Urteil des LG Köln vom 09.04.2008

LG Köln: urlaub, fraktur, behandlungsfehler, bandscheibenvorfall, bwk, abklärung, therapie, invalidität, mrt, schmerzensgeld

Landgericht Köln, 25 O 526/05
Datum:
09.04.2008
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
25. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
25 O 526/05
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.000 € zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 2/3 und der Beklagte zu
1/3. Der Kläger trägt weiterhin die Kosten der Nebenintervention zu 1/3.
Im übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden
Betrags. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch den
Beklagten und den Nebenintervenienten jeweils durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des auf Grund des Urteils gegen
ihn vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht der jeweilige
Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T A T B E S T A N D:
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Der Kläger nimmt den Beklagten wegen des Vorwurfs ärztlicher Behandlungsfehler im
Zusammenhang mit der Behandlung nach einem Fahrradsturz auf
Schmerzensgeldzahlung in Anspruch.
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Der am 6.9.1946 geborene Kläger, der bereits seit dem 18.10.2001 wegen einer
anderweitigen Erkrankung bei dem Beklagten, einem niedergelassenen Chirurgen, in
Behandlung war, stellte sich bei diesem am 7.1.2002 unter anderem wegen eines am
Vortag erlittenen Fahrradsturzes vor und beklagte Rückenschmerzen. Außerdem teilte
er mit, dass ein Urlaub anstehe. Der Beklagte führte eine klinische Untersuchung durch,
die ohne Befund blieb. Er riet zur Durchführung eines CTs.
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In der Zeit vom 8.1.2002 bis zum 25.1.2002 befand sich der Kläger im Urlaub. Nach
seiner Rückkehr unterzog er sich am 29.1.2002 bei dem Streithelfer einer CT der
Lendenwirbelsäule, die jedenfalls einen Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 ergab.
Danach stellte er sich am 31.1.2002 wegen Persistenz der Rückenbeschwerden erneut
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Danach stellte er sich am 31.1.2002 wegen Persistenz der Rückenbeschwerden erneut
beim Beklagten vor. Dieser untersuchte ihn wieder und verordnete sodann jedenfalls
Krankengymnastik; ob weiteres veranlasst wurde, ist streitig.
Am 20.2.2002 wandte sich der Kläger an den Orthopäden Dr. T, der
Facetteninfiltrationen, Akupunkturen und Bewegungsbäder durchführte bzw. anordnete.
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Am 28.3.2002 stellte sich der Kläger im Krankenhaus in L-B vor, wo nach
kernspintomografischer Untersuchung eine Fraktur des 12. BWK sowie ein
Bandscheibenvorfall im Bereich des 5. LWK diagnostiziert wurde.
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Der Kläger wirft den Beklagten vor, es versäumt zu haben, bereits am 7.1.2002
bildgebende Diagnostik veranlasst zu haben. Er behauptet, es hätten Prellmarken am
Rücken vorgelegen. Er habe den Beklagten gefragt, ob gegen den anstehenden Urlaub
Bedenken bestünden, was dieser jedoch ausdrücklich verneint habe und erklärt habe,
das CT habe Zeit bis nach dem Urlaub. Weiter behauptet der Kläger, dass bei der
gebotenen Befunderhebung bereits am 8.1.2002 die später diagnostizierte Fraktur und
der Vorfall der Bandscheibe, die beide Folge des Fahrradsturzes seien, erkannt worden
wären.
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Zu den Folgen behauptet der Kläger, dass der Bruch infolge der
Behandlungsverzögerung schief zusammengewachsen und nicht mehr behandelbar
sei. Hierdurch sei er zu 30% arbeitsunfähig und schließlich erwerbslos geworden.
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Er beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 30.000 € zu
zahlen.
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Der Beklagte und der Streithelfer beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte
beschriebenen Rückenschmerzen seien diffus gewesen und hätten sich nicht als
Folgen des Unfallgeschehens lokalisieren lassen, zumal der Kläger bereits in den
Vormonaten Rückenschmerzen beklagt gehabt habe. Er behauptet, er habe gleichwohl
vorsorglich bereits am 7.1.2002 ein CT veranlasst, das jedoch wegen der
Urlaubsabwesenheit des Klägers erst am 29.1.2002 durchgeführt worden sei und
lediglich – so auch der Streithelfer – einen kleinen Bandscheibenvorfall im Segment
L5/S1 ohne nennenswerte Kompressionswirkung dargestellt habe.
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Der Befund sei sodann bei der Wiedervorstellung am 31.1.2002 besprochen worden
und er habe den Kläger auf das Erfordernis einer unverzüglichen orthopädischen
Weiterbehandlung hingewiesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und die zur Gerichtsakte gereichten
Behandlungsunterlagen Bezug genommen.
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Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 31.5.2006 (Bl. 71
ff. d.A.) durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie durch
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Vernehmung der Zeuginnen M und D. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. med. A vom 4.11.2006 (Bl.
148 ff. d.A.), die ergänzende Stellungnahme vom 20.4.2007 (Bl. 124 ff.) sowie das
Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.3.2008 (Bl. 197 ff. d.A.) verwiesen.
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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Die zulässige Klage ist in der aus dem Tenor zu ersehenden Höhe begründet. Der
Kläger kann vom dem Beklagten auf Grund der Behandlung am 7.1.2002 ein
Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 € verlangen, weil diese insofern fehlerhaft erfolgt
ist, als der Beklagte die Ursache der Schmerzen im Bereich der unteren
Brustwirbelsäule sowie der Lendenwirbelsäule vor dem Hintergrund des anstehenden
Urlaubs nicht mit der ausreichenden Konsequenz abklärt hat und es hierdurch zu einer
Verstärkung der Rückenbeschwerden des Klägers gekommen ist.
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Der Sachverständige Dr. K ist nach eingehender Auseinandersetz-ung mit den
Behandlungsunterlagen sowie dem Vorbringen der Parteien und eigener Untersuchung
des Klägers zu dem wohlbegründeten Ergebnis gekommen, dass dem Beklagten
insofern ein Behandlungsfehler vorzuwerfen ist, als er die eventuellen Folgen des
Sturzereignisses vor der anstehenden Urlaubsreise des Klägers nicht sicher abgeklärt
hat. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass die vom Kläger geschilderte
Druckschmerzhaftigkeit über dem BWS/LWS-Übergang und im Verlauf der weiteren
LWS in Kombination mit dem geschilderten Unfallereignis eine röntgenologische
Untersuchung geboten habe, zumal eine kurzfristige Beobachtung des klinischen
Verlaufs wegen der anstehenden Urlaubsreise nicht möglich gewesen sei. Dies habe
eine so zeitnahe Abklärung erfordert, dass dem Kläger Verhaltensregeln für den Urlaub
hätten mitgegeben werden können. Daher sei die Empfehlung eines CT´s nach
Urlaubsrückkehr unzureichend gewesen.
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Dabei ist der Sachverständige zutreffend davon ausgegangen, dass dem Beklagten
zum Zeitpunkt der Untersuchung der anstehende Urlaub des Klägers bekannt war. Dies
haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung persönlich übereinstimmend
geschildert. Der Beklagte hat weiterhin eingeräumt, dass er eine besondere
Dringlichkeit für eine Abklärung nicht gesehen habe.
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Was das Ergebnis der nach den Ausführungen des Sachverständigen zu
veranlassenden Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule anbelangt, hat dieser
plausibel dargelegt, dass bei einer normalen Einstellung des Röntgens der
Lendenwirbelsäule auch der 12. Brustwirbel erfasst werde, so dass man aus der
Röntgenaufnahme entweder den Wirbelbruch als solchen oder aber jedenfalls einen
Hinweis hierauf hätte ersehen können, was dann im nächsten Schritt, nämlich einer
weiteren Zielaufnahme, zur Diagnose desselben geführt hätte. Dass man keinerlei
zielführenden Hinweis gesehen hätte, hält er für nahezu ausgeschlossen. Dabei geht
der Sachverständige mit Sicherheit davon aus, dass sich der Kläger die Wirbelfraktur
bereits bei dem Fahrradsturz zugezogen hat. Hierfür spreche die Klinik bei der
Vorstellung am 8.1.2002 sowie die später gefertigten CTs. Vor dem Hintergrund des
Sturzereignisses und des Verlaufs bestehe kein Zweifel daran, dass die Fraktur durch
das Sturzereignis verursacht worden sei.
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Hierzu hat er in der Anhörung weiter erläutert, dass seiner Beurteilung auch nicht
entgegenstehe, dass die späteren Behandler den Bruch zunächst nicht erkannten. Dies
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könne seinen Grund darin haben, dass der Bruch auf dem CT lediglich auf der zunächst
gefertigten Übersichtsaufnahme erkennbar sei, die sehr klein sei und dazu diene, die
weiteren Schnitte des CT´s einzurichten. Die am 7.1.2002 gebotene Röntgenaufnahme
habe hinsichtlich der Darstellung des Bruchs erhebliche Vorteile gehabt. Auch die
Befundung des MRT vom 28.3.2002, insbesondere die Beschreibung einer "frischen
Fraktur" gebe keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Dies lasse sich ohne
weiteres mit andauernden Umbauvorgängen bei verzögerter Knochenheilung erklären.
Insoweit bestand keine Veranlassung zu der erst in der mündlichen Verhandlung von
Beklagtenseite beantragten Einholung eines radiologischen Zusatzgutachtens zur
Frage des hypothetischen Befundes einer Röntgenaufnahme am 1.7.2002. Die Kammer
erachtet die Sachkunde des Sachverständigen Jeschke auf Grund seiner Qualifikation
als Chirurg und auf Grund seiner wohlbegründeten Ausführungen für ausreichend zur
Beurteilung dieser Frage. Im übrigen ist zu berücksichtigen, dass er seine Beurteilung
auf das CT vom 29.1.2002 stützt, das zeitnäher zum Unfallereignis gefertigt worden ist
als das MRT vom 28.3.2002, auf das die Beklagtenseite insoweit abstellt. Schließlich
erfolgte der weitere Beweisantritt verspätet. Denn mit der Problematik einer
unterlassenen Befunderhebung, die im Mittelpunkt der Beweiserhebung stand, geht
stets die Frage eines reaktionspflichtigen Ergebnisses einher, so dass entsprechende
Anträge so frühzeitig hätten gestellt werden können und müssen, dass sie im Termin
umfassend hätten abgehandelt werden können.
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Eine Nichtreaktion von dem danach zu Grunde zu legenden Röntgenbefund, etwa in
Form von Kontrollen oder Verordnung eines Stützkorsetts, beurteilt der Sachverständige
plausibel als unverständlich, was die Kammer als grob fehlerhaft wertet.
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Auf der Grundlage des damit zu bejahenden Befunderhebungsfehlers kommt dem
Kläger hinsichtlich der Folgen der Fehlbehandlung eine Beweiserleichterung dergestalt
zugute, dass lediglich diejenigen Beeinträchtigungen auszuscheiden sind, bei denen es
sich als äußerst unwahrscheinlich darstellt, dass sie auf den Behandlungsfehler
zurückzuführen sind.
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Auch insoweit macht sich die Kammer die sehr differenzierten Ausführungen des
Sachverständigen zu eigen:
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Die vom Kläger beklagten Beschwerden seit dem Unfallereignis, nämlich permanente
erhebliche Schmerzen im Bereich der unteren Wirbelsäule, insbesondere beim Gehen
und Sitzen, hat der Sachverständige, der den Kläger selbst untersucht hat, bestätigt.
Diese Beschwerden seien insgesamt mit einer Invalidität von 30% zu bewerten.
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Allerdings seien die nunmehr bestehenden Beschwerden zu 50% auf die beim Kläger
vorbestehenden degenerativen Veränderungen und zu 50% auf den Sturz und seine
Folgen zurückzuführen. Von den danach auf den Sturz samt Folgen entfallenden 15%
ordnet er 2/3, also 10%, der Behandlungsverzögerung zu. Er erläutert dies
dahingehend, dass am 12. BWK insgesamt eine Sinterung von 1/3 der Höhe eingetreten
sei, die zu einer ungünstigen Statik mit Fehl- und Mehrbelastung der angrenzenden
Strukturen geführt habe. Gerade diese Sinterung hätte sich bei adäquater Therapie nach
Erkennen der Fraktur – zunächst analgetische Medikation und Ruhigstellung, sodann
weitere konservative oder operative Therapie - zumindest teilweise verhindern lassen.
Dabei sei aber zu Grunde zu legen, dass in 70% der Fälle nach solch einem Sturz keine
folgenlose Ausheilung erreicht werden könne. Dies wertet die Kammer dahingehend,
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dass es nicht äußerst unwahrscheinlich ist, dass im Fall des Klägers eine folgenlose
Heilung eingetreten wäre, mit der Folge, dass 50% der Beschwerden und eine
Invalidität von 15% dem Behandlungsfehler zuzurechnen sind.
Unter Abwägung dieser medizinischen Folgen und der sich hieraus ergebenden
weiteren Einschränkung des mit Rückenschmerzen bereits vorbelasteten Klägers in
seiner Lebensführung hält das Gericht unter Berücksichtigung zu ähnlichen
Fallkonstellationen ergangener Entscheidungen (OLG Hamm, OLGR Hamm 01, 182
und 97, 256; OLG Frankfurt, NJW 1999, 2443; OLG Oldenburg, OLGR Oldenburg 97,
234) zum Ausgleich aller erlittenen Beeinträchtigungen ein Schmerzensgeld in Höhe
von 10.000 € für angemessen.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 101, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
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Streitwert
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