Urteil des LG Köln vom 06.07.2005

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Landgericht Köln, 82 O 150/04
Datum:
06.07.2005
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
2. Kammer für Handelssachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
82 O 150/04
Tenor:
Es wird festgestellt, dass folgende Beschlüsse der ordentlichen
Hauptversammlung der Beklagten vom 23.12.2004 nichtig sind:
1) Zum Tagesordnungspunkt 2 - Entlastung der Mitglieder des
Vorstandes für das Geschäftsjahr 2003/2004.
2) Zum Tagesordnungspunkt 3 - Entlastung der Mitglieder des
Aufsichtsrates für das Geschäftsjahr 2003/2004.
3) Zum Tagesordnungspunkt 4 betreffend die Wahlen zum Aufsichtsrat,
wo-nach die Herren B, Oberursel, N, Wilmington, N.C. 28409, U.S.A., O,
I4, und Q, Northeim, 4) zu Mitgliedern des Aufsichtsrates der Beklagten
gewählt worden sind.
4) Zum Tagesordnungspunkt 5 betreffend die Bestellung der F & Z
Aktiengesellschaft, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Düsseldorf, zum
Abschlussprüfer und Konzernabschlussprüfer für das Geschäftsjahr
2004/2005.
5) Zum Tagesordnungspunkt 6 betreffend die Übertragung der Aktien
der Minderheitsaktionäre der H Aktiengesellschaft auf die W GmbH
gegen Gewährung einer Barabfindung mit folgendem Wortlaut:
a. Die Aktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) der H
Aktiengesellschaft werden gemäß § 327 a Abs. 1 Aktiengesetz gegen
Gewährung einer angemessenen Barabfindung auf die I GmbH mit Sitz
in Bonn (HRB 12911 Amtsgericht Bonn) übertragen.
b. Die I GmbH legt für die übertragungsbedingt ausscheidenden
Minderheitsaktionäre als Abfindung für ihre Aktien kosten-, provisions-
und spesenfrei eine angemessene Barabfindung von Euro 283,36 je
Stückaktie mit einem auf die einzelne Aktie entfallenden anteiligen
Betrag des Grundkapitals von gerundet Euro 25,56 fest.
c. Die übertragungsbedingt ausscheidenden Minderheitsaktionäre
erhalten zusätzlich unabhängig vom Zeitpunkt der Eintragung des
Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister für das gesamte
Geschäftsjahr 2004/2005 den nach § 4 Abs. 1 des Beherrschungs- und
Gewinnabführungsvertrages zwischen der W GmbH (vormals W GmbH
& Co. KG) als herrschendem und der H Aktiengesellschaft als
beherrschtem Unternehmen von der W GmbH geschuldeten jährlichen
Ausgleich (§ 304 Aktiengesetz) von Euro 4,67 je Stückaktie der H
Aktiengesellschaft mit einem auf die einzelne Aktie entfallenden
anteiligen Betrag des Grundkapitals von gerundet Euro 25,56 oder einen
eventuell infolge eines Verfahrens gemäß § 306 Aktiengesetz durch
gerichtliche Entscheidung oder durch Vergleich zur Beendigung eines
solchen gerichtlichen Verfahrens an dessen Stelle tretenden höheren
Ausgleich.
d. Sollte der Übertragungsbeschluss bis zum 30. April 2005 noch nicht in
das Handelsregister der H Aktiengesellschaft eingetragen worden sein,
erhalten die übertragungsbedingt ausscheidenden Minderheitsaktionäre
von der I GmbH ab dem 01. Mai 2005 bis zur Eintragung des
Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister zusätzlich für jeden
angefangenen Monat ein Zwölftel des aus dem Beherrschungs- und
Gewinnabführungsvertrag geschuldeten jährlichen Ausgleichs von Euro
4,67 je Stückaktie der H Aktiengesellschaft mit einem auf die einzelne
Aktie entfallenden anteiligen Betrag des Grundkapitals von gerundet
Euro 25,56 oder eines eventuell infolge eines Verfahrens gemäß § 306
Aktiengesetz durch gerichtliche Entscheidung oder durch Vergleich zur
Beendigung eines solchen gerichtlichen Verfahrens an dessen Stelle
tretenden höheren Ausgleichs."
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Nebenintervenienten.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Das Grundkapital der börsennotierten Beklagten beträgt Euro 33.233.972,28. Es ist
eingeteilt in 1.300.000 auf den Inhaber lautende Stückaktien mit einem auf die einzelnen
Aktie entfallenden anteiligen Betrag des Grundkapitals von gerundet Euro 25,56.
2
Die Aktien der Beklagten werden an den Börsen zu Düsseldorf, Frankfurt am Main und
Hamburg im amtlichen Markt sowie an den Börsen Berlin-Bremen und Stuttgart im
Freiverkehr gehandelt.
3
Bis zum 9.12.2003 war die frühere W GmbH & Co KG Mutterunternehmen der
Beklagten. Am 21.9.2003 hatte die C3 GmbH, Frankfurt am Main, eine von der US-
amerikanischen Advent-Investorengruppe betreute Gesellschaft – mit den
Gesellschaftern der früheren W GmbH & Co KG einen Vertrag zum Erwerb der
Kommanditanteile an der W GmbH & Co KG abgeschlossen. Zum 9.12.2003 hat die C3
GmbH die Gesellschaftsanteile der W GmbH & Co KG übernommen. Ebenfalls am 09.
Dezember 2003 ist die W3 GmbH neben der bisherigen W GmbH als weitere
Komplementärin in die W GmbH & Co. KG eingetreten. Beide Komplementärinnen, die
W3 GmbH sowie die W2 GmbH, sind noch am gleichen Tag ausgetreten, und zwar
letztere zeitlich vor der anderen Gesellschaft. Zum 10.12.2003 hat die C3 GmbH die
Gesamtrechtsnachfolge der W GmbH & Co KG angetreten und nachfolgend ihre Firma
in die heutige W GmbH geändert.
4
Gesellschafter der W GmbH sind zu 90 % die M S.a.r.l. mit Sitz in Luxemburg und zu 10
% die C GmbH & Co. KG mit Sitz in Bonn. Hinter der M S.a.r.l. steht die B Corp., Boston
- USA, als General Partner sowie acht private equity funds als Limited Partner, an denen
eine Vielzahl institutioneller Anleger beteiligt sind. Laut Übertragungsbericht ergab sich
folgende Beteiligungsstruktur:
5
- Es folgt die Darstellung der Beteiligungsstruktur als Flussdiagramm.-
6
Am 12.12.2003 meldete die C2 GmbH der Beklagten und auch der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht in Frankfurt am Main (BAFin) nach § 21 WpHG, dass sie
seit dem 9.12.2003 die Schwelle von 5% überschritten habe und seitdem 99,123% der
Stimmrechtsanteile der Beklagten halte, die ihnen gemäß § 22 Abs. S. 1 Nr. 1 WpHG
zuzurechnen seien. Gleiches meldete die M S.à.r.l., die B (Cayman) Limited Partnership,
die B (Cayman) Ltd. und die B International Corp. (USA) der Beklagten und der BAFin,
jeweils mit Schreiben vom 12.12.2003. Am 15.12.2003 teilte die W3 GmbH das gleiche
mit und ergänzte, dass sie ebenfalls am 9.12.2003 die Schwelle von 75% wieder
unterschritten habe und keine Stimmrechtsanteile an der Beklagten mehr halte. Am
15.12.2003 korrigierte die C3 GmbH ihre Meldung vom 12.12.2003 dahingehend, dass
sie Stimmrechtsanteile an der Beklagten von 99,123 % seit dem 10.12.2003 unmittelbar
halte.
7
Zwischen der W GmbH (seinerzeit noch I2 GmbH & Co. KG) als herrschendem und der
Beklagten als beherrschtem Unternehmen besteht seit dem Geschäftsjahr 1999/2000
ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Nach diesem hat die
Hauptaktionärin den außenstehenden Aktionären nach deren Wahl eine Barabfindung
von Euro 153,39 (DM 300,00) je Stückaktie bzw. einen jährlich wiederkehrenden
Ausgleich ("Garantiedividende") von Euro 4,67 (DM 9,14) je Stückaktie zu zahlen.
8
In einer Veröffentlichung nach § 14 Abs. 3 WpÜG vom 14. Januar 2004 hat die W GmbH
(seinerzeit noch firmierend als C3 GmbH) den Minderheitsaktionären der Beklagten ein
öffentliches Übernahmeangebot zum Erwerb von deren Aktien der Beklagten gegen
Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von Euro 154,00 je Aktie unterbreitet. Das
entsprach dem damaligen Börsenkurs.
9
Laut Depotbescheinigung vom 22.12.2004 hielt die W GmbH mit Sitz in Bonn 99,31 %
der Aktien der Beklagten, d. h. insgesamt 1.291.047 Aktien. Die restlichen 8.953 Aktien
befinden sich in börsennotiertem Streubesitz.
10
Die W GmbH verlangte mit Schreiben vom 24.3.2004, dass die Hauptversammlung der
Beklagten die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die Hauptaktionärin
gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung gemäß § 327a ff. AktG beschließt.
11
Die Geschäftsführung der W GmbH beauftragte die T GmbH
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Bonn (im Folgenden: "FGS
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft"), anlässlich des geplanten Ausschlusses der
Minderheitsaktionäre gem. §§ 327a ff. AktG mit der Erstellung eines Gutachtens zum
Unternehmenswert der Beklagten. Die FGS Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist in ihrem
Gutachten zum Ergebnis gekommen, dass sich unter Berücksichtigung eines
Unternehmenswerts i.H.v. Euro 368.366.000 ein Wert pro Aktie i.H.v. Euro 283,36 ergibt.
Das Gutachten der FGS Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wurde am 27. Oktober 2004
unterzeichnet. Der schriftliche Bericht der I GmbH (§ 327c Abs. 2 Satz 1 AktG) wurde
von allen ihren Geschäftsführern am 29. Oktober 2004 unterzeichnet. Die von dem
Landgericht Köln durch Beschluss vom 19. Juli 2004 als Sachverständige zur Prüfung
der Angemessenheit der Barabfindung ausgewählte und bestellte (§ 327c Abs. 2 Satz 3
AktG) B2 Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Köln (im Folgenden:
"B2
Aktiengesellschaft"),
von der FGS Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ermittelte Barabfindung in Höhe von Euro
283,36 je Stückaktie angemessen ist.
12
Am 09. November 2004 lud der Vorstand der Beklagten durch Veröffentlichung im
elektronischen Bundesanzeiger zur ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am
23. Dezember 2004, 10.00 Uhr, in die Stadthalle Köln-Mülheim, ein. Die Tagesordnung
enthielt zu Punkt 6 die Beschlussfassung über die Übertragung der Aktien der
Minderheitsaktionäre der Beklagten auf die W GmbH gegen Gewährung einer
Barabfindung. Ab diesem Zeitpunkt lagen sowohl an der Verwaltungsadresse als auch
am Sitz der Beklagten zur Einsicht der Aktionäre aus:
13
- Der Entwurf des Übertragungsbeschlusses;
14
- Der von der W GmbH erstattete Bericht gem. § 327c Abs. 2 Satz 1 AktG über die
Voraussetzungen für die Übertragung der Aktien aller Minderheitsaktionäre und die
Angemessenheit der Barabfindung;
15
- der von der 2 Aktiengesellschaft gem. § 327c Abs. 2 Satz 2-4 AktG erstattete
Prüfungsbericht über die Angemessenheit der Barabfindung und
16
- die Jahresabschlüsse, Konzernabschlüsse und Lageberichte der Gesellschaft für
die Geschäftsjahre 2001/2002, 2002/2003 und 2003/2004.
17
Mit Schreiben vom 22. November 2004 übermittelte der Kläger zu 1. einen Gegenantrag
zu dem Tagesordnungspunkt 6, der von der Beklagten nur auszugsweise zugänglich
gemacht wurde und dessentwegen der Vorstand der Beklagten eine einstweilige
Verfügung gegen den Kläger zu 1. erwirkte, woraufhin er - der Kläger zu 1. - in der
mündlichen Verhandlung vom 07. März 2005 eine strafbewehrte
Unterlassungserklärung abgegeben hat.
18
Die Kläger waren auf der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 23.
Dezember 2004 insgesamt mit folgenden Aktien vertreten:
19
1. die Klägerin zu 10. mit 30 Stückaktien
20
2. der Kläger zu 1. mit 11 Stückaktien
21
3. die Klägerin zu 3. mit 100 Stückaktien
22
4. die Klägerin zu 5. und 11. mit 2 Stückaktien
23
5. der Kläger zu 4. mit 11 Stückaktien
24
6. der Kläger zu 12. mit 4 Stückaktien
25
7. die Klägerin zu 2. mit 5 Stückaktien
26
8. die Klägerin zu 6. mit 3 Stückaktien
27
9. die Kläger zu 7. - 9. mit 2 Stückaktien
28
In der Summe ergibt dies 168 Aktien, entsprechend 0,000129 % des Grundkapitals.
29
Die Hauptversammlung am 23.12.2004 nahm von Anfang an einen tumultartigen
Verlauf. Zu Beginn der Aussprache ordnete der Versammlungsleiter, der
Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten, laut Hauptversammlungsprotokoll
Folgendes an:
30
"Er bitte ferner, im Interesse aller Aktionäre und insbesondere derjenigen, die sich
zu Wort melden, sich mit den Beiträgen kurz zu fassen und sachgerechte, präzise
Fragen zu stellen. Er bitte um Verständnis dafür, dass er aus diesem Grund die
Redezeit jedes Aktionärs pro Redebeitrag auf dreißig Minuten beschränkt.
Aktionäre, die länger als dreißig Minuten gesprochen hätten, werde er bitten, den
nachfolgenden Rednern Platz zu machen. Sie könnten sich später nochmals zu
Wort melden."
31
Nach Aufruf der Tagesordnungspunkte 1 bis 6 erteilte der Versammlungsleiter dem
Vorstand Herrn H das Wort. Er wurde durch Zurufe mehrerer Aktionäre unterbrochen.
Zahlreiche Aktionäre verließen ihre Plätze, begaben sich zum Podium und versuchten,
Erklärungen abzugeben. Sie wurden vom Versammlungsleiter aufgefordert, ihre Plätze
einzunehmen und nicht zu stören. Nach den Ausführungen von Herrn H werde allen
Aktionären Gelegenheit gegeben, Anträge zu stellen. Der Geschäftsführer der Klägerin
zu 10. versuchte, Widerspruch gegen die "Redebeschränkung" zu Protokoll zu erklären.
Der Versammlungsleiter forderte wiederholt auf, die Störungen zu unterlassen und die
Plätze wieder einzunehmen. Er drohte gegenüber dem Vertreter der Klägerin zu 10.
einen Saalverweis an, der dann auch ausgesprochen wurde. Ferner wurde dem
Geschäftsführer der Klägerin zu 10. ein Hausverbot erteilt.
32
Die von dem Vertreter der Klägerin zu 10. zu Protokoll gegebene und schließlich
aufgenommene Erklärung lautete wie folgt:
33
"Namens und in Vollmacht der von mir vertretenen Aktionäre erkläre ich folgendes:
Ich habe um 10.25 Uhr die Hauptversammlung betreten. Mir ist zugetragen worden,
dass der Versammlungsleiter eine Redezeitbeschränkung von 30 min verfügt hat.
34
Ich erkläre gegen diese Maßnahme Widerspruch zur Niederschrift.
Anschließend begab sich der Vertreter der Klägerin zu 10. zurück zu seinem Platz.
35
Ebenso erklärte der Aktionär L durch Zuruf Widerspruch zu Protokoll.
36
Gegen den Saalverweis erklärte der Vertreter der Klägerin zu 10) Widerspruch zur
Niederschrift mit der Begründung, der Saalverweis sei willkürlich und unangemessen
und erfolge nur deswegen, weil er etwas zu Protokoll habe geben wollen. Er erklärte für
die Klägerin zu 10. sowie für die Klägerin zu 5. Widerspruch zu allen
Tagesordnungspunkten, gegen sämtliche Beschlüsse und kündigte Anfechtungsklage
an. (Stimmkarten Nrn. 06008 und 03027).
37
Gegen 10.45 Uhr wurde die Hauptversammlung vom Versammlungsleiter unterbrochen,
um das Eintreffen der Polizei abzuwarten. Schließlich vollstreckte die Polizei das vom
Versammlungsleiter ausgesprochene Hausverbot gegen den Geschäftsführer der
Klägerin zu 10..
38
Nachfolgend wurden zahlreiche Geschäftsordnungs- und Verfahrensanträge gestellt.
Gegen 13.15 Uhr äußerte sich der Versammlungsleiter zu den
Geschäftsordnungsanträgen sinngemäß wie folgt:
39
"Die Redezeitbeschränkung obliege allein ihm als Versammlungsleiter; eine
Abstimmung darüber sei nicht zulässig.
40
Der Vorstand sehe keinen Anlass zum Rücktritt; auch der Aufsichtsrat sehe keinen
Grund, den Vorstand abzuberufen.
41
Der Antrag, den Notar abzusetzen, sei unzulässig. Für einen Befangenheitsantrag liege
kein Grund vor, der Notar sei unparteiisch und objektiv.
42
Der Antrag, er möge als Versammlungsleiter zurücktreten, sei unzulässig, es werde
darüber keine Abstimmung erfolgen, gemäß § 17 der Satzung führe er als
Vorsitzender des Aufsichtsrats den Vorsitz in der Hauptversammlung.
43
Auch dem Antrag, Herrn Dr. G2 vom Podium zu entfernen, werde nicht
entsprochen; dieser sei gebeten, ihn, den Vorsitzenden, rechtlich zu unterstützen,
eine Behinderung seiner Tätigkeit sei nicht gegeben."
44
Nach einer Unterbrechung der Hauptversammlung gegen 13.20 Uhr für ca. 60 Minuten
stellte der Vorsitzende gegen 14.20 Uhr die Verfahrensanträge Abbruch der
Hauptversammlung und Vertagung der Hauptversammlung – zur Abstimmung. Der
Antrag auf Abbruch der Hauptversammlung wurde bei 785 Ja-Stimmen mit 1.291.525
Nein-Stimmen abgelehnt. Der Antrag auf Vertagung der Hauptversammlung wurde bei
1.166 Ja Stimmen mit 1.291.141 Nein-Stimmen abgelehnt. Der Versammlungsleiter
stellte dies fest und verkündete diese Ergebnisse der Abstimmung über die
Geschäftsordnungsanträge.
45
Nachfolgend wurden in der Hauptversammlung von 10 Aktionären rund 340 Fragen
gestellt. Der Kläger zu 1. erbrachte vier Redebeiträge mit 44 Fragen, der
Aktionärsvertreter L drei Redebeiträge mit 51 Fragen, die Aktionärsvertreterin T2 vier
46
Redebeiträge mit 85 Fragen, der Geschäftsführer der Klägerin zu 6. zwei Redebeiträge
mit 25 Fragen und der Nebenintervenient zu 1. zwei Redebeiträge mit 22 Fragen.
Gegen 18.45 Uhr ordnete der Vorsitzende eine Redezeitbeschränkung für Erstredner
auf 10 Minuten und für alle anderen auf 5 Minuten an.
47
Während der Aussprache erklärten folgende Aktionäre bzw. Aktionärsvertreter
Widerspruch zu Protokoll zu allen Beschlüssen der Hauptversammlung
48
Frau T2 mit Stimmkarten Nrn. 05016, 05005, 05018, 06012, 06011, 02025, 05020,
04006, 03023, 03020,
49
Herr C4 mit Stimmkarte Nr. 02001,
50
Herr N2 mit Stimmkarte Nr. 02006,
51
Herr N2 mit Stimmkarte Nr. 02005,
52
Herr O mit Stimmkarten Nrn. 05015, 05017, 05019, 03013, 04011, 03024, 03019,
02012,
53
Herr Prof. O3 (schriftlich) mit Stimmkarte Nr. 05021,
54
Herr Dr. L2 mit Stimmkarte Nr. 05004,
55
Herr T4 mit Stimmkarten Nm. 01002, 02017, 06004, 06003.
56
Gegen 20.00 Uhr kündigte der Versammlungsleiter an, er werde im Hinblick auf die
fortgeschrittene Zeit und die Zahl der offenen Wortmeldungen um 20.30 Uhr die
Rednerliste schließen. Um 20.30 Uhr erklärte der Versammlungsleiter, die Rednerliste
sei nunmehr geschlossen. Gegen 22.15 Uhr erklärte der Vorsitzende die Debatte für
geschlossen.
57
Um 22.20 Uhr waren von dem Euro 33.233.972,28 betragenden Grundkapital der
Gesellschaft - eingeteilt in 1.300.000 Stückaktien - 1.291.956 Stückaktien mit 1.291.956
Stimmen (= 99,3812 %) vertreten. Der Vorsitzende gab diese Präsenz bekannt.
58
Folgende Beschlüsse wurden entsprechend der Tagesordnung gefasst: Punkt 2 der
Tagesordnung mit 905 Nein-Stimmen und 1.291.047 Ja-Stimmen.
59
Punkt 3 der Tagesordnung mit 906 Nein-Stimmen und 1.291.047 Ja-Stimmen.
60
Punkt 4 der Tagesordnung mit 906 Nein-Stimmen und 1.291.047 Ja-Stimmen.
61
Punkt 5 der Tagesordnung mit 901 Nein-Stimmen und 1.291.052 Ja-Stimmen.
62
Punkt 6 der Tagesordnung mit 906 Nein-Stimmen und 1.291.047 Ja-Stimmen.
63
Die Hauptversammlung wurde um 23.47 Uhr geschlossen.
64
Die Kläger halten die gefassten Beschlüsse für nichtig bzw. anfechtbar. Sie rügen
65
folgende Gesetzes- und Satzungsverletzungen:
1. Sämtliche Beschlüsse seien auf Grund eines unberechtigten Saalverweises
anfechtbar;
66
2. Der Geschäftsordnungsantrag auf Abwahl des Versammlungsleiters aus
wichtigem Grund sei übergangen worden;
67
3. Auf Anforderung seien Unterlagen nicht übersandt worden;
68
4. Der Gegenantrag des Klägers zu 1. sei unzulässigerweise nicht zugänglich
gemacht worden;
69
5. Die Frist zur Hinterlegung der Aktien sei um einen Tag verkürzt worden.
70
6. Die W GmbH sei auf Grund eines Verstoßes gegen §§ 21 ff., 28 WpHG nicht
stimmberechtigt gewesen;
71
7. Gegen § 15 WpHG sei verstoßen worden;
72
8. In das Rede- und Auskunftsrecht gemäß § 131 AktG sei rechtswidrig
eingegriffen worden;
73
9. Es sei gegen § 130 Abs. 5 AktG und gegen § 3 Abs. 1 Satz Nr. 7 BeurkG
verstoßen worden;
74
10. Die Hauptversammlung habe auf zwei Tage angesetzt werden müssen;
75
11. Der Ausschluss des Fragerechts und des Debattenschlusses stehe nicht zur
Disposition des Versammlungsleiters;
76
14. Die §§ 327a ff. AktG seien verfassungswidrig;
77
15. Die Hauptaktionärin habe ihre Aktionärseigenschaft nicht nachgewiesen;
78
16. Der Übertragungsbeschluss sei rechtsmissbräuchlich:
79
17. Der Übertragungsbeschluss sei sachlich nicht gerechtfertigt und verstoße
gegen die Treuepflicht;
80
18. Der Übertragungsbeschluss sei auf Grund eines täuschenden
Übertragungsberichts anfechtbar;
81
19. Der Übertragungsbeschluss sei mangels hinreichender Solidität der
Hauptaktionärin rechtswidrig, die Gesellschafter der angeblichen Hauptaktionärin
seien Briefkastenfirmen in der Karibik;
82
20. Die Aktienübertragung sei ein Konstrukt zur Täuschung der Aktionäre;
83
22. Die Gewährleistungserklärung des Kreditinstituts sei unzureichend;
84
23. Die Barabfindung sei nicht angemessen; die Abfindung liege unter dem
seinerzeitigen Börsenwert;
85
24. Die Prüfung der Barabfindung durch Wirtschaftsprüfer habe tatsächlich nicht
stattgefunden bzw. sei nicht ordnungsgemäß gewesen.
86
Die Kläger zu 1., die Klägerin zu 10, die Nebenintervenientin zu 6. und der
Nebenintervenient zu 7., beantragen,
87
a)
88
den Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 23.12.2004
zum Tagesordnungspunkt 2 – Entlastung der Mitglieder des Vorstandes für das
Geschäftsjahr 2003/2004 - für nichtig zu erklären.
89
b)
90
den Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 23.12.2004
zum Tagesordnungspunkt 3 – Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrates für das
Geschäftsjahr 2003/2004 – für nichtig zu erklären.
91
c)
92
den Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 23.12.2004
zum Tagesordnungspunkt 4 betreffend die Wahlen zum Aufsichtsrat, wonach die
Herren B, Oberursel, Herrn N, Wilmington, N.C. 28409, U.S.A., M, I4, und Q,
Northeim, zu Mitgliedern des Aufsichtsrates der Beklagten gewählt worden sind, für
nichtig zu erklären.
93
d)
94
den Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 23.12.2004
zum Tagesordnungspunkt 5 betreffend die Bestellung der G Aktiengesellschaft,
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Düsseldorf, zum Abschlussprüfer und
Konzernabschlussprüfer für das Geschäftsjahr 2004/2005, für nichtig zu erklären.
95
Der Kläger zu 1. beantragt hilfsweise,
96
festzustellen, dass die vorgenannten Beschlüsse nichtig sind;
97
äußerst hilfsweise,
98
festzustellen, dass die vorgenannten Beschlüsse unwirksam sind.
99
Die Kläger zu 1. bis 12. und der Nebenintervenient zu 5. beantragen (der Kläger zu 12.
lediglich hilfsweise),
100
den Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 23.12.2004
zum Tagesordnungspunkt 6 betreffend die Übertragung der Aktien der
Minderheitsaktionäre der H Aktiengesellschaft auf die I3 GmbH gegen Gewährung
einer Barabfindung mit folgendem Wortlaut für nichtig zu erklären:
101
a. Die Aktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) der H
Aktiengesellschaft werden gemäß § 327 a Abs. 1 Aktiengesetz gegen
Gewährung einer angemessenen Barabfindung auf die I GmbH mit Sitz in
Bonn (HRB 12911 Amtsgericht Bonn) übertragen.
102
b. Die I GmbH legt für die übertragungsbedingt ausscheidenden
Minderheitsaktionäre als Abfindung für ihre Aktien kosten-, provisions- und
spesenfrei eine angemessene Barabfindung von Euro 283,36 je Stückaktie
mit einem auf die einzelne Aktie entfallenden anteiligen Betrag des
Grundkapitals von gerundet Euro 25,56 fest.
103
c. Die übertragungsbedingt ausscheidenden Minderheitsaktionäre erhalten
zusätzlich unabhängig vom Zeitpunkt der Eintragung des
Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister für das gesamte
Geschäftsjahr 2004/2005 den nach § 4 Abs. 1 des Beherrschungs- und
Gewinnabführungsvertrages zwischen der W GmbH (vormals I2 GmbH &
Co. KG) als herrschendem und der H Aktiengesellschaft als beherrschtem
Unternehmen von der W GmbH geschuldeten jährlichen Ausgleich (§ 304
Aktiengesetz) von Euro 4,67 je Stückaktie der H Aktiengesellschaft mit
einem auf die einzelne Aktie entfallenden anteiligen Betrag des
Grundkapitals von gerundet Euro 25,56 oder einen eventuell infolge eines
Verfahrens gemäß § 306 Aktiengesetz durch gerichtliche Entscheidung
oder durch Vergleich zur Beendigung eines solchen gerichtlichen
Verfahrens an dessen Stelle tretenden höheren Ausgleich.
104
d. Sollte der Übertragungsbeschluss bis zum 30. April 2005 noch nicht in
das Handelsregister der H Aktiengesellschaft eingetragen worden sein,
erhalten die übertragungsbedingt ausscheidenden Minderheitsaktionäre
von der I GmbH ab dem 01. Mai 2005 bis zur Eintragung des
Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister zusätzlich für jeden
angefangenen Monat ein Zwölftel des aus dem Beherrschungs- und
Gewinnabführungsvertrag geschuldeten jährlichen Ausgleichs von Euro
4,67 je Stückaktie der H Aktiengesellschaft mit einem auf die einzelne Aktie
entfallenden anteiligen Betrag des Grundkapitals von gerundet Euro 25,56
oder eines eventuell infolge eines Verfahrens gemäß § 306 Aktiengesetz
durch gerichtliche Entscheidung oder durch Vergleich zur Beendigung
eines solchen gerichtlichen Verfahrens an dessen Stelle tretenden höheren
Ausgleichs."
105
Die Kläger zu 1. bis 2., 4. bis 9. und der Nebenintervenient zu 5. beantragen hilfsweise,
der Kläger zu 12. in der Hauptsache,
106
festzustellen, dass der vorgenannte Beschluss nichtig ist.
107
Die Kläger zu 1., 4., 6. bis 9. und der Nebenintervenient zu 5. beantragten äußerst
hilfsweise,
108
festzustellen, dass der vorgenannte Beschluss unwirksam ist.
109
Die Nebenintervenienten zu 1. bis 4. schließen sich den Anträgen der Kläger an.
110
Die Beklagte beantragt,
111
die Klage abzuweisen.
112
113
Die Beklagte bestreitet die Anfechtungsbefugnis des Klägers zu 7., 8., und zu 12.
114
Die Beklagte ist der Meinung, dass die Nebeninterventionen unzulässig seien, da sie
nach Ablauf der Frist nach § 246 Abs. 1 AktG eingereicht worden seien.
115
In der Sache ist die Beklagte der Meinung, der Versammlungsleiter habe auf der
Hauptversammlung am 23.12.2004 keine Redezeitbeschränkung verhängt, sondern
lediglich eine Redebeitragsbeschränkung mit der Möglichkeit der mehrfachen Rede
von jeweils 30 Minuten. Die Maßnahme sei verhältnismäßig gewesen, da
Redezeitbeschränkungen auf 15 Minuten generell zulässig seien.
116
Der Saalverweis gegen den Aktionärsvertreter G sei als ultima ratio zulässig
gewesen. G habe sich am lautesten und aggressivsten artikuliert. Er habe trotz
vierfacher Ermahnungen und Bitten, Anträge und Widersprüche schriftlich
einzureichen, unablässig Zwischenrufe über Mikrofon abgesetzt. Die Fortsetzung
dieses Verhaltens sei zu befürchten gewesen. Deshalb sei auch das
ausgesprochene Hausverbot berechtigt gewesen.
117
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und Streithelfer sowie auf die
dazu eingereichten Anlage Bezug genommen.
118
Entscheidungsgründe
119
I.
120
Die Klagen und die Nebeninterventionen sind zulässig.
121
Eine Nebenintervention (§ 66 Abs. 1 ZPO) ist sowohl auf der Seite des
Anfechtungsklägers als auch auf der Seite der beklagten AG möglich.
Nebenintervenient kann jeder Aktionär sein. Die Nebenintervention setzt gem. § 66
Abs. 1 ZPO ein rechtliches Interesse am Obsiegen der unterstützten Partei voraus.
Es liegt stets vor, wenn der Streithelfer selbst nach § 245 AktG anfechtungsbefugt ist,
und zwar auch dann, wenn für ihn die Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG verstrichen
ist; das folgt aus der erweiterten Urteilswirkung des § 248 Abs.1 1 AktG. Der
Nebenintervenient wird gem. §§ 61, 69 ZPO Streitgenosse der Hauptpartei, soweit er
zu dem in § 248 Abs. 1 AktG genannten Personenkreis gehört (Hüffer, AktG, 6. Aufl.,
§ 246 Rn. 5 bis 7 m. w. N.). Die Auffassung von Waclawik, WM 2004, 1361, auf die
sich die Beklagte stützt, überzeugt nicht. Denn entscheidend ist, dass ein Aktionär im
Hinblick auf die Urteilswirkungen nach § 248 AktG die Möglichkeit hat, der
Anfechtungsklage eines anderen Aktionärs beizutreten, d. h. er schließt sich in
diesem Fall einer fristgerechten Klage an.
122
II.
123
Die Klage ist auch begründet.
124
Die auf der Hauptversammlung der Beklagtem am 23.12.2004 gefassten Beschlüsse zu
den Tagesordnungspunkten 2 bis 6 sind nichtig und anfechtbar. Dementsprechend ist
die Nichtigkeit der Beschlüsse festzustellen. Im Einzelnen:
125
1.
126
Die Kläger zu 1. bis 11. haben Anfechtungsklage in unterschiedlichem Umfang und der
Kläger zu 12. hat Nichtigkeitsklage erhoben.
127
Die Kammer ist nicht an eine bestimmte Prüfungsreihenfolge von Nichtigkeits- und
Anfechtungsgründen gebunden. Nichtigkeits- und Anfechtungsklage verfolgen mit der
richterlichen Klärung der Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen mit Wirkung für und
gegen jedermann dasselbe materielle Ziel (BGH, Urteil vom 17.02.97 - II ZR 41/96
(Köln), NJW 1997, 1510, 1511; Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 246 Rdn. 14 ff.). Nicht
entscheidend ist, dass die verschiedenen Wege, auf denen dieses Ziel erreicht werden
kann - durch die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit oder durch die Anfechtung des
vorerst wirksamen, jedoch vernichtbaren Gesellschafterbeschlusses -, erreicht werden
kann. Sie beruhen auf gesetzlichen Vorgaben, die das Ergebnis - Wirksamkeit oder
Nichtigkeit des Beschlusses - nicht beeinflussen (BGH, Urteil vom 1. 3. 1999 - II ZR 305-
97 (Koblenz), NJW 1999, 1638, 1638; Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 246 Rdnr. 14). Im Hinblick
auf die Identität des mit der Nichtigkeits- und Anfechtungsklage verfolgten
Rechtsschutzzieles ist es als eine vom Gericht durch Subsumtion zu beantwortende,
revisionsgerichtlicher Entscheidung zugängliche Rechtsfrage anzusehen, ob die
Vorschrift des § 248 AktG oder die des § 249 AktG Anwendung findet. Daraus ist die
Schlussfolgerung zu ziehen, dass der Tatrichter den angegriffenen Beschluss anhand
des gesamten von der Klägerseite vorgetragenen Sachverhalts auf seine Nichtigkeit hin
zu überprüfen hat, unabhängig davon, ob die Klägerseite die Gründe unter dem
Gesichtspunkt der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit vorgetragen hat (BGH, Urteil vom
1. 3. 1999 - II ZR 305-97 (Koblenz), NJW 1999, 1638, 1638). Damit steht in Einklang,
dass der Streitgegenstand der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage die Gesetzes- bzw.
Satzungswidrigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses ist. Unter diesem allgemeinen
Gesichtspunkt werden alle Mängel zusammengefasst, die dem
Hauptversammlungsbeschluss anhaften und die zur Klärung seiner Nichtigkeit durch
das Gericht führen. Ausgangspunkt für die Bestimmung des Streitgegenstands der
Nichtigkeits- und Anfechtungsklage ist das mit der Klage verfolgte prozessuale Ziel, die
richterliche Klärung der Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses
herbeizuführen (BGH, Urteil vom 22. 7. 2002 - II ZR 286/01 (Frankfurt a.M.), NJW 2002,
3465, 3466).
128
2.
129
Die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen sind begründet.
130
a.
131
Die Beklagte hat nicht bestritten, dass die Kläger bzw. die Nebenintervenienten
Aktionäre der Beklagten sind.
132
b.
133
Die Kläger sind bis auf die Kläger zu 7. und zu 8. und zu 12. anfechtungsbefugt im
Sinne von § 245 Nr. 1. und Nr. 2 AktG. Es ist unstreitig, dass die Kläger mit Ausnahme
der Kläger zu 7., 8. und 12. Widerspruch zu Protokoll erklärt haben. Der Kläger zu 12.
hat nach eigenem Vortrag keinen Widerspruch zu Protokoll erklärt. Da er aber
Nichtigkeitsklage erhoben hat, ist der Widerspruch zu Protokoll nicht erforderlich. Der
Kläger zu 8. hat vorgetragen, der Aktionär T4 habe für ihn Widerspruch mit der
Stimmkarte 02017 eingelegt. Richtig ist, dass Widerspruch zur Stimmkarte 02017
eingelegt worden ist, allerdings war dies laut Teilnehmerverzeichnis die Stimmkarte des
Klägers zu 9.. Der Kläger zu 7. trägt vor, er habe persönlich Widerspruch gegen die
streitgegenständlichen Beschlüsse eingelegt. Tatsache ist aber, dass der Kläger zu 7.
weder im Teilnehmerverzeichnis noch im Hauptversammlungsprotokoll aufgeführt ist. Er
teilt auch nicht mit, mit welcher Stimmkarte er Widerspruch gegen die Beschlüsse
eingelegt haben will. Die Erhebung der von den Klägern zu 7. und 8. angebotenen
Beweise, dass sie Widerspruch zu Protokoll erklärt haben, ist aber entbehrlich, da sie
hilfsweise die Feststellung der Nichtigkeit beantragt haben und die Klage insoweit
zulässig und auch begründet ist. Entsprechendes gilt für die Nichtigkeitsklage des
Klägers zu 12.
134
c.
135
Die Anfechtungskläger haben mit Ausnahme der Klägerin zu 6. die Monatsfrist nach §
246 Abs. 1 AktG eingehalten. Fristablauf war am 23.1.2005, da die Hauptversammlung
am 23.12.2004 stattfand. Der 23.1.2005 war ein Sonntag, so dass die Frist am 24.1.2005
ablief. Maßgebend ist der Tag der Zustellung der Klage, wobei § 167 ZPO anwendbar
ist, d. h. bei alsbaldiger Zustellung reicht der Eingang des Klageantrages bei Gericht
(vgl. Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 243 Rn. 23 m.w.N.). Die Rüge der Beklagten bezüglich der
Klägerin zu 6. ist berechtigt, denn die Klage ging zwar rechtzeitig am 24.1.2005 per Fax
ein, allerdings bei der Staatsanwaltschaft Köln. Bei Gericht ging die Klage erst am
25.1.2005 ein. Die Klägerin zu 6. trägt nichts anderes vor. Sie übersieht, dass sie die
Fax-Nr. der Staatsanwaltschaft gewählt hat. Allerdings hat auch die Klägerin zu 6.
hilfsweise die Feststellung der Nichtigkeit beantragt.
136
3. Es kann offen bleiben, ob bereits das Rede- und Fragerecht der Aktionäre
ungesetzlich eingeschränkt wurde. Nach der notariellen Niederschrift der
Hauptversammlung hat der AR-Vorsitzende als Versammlungsleiter bereits zu Beginn
der Hauptversammlung angeordnet, dass das Rederecht pro Redebetrag auf 30
Minuten beschränkt sei. Die Aktionäre konnten sich aber später noch einmal zu Wort
melden. Die Beklagte hält das für eine zulässige Redebeitragsbeschränkung, die allen
Aktionären gedient habe. Diese Vorgehensweise des Versammlungsleiters war nicht
unbedenklich.
137
Zu den generellen redezeitbeschränkenden Maßnahmen gehört vorrangig die generelle
Redezeitbeschränkung. Voraussetzung hierfür ist die objektive Gefährdung zwingender
zeitlicher Grenzen der Hauptversammlung (Hüffer AktG, 6. Aufl., § 129 Rn 20; Mülbert in
Großkomm AktG Vor §§ 118-147 Rn 152; Grüner NZG 2000, 770, 774 (dort insbes. Fn.
49); Schaaf ZIP 1997, 1324, 1326 f.; Siepelt AG 1995, 254, 256; Max AG 1991, 77, 90;
Quack AG 1985, 145, 146 f). Der bloße Wunsch der Verwaltung der Aktiengesellschaft
und/oder der Mehrheit der Aktionäre nach zügiger Hauptversammlung genügt hierfür
nicht (So aber Martens Leitfaden S. 58 f.) Schwierig ist die Beantwortung der Frage,
138
wann eine Überschreitung der Hauptversammlungszeit für den Vorsitzenden absehbar
ist. Dies ist sicherlich immer dann der Fall, wenn zu Beginn der Aussprache bereits so
viele Wortmeldungen vorliegen, dass deren zeitliche Berücksichtigung unter Einschluss
der etwa gleich lange dauernden Antworten des Vorstands zuzüglich des Zeitbedarfs für
das Abstimmungsverfahren eine Beendigung der Hauptversammlung vor Mitternacht
oder vor Ablauf der höchstzumutbaren Dauer nicht erwarten lässt (vgl. Siepelt AG 1995,
254, 256.; Kubis, Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2004, § 119
AktG; gegen jedwede generelle Redezeitbeschränkung bereits zu Beginn der
Hauptversammlung: Martens Leitfaden S. 54 f.; Schaaf ZIP 1997, 1324, 1327;). Bei
dieser Prognose ist eine mit der Zeit abnehmende Dauer der Redebeiträge ebenso
wenig zu berücksichtigen wie eine (zu Versammlungsbeginn noch gar nicht absehbare)
Zahl potentieller nachträglicher Wortmeldungen.
Eine rein vorsorgliche generelle
Redezeitbeschränkung ist deshalb unzulässig.
vorbeschriebenen Voraussetzungen ist der Versammlungsleiter statt dessen berechtigt
und im Interesse einer gleichmäßigen Redezeitverteilung auch verpflichtet, generelle
Redezeitbeschränkungen nachträglich einzuführen (Vgl. LG Stuttgart AG 1994, 425, 426
= ZIP 1994, 950, 952 f.; Obermüller/Werner/Winden/Butzke Rn D 59; F.-J. Semler in
MünchHdb AG § 36 Rn 48; Mülbert in Großkomm. AktG Vor §§ 118-147 Rn 153; Grüner
NZG 2000, 770, 774; Siepelt AG 1995, 254, 257.; Kubis, Münchener Kommentar zum
Aktiengesetz, 2. Auflage 2004, § 119 Rn. 153). Die hiermit einhergehende
Benachteiligung späterer Redner gegenüber den früheren Rednern ist im Sinne einer
Vermeidung rein präventiver (und damit ohne Not in das Mitgliedschaftsrecht
eingreifender) Beschränkungen hinzunehmen
Versammlungsleiter unter den beschriebenen Voraussetzungen einer zulässigen
generellen Redezeitbeschränkung das vorgegebene Zeitlimit im Laufe der
Versammlung - ggf. mehrfach - weiter reduzieren (LG Stuttgart AG 1994, 425, 426 = ZIP
1994, 950, 952 f.; Obermüller/Werner/Winden/Butzke Rn D 60; Mülbert in Großkomm
AktG Vor §§ 118-147 Rn 153; Siepelt AG 1995, 254, 257; ausdrücklich offengelassen
von OLG Stuttgart AG 1995, 234.; Kubis, Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2.
Auflage 2004, § 119 Rn. 153).
Auf der anderen Seite kann eine Hauptversammlung ihre Aufgabe als
Entscheidungsforum und "Sitz der Aktionärsdemokratie" (vgl. K. Schmidt, S. 844) nur
erfüllen, wenn der Versammlungsleiter dafür Sorge trägt, dass die zur Verfügung
stehende Zeit möglichst gerecht verteilt und nicht durch Beiträge oder Fragen einzelner
Aktionäre, die ersichtlich nicht auf Erkenntnisgewinn in Bezug auf einen zur
Entscheidung anstehenden Tagesordnungspunkt gerichtet sind, verbraucht wird. Denn
übermäßig lange oder erkennbar vom Thema abweichende Beiträge gehen stets zu
Lasten der Rede- und Fragezeit anderer Hauptversammlungsteilnehmer. Gerade um
des grundrechtlichen Schutzes der mitgliedschaftlichen Aktionärsrechte, insb. des
Fragerechts, willen ist es deshalb erforderlich, dass die Zivilgerichte im Rahmen einer
Anfechtungsklage oder eines Auskunftserzwingungsverfahrens auch einer
missbräuchlichen Handhabung des Rede- und Fragerechts durch einzelne Aktionäre
entgegentreten (BVerfG, Beschluss vom 20.09.1999 - 1 BvR 636/95, AG 2000, 74, 75
"Daimler-Benz AG").
139
Vor diesem Hintergrund ist auch die Redebeitragsbegrenzung als generelle
Einschränkung des Rederechts zu werten. Eine Beschränkung des Rederechts auf
zunächst 30 Minuten mit der Möglichkeit der weiteren Wortmeldung erscheint im
Grundsatz nicht unangemessen, da zumindest zu Beginn schon Wortmeldungen
140
vorlagen und darüber hinaus angesichts des geplanten Squeeze-Out sicher mit
mehreren Beiträgen zu rechnen war. Es erscheint auch vor dem Hintergrund, dass nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Rederecht sämtlicher
Aktionäre vom Versammlungsleiter zu gewährleisten ist, nicht unangebracht, dass jeder
Redebeitrag auf 30 Minuten reduziert wird.
Problematisch ist allerdings, dass die Anordnung des Versammlungsleiters
möglicherweise nicht nur als Einschränkung des Rederechts, sondern auch als
Einschränkung des Fragerechts verstanden werden konnte. Denn nach der
"präzise Fragen stellen"
zunächst davon ausgehen, dass von der Beschränkung auch das Fragerecht erfasst
wird, das aber auch nach Auffassung der Beklagten keiner Beschränkung unterliegt.
Eine Relevanz ist insofern aber äußerst fraglich, da die Aktionäre nachfolgend
ausgiebig von ihrem Fragerecht Gebrauch gemacht haben und nicht erkennbar ist, dass
sie dabei davon ausgegangen seien könnten, ihr Fragerecht sei zeitlich auf 30 Minuten
eingeschränkt.
141
4.
142
Offen bleiben kann auch, ob die Beschlüsse gemäß Tagesordnungspunkte 2 bis 6 der
Hauptversammlung der Beklagten vom 23.12.2004 auch gemäß §§ 28, 21, 22 WpHG, §
134 BGB für nichtig zu erklären sind. Nach § 28 WpHG bestehen Rechte aus Aktien, die
einem Meldepflichtigen gehören oder aus denen ihm Stimmrechte gemäß § 22 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 oder 2 WpHG zugerechnet werden, nicht für die Zeit, für welche die
Mitteilungspflichten nach § 21 Abs. 1 oder 1a WpHG nicht erfüllt werden. Nach § 21
Abs. 1 WpHG hat derjenige, der durch Erwerb, Veräußerung oder auf sonstige Weise 5
Prozent, 10 Prozent, 25 Prozent, 50 Prozent oder 75 Prozent der Stimmrechte an einer
börsennotierten Gesellschaft erreicht, überschreitet oder unterschreitet
(Meldepflichtiger), der Gesellschaft sowie der Bundesanstalt unverzüglich, spätestens
innerhalb von sieben Kalendertagen, das Erreichen, Überschreiten oder Unterschreiten
der genannten Schwellen sowie die Höhe seines Stimmrechtsanteils unter Angabe
seiner Anschrift und des Tages des Erreichens, Überschreitens oder Unterschreitens
unter Beachtung von § 22 Abs. 1 und 2 WpHG schriftlich mitzuteilen. Nach § 22 Abs. 1
WpHG stehen für die Mitteilungspflichten nach § 21 Abs. 1 und 1a WpHG den
Stimmrechten des Meldepflichtigen Stimmrechte aus Aktien der börsennotierten
Gesellschaft gleich, die einem Tochterunternehmen des Meldepflichtigen gehören oder
die einem Dritten gehören und von ihm für Rechnung des Meldepflichtigen gehalten
werden. Sinn und Zweck der Zurechnungsnormen ist die Offenlegung der wahren
Machtverhältnisse (Bayer in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage
2000, § 22 WpHG, Rn. 5). Eine Zurechnung "in der Kette" muss daher, kann aber auch
nur dann erfolgen, falls der Meldepflichtige tatsächlich, wenn auch nur mittelbar, auf den
am Schluss der Kette stehenden Aktionär Einfluss ausüben kann (Bayer in: Münchener
Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2000, § 22 WpHG, Rn. 5).
143
Bedenken hinsichtlich der von der Beklagten vorgetragenen Meldungen bestehen
deshalb, weil das international verschachtelte Beteiligungsgeflecht oberhalb der
Beklagten nur sehr schwer zu durchschauen ist. Es ist für Außenstehende nahezu
unmöglich, umfassende und gestufte internationale Beteiligungsverhältnisse zu
durchschauen. Hingegen ist es der Gesellschaft in der Regel möglich, etwaige
Beteiligungen an ihr darzulegen. Die Aktionäre wären dann in der Pflicht, die Angaben
zu widerlegen. Die Beklagte hat die verschachtelte Beteiligungsstruktur nur teilweise
144
dargelegt. Danach hat die B International Corp. einen Durchgriff auf die W GmbH.
Allerdings ist unklar geblieben, wer an der B International Corp. beteiligt ist. Das gleiche
gilt für die Limited Partner der B (Cayman) Limited Partnership. Die Beklagte führt aus,
dass es niemanden gibt, der mit mehr als 10% an der B International Corp., beteiligt sei.
Die B International Corp. habe eine pluralistische Struktur, wobei keine der Beteiligten
einen beherrschenden Einfluss auf die B International Corp. habe. Die Limited Partner
der B (Cayman) Limited Partnership könnten keinen entscheidenden Einfluss ausüben.
Die Art der Beteiligungen und die vertraglichen Bindungen von möglichen
Finanzinvestoren an der B International Corp. wird aber nicht ansatzweise dargelegt,
obwohl diese Finanzinvestoren unstreitig den Erwerb der Anteile an der Beklagten
finanziert haben. Damit werden die Beteiligungsverhältnisse letztlich verschleiert, was
dem Zweck von § 22 WpHG widerspricht. Der Vortrag der Beklagten ist so nicht
einlassungsfähig, er kann nicht widerlegt werden.
5.
ausgesprochene Hausverbot rechtswidrig und verletzte die Klägerin zu 10. in ihrem
Teilnahmerecht, was die Nichtigkeit sämtlicher gefasster Beschlüsse infolge der
Anfechtung zur Folge hat.
145
An oberster Stelle der versammlungsgebundenen Aktionärsrechte steht das
Teilnahmerecht. Obwohl dieses im Aktienrecht für Aktionäre an keiner Stelle eine
ausdrückliche Regelung erfahren hat, ist es als Ausfluss der Mitgliedschaft allgemein
anerkannt. Das Teilnahmerecht umfasst inhaltlich das Recht auf körperliche Präsenz in
der Hauptversammlung, das Rederecht, das Recht zur Stellung von Beschlussanträgen
sowie das Recht zur Einsichtnahme in das Teilnehmerverzeichnis (vgl. Kubis in:
Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2004, § 118 Rn 37; zu den
Einzelheiten vgl. Rn 53ff.). Aufgrund seiner mitgliedschaftlichen Herleitung ist das
Teilnahmerecht im Kern – auch durch die Satzung – unentziehbar (vgl. Hüffer, AktG, 6.
Aufl., § 118 Rn. 13; Kubis in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage
2004, § 118 Rn 37). Dies schließt allerdings nicht aus, dass der Versammlungsleiter
kraft seiner Ordnungs- und Leitungsbefugnisse das Teilnahmerecht in einzelnen
Merkmalen (z. B. durch Wortentzug) oder im ganzen (z. B. durch Saalverweis)
beschränken kann (vgl. Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 118 Rn. 13; Kubis in: Münchener
Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2004, § 118 Rn 37). Die Ausschließung eines
Aktionärs aus der Hauptversammlung ist gerechtfertigt, wenn er den reibungslosen
Ablauf der Hauptversammlung stört und die Störung nicht auf andere Weise behoben
werden kann (BGH, Urteil vom 11.11.1965, BGHZ 44, 245 = NJW 1966, 43). Ein
Saalverweis des Redners ist das äußerste Mittel des Versammlungsleiters gegenüber
solchen Aktionären, die einem Wortentzug nicht nachkommen. Formelle Voraussetzung
ist auch hier eine vorherige Androhung dieser Maßnahme. In materieller Hinsicht bedarf
der Saalverweis zunächst eines rechtmäßigen Wortentzugs und dessen Nichtbeachtung
durch den hiervon betroffenen Redner. Als Eingriff in das Teilnahmerecht ist der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dergestalt zu beachten, dass ein milderes Mittel als der
Saalverweis zur Behebung einer vom Redner ausgehenden Störung der
Hauptversammlung nicht geeignet ist, um die Störung zu beseitigen. Ein des Saales
verwiesener Aktionär hat keinen Anspruch auf einen späteren Wiederzutritt in den Saal,
auch nicht zur Stimmabgabe. Als milderes Mittel gegenüber einem Verweis aus dem
Versammlungslokal muss der Versammlungsleiter allerdings eine Anwesenheit des
Störers in den umliegenden Präsenzbereichen präferieren, um die Wahrnehmung der
dorthin regelmäßig übertragenen Ausführungen zu gestatten (Kubis, Münchener
Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2004, § 119 Rn. 161).
146
Diesen Anforderungen genügt der auf der Hauptversammlung der Beklagtem am
23.12.2004 ausgesprochene Saalverweis/ Hausverbot des Versammlungsleiters nicht.
Anhaltspunkte für die von der Beklagten behauptete geplante "Saalschlacht" fehlen. Der
Geschäftsführer der Klägerin zu 10. ging mit anderen Aktionären zum Podium. Die
Aktionäre protestierten dort gegen die Rede- bzw. Fragezeitbeschränkung. Der Vertreter
der Klägerin zu 10. hat versucht, gegen die Beschränkung der Redezeit Widerspruch zu
Protokoll zu erklären. Laut Hauptversammlungsprotokoll, auf das sich die Beklagte
wiederholt bezieht, hat aber auch der Aktionär L durch Zuruf Widerspruch zu Protokoll
erklärt.
147
Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass Aktionäre ohne Worterteilung nicht
berechtigt waren, gegen die Redezeitbeschränkung wortreich und störend Widerspruch
zu Protokoll zu erklären, und sie hätten warten müssen, bis ihnen im Rahmen der
Aussprache das Wort erteilt wird, hat der Versammlungsleiter aber im Ergebnis
überreagiert. Eine Störung seitens der Minderheitsaktionäre wurde entscheidend erst
dadurch vertieft, als der Versammlungsleiter den Widerspruch zu Protokoll dezidiert
verhinderte und den Saalverweis androhte. Dadurch eskalierte das Geschehen. Im
übrigen haben laut Vortrag der Beklagten und laut Protokoll auch andere Aktionäre in
vergleichbarer Weise gestört und Widerspruch "erklärt". Es stellt sich die berechtigte
Frage, warum ihnen ggü. keine Ermahnung und kein Saalverweis erfolgte.
Entscheidend ist aber, dass der Geschäftsführer der Klägerin zu 10. nicht nur des
Saales verwiesen wurde, sondern der Versammlungsleiter auch ein
Hausverbot
ausgesprochen hat, das er durch die Polizei vollstrecken ließ. Damit hatte die Klägerin
zu 10. nicht einmal mehr die Möglichkeit, außerhalb des Saales im Präsenzbereich über
die vorhanden gewesenen Lautsprecher und Monitore dem Verlauf der
Hauptversammlung zu folgen und auch ihre Stimmen abzugeben.
148
Die Beklagte kann zunächst nicht damit gehört werden, dass zu erwarten war, dass
der Geschäftsführer der Klägerin zu 10. sein störendes Verhalten auch nach einer
Rücknahme des Saalverbotes fortsetzen werde. Diese Prognose war nicht
berechtigt, selbst wenn unterstellt wird, dass der Versammlungsleiter der Klägerin zu
10. wiederholt die Rücknahme des Saalverweises und des Hausverbotes angeboten
habe, falls diese ihre Störungen im weiteren Verlauf der Hauptversammlung
unterlasse, was sie aber kompromisslos abgelehnt habe; vielmehr habe sie
gefordert, den Saalverweis bedingungslos zurückzunehmen. Damit hat die Klägerin
zu 10. aber nicht die Absicht geäußert, weiterhin zu stören, sondern sie ist lediglich
auf die von der Beklagten bzw. von ihrem Versammlungsleiter gestellten
Bedingungen nicht eingegangen. Die Situation war eskaliert und die Beteiligten
haben ihre gegensätzlichen Standpunkte eingenommen und vertreten. Der
Versammlungsleiter konnte nicht erwarten, dass die Klägerin zu 10. "klein beigibt"
und künftiges Wohlverhalten verspricht. Jedenfalls konnte aus der Verweigerung der
Wohlverhaltenszusage nicht zwingend der Schluss gezogen werden, die Störungen
der Klägerin zu 10. würden anhalten. Doch auch wenn dies zu erwarten gewesen
wäre, hätte der Klägerin zu 10. zumindest der Zugang zu den Nebenbereichen
gestattet werden müssen.
149
Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, dass sie auf die Entfernung des
Geschäftsführers der Klägerin zu 10. durch die Polizei keinen Einfluss gehabt habe.
Dass die Beklagte der Polizei keine Weisung hinsichtlich ihres Vorgehens erteilen
konnte, mag sein. Indes hat die Beklagte das Hausverbot gegen die Klägerin zu 10.
150
ausgesprochen, die Polizei gerufen und sie um Vollstreckung des Hausverbotes
gebeten. Daher blieb der Polizei nichts anderes übrig, gegen den bestehenden
Hausfriedensbruch der Klägerin zu 10. vorzugehen. Es ist evident und wird von der
Beklagten auch nicht in Abrede gestellt, dass die Polizei den Geschäftsführer der
Klägerin zu 10. nicht aus dem Versammlungsgebäude entfernt hätte, falls der
Versammlungsleiter das Hausverbot zurückgezogen hätte, was in seiner Macht stand.
Das Vorgehen der Beklagten war daher insgesamt überzogen und unverhältnismäßig.
Die Verletzung des Teilnahmerechts der Klägerin zu 10. war für die nachfolgenden
Beschlussfassungen relevant, auch wenn sehr wahrscheinlich ist, dass die gefassten
Beschlüsse auch bei der Teilnahme der Klägerin zu 10. gefasst worden wären. Zur
Einschränkung des nach einhelliger Ansicht zu weit gefassten § 243 I AktG, wonach
jeder Verfahrensverstoß zur Anfechtbarkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses
führen würde, hat der Bundesgerichtshof früher gefordert, dass das Beschlussergebnis
i.S. einer potentiellen, von der Gesellschaft zu widerlegenden Kausalität auf dem
Verstoß "beruhen" muss. Um namentlich in den Fällen eines Verstoßes gegen
Informations- oder Berichtspflichten den Schutz der Minderheitsaktionäre nicht leer
laufen zu lassen, kam es allerdings nach dieser Rechtsprechung nicht darauf an, ob die
an der Gültigkeit des Beschlusses interessierte Aktionärsmehrheit diesen in jedem Fall
gefasst hätte, sondern ob ein objektiv urteilender Aktionär ohne den Verfahrensverstoß
bzw. in Kenntnis der ihm zu offenbarenden Umstände anders abgestimmt hätte, als dies
in der Hauptversammlung tatsächlich geschehen ist (BGHZ 36, 121, [139f.] = NJW 1962,
104; BGHZ 107, 296, [306f.] = NJW 1989, 2689; BGHZ 119, 1, [18f.]; = NJW 1992, 2760;
BGHZ 122, 211, [238f.] = NJW 1993, 1976). Diese Rechtsprechung hat der
Bundesgerichtshof jedoch schon im Urteil vom 12.11.2001 (II ZR 225/99, BGHZ 149,
158, [164f.] = NJW 2002, 130 = NJW 2002, 1128) aufgegeben (vgl. auch BGHZ 153, 32,
[36f.] = NZG 2003, 216 = NJW 2003, 970: gesetzwidrige Bekanntmachung der
Tagesordnung). Maßgebend ist danach die "Relevanz" des Verfahrensverstoßes für das
Mitgliedschafts- bzw. Mitwirkungsrecht des Aktionärs i.S. eines dem Beschluss
anhaftenden Legitimationsdefizits, das bei einer wertenden, am Schutzzweck der
verletzten Norm orientierten Betrachtung die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit gem. § 243
I AktG rechtfertigt (vgl. grundlegend Zöllner, in: Kölner Komm. z. AktG, § 243 Rdnr. 81ff.;
ähnlich Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 243 Rdnr. 12f.; ders., in MünchKommAktG, 2. Aufl., § 243
Rn. 28ff.; K. Schmidt, in: Großkomm. z. AktG, 4. Aufl., § 243 Rdnr. 24ff.). Werden einem
Aktionär Auskünfte vorenthalten, die aus der Sicht eines objektiv urteilenden Aktionärs
in der Fragesituation zur sachgerechten Beurteilung des Beschlussgegenstandes in
dem oben dargelegten Sinne "erforderlich" sind, so liegt darin zugleich ein "relevanter"
Verstoß gegen das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht des betreffenden Aktionärs, ohne
dass es darauf ankommt, ob der tatsächliche Inhalt der in der Hauptversammlung
verweigerten und später evtl. erst im Anfechtungsprozess erteilten Auskunft einen
objektiv urteilenden Aktionär von der Zustimmung zu der Beschlussvorlage abgehalten
hätte. Soweit der Bundesgerichtshof in BGHZ 149, 158, 164f. NJW 2002, 1128 noch
Kausalitätserwägungen als notwendiges Relevanzkriterium anklingen ließ, hält er daran
inzwischen nicht mehr fest (BGH, Urteil vom 18. 10. 2004 - II ZR 250/02 (OLG
Düsseldorf), NZG 2005, 77, 79).
151
Dementsprechend führen auch Fehler bei der Durchführung der Hauptversammlung in
Form eines
unzulässigen Eingriffs in das Teilnahmerecht der Aktionäre
durch nicht erforderliche oder nicht verhältnismäßige Ordnungsmaßnahmen (BGHZ 44,
245, 251 ff = NJW 1966, 43), zur Relevanz des Fehlers und damit zur Anfechtbarkeit des
Beschlusses ohne Rücksicht auf die Mehrheitsverhältnisse (herrsch. Meinung, vgl.
152
Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 243 Rn. 16 mwN.). Die Beklagte hat die Relevanz des
Verfahrensfehlers für die Beschlussfassungen nicht entkräften können.
6.
153
Ferner sind alle gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse gemäß § 241 Nr. 2 AktG in
Verbindung mit § 130 Abs. 2 AktG nichtig.
154
Nach § 130 Abs. 2 AktG sind in der Niederschrift der Ort und der Tag der
Verhandlung, der Name des Notars sowie die Art und das Ergebnis der Abstimmung
und die Feststellung des Vorsitzenden über die Beschlussfassung anzugeben. Ein
Beschluss der Hauptversammlung ist nach § 241 Nr. 1 AktG nichtig, wenn die
Beschlüsse nicht nach § 130 Abs. 1, 2 und 4 AktG beurkundet worden sind. Nichtig
sind auch Beschlüsse, die nicht von dem Vorsitzenden festgestellt wurden.
Gleichgestellt ist der Fall, dass über einen zulässigen Antrag auf der
Hauptversammlung auf Abberufung des Versammlungsleiters aus wichtigem Grund
nicht entschieden worden ist.
155
Selbst wenn die Wahl des Vorsitzenden der Hauptversammlung durch die Satzung
abschließend bestimmt wird, ist es nach überwiegender und zutreffender Auffassung
möglich, dass die Hauptversammlung bei Vorlage eines wichtigen Grundes den
Hauptversammlungsleiter abberuft, wobei offen bleiben kann, welche
Hauptversammlungsmehrheit für diesen Antrag erforderlich ist. Es entspricht dem
Interesse der Gesellschaft und der Aktionäre, die Satzung, die eine Abberufung aus
wichtigem Grund nicht vorsieht, dahin auszulegen, dass die Abberufung des
satzungsmäßigen Versammlungsleiters aus wichtigem Grund durch einen
Hauptversammlungsbeschluss möglich ist (vgl. Kubis in: Münchener Kommentar
zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2004, § 119 Rn 109; F.-J. Semler in MünchHdb AG §
36 Rn 38; Mülbert in Großkomm AktG Vor §§ 118–147 Rn 83). Allerdings ist die
Abstimmung über den Antrag auf Ablösung des Vorsitzenden nur dann zwingend
veranlasst, falls ein wichtiger Grund auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage
vorgebracht wird (vgl. OLG Hamburg, AG 2001, 359). Unstreitig wurde auf der
Hauptversammlung der Beklagten der Antrag auf Ersetzung des
Versammlungsleiters aus wichtigem Grund von mehreren Aktionären gestellt.
Ebenso unstreitig wurde über diesen Antrag nicht entschieden, wie sich zudem auch
aus der Hauptversammlungsniederschrift ergibt. Statt dessen hat der
Versammlungsleiter in eigener Verantwortung entschieden, dass die Abberufung
des Versammlungsleiters nicht in die Kompetenz der Hauptversammlung falle,
sondern die Satzung verbindlich sei.
156
Es muss nicht abschließend entschieden werden, ob vorliegend tatsächlich ein
wichtiger Grund vorlag. Jedenfalls haben die Aktionäre die Abberufung aus
wichtigem Grund verlangt wegen der Redezeitbeschränkung und des gegen die
Klägerin zu 10. zu Unrecht ausgesprochenen Hausverbots. Vor diesem Hintergrund
lag jedenfalls kein Antrag "ins Blaue" vor, sondern ein sachlich begründeter Antrag,
auch wenn in diesem Zusammenhang die "Befangenheit" des Vorsitzenden o. ä.
gerügt wurde.
157
Folglich hätte über den Antrag auf Abberufung des Vorsitzenden noch vor der
Abstimmung über die Sachanträge abgestimmt werden müssen. Die Weigerung des
Versammlungsleiters der Hauptversammlung der Beklagten am 23.12.2004, über
158
den Antrag abstimmen zu lassen, führt dazu, dass nicht feststeht, ob Herr B
ordnungsgemäßer Versammlungsleiter war. Ohne Abstimmung über den
Abberufungsantrag war Herr B nicht mehr berechtigt, die nach § 130 Abs. 2 AktG
erforderlichen Feststellungen zu treffen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 101, 709 S. 1
ZPO.
159
Streitwert: 150.000,- €
160