Urteil des LG Köln vom 23.11.2005

LG Köln: geschäftsführung ohne auftrag, negative feststellungsklage, abmahnung, software, world intellectual property organization, irreführende werbung, zivilrechtliche ansprüche, unternehmen

Landgericht Köln, 28 S 6/05
Datum:
23.11.2005
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
28. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
28 S 6/05
Tenor:
1. Das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 6. April 2005 (Az.: 113 C
463/04) wird abgeändert: Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Berufungsbeklagte
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Berufungsbeklagte kann die
Vollstreckung wegen der Kosten abwenden gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages,
wenn nicht die Berufungsklägerinnen jeweils vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages
leisten.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
1
I.
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Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst Bezug genommen auf das
angefochtene Urteil des Amtsgerichts Köln (Az.: 113 C 463/04) vom 6. April 2005 (Bl.
262 ff. d.A.). Die Parteien streiten im Wege der negativen Feststellungsklage über
mutmaßliche Ansprüche der Berufungsklägerinnen, acht Musikunternehmen, auf Ersatz
von Abmahnkosten i.H.v. 1.113,50 € gemäß §§ 97, 95 a Abs. 3 UrhG bzw. § 823 Abs. 2
BGB i.V.m. § 95a Abs. 3 UrhG bzw. aufgrund der Grundsätze der Geschäftsführung
ohne Auftrag. Hintergrund ist, dass der Kläger auf der Internetplattform f beginnend ab
dem 1. Mai 2004 die Brenner-Software "D CD" als Originalversion unter dem Zusatz
"Allesbrenner von F" zum Verkauf angeboten hatte. Der Berufungsbeklagte ist Rentner,
er hatte die Software seinerzeit unstreitig noch vor Inkrafttreten des § 95 a UrhG im
regulären Handel erworben. Die Internetversteigerung der - seit Inkrafttreten der
vorgenannten Vorschrift im Handel nicht mehr regulär vertriebenen – Software wurde
unter im Detail umstrittenen Umständen vor ihrem vorgesehenen Ende abgebrochen.
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In einer Email vom 7. Mai 2004 teilte f dem Berufungsbeklagten mit, dass die Auktion am
4
In einer Email vom 7. Mai 2004 teilte f dem Berufungsbeklagten mit, dass die Auktion am
7. Mai 2004 auf Anforderung der Berufungsklägerin zu 7) vorzeitig beendet worden sei.
Dem trat der Berufungsbeklagte selbst mit Email vom 8. Mai 2004 (Anlage K 11, Bl. 27
d.A.) entgegen und teilte im Gegenzug mit, dass vielmehr er selbst mittels des Formulars
"Angebot vorzeitig beenden" eine vorzeitige Beendigung veranlasst habe. Ferner hieß
es in der Email wie folgt: "Ich erspare mir, mit Ihnen eine Diskussion über die
Rechtmäßigkeit .... zu führen. Fakt ist, dass die von Ihnen genannte Firma... mir nicht
verbieten kann, das Softwareprogramm an eine Privatperson mit dem Hinweis zu
verkaufen, dass es sich um ein Brennprogramm zur Anfertigung von Sicherheitskopien
handelt. Kopien von z.B. Daten-Backups sind gesetzlich nicht verboten.... Solange die
Software nicht dazu benutzt wird, Urheberrechte durch Umgehung eines Kopierschutzes
zu verletzen, kann man m.E. auch nicht davon sprechen, ich hätte durch meine Auktion
Rechte von Dritten verletzt. Wenn überhaupt hätte nur der Software-Hersteller mir
gegenüber als Lizenznehmer ein Einspruchsrecht gegen den von mir geplanten Verkauf
gehabt..." Zuvor hatte der Berufungsbeklagte bereits ein vom damals Höchstbietenden
nach dessen Benachrichtigung über den Abbruch der Internetversteigerung an ihn
unmittelbar gemachtes Kaufangebot abgelehnt.
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Am 24. Mai 2005 erhielt der Berufungsbeklagte eine anwaltlich verfasste Abmahnung im
Namen der acht Berufungsklägerinnen, die hinsichtlich der von ihnen vertriebenen
Tonträger sowie Bildtonträger unstreitig Inhaberinnen der Rechte aus §§ 85, 94 UrhG
sind und dabei technische Schutzmaßnahmen zur Verhinderung des Kopierens von
CDs einsetzen, unter Berufung auf § 95 a UrhG zu einem Streitwert von 10.000 €
(Anlage K 12, Bl. 29 ff. d.A.). Eine Vollmacht war nicht beigefügt; ob und wie es zuvor
eine konkrete Mandatierung der Prozessbevollmächtigten durch alle acht
Berufungsklägerinnen gegeben hat, ist zwischen den Parteien umstritten.
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Mit Anwaltsschreiben vom 28. Mai 2005 (Anlage K 13, Bl. 38 ff. d.A.) machte daraufhin
der Berufungsbeklagte deutlich, dass er die Abmahnung in der Sache für unberechtigt
halte. Unter Streichung der vorgefertigten Kostenübernahmeerklärung gab er dennoch
eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung ab. Das Fehlen einer Vollmacht wurde
nicht gerügt. Im Nachgang forderte der Berufungsbeklagte unter dem 27. Juli 2005 dann
die Berufungsklägerinnen auf, auf die Weiterverfolgung der angeblichen Abmahnkosten
von 1.113, 50 € zu verzichten. Dies lehnte diese unter dem 30. Juli 2004 unter Setzung
einer Zahlungsfrist endgültig ab.
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Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es Hunderte vergleichbarer Abmahnungen
durch die Prozessbevollmächtigten der Berufungsklägerinnen in der damaligen Zeit
gegeben hat und diese mittels weitgehend wortidentischer Schriftsätze u.a. gegen eine
große Anzahl von f-Mitgliedern versandt wurden. Dabei wurden zur Erreichung gütlicher
Einigungen teilweise nicht unerhebliche Gebührenreduzierungen in Aussicht gestellt.
Ferner ist unstreitig, dass die Berufungsklägerinnen zum Teil konzernmäßig miteinander
verbunden sind, wie auf S. 9 der Klageschrift (Bl. 9 d.A.) dargestellt, und sie ferner
jeweils Rechtsabteilungen im eigenen Betrieb und/oder Konzern unterhalten.
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Erstinstanzlich hat der Berufungsbeklagte als damaliger Kläger behauptet, dass er
selbst infolge von Anfragen anderer f-Mitglieder bzgl. der Funktionsweise der Software
als Umgehungstool für Kopierschutz bzw. ersten Hinweisen durch diese auf die
angebliche Unzulässigkeit seines Angebots die Internetversteigerung noch am Abend
des 3. Mai 2004 vorzeitig beendet habe. Dies sei geschehen, nachdem eine Anfrage bei
f wegen der unklaren Rechtslage unbeantwortet geblieben sei. Aus der Korrespondenz
mit den anderen f-Mitgliedern ergebe sich, dass ihm die angebliche Illegalität der
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Software damals nicht bewusst gewesen sei, zumal er sie nur zur Erstellung von
Backups genutzt habe.
In rechtlicher Hinsicht begründe § 95a UrhG richtiger Auffassung nach keine
zivilrechtlichen Ansprüche, auch nicht aus §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB. Zudem habe der
Berufungsbeklagte tatbestandlich mangels abgewickelter Veräußerung (noch) nicht
gegen § 95a UrhG verstoßen. Zunächst falle die streitgegenständliche Software nicht
unter § 95a Abs. 3 UrhG. Es liege ferner weder eine "Werbung", ein "Verkauf" noch ein
"Verbreiten" i.S.d. § 95a Abs. 3 UrhG vor, zumal letztere Begriffe nach ihrem Sinn und
Zweck auszulegen seien und die körperliche Überlassung bzw. den Abschluss eines
schuldrechtlichen Vertrages erfordern würden. Die Vorverlegung des Schutzes der
Rechteinhaber durch § 95 a Abs. 3 UrhG dürfe insgesamt nicht überdehnt werden, auch
im Hinblick auf Art. 103 GG und die flankierenden Strafnormen. Über den Wortlaut
hinaus sei ferner für einen Verstoß gegen § 95 a Abs. 3 UrhG mindestens grobe
Fahrlässigkeit erforderlich. Solche habe ersichtlich nicht vorgelegen, zumal technische
Schutzvorrichtungen bei nicht geschützten Werken unzweifelhaft sanktionsfrei
umgangen werden dürfen (etwa für die Nationalbibliothek o.ä.). Dass die heutigen f-
Nutzungsbedingungen Warnhinweise für den Vertrieb solcher Tools enthalten, sei ohne
Belang, da dies bei der Anmeldung des Berufungsbeklagten bei f unstreitig noch nicht
der Fall war.
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Mangels Verletzungshandlung habe es damit bei der Abmahnung an der
Wiederholungsgefahr gefehlt. Da das Angebot abgebrochen war, habe auch keine
Erstbegehungsgefahr bestanden. Letztlich könne aber auch dies dahinstehen, denn mit
Blick auf die Abmahnkosten fehle es an der "Erforderlichkeit" bzw. am Erfordernis der
Entsprechung mit dem mutmaßlichen Willen des Berufungsbeklagten. Dies folge aus
dem Massencharakter der Abmahnungen, der stereotypen Schriftsätze mit bloßen
Textbausteinen als Routineangelegenheit für die einfach gelagerten Sachverhalte, dem
Vorhandensein eigener Rechtsabteilungen bei den Berufungsklägerinnen und deren
Möglichkeit, sich Musterbriefe fertigen zu lassen bzw. aus § 13 Abs. 5 UWG a.F. (§ 8
Abs. 4 UWG n.F.). Die Berufungsklägerinnen hätten den Berufungsbeklagten allenfalls
über ihren Branchenverband IFPI – der hätte tätig werden können - abmahnen dürfen.
Insgesamt liege ein Missbrauch vor, weil man sich – wie früher Abmahnvereine – durch
Gebühren mitfinanziere. Dies betreffe gerade die Prozessbevollmächtigten der
Berufungskläger, denen eine Einnahmequelle vom erheblichem Gewicht verschafft
worden sei. Zumindest sei gezielt mit acht Abmahnenden zur maximalen
Verdreifachung der BRAGO-Erhöhungsgebühren vorgegangen worden. Es handele es
sich um eine missbräuchliche Mehrfachverfolgung. Insofern behauptet der
Berufungsbeklagte, die Prozessbevollmächtigten der Berufungsklägerinnen seien auch
ohne konkrete Absprache in Eigenregie vorgegangen; die Bevollmächtigung zum
Zeitpunkt der Abmahnung werde mit Nichtwissen bestritten.
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Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, dass der von den Beklagten mit Rechnung vom 24, Mai 2004 und 30.
Juli 2004 geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von 1.113,50 € nicht besteht.
12
Die Berufungsbeklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Im Hinblick auf eine von Ihnen nach der Erhebung der negativen Feststellungsklage vor
dem Amtsgericht München erhobene Leistungsklage auf Zahlung der Abmahnkosten
haben sie zunächst die Zulässigkeit gerügt und den Einwand entgegenstehender
Rechtshängigkeit erhoben. In der Sache bestehe ferner ein Anspruch aus §§ 97, 95a
UrhG bzw. aus GoA i.V.m. § 95 a UrhG bzw. aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 95 a UrhG.
Bei der Software handele es sich um ein Programm, bei dem die Umgehungsfunktion im
Vordergrund stehe, wie sich u.a. an der entsprechenden Bewerbung durch die nach
Antigua verzogene Firma T2 (Anlage B 7, Bl. 237 d.A.) zeige. Verstöße gegen § 95 a
UrhG seien für die Berufungsklägerinnen als Schutzrechtsinhaberinnen auch
zivilrechtlich sanktionierbar. In der Sache liege ein Verstoß gegen § 95 a Abs. 3 UrhG
vor, zumal die Norm nach ihrem Schutzzweck weit auszulegen sei. So sei bereits das
bloße Angebot ein "Verkauf", zudem liege eine "Verbreitung" vor, weil der Begriff weiter
zu verstehen sei als bei § 17 UrhG und dort das erfolglose Angebot genüge. § 95a Abs.
3 UrhG sehe nach dem Gesetz – anders als Abs. 1 der Norm – auch gerade keinen
subjektiven Tatbestand vor, sondern sei ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Darauf
komme es jedoch nicht an, denn der Berufungsbeklagte habe (grob) fahrlässig
gehandelt, zumal die bei Angebotseinstellung geltenden f-Nutzungsbedingungen in
Anlage B 4, Bl. 156 ff. d.A. unstreitig einen Warnhinweis enthielten und nach dem
erstinstanzlich unbestrittenen Vortrag ferner ein Warnhinweis betreffend den Vertrieb
von Umgehungstools mittels des in Anlage B 9, Bl. 242 d.A. abgebildeten sog. Pop-up-
Fensters bei f eingeblendet wurde. Daneben stellen die Berufungsklägerinnen darauf
ab, dass die entsprechenden Änderungen im Urheberrecht damals unstreitig im großem
Umfang in der Presse und im Internet diskutiert wurden. Insofern sei insbesondere auch
die eigene Bewerbung des Angebots durch den Berufungsbeklagten als "Allesbrenner"
zu würdigen, wobei unerheblich sei, dass dieser dies nur der ursprünglichen
Produktbeschreibung entnommen haben wolle.
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Angesichts der erfolgten Verletzungshandlung habe bis zur Abgabe der
Unterlassungsverpflichtungserklärung Wiederholungsgefahr bestanden. Letztlich sei
dies aber ohne Belang, da jedenfalls angesichts der E-Mail in K 11
Erstbegehungsgefahr vorgelegen habe. Den Berufungsklägerinnen sei im Zeitpunkt der
Abmahnung unbekannt gewesen, dass der Berufungsbeklagte das Angebot selbst
eingestellt habe – was im Übrigen bestritten werde und sich aus Anlage K 6 und K 7
nicht ergebe. Die Berufungsklägerinnen hätten gleich nach Kenntnis vom Angebot über
das VeRi-Programm den Abbruch veranlasst und hätten nicht fortlaufend die Sache
überwachen müssen. Vielmehr hätte der Berufungskläger auf die Abbruchsmitteilung
mit der dort unstreitig vorhandenen Angabe einer Kontaktadresse die Berufungsklägerin
zu 7) anschreiben müssen.
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Der Abmahnung liege ein berechtigtes Interesse zugrunde; sie sei keineswegs nur zur
Gebührenerzielung vorgenommen worden – weshalb man stets auch in solchen Fällen
Gebührenermäßigungen anbiete. Es gehe primär um das Vereiteln der illegalen
Verbreitung verbotener Umgehungswerkzeuge. Insofern seien den
Berufungsklägerinnen erhebliche wirtschaftliche Schäden durch nicht von § 53 UrhG
gedeckte Handlungen entstanden, wobei wegen der Einzelheiten auf die
"Brennerstudie 2004" in Anlage B 10, Bl. 243 d.A. verwiesen wird. Die Einschaltung
eines Rechtsanwalts sei dabei auch zur Rechtsverfolgung erforderlich gewesen, da es
nicht originäre Aufgabe der Berufungsklägerinnen sei, Rechtsverstöße zu verfolgen und
dafür Personal- wie Sachmittel in eigenen Rechtsabteilungen vorzuhalten. Zudem sei
die Sache – wie das Verfahren belege - wegen der Komplexität der Fragen des neu
eingeführten § 95a UrhG keine "einfache" Angelegenheit, so dass mit Formbriefen etc.
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allein die Sache nicht hätte zumutbar auch ohne anwaltliche Beratung verfolgt werden
können. Insofern sei das Vorgehen dann auch nicht rechtsmissbräuchlich; zahlreiche
Verletzungen erforderten auch zahlreiche Abmahnungen. Die Gebühren seien
schließlich keinesfalls "hochgetrieben" worden, zumal keine Mehrfachverfolgung
vorliege – die den Berufungsbeklagten noch teurer gekommen wäre. Auf den
Branchenverband IFPI müssten sich die Berufungsklägerinnen nicht verweisen lassen,
zumal diesem mangels einer urheberechtlichen Verbandsklagebefugnis die
Aktivlegitimation fehle.
Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 6. April 2005 (Bl. 262 ff. d.A.) der Klage in vollem
Umfang stattgegeben. Es hat sich u.a. darauf gestützt, dass keine der im Tatbestand des
§ 95 a Abs. 3 UrhG genannten Tathandlungen vorliege. Eine "Verbreitung" setzte die
tatsächliche Überlassung voraus, der "Verkauf" umfasse nicht das bloße Anbieten. Auch
"Werbung" liege nicht vor, da eine solche über das bloße Angebot zum Abschluss eines
Vertrages hinausgehe und darauf abziele, die Entschließung von potentiellen Kunden
zu beeinflussen. Im Übrigen hat das Amtsgericht offen gelassen, ob der Berufungskläger
überhaupt vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt habe, da die bei f gegebenen
Warnhinweise jedenfalls nicht konkret die streitgegenständliche Software betrafen und
der Begriff des "Allesbrenners" ebenfalls nicht zwingend darauf hindeute. Auch ein
Anspruch aus GoA sei nicht gegeben, da keine Begehungsgefahr bestanden habe.
Soweit die Berufungsklägerinnen einen Abbruch des Angebots durch den
Berufungsbeklagten bestritten hätten, sei dieses Bestreiten angesichts der vorgelegten
Unterlagen nicht ausreichend. Dann aber bestehe keine Gefahr mehr, dass der Kläger
sich nicht im Einklang mit dem geltenden Recht verhalten wolle, zumal er die Software
außerhalb von f unstreitig nicht verkauft habe. Seine Email an f sei ohne Belang.
Jedenfalls sei vor diesem Hintergrund die Abmahnung nicht im Interesse und
mutmaßlichen Willen des Klägers erfolgt, zumal man vor der Abmahnung durch
einfache Prüfung den Status des Angebots hätte überprüfen können.
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Das Urteil des Amtsgerichts ist den Berufungsklägerinnen am 8. April 2005 zugestellt
worden. Die Berufung wurde am 29. April 2005 eingelegt und – nach Fristverlängerung
bis zum 23. Juni 2005 an eben diesem Tage begründet. Die Berufungsklägerinnen
rügen unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages die Verletzung materiellen
Rechts, § 513 Abs.1, 546 ZPO. Das Amtsgericht habe die Handlungsalternativen des –
nach der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG (Beschl. v. 25.7.2005 – 1 BvR 2182/04,
Anlage BK 02, Bl. 369 ff. d.A.) verfassungsgemäßen - § 95a Abs.3 UrhG mit Blick auf
dessen Entstehungsgeschichte aufgrund der Richtlinie 2001/29/EG verkannt. Der
Kläger habe durch das Einstellen der illegalen Umgehungssoftware "D CD" beim
Internetauktionshaus die Tatbestandsalternativen des Verkaufs bzw. der Verbreitung
erfüllt. Im Hinblick auf eine richtlinienkonforme Auslegung sei eine weite Auslegung zur
Erfassung von Vorbereitungshandlungen geboten: Bereits das Angebot solcher
Software gefährde die Wirksamkeit technischer Schutzmaßnahmen, da man ansonsten
stets die "tatsächliche Überlassung" und damit die Weitergabe des
Umgehungswerkzeugs abwarten müsse. Dann jedoch könne man nicht mehr wirksam
gegen den Erwerber vorgehen, da der private Besitz nicht verboten sei. Insgesamt
enthalte § 95 a Abs. 3 UrhG ein umfassendes Verbot aller Handlungen von
Privatpersonen, allein der Besitz zu nicht kommerziellen Zwecken sei ausgeklammert.
Insofern stelle das Angebot jedenfalls auch eine "Werbung" i.S.d. § 95a Abs. 3 UrhG
dar, zumal Werbung als bloßes Angebot zum Verkauf (sog. invitatio ad offerendum)
noch weit vor einem echten Vertragsangebot stehe.
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Darüber hinaus habe der Kläger – selbst auf Basis der amtsgerichtlichen Feststellungen
- zumindest fahrlässig gehandelt; wenn ihm die Umgehungsgefahr wegen der Wortwahl
"Allesbrenner" nicht sogar positiv bekannt gewesen sei. Soweit der Berufungsbeklagte
das Vorhandensein eines Warnhinweises im Pop-up-Fenster erstmals bestreite, sei er
damit im Berufungsverfahren nicht zu hören. Jedenfalls aber hätte nach den
Gesamtumständen zumindest Erstbegehungsgefahr bestanden, da der
Berufungsbeklagte sich nicht hinreichend von seiner Verkaufsabsicht distanziert habe.
Das Vorliegen einer Vollmacht sei schließlich ebenfalls keine Voraussetzung für eine
wirksame Abmahnung.
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Die Berufungskläger beantragen,
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1. das am 6. April 2005 verkündete Urteil des Amtsgerichts Köln, Az.: 113 C
463/04 aufzuheben;
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2. die Klage abzuweisen.
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Der Berufungsbeklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Berufungsbeklagte vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Die von den
Berufungsklägerinnen favorisierte europarechtskonforme Auslegung greife nicht, weil
die Richtlinie nach Art. 6 nur "angemessenen Rechtsschutz" verlange und damit keine
Aussage zu zivilrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten o.ä. treffe. Insgesamt wolle die
Richtlinie auch nur kommerzielle Vorbereitungshandlungen erfassen und passe damit
nicht auf den – unstreitig privat handelnden – Berufungsbeklagten. Auch aus dem
nationalen Recht folge nichts anderes. Jedenfalls fehle es an dem in § 95 a Abs. 3 UrhG
hineinzulesenden Erfordernis grober bzw. bewusster Fahrlässigkeit. In diesem
Zusammenhang hat der Berufungsbeklagte mit Schriftsatz vom 11. August 2005 (S. 9 =
Bl. 338 d.A.) erstmals die Existenz eines Pop-up-Warnhinweises bei f bestritten bzw.
dessen Auftreten beim Berufungsbeklagten.
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Mit nicht nachgelassenen Schriftsätzen vom 8. und 11. November 2005 (Bl. 384 ff. d.A.)
hat der Berufungsbeklagte im Nachgang an richterlichen Hinweise (§ 139 ZPO) im
Termin ergänzend vorgetragen, dass der Begriff der "Werbung" identisch sei mit dem
des Art. 2 Ziffer 1 der Europäischen Richtlinie 84/450 EWG zur Angleichung der Rechts-
und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung vom
10.09.1984, also "jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes,
Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung
von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und
Verpflichtungen zu fördern" erfasse. Dies umfasse das Handeln von Nichtunternehmern
in keiner Weise. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass § 95 a Abs. 3 UrhG
ansonsten Handlungen Privater erfasse.
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Daneben hat der Berufungsbeklagte weiterhin das Vorliegen einer ordnungsgemäßen
Bevollmächtigung im Zeitpunkt der Abmahnung bestritten, so dass die Abmahnungen
deshalb missbräuchlich seien, weil die Bevollmächtigten in eigener Regie tätig würden.
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In der mündlichen Verhandlung haben die Parteien zuvor übereinstimmend erklärt, dass
das amtsgerichtliche Verfahren in München noch vor der ersten mündlichen
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Verhandlung ausgesetzt wurde. Daneben hat der Bevollmächtigte der Berufungskläger
acht Vollmachten überreicht, die als Anlage zum Protokoll genommen wurden (Bl. 376
ff. d.A.) und dazu erklärt, dass die Mandate für Abmahnungen damals regelmäßig
fernmündlich oder per email erteilt worden seien.
II.
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Die Berufung hat vollumfänglich Erfolg, so dass wie tenoriert zu entscheiden war. Die
Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung ist
auch begründet. Denn das angefochtene Urteil des Amtsgerichts beruht auf der
Verletzung materiellen Rechts (§ 513 ZPO) und war daher insgesamt abzuändern.
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1. Die vom Kläger erhobene negative Feststellungsklage war freilich – wie auch das
Amtsgericht zutreffend gewürdigt hat - nicht bereits unzulässig. Insbesondere wurde
ausweislich der übereinstimmenden Mitteilungen der Parteien im Termin die von den
Berufungsklägerinnen angestrebte Leistungsklage auf Ersatz der streitgegenständlichen
Abmahnkosten vor dem Amtsgericht München noch kurz vor der dortigen ersten
mündlichen Verhandlung im Hinblick auf das hiesige Verfahren ausgesetzt. Könnte
damit die dortige Klage wegen § 269 Abs. 1 ZPO noch einseitig zurückgenommen
werden, ist das Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) des Klägers für die hiesige negative
Feststellungsklage nach den insofern heute anerkannten Grundsätzen (noch) nicht
entfallen (vgl. BGH, Urt. v. 2. 3. 1999 - VI ZR 71/98, NJW 1999, 2516, 2517; Urt. v.
07.07.1994 - I ZR 30/92, NJW 1994, 3107 f.; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 256
Rn. 7d). Soweit die Berufungsklägerinnen sich ferner u.a. in der Klageerwiderung noch
auf den Einwand entgegenstehender Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) wegen
der "spiegelverkehrten" Leistungsklage gestützt haben, greift auch dies nicht. Die
Streitgegenstände sind gerade in solchen Fällen nicht identisch (vgl. auch etwa die von
den Berufungsklägerinnen insofern selbst zitierte Fundstelle bei Reichold, in:
Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl. 2004, § 261 Rn. 14) .
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2. Die negative Feststellungsklage ist aber – anders als das Amtsgericht angenommen
hat - unbegründet. Denn den Berufungsklägerinnen steht nach Auffassung der Kammer
bereits wegen vollendeter Verletzung des § 95 a Abs. 3 UrhG ein Anspruch auf Ersatz
der verlangten Abmahnkosten als sog. Rechtsverfolgungskosten im Wege des
Schadensersatzes aus §§ 97, 95 a Abs. 3 UrhG bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 95 a
Abs. 3 UrhG zu. Daneben besteht ein Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten als
"Aufwendungen" i.S.d. § 670 BGB auch über das Rechtsinstitut der Geschäftsführung
ohne Auftrag (§ 683 BGB). Letzteres gilt zudem selbst dann, wenn man die Auffassung
der Kammer nicht teilen würde, dass eine vollendete Verletzung des § 95a UrhG
vorgelegen hat, da dann zumindest Erstbegehungsgefahr für eine Verletzungshandlung
bestanden hätte. Bedenken an der Ersatzfähigkeit bestanden dabei auch nicht unter
dem vom Berufungsbeklagten betonten Aspekt der Rechtsmissbräuchlichkeit und/oder
fehlenden "Erforderlichkeit" der Einschaltung eines Rechtsanwalts, die sowohl bei der
Frage der Ersatzfähigkeit nach den Grundsätzen der GoA als auch als Teil eines
Schadensersatzanspruchs gleichermaßen zu prüfen ist (st. Rspr, vgl. etwa BGH, Urt. v.
6.5.2004 - l ZR 2/03, NJW 2004, 2448).
33
a) Anspruch aus § 97 UrhG dem Grunde nach
34
aa) Die Kammer geht zunächst davon aus, dass bei einem Verstoß gegen die durch das
Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10.
35
September 2003 (BGBl. I, 1774) geschaffene Regelung des § 95a UrhG, welche in Abs.
1 die Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen zum Schutz eines nach dem UrhG
geschützten Werks o.ä. ohne Zustimmung des Rechtsinhabers verbietet und in Abs. 3
dann bestimmte Vorbereitungshandlungen zur Umgehung der technischen
Schutzmaßnahmen erfasst, zivilrechtliche Sanktionsansprüche aus § 97 UrhG in
direkter oder zumindest analoger Anwendung bestehen können. Diese vom Amtsgericht
offen gelassene Frage, ist bisher freilich nicht abschließend geklärt, mag das
Bundesverfassungsgericht auch im Beschl. v. 25.7.2005 – 1 BvR 2182/04 Rn. 15
offenbar die Anwendung des § 97 UrhG ebenfalls für möglich halten.
Teilweise wird aufgrund des auf ein Verbot beschränkten Wortlauts ("dürfen … nicht",
"Verboten sind …") und der systematischer Stellung in Teil 4 des UrhG die Regelung in
§ 95a UrhG nur so gedeutet, dass Sanktionsmöglichkeiten lediglich durch die
Vorschriften des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts (§§ 108b und 111a Abs. 1 Nr. 1,
Abs. 2 UrhG) gegeben seien (Spieker, GRUR 2004, 475 ff., nur auf § 823 Abs. 2 BGB
abstellend auch OLG München, Urt. v. 28.7.2005 - 29 U 2887/05, BeckRS 2005 10116
für Linkhaftung). Diese restriktive Lesart wird daneben u.a. darauf gestützt, dass § 95 a
UrhG nur mittelbar die nach dem UrhG geschützten Werke (§§ 2-4 UrhG) und
verwandten Schutzrechte, insbesondere die des Tonträgerherstellers (§§ 85, 86 UrhG),
des Sendeunternehmens (§ 87 UrhG) und des Datenbankherstellers (§§ 87aff. UrhG)
schützt. § 95 a UrhG diene insofern der "Gesamtheit der Rechteinhaber" und schütze
gerade nicht die jeweiligen Rechteinhaber als Einzelne.
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Dies überzeugt nicht. Entgegen dem Vorbringen der Berufungsklägerinnen ergibt sich
die Möglichkeit zivilrechtlicher Sanktionierung aber nicht bereits aufgrund einer
richtlinienkonformen Auslegung. Zwar trat am 22. Juni 2001 die am 22. Mai 2001
erlassene Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rats zur
Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten
Schutzrechte in der Informationsgesellschaft in Kraft (ABLEG Nr. L 167 v. 22.6.2001, S.
10). Die Richtlinie setzte die Mehrzahl der Verpflichtungen seitens der World Intellectual
Property Organization aus dem WIPO Copyright Treaty (WCT) und dem WIPO
Performances und Phonograms Treaty (WPPT) auf Gemeinschaftsebene um
(Erwägungsgrund 15). Das galt u.a. für den Schutz technologischer Schutzmaßnahmen,
der Gegenstand des Art. 6 der Richtlinie ist. Der deutsche Gesetzgeber hat – wohl
angesichts der knappen Umsetzungsfristen – auf die weitere Ausgestaltung der von der
Richtlinie gegebenen Spielräume weitgehend verzichtet und die europarechtlichen
Vorgaben in § 95 a UrhG nur "möglichst präzise" und ohne "sprachliche Verdichtung"
übernehmen wollen (BT-Drucks. 15/38, S. 26). Daraus ergibt sich zwar einerseits, dass
eine richtlinienkonforme Auslegung bei der Auslegung des § 95 a UrhG grundsätzlich
von ganz erheblicher Bedeutung ist (vgl. auch Wandtke/Ohst, in: Wandtke/Bullinger,
UrhR Ergänzungsband 2003, § 95a Rn. 9). Indes gibt gerade für die hier interessierende
Frage die Richtlinie selbst nichts her: Sie verlangt lediglich einen "angemessenen
Rechtsschutz" (Erwägungsgrund 58 und Art. 8), während allein den Mitgliedstaaten
dessen Verwirklichung durch Maßnahmen im Zivil-, Ordnungswidrigkeiten- oder
Strafrecht überlassen wird. Damit ist die Antwort auf die Frage, ob und wie im Fall der
Verletzung des § 95a UrhG auch zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft
und/oder Schadenersatz bestehen, nicht im EG-Recht zu suchen (so zutreffend auch
Spieker, GRUR 2004, 474, 476).
37
Auch der deutsche Gesetzgeber hat die Problematik im Gesetzgebungsverfahren nicht
eingehender thematisiert. Dass das sog. "Forum der Rechteinhaber" in einer
38
Stellungnahme zum Regierungsentwurf für ein Gesetz zum Urheberrecht in der
Informationsgesellschaft vom Oktober 2002 selbst ausdrücklich einen abweichenden
Wortlaut für § 97 Abs. 1 UrhG vorgeschlagen hat ("Wer das Urheberrecht, ein anderes
nach diesem Gesetz geschütztes Recht, ein Verwertungsverbot oder eine Vorschrift zum
Schutz technischer Maßnahmen und der zur Rechtewahrnehmung erforderlichen
Informationen (§§ 95a , 95c ) verletzt ..." (dazu Pleister/Ruttig, MMR 2003, 763, 765 f. Fn.
26), könnte – weil dieser Vorschlag gerade nicht aufgegriffen wurde – im Gegenzug auf
den ersten Blick sogar für eine einschränkende Auslegung ins Feld geführt werden (vgl.
auch Bechtold, in: Hoeren/Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Stand April 2004, Kap.
7.11 Rn. 63). Dies würde aber zu weit führen: Vielmehr hat der Gesetzgeber, als er bei §
108 b UrhG bestimmte Handlungen ausdrücklich nicht (wie von der Musiklobby
gefordert) umfassend strafrechtlich sanktioniert hat (BT-Drucks. 15/38, S. 29) wie folgt
ausgeführt: "Da zivilrechtliche Ansprüche – etwa auf Schadenersatz oder auf
Unterlassung – davon unabhängig sind und unberührt bleiben, führt das auch für diesen
begrenzten Bereich nicht zu einem folgen- oder sanktionslosen Zustand. Vor dem
Hintergrund des Legalitätsprinzips wird damit zugleich der Zwang zu umfangreichem
Tätigwerden der Strafverfolgungsbehörden vermieden, das weitgehend wenig
erfolgversprechend bliebe und im Hinblick der sich häufig ergebenden Notwendigkeit
von Hausdurchsuchungen in der Verhältnismäßigkeit nicht unproblematisch wäre."
Aus dieser Passage lässt sich nach Auffassung der Kammer ableiten, dass der
nationale Gesetzgeber eine zivilrechtliche Sanktionsmöglichkeit unausgesprochen
vorausgesetzt hat. Es spricht dann nichts dafür, dass er – weil § 95a UrhG unstreitig kein
neues verwandtes Schutzrecht, sondern nur ein negatives Verbietungsrecht in
Ergänzung urheberrechtlicher Primärbefugnisse schafft – damit nur die Regeln des
allgemeinen Deliktsrechts wie z.B. § 823 Abs. 2 BGB gemeint hat (so aber wohl noch
Diskussionsentwurf, KUR 1999, 157, 174). Vielmehr spricht alles dafür, dass Ansprüche
aus § 97 UrhG in unmittelbaren oder zumindest analoger Anwendung bestehen. Die
Kammer schließt sich dabei der insofern wohl herrschenden Auffassung an (vgl. LG
München I, Beschl. v. 28.11.2003 – 21 O 21941/03 und v. 29.1.2004 – 21 O 1735/04;
Arlt, MMR 2005, 148, 149 f.; Bechtold, a.a.O.; Hertin, Urheberrecht 2004, Rn. 226;
Wandtke/Ohst, a.a.O., § 95a Rn. 89; Dreier, ZUM 2002, 28, 38; Flechsig, ZUM 2002, 1,
17 f.; Pleister/Ruttig, MMR 2003, 764, 766; Peukert, in: Loewenheim, Handbuch des
Urheberrechts, 2005, § 82 Rn. 6; Trayer, Technische Schutzmaßnahmen und
elektronische Rechtewahrnehmungssysteme, Diss. Baden Baden 2003, S. 137 f.;
Fallenböck/Haberler, ecolex 2002, 262, 266; Schmidt/Wirth, UrhG-HandKomm 2004, §
95a Rn. 1, 11). Systematisch kann man dies (entgegen Spieker, GRUR 2004, 475, 480
f.) insbesondere darauf stützen, dass etwa auch für § 96 UrhG trotz dessen
systematischer Stellung ebenfalls im 4. Teil des UrhG allgemein anerkannt ist, dass
diese Norm ein "nach diesem Gesetz geschütztes Recht" i.S.d. § 97 UrhG ist (BGH, Urt.
v. 14.11.1985 - I ZR 68/83, GRUR 1986, 454 f. - Bob Dylan; Urt. v. 18.02.1993 - I ZR
71/91, GRUR 1993, 550, 553 - The Doors; Schricker/Wild, UrhG, 2. Aufl. 1999, § 97 Rn.
6). Trotz des im Vergleich zu § 96 UrhG anderen Normzwecks kann dann auch für § 95
a UrhG letztlich nichts anderes gelten, so dass sich daraus Unterlassungsansprüche
und Schadensersatzansprüche herleiten lassen. Hinsichtlich letzterer sind jedenfalls
Rechtsverfolgungskosten unproblematisch ersatzfähig; dass der einzelne
Nutzungsrechtsinhaber bei § 95 a Abs. 3 UrhG keinen Schadensersatz im Wege der
Lizenzanalogie verlangen kann, dürfte hingegen auf der Hand liegen (A.A. wohl Dreyer,
in: Dreyer/Kothoff/Meckel, Urheberrecht 2004, § 95a Rn. 45).
39
bb) Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des § 95a UrhG bestehen im Nachgang an
40
BVerfG, Beschl. v. 25.7.2005 – 1 BvR 2182/04 und OLG München, Urt. v. 28.7.2005 - 29
U 2887/05, BeckRS 2005 10116 und entgegen Stimmen aus dem Schrifttum (Ulbricht,
CR 2004, 674, 679; differenzierend Holznagel/Brüggemann, MMR 2003, 767, 773) nicht.
Die Vorschrift hat zum Zweck, die Verletzung von Urheberrechten durch illegale
Vervielfältigungen zu erschweren (BT-Drucks. 15/38, S. 26) und verfolgt damit ein unter
Verfassungsgesichtspunkten legitimes Anliegen. Denn die Befugnis zur wirtschaftlichen
Verwertung urheberrechtlich geschützter geistiger Leistungen wird als vermögenswertes
Recht von der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG erfasst (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28. 5.
1999 - 1 BvR 77/99, NJW 1999, 2880, 2881). Mit den §§ 95a, 95b UrhG, denen ein
Interessenausgleich zwischen den Beteiligten zugrunde liegt (BT-Drucks. 15/38, S. 26
f), ist ein verfassungswidriger Eingriff in die Informationsfreiheit der Nutzer, in die Rechte
der Eigentümer kopiergeschützter Medien bzw. in die Berufsfreiheit und
Eigentumsrechte nicht verbunden, zumal etwaige Konfliktlagen zwischen den
betroffenen Grundrechtspositionen ggf. im Einzelfall im Wege verfassungskonformer
Auslegung bewältigt werden können (BVerfG, Beschl. v. 25.7.2005 – 1 BvR 2182/04
und sogleich).
cc) Die Berufungsklägerinnen sind aktivlegitimiert. Bei dem Umgehungsschutz nach §
95a UrhG handelt es sich nicht um ein neues Leistungsschutzrecht, sondern um ein die
urheberrechtlichen Ausschließlichkeitsrechte "flankierendes" Recht (vgl. Wandtke/Ohst
in: Wandtke/Bullinger, a.a.O., § 95a Rdnr. 4). Dieser kommt den Inhabern solcher
Rechte zugute, die sich wirksamer technischer Schutzmaßnahmen i.S. von § 95a I UrhG
bedienen (vgl. auch OLG München, Urt. v. 28.7.2005 - 29 U 2887/05, BeckRS 2005
10116). Dies gilt auch für die Berufungsklägerinnen als Inhaber von Rechten aus §§ 85,
94 UrhG
41
dd) Die streitgegenständliche Software unterfällt - entsprechend den zutreffenden
Erwägungen des Amtsgerichts – auch der Regelung des § 95a Abs. 3 Nr. 3 UrhG
(Vorrichtung, die "hauptsächlich entworfen, hergestellt, angepasst oder erbracht werden,
um die Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen zu ermöglichen oder zu
erleichtern"). Das diesbezügliche Bestreiten des Berufungsbeklagten war zu
unsubstantiiert. Ferner greift angesichts der diesbezüglichen von Seiten der
Berufungsklägerinnen vorgelegten Herstellerwerbung durch die nach Antigua
verzogene Firma T2 (Anlage B 7, Bl. 237 d.A.) ergänzend zweifellos auch § 95 a Abs. 3
Nr. 1 UrhG ("Gegenstand einer Verkaufsförderung, Werbung oder Vermarktung mit dem
Ziel der Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen"). Brennersoftware wie die
streitgegenständliche Software war gerade Anlass der Schaffung der gesetzlichen
Regelung und ist daher unter § 95a Abs. 3 UrhG zu subsumieren (vgl. auch OLG
München, Urt. v. 28.7.2005 - 29 U 2887/05, BeckRS 2005 10116; Peukert, in:
Loewenheim, Handbuch, a.a.O., § 34 Rn. 19 a.E.; Wandtke/Ohst, a.a.O., § 95 a Rn. 85
a.E.).
42
ee) Der Berufungsbeklagte hat durch sein Angebot auf der Internetplattform f auch
gegen § 95 a Abs. 3 UrhG verstoßen. Dies folgt insbesondere – entgegen dem Vortrag
des Berufungsbeklagten – daraus, dass § 95 a UrhG nach seinem Wortlaut auch (sei es
einmalige und unentgeltliche) private Handlungen erfasst und allein der privaten Besitz
(in Abgrenzung zu dem "der gewerblichen Zwecken dienenden Besitz") ausgenommen
wird (vgl. auch Pleister/Ruttig, MMR 2003, 763, 764; Peukert, a.a.O., § 34 Rn. 18). Diese
Lesart folgt ferner auch aus Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie, bei der die Qualifikation "zu
gewerblichen Zwecken" im Gegenschluss auch aus Erwägungsgrund 49 ebenfalls
allein auf das Tatbestandsmerkmal "Besitz" zu beziehen ist.
43
(1) Zuzugeben ist dem Berufungsbeklagten allerdings, dass neben der ersichtlich
ausscheidenden Tathandlungen "Herstellung", "Einfuhr" und "Vermietung" entgegen
dem Vorbringen der Berufungsklägerinnen hier kein Fall der "Verbreitung" oder des
"Verkauf" i.S.d. § 95 a Abs. 3 UrhG vorlag. Insofern hat das Amtsgericht aus Sicht der
Kammer mit Recht darauf abgestellt, dass ein "Anbieten" noch keinen "Verkauf"
darstellt. Die Gesetzesbegründung erläutert die Tatbestandsalternative zwar nicht.
Soweit sich die Berufungsklägerinnen für ihre gegenteilige Lesart auf Wandtke/Ohst,
a.a.O., § 95 a Rn. 75 stützen, der Verkauf als "den Vorgang des Anbietens der
Vorrichtung, des Erzeugnisses oder des Bestandteils auf dem Markt und des
Abschlusses von Kaufverträgen nach §§ 433 ff. BGB (vgl. Palandt/Putzo Einf v § 433
BGB Rn. 1 ff.)" beschreibt, überzeugt dies aber nicht. Ungeachtet der Tatsache, dass
das dortige Zitat auf Palandt ersichtlich nicht weiterführt, verbietet der Wortlaut – auch in
Abgrenzung zum nachstehend zu erörternden Begriff der "Werbung" eine derart weite
Auslegung. Auch aus dem Schutzzweck der Norm ergibt sich hier nichts anderes, zumal
bei Erstbegehungsgefahr durchaus auch präventiv vorgegangen werden könnte und die
die Befürchtungen der Berufungsklägerinnen, die Verbotsnorm würde zu einem
zahnlosen Tiger nicht nachvollziehbar sind. Nach richtiger und mit dem Wortlaut allein
zu vereinbarender Auffassung setzt ein "Verkauf" den Abschluss eines
schuldrechtlichen Geschäfts voraus (vgl. Dreyer, in: Dreyer/Kotthoff/Meckel, a.a.O., §
95a Rn. 70 und wohl auch Peukert, § 34 Rn. 21). Eine über den Wortlaut
hinausgehende Auslegung auf schlichte Verkaufsbemühungen, wie sie teilweise etwa
für die Fälle des "Absetzens" in § 259 StGB gefordert wird (zum Streitstand Stree, in:
Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 26. Auflage 2001, § 259 Rn. 32), erscheint der
Kammer ebenfalls nicht geboten.
44
Auch soweit das Amtsgericht ein "Verbreiten" mangels tatsächlicher Überlassung der
Software verneint hat, ist auch dem beizupflichten. Dass dabei vom Amtsgericht u.a. auf
§ 17 UrhG verwiesen wurde, ist freilich missverständlich. Denn dort genügt gerade auch
ein fruchtloses Angebot – wie im vorliegenden Fall im Internet – durchaus bereits (vgl.
BGH, Urt. v. 13.12.1990 - I ZR 21/89 BGHZ 113, 159, 163). Eine solche Lesart ist aber
auf § 95 a UrhG nicht zu übertragen. Zwar finden sich auch in der Literatur zu § 95a
UrhG teilweise Verweise auf § 17 UrhG (Wandtke/Ohst, a.a.O., § 95a Rn. 74), doch ist
der Begriff "Verbreiten" ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/38, S. 26)
von dem auf körperliche Werkstücke beschränkten Verbreitungsrecht des § 17 UrhG
gerade zu unterscheiden. Dies meint nicht etwa nur, dass eben auch unkörperliche
"Verbreitungen" zu erfassen seien und ansonsten das zu 3 17 UrhG Anerkannte gelte.
Da der Begriff vielmehr ersichtlich der Richtlinie (Art. 6 Abs. 2) entnommen wurde,
spricht nichts für eine solche unmittelbare Anlehnung an die deutsche Terminologie in §
17 UrhG. "Verbreitung" ist nach Sinn und Zweck des § 95a UrhG und der
zugrundeliegenden Richtlinie vielmehr als jede vorübergehende oder dauernde
Weitergabe von Umgehungsmittel zu verstehen, also etwa eine Leihe oder Schenkung
(vgl. Peukert, a.a.O. § 34 Rn. 21 und ähnlich Dreyer, in: Dreyer/Kotthoff/Meckel, a.a.O., §
95a Rn. 65 f.).
45
(2) Indes hat das Amtsgericht zu Unrecht das Vorliegen der Tatbestandsvariante
"Werbung im Hinblick auf Verkauf" i.s.d. § 95 a Abs. 3 UrhG verneint. Das Amtsgericht
hat unzutreffend darauf abgestellt, dass für Werbung "mehr als ein Angebot" erforderlich
sei. Dies überzeugt nach Auffassung der Kammer schon deshalb nicht, als - ungeachtet
der genauen rechtlichen Einordnung einer Angebotseinstellung bei f (dazu
zusammenfassend Deutsch, MMR 2004, 586 ff.) ein derartiges Angebot an die
46
Öffentlichkeit zumindest im Wege des Erst-Recht-Schlusses der "Werbung"
gleichzustellen ist. Dies gilt umso mehr, als es sich auf dem "Marktplatz" f mit der
werbenden Produktbeschreibung ganz unzweifelhaft an eine theoretisch weltweite
Öffentlichkeit richtet und gerade der Anregung zur Abgabe von Kaufangeboten zu
dienen bestimmt ist.
Die Kammer verkennt dabei nicht, dass für die Auslegung des Begriffs der "Werbung" –
der eine Entsprechung in Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie findet – bisher allgemein auf die
Definition in Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie des Rates vom 10.09.1984 zur Angleichung der
Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung
abgestellt wird (vgl. Dreyer, aaO § 95a Rn. 76, 89). Werbung bedeutet danach "jede
Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs
mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen,
einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte oder Verpflichtungen zu fördern"" (so
auch OLG München, Urt. v. 28.7.2005 - 29 U 2887/05, BeckRS 2005 10116). Werbung
zielt also – mit anderen Worten - auf die freie Entschließung des Kunden, die
angebotenen Vorrichtungen oder Bestandteile von Erzeugnissen zu kaufen
(Wandtke/Ohst, a.a.O., § 95 a Rn. 77). Wäre dies zutreffend, wären – worauf der
Berufungsbeklagte folgerichtig verweist - Angebote Privater wohl nicht zu erfassen.
47
Indes überzeugt eine solche Lesart keinesfalls: Zwar haben sich weder der europäische
noch der nationale Gesetzgeber offenbar verstärkte Gedanken über die
Tatbestandsalternativen gemacht. Ist man sich aber – wie anfangs gesagt – einig, dass
grundsätzlich alle Handlungen Privater erfasst werden und nur der private Besitz von
Umgehungstools nicht, ist es logischerweise systematisch allein konsequent, auch
"private Werbung" zu erfassen und damit gerade auch den streitgegenständlichen Fall.
Dass die Richtlinie sich hier an die Definition der "Werbung" in einer auf einen ganz
anderen Schutzzweck gerichteten Richtlinie bezogen haben soll, ist bei verständiger
Würdigung und unter Heranziehung der üblichen Auslegungsmethoden keinesfalls
zwingend und folgt insbesondere nicht aus den Erwägungsgründen der Richtlinie und
deren Entwicklung. Zwar mag der europäische wie auch der nationale Gesetzgeber die
eigentliche Gefahr für die Urheber nicht in den Umgehungshandlungen Privater,
sondern in den vorbereitenden Handlungen der kommerziellen Unternehmen gesehen
haben (vgl. auch Wandtke/Ohst, a.a.O., § 95 a Rn. 67). Indes wurde systematisch
bewusst nur der private Besitz ausgeklammert (vgl. Erwägungsgrund 49 der Richtlinie).
Dass dann aber auch – ohne dass dies im Wortlaut zum Ausdruck kommt - die
Tatbestandshandlung der "Werbung" nur auf kommerzielle Anbieter beschränkt sein
soll, ist – verfolgt man die in der Richtlinie zu Beginn dargestellte europäische
Gesetzgebungsgeschichte im Einzelnen nach - der Kammer gerade nicht ersichtlich.
Eine Erstreckung des Schutzes auch auf "private Werbung" erscheint schließlich auch
aus Schutzzweckerwägungen heraus geboten: Gerade weil der private Besitz nicht
sanktioniert wird und gerade weil man dann u.U. weitgehende
Vervielfältigungshandlungen privater Erwerber oft nicht mehr nachvollziehen kann,
spricht vieles dafür, die Verbreitung solcher Tools auch bereits im Vorfeld an Private
möglichst effektiv zu verhindern. Dann aber muss gerade auch ein Anbieten an die
Öffentlichkeit wirkungsvoll unterbunden werden können, da nach erfolgter Veräußerung
der Erwerber des Tools regelmäßig nicht mehr zur Haftung gezogen werden können
wird und ein Vorgehen gegen den Veräußerer nach erfolgter Veräußerung die
eingetretene Weiterverbreitung des Tools nicht mehr rückgängig zu machen vermag.
48
ee) Soweit sich der Berufungsbeklagte wegen der strafrechtlichen Sanktionen auf Art.
49
103 GG beruft, ist dies nicht von Interesse, da es gerade nicht um eine strafrechtliche
Verurteilung geht. Nichts anders gilt, soweit das BVerfG den Instanzgerichten eine
verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift nahegelegt hat: Selbst wenn man
Stimmen im Schrifttum folgen wollte, die aus verfassungsrechtlichen Gründen eine
einschränkende Auslegung von § 95a Abs. 3 UrhG dahingehend befürworten, dass die
Herstellung, der Vertrieb und die Werbung derjenigen Erzeugnisse gestattet sei, mit
denen im Wesentlichen nur Privatkopien hergestellt werden (vgl.
Holznagel/Brüggemann, MMR 2003, 767, 772), hinderte dies eine Verurteilung hier
nicht. Es ist ersichtlich, dass die Software nur diesen Bereich abdeckt, da sie nach ihrer
Bewerbung mindestens ebenso zur Anfertigung illegaler Vervielfältigungen verwendbar
ist. Soweit der Berufungsbeklagte damit argumentiert, dass manche Kopien auch unter
Umgehung technischer Schutzmaßnahmen legal zu vervielfältigen sind, verkennt er,
dass sein Angebot keinerlei Beschränkungen und/oder Belehrungen enthielt und sich
an einen beliebigen Nutzerkreis richtete. Zudem ist die Verfolgung der Zwecke des
Handelnden bei § 95 a Abs. 3 UrhG nach richtiger Ansicht wohl grundsätzlich
unbeachtlich, selbst wenn er ausschließlich privilegierte Nutzungen erreichen möchte
(Peukert, a.a.O., § 34 Rn. 27 a.E.).
ff) Allerdings ergibt sich für die Kammer in verfassungskonformer Auslegung des § 95 a
Abs. 3 UrhG, dass in die Vorschrift grundsätzlich ein subjektives Tatbestandsmerkmal
hineinzulesen ist. Dies ist vorliegend aber ohne Bedeutung, da der Berufungsbeklagte
aus Sicht der Kammer zumindest fahrlässig gehandelt hat und dies genügt.
50
(1) Aufgrund der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 95 a Abs. 3 UrhG
ist ein fahrlässiges Verhalten des Betroffenen zu verlangen. Die Kammer folgt insofern
nicht den Stimmen, die im Einklang mit dem Wortlaut – und im Gegensatz zum Verbot
von Umgehungsmaßnamen in § 95a Abs. 1 UrhG – keinerlei zusätzlichen subjektiven
Merkmale verlangen und die Norm als "Tatbestand der Gefährdungshandlung"
verstehen (Spindler, GRUR 2002, 105, 116 und Peukert, in: Loewenheim, Handbuch,
a.a.O., § 35 Rn. 29, § 82 Rn. 7 Fn. 23, welcher jedoch widersprüchlich feststellt, das
Fehlen subjektiver Anforderungen werde durch die einschränkenden objektiven
Merkmale in Nrn. 1-3 abgemildert, die eine entsprechende Zwecksetzung des Handelns
implizieren, vgl. § 95a Abs. 3 Nr. 1 "mit dem Ziel" und Nr. 2 "Zweck"). Aus
grundrechtlichen Gründen muss es auch in § 95a Abs. 3 UrhG darauf ankommen, ob der
Handelnde fahrlässig im Hinblick auf die Umgehung von Maßnahmen zum Schutz
urheberrechtlicher Befugnisse tätig war, zumal es sich um Vorbereitungshandlungen
handelt, die in der deutschen Gesetzgebung auch sonst einen entsprechenden
subjektiven Tatbestand voraussetzen (§§ 80, 83, 86, 87 Abs. 1, 234a Abs. 3, 275, 316c
Abs. 4 StGB). Dabei ist allerdings nicht so weit zu gehen, dass man gar grobe oder
bewusste Fahrlässigkeit verlangt und die Norm damit ersichtlich leer laufen lässt, indem
man einen durch den Geschädigten zu führenden Nachweis positiver Kenntnis des
angeblichen Verletzters vom Verbotstatbestand in der Zeit sogleich nach Inkrafttreten
der neuen Regelungen verlangt (so aber Spieker, GRR 2004, 475, 479, 482). Dies führt
– weil Rechtsunkenntnis im Zweifel nicht schadet – entschieden zu weit.
51
(2) Dass der Berufungsbeklagte nicht vorsätzlich gehandelt hat, ergibt sich dann zur
Überzeugung der Kammer schon aus dem vorgelegten Emailverkehr. Dass er jedoch
dennoch zumindest fahrlässig agierte, ergibt sich bereits aus dem erstinstanzlich
unbestritten gebliebenen Vortrag, dass es bei f damals entsprechende Warnhinweise in
Pop-up-Fenstern gab. Hier hätte der Berufungsbeklagte dann ggf. im Vorfeld
Erkundigungen einholen müssen. Soweit der Berufungsbeklagte diese Warnhinweise
52
zweitinstanzlich erstmals in Zweifel gezogen hat, wird er damit nach § 531 Abs. 2 ZPO
nicht gehört. Ferner stützt sich die Kammer auf die unstreitige Presseberichterstattung
etc. zum damaligen Zeitraum, die im übrigen der Kammer selbst noch aus eigener
Anschauung bekannt ist. Hinreichende Umstände dafür, dass diese Umstände dem
Berufungsbeklagten ohne dessen Verschulden nicht bekannt gewesen sein sollen und
dass es ihm ferner unzumutbar gewesen sein soll, zu erkennen, dass sein
"Allesbrenner" davon erfasst ist, sind aber weder vorgetragen noch ersichtlich.
Angesichts dessen lag dann zugleich auch ein Verschulden i.S.d. § 97 UrhG vor, so
dass der Ersatzanspruch dem Grunde nach besteht.
b) Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 95 a UrhG dem Grunde nach
53
Aus ähnlichen Erwägungen besteht ein paralleler Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB, da
nach Auffassung der Kammer § 95 a Abs. 3 UrhG ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2
BGB ist. Die gegenteiligen Literaturstimmen (Spieker, GRUR 2004, 475, 481 f. wegen
des nur mittelbaren Schutzes der Urheber) überzeugen – entsprechend dem oben zu a)
aa) Gesagten - nicht. (wie hier auch Dreyer, a.a.O., § 95a Rn.44 sowie wohl auch OLG
München, Urt. v. 28.7.2005 - 29 U 2887/05, BeckRS 2005 10116).
54
c) Anspruch aus GoA dem Grunde nach
55
Daneben sind die Abmahnkosten dem Grunde nach zugleich über das Rechtsinstitut
der Geschäftsführung ohne Auftrag zu ersetzen. Denn derjenige, der vom Störer die
Beseitigung einer Störung bzw. Unterlassung verlangen kann, hat nach ständiger
Rechtsprechung im Urheberrecht grundsätzlich über dieses Institut einen Anspruch auf
Ersatz seiner Aufwendungen (§ 670 BGB), soweit er bei der Störungsbeseitigung hilft
und im Interesse und im Einklang mit dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des
Störers tätig wird. Die gesetzliche Sonderregelung in § 12 Abs. 1 S. 2 UWG schließt
außerhalb des Wettbewerbsrechts den Ersatz von Abmahnkosten über den
vorgenannten Weg nicht aus. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit § 12 UWG nur die
Grundsätze nochmals ausdrücklich anerkannt, die zuvor die Rechtsprechung zum
Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten im Rahmen der Geltendmachung von
Unterlassungsansprüchen bereits entwickelt hatte (vgl. Bornkamm, in:
Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 23. Aufl. 2004 § 12 Rn 1.77 f. 1.85 ff.).
56
Aufgrund der Ausführungen oben zu a) lag hier eine vollendete Verletzungshandlung
vor. Diese Erstverletzung begründet nach allgemeiner Ansicht im Wege der Vermutung
die für das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs erforderliche Wiederholungsgefahr
(vgl. statt aller Vinck, in: Loewenheim, Handbuch, a.a.O., § 81 Rn. 23). Zwar steht zur
Überzeugung der Kammer im Anschluss an die überzeugenden Ausführungen des
Amtsgerichts fest, dass der Berufungsbeklagte selbst das Angebot vorzeitig beendet hat,
da der Vortrag der Berufungsklägerinnen insofern angesichts Anlage K 7, Bl. 20 d.A. zu
unsubstantiiert ist, mag auch Anlage K 6, Bl. 19 d.A. handschriftlich ergänzt und wenig
aussagekräftig sein.
57
Dieses bloße Einstellen der Verletzungshandlung genügt aber hier nicht, die
Wiederholungsgefahr entfallen zu lassen. Vielmehr ist dafür nach allgemeiner
Auffassung grundsätzlich die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtung
erforderlich, die hier erst im Nachgang an die Abmahnung abgegeben wurde.
Hinreichende Gründe dafür, dass hier ausnahmsweise auch ohne Abgabe einer
solchen Erklärung die Wiederholungsgefahr hätte entfallen können, sind nicht
58
ersichtlich. Insbesondere hat der Berufungsbeklagte im Nachgang an die VeRi-
Nachricht nicht selbst geeignete Schritte unternommen.
4. Hilfserwägung: Anspruch aus GoA dem Grunde nach selbst bei unterstellter
Nichtverletzung des § 95a Abs. 3 UrhG
59
Zuletzt bestünde ein entsprechender Anspruch jedenfalls aus GoA nach Auffassung der
Kammer selbst dann, wenn man der hier vertretenen Ansicht nicht folgen würde und
annehmen würde, das Internetangebot verletze noch nicht § 95 a UrhG.
60
Denn dann hätte– entgegen den Auffassungen des Amtsgerichts – im Zeitpunkt der
Abmahnung zumindest Erstbegehungsgefahr für einen "Verkauf" i.S.d. § 95 a Abs. 3
UrhG bestanden, so dass sich daraus ein entsprechender Unterlassungsanspruch aus §
97 UrhG bzw. §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB hätte ableiten lassen. Dass – wie gezeigt –
davon auszugehen ist, dass der Berufungsbeklagte selbst sein Angebot abgebrochen
hat, genügt dafür nicht. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist insbesondere zu
berücksichtigen, dass sich der Berufungsbeklagte in der Email in Anlage K 11 weiterhin
deutlich im Recht gefühlt hat und betont hat, man könne ihm ein solches Tun nicht
verbieten. Richtig ist zwar, dass die Berufungsklägerinnen davon keine Kenntnis hatten
(und vielmehr unstreitig von einem fortbestehenden Angebot ausgingen und sich nur vor
der Abmahnung nicht mehr über dessen Fortbestand vergewisserten). Indes muss der
Berufungsbeklagte sich an diesem Berühmen festhalten lassen, zumal f beim
(versuchten) Abbruch des Angebots im Rahmen des VeRi-Programms gerade auch im
Namen und Auftrag der Berufungsklägerin zu 7) handelte. Es entspricht ständiger
Rechtsprechung des BGH, dass Erstbegehungsgefahr begründet, wer sich des Rechts
berühmt, bestimmte Handlungen vornehmen zu dürfen. Dies gilt grundsätzlich auch
dann, wenn eine solche Berühmung im Rahmen der Rechtsverteidigung erfolgt, da die
Lebenserfahrung dafür spricht, dass die Verteidigung einer bestimmten
Handlungsweise jedenfalls auch den Weg zu ihrer (beabsichtigten) künftigen
Fortsetzung eröffnen soll. Besteht eine solche Absicht nicht, ist es Sache des Verletzers,
diese ausschließliche Zielsetzung zweifelsfrei deutlich zu machen (vgl. BGH, Urt. v.
06.10.1994 - I ZR 155/90, GRURInt 1995, 503 , 505; BGH, Urt. v. 16. 1. 1992 - I ZR
20/90, GRUR 1992, 404, 405 - Systemunterschiede ; Urt. v. 19. 3. 1992 - I ZR 166/90,
GRUR 1993, 53, 55 - Ausländischer Inserent ; Urt. v. 7. 5. 1992 - I ZR 119/90, GRUR
1992, 618, 619 - Pressehaftung II). Die Erstbegehungsgefahr und damit der
Unterlassungsanspruch entfallen dann nur mit der Aufgabe der Berühmung, die in der
uneingeschränkten und eindeutigen Erklärung liegt, dass die beanstandete Handlung in
Zukunft nicht vorgenommen werde. Eine solche Erklärung hat der Berufungsbeklagte
vor der Abmahnung – wie Anlage K 11 zeigt - gerade nicht abgeben wollen.
Berücksichtigt man dann noch, dass ein bloßes Einstellen von
Vorbereitungshandlungen nicht für die Beseitigung der Erstbegehungsgefahr genügt
(Lütje, in: Möhring/Nicolini, UrhG, 2. Auflage 2000, § 97 Rn. 133), lag damit hier
jedenfalls noch Erstbegehungsgefahr vor. Dass die CD mit der Software dann erst nach
der Abmahnung vernichtet werden soll, ist ebenfalls weder vorgetragen noch ersichtlich.
61
Angesichts der somit fortbestehenden Unterlassungsansprüche bestehen dann –
entgegen der Ansicht des Amtsgerichts – auch keine Bedenken daran, dass die
Abmahnung im mutmaßlichen Willen und Interesse des Berufungsbeklagten erfolgte.
62
5. Anspruch der Höhe nach
63
Den Berufungsklägerinnen steht der geltend gemachte Anspruch auch der Höhe nach
zu. Sowohl für die Schadensersatzansprüche als für Ansprüche aus GoA war von
Bedeutung, dass der Abmahnende nicht selbst über hinreichende eigene Sachkunde
und Möglichkeiten zur zweckentsprechenden Verfolgung eines unschwer zu
erkennenden Verstoßes verfügen darf, da die Einschaltung eines Rechtsanwalts dann
ggf. nicht "erforderlich" i.S.d. § 670 BGB sein kann (BGH, Urt. v. 6.5.2004 - l ZR 2/03,
NJW 2004, 2448) bzw, in solchen Fällen auch unter schadensersatzrechtlichen
Grundsätzen eine Ersatzfähigkeit als Teil des Schadens fehlt (BGH, a.a.O.).
64
a) Greifen kann dieser Aspekt freilich in Ausnahmefällen, in denen standardmäßig
immer nur ein und derselbe Verstoß ganz routinemäßig für den einzigen Berechtigten
mittels "Textbausteinen" abgemahnt wurde (vgl. für die routinemäßige Abmahnung des
Vertriebs des "ftp-Explorers" in Serienabmahnungen OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.2.2001 -
20 U 194/00, NJW-RR 2002, 122; ähnlich AG Bad Kreuznach, Urt. v. 15. 4. 1999 - 2 C
1586/98, NJWE-WettbR 1999, 207; auch hier restriktiver mit gutem Grund aber OLG
Hamm, Urt. v. 15.5.2001 – 4 U 33/01, MMR 2001, 611: Viele einzelne Verstöße fordern
auch viele Abmahnungen heraus). Vorliegend greift dieser Aspekt nach Auffassung der
Kammer - auch unter Berücksichtigung der unstreitig massenhaft gleichgelagerten Fälle
und der über Internetsuchmaschinen für sich genommen relativ leicht zu ermittelnden
Verstöße durch die User – schon deshalb nicht, als es sich gerade nicht nur um einen
einfach gelagerten Streitfall handelt. Dies zeigt schon das nunmehr zweitinstanzliche
Verfahren eindringlich. Es werden hier zwar weniger Tatsachenfragen, aber eben
immerhin Rechtsfragen mit einem Schwierigkeitsgrad relevant, die auch ein Volljurist in
einer Tonträgerfirma nicht sicher beherrschen wird und nach Auffassung der Kammer
auch nicht beherrschen muss. Angesichts der unklaren gesetzlichen Grundlagen dieser
Vorschrift war dann auch ein Abmahnen ohne anwaltliche Hilfe den
Berufungsklägerinnen nicht zuzumuten. Dass es dabei um Hunderte ähnlicher Fälle
ging, rechtfertigt aus Sicht der Kammer keine andere Betrachtungsweise, da die
Rechtsfragen gleichwohl komplex blieben und viele Einzelverletzungen dann eben nur
viele Abmahnungen herausfordern (vgl. OLG Hamm a.a.O.). Die Kammer verkennt nicht,
dass den Entscheidungsgründen der - selbst nur zu dem ganz engen Ausnahmefall
einer Selbstbeauftragung eines Rechtsanwalts zur Verfolgung (ausgerechnet) eines
Verstoßes gegen die Berufsordnung der Rechtsanwälte ergangenen - Entscheidung
BGH, Urt. v. 6.5.2004 - l ZR 2/03, NJW 2004, 2448 vielfach der allgemeine Grundsatz
entnommen wird, dass bei Unternehmen mit einer eigenen Rechtsabteilung, die damit
(theoretisch) in der Lage sind, typische Verstöße ohne anwaltlichen Rat zu erkennen,
ein Ersatz von Abmahnkosten ausscheiden soll (vgl. etwa Köhler, in:
Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 23. Aufl. 2004, § 9 Rn. 1.29 und ähnlich zuvor
bereits AG Kaiserslautern, Urt. v. 16.4.2004 - 3 C 2565/03, GRUR-RR 2005, 39). Die
Entscheidung des BGH liegt indes nach Auffassung der Kammer (vgl. auch bereits
Urteil vom 20. Juli 2005 – 28 S 2/05) nur auf der Linie der zu Recht zurückhaltenden
Rechtsprechung zu Fachverbänden mit eigener und gerade zur satzungsgemäß
gebotenen Verfolgung von Wettbewerbsverstößen im Kern bereits bestimmter
Rechtsabteilung (vgl. BGH, Urt. v. 12.04.1984 - l ZR 45/82, GRUR1984, 691 m. Anm.
Jacobs). Sie ist ferner aus Billigkeitsgründen speziell bei einer Abmahnung durch selbst
sachkundige Anwälte nach einer Selbstbeauftragung in Berufsrechtsfragen zutreffend
und überzeugend (vgl. auch LG Aachen, Urt. v. 24.02.1987 - 41 S 10/86, NJW-RR 1987,
1326).
65
Indes lässt sich - im Einklang mit den Erwägungen des OLG Karlsruhe im Urt. v.
8.11.1995 - 6 U 57/95, NJW-RR 1996, 748 - diese restriktivere Rechtsprechung nicht
66
ohne weiteres auf das durch das Marktverhalten unmittelbar betroffene kaufmännische
Unternehmen - und damit auch die Berufungsklägerinnen - übertragen. Richtig ist, dass
sich ein Fachverband, der sich die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen zur Aufgabe
gesetzt hat, mit den zur Erfüllung seines Verbandszwecks erforderlichen Mitteln
versehen muss. Überzeugend ist auch, dass ein sachkundiger Anwalt selbst Verstöße
gegen seine eigene Berufsordnung selbst und ohne Anfall von Gebühren abmahnen
kann. Für ein am Wettbewerb teilnehmendes Unternehmen gehört dagegen die
Beurteilung des Verhaltens eines anderen und die Verfolgung von Wettbewerbs-
und/oder Schutzrechtsverstößen keineswegs zu seinen ureigenen unternehmerischen
Aufgaben. Auch wenn ein solches Unternehmen über einen oder mehrere als
Volljuristen ausgewiesene Mitarbeiter verfügt, ist damit keineswegs gesagt, dass es
diese Mitarbeiter auch mit der - möglicherweise äußerst zeitaufwendigen - Bearbeitung
von urheberrechtlichen Streitigkeiten beauftragt. Denn durch den Einsatz eines -
möglicherweise für andere Aufgaben im Unternehmen benötigten - Mitarbeiters wird der
eigene wirtschaftliche Erfolg, den ein kaufmännisch tätiges Unternehmen bei allen
betrieblichen Entscheidungen - anders als ein Verband zur Verfolgung von
Wettbewerbsverstößen - im Auge behalten muss, nicht unmittelbar gefördert. Daraus,
dass ein Unternehmen über eine eigene Rechtsabteilung verfügt, kann daher gerade
nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden, die Einschaltung eines
Rechtsanwaltes sei nicht erforderlich. Auch unter Berücksichtigung von § 254 Abs. 2 S.
1 BGB besteht keine Pflicht, eine entsprechend geschulte Arbeitskraft vorzuhalten, nur
um dem Verletzer die Kosten der Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts zu ersparen.
Grundsatz bleiben muss daher nach Auffassung der Kammer gerade auch bei
Vorhandensein einer eigenen Rechtsabteilung die Ersatzfähigkeit von
Anwaltsabmahnkosten (ebenso Bornkamm, a.a.O., § 12 Rn. 1.92). Das Vorhandensein
einer Rechtsabteilung rechtfertigt allenfalls den Verzicht auf die Ersatzfähigkeit von
Mehrkosten, wenn und soweit ein nicht am Prozessgericht ansässiger Anwalt beauftragt
wird (BGH, Beschl, v 18. 12. 2003 - l ZB 18/03, GRUR 2004, 448).
Etwas anderes mag gelten, wenn es sich um einen ganz einfach gelagerten Sachverhalt
handelt, in denen für die Bearbeitung auf frühere Vorgänge zurückgegriffen werden
kann und in denen zudem personelle Kapazitäten der eigenen Rechtsabteilung für
solche eigene Abmahntätigkeiten ohne weiteres vorhanden sind. Für diesen engen
Ausnahmefall fehlt es vorliegend jedoch am hinreichenden Parteivortrag; Nach der
Lebenserfahrung und der Erfahrungen der Kammer ist eine Rechtsabteilung eines
Tonträgerherstellers typischerweise nicht auf die Verfolgung jedweder Rechtsverletzung
im Internet ausgelegt. Dies gilt insbesondere dann nicht, wenn es – wie hier – um die
Verfolgung hunderter solcher Fälle und um teils schwierigste Rechtsfragen aufgrund
unklarer gesetzlicher Vorschriften geht.
67
b) Die Anwaltsgebühren sind schließlich auch korrekt berechnet. Zunächst bestehen am
angesetzten Streitwert von 10.000 € angesichts der wirtschaftlichen Interessen der
Verletzten keinerlei Bedenken. Die daraus nach der BRAGO (vgl. § 61 RVG)
errechneten Anwaltsgebühren von 364,50 € + 729 € + 20 € (§ 26 BRAGO) = 1.113,50 €
sind der Höhe nach nicht zu beanstanden. Insbesondere fällt eine Mittelgebühr in Höhe
von 7,5/10 nach § 118 Abs. 1 BRAGO an, Nach § 6 Abs. 1 S. 2 war die Geschäftsgebühr
um je 3/10 der im konkreten Fall erwachsenen sog. Ausgangsgebühr (vgl.
Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, BRAGO, § 6 Rn. 33). Die Erhöhungsgebühr beträgt
somit 7 x 3/10 x 7,5/10 = 15,75/10. Dies ist dann nach § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO auf zwei
Ausgangsgebühren zu deckeln, mithin auf 15/10 (= 2 x 7,5/10)
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c) Schließlich war das Vorgehen der Berufungsklägerinnen nicht rechtsmissbräuchlich
i.S.d. § 242 BGB bzw. § 8 Abs. 4 UWG n.F.
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aa) Dass berechtigte Zweifel bestehen, ob die Bevollmächtigten vor der Abmahnung im
konkreten Einzelfall von allen acht Berufungsklägerinnen im Einzelfall gesondert
bevollmächtigt waren, rechtfertigt aus Sicht der Kammer im vorliegenden Fall kein
Versagen des Erstattungsanspruchs. Zum einen waren die Bevollmächtigten nach dem
ureigenen Vorbringen des Berufungsbeklagten planmäßig für die Berufungsklägerinnen
aufgrund eines generellen Auftrages tätig. Zudem haben die Bevollmächtigten der
Berufungsklägerinnen im Termin fortlaufende mündliche Absprachen bzw. Absprachen
per Email substantiiert vorgetragen. Belegen die im Termin vorgelegten schriftlichen
Vollmachten ferner zumindest eine nachträgliche Genehmigung der konkreten
Abmahnung und hat der Berufungsbeklagte zudem das Fehlen der Vollmachten bei der
Abmahnung selbst zunächst nicht gerügt (§ 174 BGB), bestehen aus Sicht der Kammer
keinerlei Bedenken an einem Kostenerstattungsanspruch. Soweit in der
Rechtsprechung und Literatur teilweise von einem Rechtsmissbrauch ausgegangen
wird, wenn einem Anwalt die Überwachung des Markts und die Verfolgung von
Verstößen weitgehend ohne Kontrolle durch den Auftraggeber überlassen bleibt, er also
das Abmahngeschäft "in eigener Regie" betreibt (OLG Düsseldorf, Urt. v. 20. 2. 2001 -
20 U 194/00, NJW-RR 2002, 122, 123 m.w.N.; Köhler, in Baumbach/Hefermehl, a.a.O, §
8 Rn. 4.12), ist ein solches Fehlen jedweder Kontrolle etc. und eines schutzwürdigen
Eigeninteresses vom Berufungsbeklagten nicht hinreichend vorgetragen. Ungeachtet
dessen überzeugt diese Auffassung jedenfalls im konkreten Fall nicht: Denn diese
Fallgruppe muss sich vor allem auf Fälle beziehen, in die gewerbliche Tätigkeit zum
Schein ausgeübt und der Hausanwalt zur Erzielung von Einnahmen "vorgeschickt" wird
(vgl. Jestaedt, in: Pastor/Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 4. Aufl. 1999, § 25 Rn. 14).
Hier jedoch haben die Verfügungsbeklagten ein hinreichendes schutzwürdiges
Eigeninteresse an einem massenhaften Vorgehen gegen vielfache Verstöße auch und
gerade durch Privatleute gegen § 95a Abs. 3 UrhG substantiiert dargelegt. Die
umfangreiche Abmahntätigkeit allein lässt dann aber nicht auf eine missbräuchliche
Ausnutzung der Antragsbefugnis schließen, zumal hier eben kraft Natur der Sache nur
die unzähligen Privaten in Anspruch zu nehmen sind. Hinzutreten müssten weitere
Umstände, aus denen zu folgern ist, dass die Antragsbefugnis nicht in erster Linie im
Interesse des eigenen Geschäftsbetriebs, sondern als selbständige Erwerbsquelle für
den Antragsteller oder den mit ihm zusammenarbeitenden Rechtsanwalt genutzt wird
(vgl. OLG Köln, Urteil v. 15.01.1993 - 6 U 147/92, MDR 1993, 634, 635). Dafür fehlt es
an hinreichendem Vortrag. Allein aus einer sehr hohen Zahl von gleichartige
Verletzungsfälle betreffenden Abmahnungen kann gerade nicht auf Rechtsmissbrauch
geschlossen werden (vgl. auch OLG München, Urt. v. 20. 2. 1997 - 29 U 3795/96,
NJWE-WettbR 1998, 29 f.), wenn – wie hier – eben zugleich auch massenhafte
Verstöße vorliegen. Dass dann aber auch einem beauftragten Anwalt teilweise mehr
"freie Hand" gegeben wird, begegnet aus Sicht der Kammer keinen Bedenken, da – wie
gezeigt – den Unternehmen selbst auch die Ermittlung und Verfolgung von Verstößen
allein nicht ohne weiteres zugemutet werden kann.
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Zudem ist die im Wettbewerbsrecht häufigere Problematik des fehlenden
Eigeninteresses auf das Urheberrecht mit seinen Individualrechten – zu deren Schutz
(wie gezeigt) auch § 95 a UrhG dient – nicht ohne weiteres übertragbar (vgl. ähnlich für
das Markenrecht OLG Stuttgart, Urt. v. 21. 2. 2002 - 2 U 206/01, GRUR-RR 2002, 381,
382). Bei der Anwendung der Missbrauchsklausel des § 8 Abs. 4 UWG ist zu
berücksichtigen, dass dieser Regelung neben der Aufgabe der Bekämpfung von
71
Missbräuchen bei Wettbewerbsverbänden die Funktion eines Korrektivs gegenüber der
weit gefassten Anspruchsberechtigung der Mitbewerber zukommt (vgl. BGH, Urt. v. 5.
10. 2000 - I ZR 237/98, GRUR 2001, 260, 261 – Vielfachabmahner). Die Norm bietet
dann eine Handhabe, wenn der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch
missbräuchlich geltend gemacht werde, insbesondere wenn sachfremde Ziele als die
eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung
erscheinen (OLG Stuttgart a.a.O.). Damit ist der vorliegende Fall ersichtlich nicht
vergleichbar: Hier hingegen geht es unzweifelhaft um die den eigenen berechtigten
Interessen dienenden Abwehrhandlungen gegen die Verletzung individueller
Schutzrechte der Berufungsklägerinnen. Soweit der Berufungsbeklagte insofern dann
teilweise die Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange bestritten hat, ist dies im
Hinblick auf die vorgelegte "Brennerstudie" und nach der allgemeinen Lebenserfahrung
jedenfalls nicht ausreichend. Die Berufungsklägerinnen als Musikunternehmen haben
durchaus triftige Gründe zum Vorgehen auch gegen Private, nicht zuletzt aufgrund des
dort oft fehlenden Unrechtsbewusstseins.
bb) Daneben ist nicht ersichtlich, dass allein der Branchenverband der Musikindustrie
zu Abmahnungen berechtigt gewesen sein soll. Dies gilt umso mehr, als es im
Urheberrecht anders als im Wettbewerbsrecht gerade keine Verbandsklagebefugnis gibt
und daher nicht ersichtlich ist, wieso den Berufungsklägerinnen als unmittelbaren
Schutzrechtsinhaberinnen ein eigenen Vorgehen gegen Verletzer (mit Erstattung von
Abmahnkosten) unmöglich gemacht werden soll und die zur Ermächtigung ihres
Verbandes gedrängt werden sollten, nur um den Verletztern ggf. Gebühren zu ersparen.
72
cc) Schließlich ist auch ohne Belang, dass es Hunderte gleichgelagerter Fälle gegeben
hat und daraus beträchtliche Einnahmen geflossen sind. Die Verfolgung vieler
Verletzungen bringt zwangsläufig auch viele Kostenerstattungsansprüche mit sich. Dass
der einzelne Verletzter aufgrund der Massenhaftigkeit des Geschehens insofern davon
profitieren können soll, dass allein wegen der Massenhaftigkeit plötzlich die
Rechtsverfolgung missbräuchlich wird, ist nicht einleuchtend. Viele Verletzungen
fordern viele Abmahnungen heraus (OLG Hamm, a.a.O.). Zudem haben die
Berufungsklägerinnen im Zuge gütlicher Einigungen unstreitig nicht unerhebliche
Gebührenreduzierungen angeboten. Auch dies zeigt, dass es nicht primär um die
Erzielung von einnahmen, sondern um die wirksame Unterbindung von
Rechtsverletzungen geht.
73
dd) Allein bedenkenswert erscheint der Beklagtenvortrag – auf den ersten Blick -
hinsichtlich der Erhöhungsgebührenfrage. Aber auch damit dringt der
Berufungsbeklagte letztlich nicht durch (zumal dies ohnehin nur eine Kürzung des
Anspruchs auf die normale Gebühr, nicht aber einen vollständigen Wegfall erlaubt
hätte): Denn zutreffend ist sicherlich, dass es auffällig scheint, dass teilweise
konzernverbundene Unternehmen sich in exakt solcher Anzahl zusammentun, dass die
maximale BRAGO-Erhöhungsgebühr ausgeschöpft wird. Dennoch ist zu
berücksichtigen, dass die Berufungsklägerinnen durchaus als Schutzrechtsinhaber
theoretisch auch jeweils gesondert hätten gegen den Berufungsbeklagten vorgehen
können. Allein bei einem solchen abgestimmten Einzelvorgehen hätte man aber ggf. auf
eine unzulässige rechtmissbräuchliche Mehrfachverfolgung abstellen können, wenn
konzernmäßig verbundene und vom selben Rechtsanwalt vertretene Betroffene die
Möglichkeit nicht nutzen, ihre Ansprüche beim selben Gericht als Streitgenossen
geltend zu machen und statt dessen jeweils getrennte Verfahren einleiten (vgl. etwa
BGH, Urt. v. 06.04.2000 - I ZR 76/98, GRUR 2000, 1089 ff.). Gerade diesem Vorwurf ist
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man aber durch das gemeinsame Vorgehen aber ausgewichen. Berücksichtigt man
dann aber noch, dass § 95 Abs. 3 UrhG eben auch dem Individualschutz aller acht
Berufungsklägerinnen dient, ist daher auch unter diesem Aspekt eine Kostenerstattung
letztendlich nicht zu versagen.
3. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711 S. 1 und
2, 709 S. 2 ZPO. Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO zuzulassen, da
die Sache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Dies
gilt zum einen schon deshalb, als Umfang und Reichweite der streitgegenständlichen
Vorschrift des § 95 a UrhG weitgehend ungeklärt sind und höchstrichterlicher
Konkretisierung harren. Ferner erfordert auch die Frage der Ersatzfähigkeit von
Abmahnkosten ebenfalls eine Entscheidung des Revisionsgerichts, da der vorliegende
Einzelfall durchaus Veranlassung bietet, weitere Leitsätze für die Handhabung der
Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag etc. in solchen Bereichen aufzustellen
und die dort bestehende Gesetzeslücke auszufüllen. Hierfür besteht Bedarf, da es für
die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger
Lebenssachverhalte an einer richtungweisenden höchstrichterlichen Orientierungshilfe
zumindest teilweise fehlt. Die bisher vorliegenden Einzelfallentscheidungen bieten aus
Sicht der Kammer keine hinreichend klare Handhabe zur Entscheidung über die
Ersatzfähigkeit von Abmahnkosten bei den heutzutage (speziell bei f) häufigen
kleineren Verletzungshandlungen Privater. Dort ist zwar eine Kostenbelastung für den
einzelnen Privatmann oft hart. Die Verfolgung von massenhaften Verstößen durch eine
eigene Rechtsabteilung bei den Unternehmen würde aber große Kapazitäten erfordern,
obwohl gerade die Masse kleiner Verstöße durchaus auch für große Schäden bei den
Rechteinhabern sorgt. In der bisherigen Rechtspraxis drohen divergierende
Einzelfallentscheidungen und eine unerträgliche Rechtsunsicherheit, die angesichts der
Vielzahl gleichgelagerter Abmahnkonstellationen nicht hinnehmbar sind.
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Streitwert: 1.113,50 €
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