Urteil des LG Köln vom 20.10.2008

LG Köln: adresse, akteneinsicht, anzeige, erfahrung, daten, download, berechtigung, inhaber, interessenabwägung, tausch

Landgericht Köln, 106-5/08
Datum:
20.10.2008
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
6. große Strafkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
106-5/08
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
G r ü n d e :
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I.
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Mit Anwaltsschriftsatz vom 15.10.2007 hat die Antragstellerin, eines der führenden
deutschen Tonträgerunternehmen, unter Berufung auf Exklusivverträge mit einer
Vielzahl namhafter Künstler bei der Staatsanwaltschaft Köln Strafantrag gegen eine
Vielzahl unbekannter Personen wegen unerlaubter Verwertung urheberrechtlich
geschützter Werke in sogenannten Tauschbörsen sowie wegen aller sonstigen
rechtlichen Gesichtspunkte gestellt.
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In der Anzeige heißt es, die Anzeigenerstatterin habe in Erfahrung gebracht, dass die
noch unbekannten Tatverdächtigen im Zeitraum
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vom: 11.10.2007 07:15:07 (MESZ)
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bis: 15.10.2007 01:59:45 (MESZ)
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eine Vielzahl von Werken der Anzeigenerstatterin über die Tauschbörse M einer
unbeschränkten Anzahl dritter Personen zum Herunterladen (Download) über das
Internet bereitgestellt haben.
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Mit der Anzeige verfolgt die Antragstellerin das Ziel, dass die Staatsanwaltschaft durch
Anfragen beim Provider klärt, von welchem konkreten Festnetzanschluss die
(dynamische) IP-Adresse verwendet wurde und ihr das Ergebnis offenlegt. Gegen den
Anschlussinhaber möchte sie sodann zivilrechtlich vorgehen.
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Die Staatsanwaltschaft Köln hat auf die Anzeige hin verschiedene Provider um
Übermittlung der Nutzerdaten zu den übermittelten IP-Adresse und sonstigen Daten
gebeten und Namen und Anschrift der Inhaber erhalten, von deren Festnetzanschluss
aus die fraglichen Zugriff stattgefunden haben (sollen). Anschließend hat die
Staatsanwaltschaft Köln ein Einzelverfahren eingeleitet und das Verfahren nach § 170 II
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StPO eingestellt.
Mit Anwaltsschrift hat die Anzeigenerstatterin Akteneinsicht beantragt. Die
Staatsanwaltschaft Köln hat keine Akteneinsicht gewährt, sondern den Antrag dem
Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.
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II.
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In der Sache kann das Begehren der Antragstellerin auf Akteneinsicht keinen Erfolg
haben.
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Nach § 406e I StPO kann der Verletzte einer Straftat über einen Rechtsanwalt Einsicht
in die Strafakten nehmen, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. Ein
berechtigtes Interesse besteht insbesondere, wenn die Akteneinsicht der Prüfung der
Frage dient, ob gegen den Beschuldigten bürgerlich-rechtliche Ansprüche geltend
gemacht werden können. Grundsätzlich muss das Interesse "dargelegt" werden. Einer
Glaubhaftmachung bedarf es hingegen nicht. Sofern der Verletzte nach § 395 StPO
berechtigt ist, sich dem Verfahren als Nebenkläger anzuschließen - so wie vorliegend
die Antragstellerin -, bedarf es der Darlegung eines berechtigten Interesses nicht - auch
nicht im Vorverfahren (Meyer-Goßner § 406a Rn. 3). Gleichwohl ist die Akteneinsicht
auch in dem zuletzt genannten Fall nach § 406e II 1 StPO zu versagen, soweit
überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen
entgegenstehen. Das Abwägungsgebot des § 406e II StPO gilt auch für
Nebenklageberechtigte (Meyer-Goßner § 406e Rn 6); letztere sind nach der eindeutigen
gesetzlichen Anordnung gegenüber sonstigen Verletzten lediglich insoweit privilegiert,
als ihr berechtigtes Interesse zunächst einmal auch ohne nähere Darlegung vermutet
wird.
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Bei der nach § 406e II StPO gebotenen Interessenabwägung stehen jedenfalls derzeit
überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten bzw. Dritter der Gewährung
von Akteneinsicht entgegen. Insoweit schließt sich die Kammer den Entscheidungen
des Landgerichts München vom 12.3.2008 (5 Qs 19/08) sowie des Landgerichts
Saarbrücken vom 28.1.2008 (5 (3) Qs 349/07) an. Insbesondere die Erwägungen des
Landgerichts München hält die Kammer für stichhaltig; sie sind nach hiesiger
Einschätzung auch nicht auf die Fallkonstellation beschränkt, dass das eingestellte
"Tauschobjekt" ein pornographisches Werk ist.
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Die Offenlegung der Identität des von der Staatsanwaltschaft ermittelten
Anschlussinhabers würde in dessen Persönlichkeitsrechte und ggfls. in die
Persönlichkeitsrechte aller Mitbenutzer des Anschlusses/Rechners eingreifen.
Insbesondere der Anschlussinhaber muss damit rechnen, in einem standardisierten
Verfahren mit zivilrechtlichen Unterlassungsansprüchen konfrontiert zu werden. Auch
sofern er - etwa um die Auseinandersetzung rasch zu beenden - eine entsprechende
Unterlassungserklärung abgibt, muss er davon ausgehen, auf Zahlung von anwaltlichen
Abmahnkosten in Anspruch genommen zu werden. Kostenvolumina von ca. 500 € sind
nach der Erfahrung der Kammer insoweit realistisch.
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Diesen absehbaren Folgen einer Akteneinsicht stehen Interessen der Antragstellerin
gegenüber, deren Berechtigung bei näherer Prüfung aus folgenden Gründen ein
geringeres Gewicht beizumessen ist.
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Die von der Antragstellerin mitgeteilten Tatsachen begründen von Anfang an nur einen
sehr vagen Anfangsverdacht gegen den zu ermittelnden Inhaber des
Festnetzanschlusses, von dem aus ein geschütztes Werk - oder ein Bruchstück hiervon
- "downgeloadet" und sogleich - praktisch zeitgleich - zum "Upload" angeboten worden
sein soll. Deshalb ist auch die Berechtigung zivilrechtlicher Ansprüche, auf die es der
Antragstellerin ankommt, und von deren Begründetheit sie ohne weiteres ausgeht,
grundsätzlich kritisch zu sehen. Die Ursachen hierfür liegen aus Sicht der Kammer vor
allem in den wenig transparenten technischen Abläufen begründet, die den illegalen
Tausch urheberrechtlich geschützter Werke - aber auch den Maßnahmen der
Rechteinhaber zur Feststellung der Täter zugrunde liegen. Dabei verkennt die Kammer
nicht, dass Rechteinhaber gegenüber Tauschbörsen sehr vulnerabel sind und die
Anzahl der Rechtsverletzungen sicher in der Summe auch hoch ist. Leider ist die
Zuordnung konkreter Verstöße zu konkreten Personen besonders schwierig und
zeichnet sich durch eine extrem unbefriedigende Intransparenz der Geschehensabläufe
aus.
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Bereits die Zuverlässigkeit der Ermittlung der dynamischen IP-Adressen, unter denen
die Urheberrechtsverletzungen begangen worden sein sollen, stellt sich der Kammer als
kaum evaluierbar dar. Ausgangspunkt der Probleme ist die eine Zuordnung extrem
erschwerende Internetpraxis, dass die IP-Adresse einem bestimmten Provider
zugeordnet ist und dieser sie "dynamisch" - also bei jeder Internetanwahl eines seiner
Klienten aufs neue - vergibt. Dadurch ist die IP-Adresse nicht einem bestimmten Nutzer
zugeordnet, sondern wird nacheinander einer unüberschaubaren Vielzahl von Nutzern -
jeweils vorübergehend - zugeordnet. Die Zuordnung zu einem konkreten
Festnetzanschluss hängt demzufolge davon ab, den genauen Zeitpunkt der Einwahl ins
System (login) und die Dauer der Sitzung zuverlässig zu ermitteln.
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Auf welche Weise die Antragstellerin vorliegend die Verbindung zwischen einer
konkreten IP-Adresse, einen genauen Zeitpunkt und dem "Hashwert" eines ihrer Werke
hergestellt hat, lässt sich ihrer Anzeige und auch allen weiteren Schriftsätzen nicht
entnehmen. In der Anzeige heißt es lediglich, die Antragstellerin habe es "in Erfahrung"
gebracht. Diese Angabe ist dünn und wird durch das Konvolut von "Tatnachweisen"
auch nicht wesentlich aufgewertet. Der einzelne Tatnachweis - in einer PDF-Datei
übermittelt - enthält bei nüchterner Betrachtung nicht viel mehr als die Behauptung, zu
einer bestimmten sekundengenau definierten Zeit habe jemand unter einer konkreten
IP-Adresse eine Datei mit einem bestimmten Hashwert angefordert beziehungsweise
downgeloadet. Wie lange der Vorgang lief und ob und in welchem Umfang tatsächlich
Daten geflossen sind, kann der "Tatnachweis" nicht vermitteln. Das technische
Verfahren zur Gewinnung der übermittelten Informationen und die konkreten natürlichen
Personen, die für diese Angaben ggfls. als Belastungszeugen gerade stehen könnten,
sind nicht nachvollziehbar dargelegt.
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Die Kammer zweifelt nicht daran, dass die Anzeigenerstatterin nach bestem Wissen und
Gewissen ihre Erkenntnisse vortragen möchte. Deren Verlässlichkeit kann das Gericht
aber nicht abschätzen. Dass die Zuverlässigkeit der ausgespähten IP-Adressen nicht
ohne weiteres unterstellt werden kann, ergibt sich aus den Angaben der
Staatsanwaltschaft Köln in anderen Ermittlungsverfahren. Dort teilte die
Staatsanwaltschaft mit, dass sie schon öfter offensichtliche Mängel bei der IP-Adressen-
Auflösung beobachtet habe. So habe sie beispielsweise zunehmend beobachtet, dass
bei der Abfrage von IP-Adressen, die Anzeigenerstatter als ermittelt mitgeteilt hätten,
Provider rückgemeldet hätten, dass zu dem betreffenden Zeitpunkt zu der konkreten IP-
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Adresse keine Session gefunden werden könne; dies könne - so folgert die
Staatsanwaltschaft zu Recht - nur bedeuten, dass unter den zur Anzeige gebrachten
angeblichen Taten auch solche waren, die es nicht gegeben habe. Dies habe man nur
zufällig aufdecken können, weil die angeblich benutzte IP-Adresse zum betreffenden
Zeitpunkt überhaupt nicht in Benutzung gewesen sei. Ob und wie oft eine mitgeteilte IP-
Adresse zur Tatzeit von einem Unbeteiligten anderweitig genutzt worden sei, lasse sich
nicht mit Sicherheit sagen; man könne insoweit nur Vermutungen anstellen. Derartige
Fehlverknüpfungen sind nach der Erfahrung der Staatsanwaltschaft auch kein seltenes
oder vereinzeltes Phänomen. Bei einigen Verfahren habe - so die Staatsanwaltschaft -
die Quote der definitiv nicht zuzuordnenden IP-Adressen deutlich über 50% aller
angezeigten Fälle gelegen, bei einem besonders eklatanten Anzeigenbeispiel habe die
Fehlerquote sogar über 90% betragen. Erklärlich erscheinen solche
Zuordnungsprobleme der Kammer etwa durch Schwierigkeiten bei der Zeitnahme -
sowohl beim ermittelnden Unternehmen als auch beim Provider.
Auch die Verlässlichkeit der Hashwerte, die nach den Beobachtungen der
Staatsanwaltschaft Köln manipuliert werden können und gelegentlich - von Hackern -
manipuliert werden, um den Betrieb der Tauschbörse zu stören, ist nicht
hundertprozentig gewährleistet. Daraus ergibt sich eine weitere, quantitativ schwer
einzuordnende Unsicherheit in der Zuordnung eines bestimmten Festnetzanschluss zu
einem bestimmten Werk-Download bzw -Upload.
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Hinzu kommt, dass der Anschlussinhaber auch bei fehlerfreier Ausspähung der IP-
Adresse grundsätzlich nur als möglicher Täter in Betracht kommt, keinesfalls aber allein
durch den Zugriff "seiner" IP-Adresse auf ein digitales Werk bzw. des Anbietens eines
Werks hierüber bereits überführt werden könnte. Neben der Existenz von "Mitnutzern"
innerhalb der Familie oder Wohngemeinschaft ist stets auch eine missbräuchliche
Benutzung des Anschlusses/Rechners durch externe Dritte - etwa durch die anonyme
Einschleusung von versteckt arbeitenden Programmen auf den Computer des
Anschlussinhabers oder durch unbefugte Einwahl externer Personen in Funknetze - als
eine realistische Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Es muss generell bezweifelt werden,
dass die Mehrheit der privaten Internetnutzer auf ihren Rechnern die erforderlichen
technischen Abwehrsysteme installiert hat beziehungsweise die technischen
Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt, den eigenen Rechner in angemessener Weise zu
schützen. Die Folgerung, der illegale Tauschvorgang müsse zwangsläufig von
jemandem aus dem Haushalt des Anschlussinhabers an dessen Rechner vorsätzlich
ausgelöst worden sein - wofür der Anschlussinhaber verantwortlich gemacht werden
könne - , ist nicht zwingend.
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Dies alles macht es rechtlich zweifelhaft, aus einer vereinzelten Verknüpfung zwischen
einer bestimmten IP-Adresse und dem Hashwert eines einzelnen geschützten Werks
eine (zivilrechtliche) Störerhaftung eines konkreten Anschlussinhabers herleiten zu
wollen, solange nicht weitere Faktoren hinzutreten - wie etwa der Umstand, dass
erkennbar erhebliche Datenmengen zum Upload angeboten wurden - oder zusätzliche
Ermittlungsergebnisse (beispielsweise über Vortaten) vorliegen, die ein zufälliges,
singuläres "Hineingeraten" eines technisch nicht versierten Internetnutzers in eine
Tauschbörse, bei der der Vorsatz für die Begehung eines urheberrechtlichen Verstoßes
nicht angenommen werden könnte, unwahrscheinlich erscheinen lassen. Dies dürfte
aus Sicht der Kammer auch einer der Gründe für die Entscheidung der
Generalstaatsanwälte von Düsseldorf, Hamm und Köln sein, die Ermittlung von
Verstößen nach §§ 106, 108 UrhG davon abhängig zu machen, dass Anzeichen für
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Urheberrechtsverletzungen im "gewerblichen Ausmaß" vorliegen mit Werten der
angebotenen Werke ab 3.000 € aufwärts. Tauschaktionen in geringerem Umfang, die
vielleicht auch noch abgebrochen wurden - was die von der Antragstellerin ermittelten
Daten nicht erkennbar machen -, würden den Nachweis ungewiss machen, dass der
Täter das erforderliche technische Wissen und Bewusstsein hatte, bereits beim
Download-Vorgang selbst die Daten (partiell) weiter "anzubieten" - was für die
Annahme einer vorsätzlichen Urheberrechtsverletzung wesentlich wäre.
Die geschilderten Schwächen des Tatverdachts gegen die ermittelten
Anschlussinhaber, denen jeweils nur wenige Tauschzugriffe in einem verhältnismäßig
kurzen Zeitraum zugeordnet werden könnten, sprechen aus Sicht der Kammer erheblich
gegen die Gewährung von Akteneinsicht. Die von der Staatsanwaltschaft
vorgenommene Abwägung ist daher im Ergebnis nicht zu beanstanden. Daran kann die
generell sehr schwierige Beweislage, in der auch seriöse Anbieter wie die
Antragstellerin sich durch die technischen Eigenheiten des Internets befinden, letztlich
nichts ändern. Die von § 406e II StPO verlangte Interessenabwägung muss die
individuellen Rechtsgüter der betroffenen Personen zueinander in Beziehung setzen.
Der Gedanke, dass die Rechteinhaber derzeit nur wenig gute Möglichkeiten haben, sich
gegen illegale Tauschaktion nachhaltig zu schützen, kann nicht dazu führen, eine
Abmahnungspraxis, die ihrerseits Bedenken begegnet, allein deshalb aufzuwerten, weil
eine bessere Eingrenzung der verfolgungswürdigen Personen, beispielsweise auf
gewerbliche und multiple Rechtsbrecher, derzeit technisch schwierig ist. Dies gilt umso
mehr, als die gemeinhin reklamierten "Millionenschäden" durch Tauschbörsen zumeist
auf der hypothetischen Annahme beruhen, die getauschten Dateien würden bei
Unterbindung des Datentausches käuflich erworben. Dies dürfte indes aus
wirtschaftlichen Gründen wenig realistisch sein. Vielmehr ist anzunehmen, dass durch
den kostenlosen Tausch von urheberrechtlich geschützten Werken ein "Konsum"
generiert wird, der unter kommerziellen Bedingungen ansonsten schlicht unterbleiben
würde.
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Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus §§ 406e IV 2, 161a III 3, 464, 473 I
StPO.
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