher war es
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ihr auch möglich, diese wieder zu kündigen. Nach dem Ausspruch der Kündigung
wären die Kunden nicht schlechter gestellt. Sie hätten als Tarifkunden weiter Gas
beziehen können. Im Rahmen des Abschlusses eines Tarifkundenverhältnisses hätte
die Beklagte auch keine Entgelte fordern können, die für den Kunden unbillig gewesen
wären. Auch Tarifkunden haben die Möglichkeit, weitere Preiserhöhungen der
Versorger einer Billigkeitskontrolle zu unterziehen.
f) Aus den vorgenannten Gründen ist der Vertrag auch nicht nach § 306 Abs. 3 BGB
unwirksam. Die Frage nach einer unzumutbaren Härte durch das Festhalten an dem
Vertrag für die Beklagte kann aus Sicht der Kammer im Verhältnis zur Problematik der
ergänzenden Vertragsauslegung nur einheitlich beantwortet werden, will man das zuvor
gefundene Ergebnis nicht konterkarieren.
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2) Auf Entreicherung gem. § 818 Abs. 3 BGB kann sich die Beklagte nicht berufen.
Soweit sie meint, im Rahmen von § 818 Abs. 3 BGB seien alle Aufwendungen
abzugsfähig, die sie in den Jahren 2006 bis 2008 im Vertrauen auf die Wirksamkeit der
Preisänderungen getroffen habe, um den Kläger mit Erdgas zu beliefern, weil sie bei
Kenntnis von der Unwirksamkeit der Klausel den Vertrag entsprechend gekündigt hätte,
verfängt dies nicht. Die Kammer teilt insoweit ebenfalls die Auffassung des
Oberlandesgerichts Hamm (Urt. v. 29.05.2009 – 19 U 52/08, Rn. 80, zitiert nach juris;
ebenso OLG Köln, Urt. v. 29.01.2010 – 19 U 143/09, Rn. 72 ff., zitiert nach juris), wonach
es bereits an einem Ursachenzusammenhang zwischen dem Empfang der
rechtsgrundlosen Leistung und einem Vermögensverlust bei der Beklagten fehlt. Die
Beklagte hätte den behaupteten Vermögensverlust nämlich auch dann erlitten, wenn die
Kunden nur die vertraglich geschuldeten und nicht die erhöhten Entgelte gezahlt hätten.
Die Bezugspreise sind bereits erhöht worden, bevor eine Preisanpassung durch die
Beklagte erfolgt ist und die Kunden die gestellten Jahresabrechnungen beglichen
haben, wobei die Beklagte verpflichtet war, an die Kunden zu den vereinbarten Preisen
zu liefern.
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Auch wenn man davon ausgeht, dass sich eine Bereicherung mindern kann, wenn und
soweit der gutgläubig Bereicherte im Vertrauen auf die Beständigkeit des Erwerbs
Aufwendungen tätigt, die mit dem Bereicherungsvorgang in adäquatem Zusammenhang
stehen (vgl. BGH, Urt. v. 21.03.1996 – III ZR 245/94; Lorenz, in: Staudinger, BGB, 2007,
§ 818 Rn. 38), ergibt sich vorliegend nichts anderes. Das von der Beklagten angeführte
Vertrauen in die Wirksamkeit der Preisänderungsklausel erscheint der Kammer nicht
schutzwürdig. In Anbetracht der bereits im Jahr 2005 erhobenen Widersprüche ihrer
Kunden sowie der sich anschließenden Gerichtsverfahren konnte die Beklagte nicht von
der Rechtsbeständigkeit der von ihr verwendeten Klausel ausgehen (vgl. auch OLG
Köln, a.a.O., Rn. 74).
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3) Die Ansprüche sind auch nicht für den Zeitraum bis zum 31.12.2005 verjährt, sondern
– wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat – lediglich für den Zeitraum vor dem
01.05.2005. Der Beginn der Verjährung tritt mit dem Schluss des Jahres ein, in dem der
Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden
Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangte oder infolge grober
Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB). Der Anspruch war mit
Bekanntgabe der Rechnung an den Kläger entstanden, da erst zu diesem Zeitpunkt
sämtliche überzahlten Beträge in das Vermögen der Beklagten gelangt sind. Insofern
sind lediglich die Ansprüche verjährt, die bereits im Jahr 2005 abgerechnet worden sind,
hier demnach die Ansprüche, die auf dem Verbrauch bis zum 30.04.2005 beruhen.
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4) Der Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs steht schließlich weder der
Einwand der Verwirkung noch ein sonstiger Verstoß gegen Treu und Glauben nach
§ 242 BGB entgegen. Für eine Verwirkung fehlt es jedenfalls am sog.
Umstandsmoment. Die Beklagte durfte der Ende 2005 erhobenen vielfachen
Widersprüche ihrer Kunden – wie bereits ausgeführt – nicht darauf vertrauen, dass keine
Rückzahlungsansprüche erhoben werden würden. Dies gilt aus Sicht der Kammer umso
mehr, als die Rechtsvorgängerin der Beklagten durch ihren Geschäftsführer in der
lokalen Presse selbst angekündigt hat, Kunden unabhängig von der Einlegung eines
Widerspruchs gleich zu behandeln.
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Eine Zurückverweisung an das Amtsgericht nach § 538 Abs. 2 ZPO kommt nicht in
Betracht.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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IV.
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Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO zuzulassen. Die Rechtssache
hat grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Zulassung der
Revision ist zudem i.S.d. § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Fortbildung des Rechts bzw. zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die im Bereich der
ergänzenden Vertragsauslegung und Entreicherung aufgeworfenen Rechtsfragen sind
höchstrichterlich bislang nicht erschöpfend geklärt.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 1.247,10 €.
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