Urteil des LG Köln vom 13.10.2010

LG Köln (einstweilige verfügung, bericht, verfügung, prüfung, prüfer, arbeit, antrag, konzept, parlament, chef)

Landgericht Köln, 28 O 529/10
Datum:
13.10.2010
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
28. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
28 O 529/10
Tenor:
Auf den Widerspruch wird die einstweilige Verfügung vom 10.08.2010
bestätigt.
Die weiteren Kosten des Verfahrens trägt der Verfügungsbeklagte.
T a t b e s t a n d:
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Die Parteien streiten über Äußerungen des Verfügungsbeklagten im Rahmen eines
Interviews.
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Der Bundesrechnungshof ist die oberste Prüfbehörde für die Haushalts- und
Wirtschaftsführung des Bundes. Entsprechend seiner gesetzlich festgelegten
Aufgabenstellung untersuchte der Bundesrechnungshof im ersten Quartal des Jahres
2010 ein Konzept der Bundesanstalt für Arbeit (Im Folgenden auch: BA), das dort unter
der Bezeichnung "Konzept zur Gestaltung der Arbeits- und Bezahlungskonditionen für
außertariflich beschäftigte Arbeitnehmer/innen der Bundeagentur für Arbeit (oberste
Führungskräfte und herausgehobene Fachfunktionen) sowie Beamtinnen und Beamte
in entsprechenden Verwendungen (AT-Konzept)" eingeführt worden war. Das Ergebnis
der Prüfung mündete in einem vertraulichen Bericht entsprechend § 88 Abs. 2 BHO. In
diesem Bericht wurde auf vermeintliche Mängel des AT-Konzepts hingewiesen.
Insbesondere wurde die Nichteinhaltung der Berichtspflicht der BA, die fehlende
Abstimmung des AT-Konzepts mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (im
Folgenden: BMAS), ein Verstoß gegen die Pflicht zur Stellenausschreibung und
Transparaenz sowie die Missachtung eigener Regelungen der BA und der Einsatz des
Instrumentes der "In-sich-Beurlaubung" gerügt. Es wurde auch ein Einzelfall
aufgenommen, in dem ein außertariflicher Angestellter eine Anstellung als Beamter
erhielt, die auf der Basis der Besoldungsgruppe B3 besoldet wurde, um sodann im
Rahmen der sog. "In-sich-Beurlaubung" beurlaubt und mit den vorherigen
außertariflichen Bezügen weiter beschäftigt zu werden. Hierdurch sei ein Schaden
entstanden und es müsse der Tatbestand der Untreue geprüft werden. Auf den als
Anlage Ast1 vorgelegten Bericht wird Bezug genommen.
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Vor Zuleitung des Berichts an den Deutschen Bundestag wurde der Bericht dem BMAS
sowie der Bundesagentur für Arbeit mit Gelegenheit zur Stellungnahme zugeleitet. Das
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BMAS bestätigte nach Prüfung des Berichts die aufgenommenen Mängel. Die BA nahm
ebenfalls Stellung und wies auf zahlreiche nach ihrer Auffassung unzutreffende
Ausführungen hin. Diese Stellungnahmen wurden durch den Bundesrechnungshof
gewürdigt und in zusammengefasster Form in die endgültige Version des Berichts
aufgenommen. Dabei ist der Umfang der Auseinandersetzung mit den Einwendungen
der BA unterschiedlich.
Der Bericht wurde am 06.05.2010 durch das gesetzlich vorgesehene Dreierkollegium
des Bundesrechnungshofes bestehend aus dem Vizepräsidenten des
Bundesrechnungshofes I, dem Direktor L und dem Ministerialrat F beschlossen und von
den vorgenannten Personen unterzeichnet. Sodann erfolgte die Weiterleitung des
Berichts an den Deutschen Bundestag. Dort wurde der Bericht am 19.05.2010 und am
26.06.2010 erörtert. Der Haushaltsausschuss hat den als Anlage Ast2 vorgelegten
Beschluss verfasst, auf den Bezug genommen wird.
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Die Arbeitsgruppe Haushalt der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag stellte u.a. den
Antrag, die Sache der Staatsanwaltschaft zur Prüfung weiterer strafrechtlicher
Maßnahmen zu übergeben. Auf den als Anlage AG2 vorgelegten Antrag wird Bezug
genommen. Das eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.
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In der Folgezeit wurde der Bericht zum Gegenstand erheblicher Presseberichterstattung.
Im Rahmen dieser Berichterstattung wurden auch die Vorwürfe des
Bundesrechnungshofes thematisiert. Auf die als Anlage AG1 auszugsweise vorgelegte
Berichterstattung wird Bezug genommen.
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Der Verfügungsbeklagte ist Diplom Volkswirt und Mitglied der Hauptgeschäftsführung
der Deutschen Arbeitgeberverbände. Als solcher ist er auch Mitglied des
Verwaltungsrates der BA, dessen Vorsitz er turnusgemäß innehat. Der Verwaltungsrat
übt gegenüber der BA eine Überwachungs- und Beratungsfunktion aus.
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Der Verfügungsbeklagte wurde in der Folgezeit durch die Presse um eine
Stellungnahme zu den Vorwürfen gegen die BA gebeten. U.a. äußerte sich der
Verfügungsbeklagte wie folgt:
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"Wenn ein einzelner Prüfer im Bundesrechnungshof seine richterliche
Unabhängigkeit nutzt, um durch Halbwahrheiten das Parlament irrezuführen, und
versucht, den erfolgreichsten Chef der BA ins Zwielicht krimineller Machenschaften
zu ziehen, schadet er damit dem Ansehen des Bundesrechnungshofes."
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Dieses Zitat wurde wörtlich im Rahmen eines Artikels der Zeitschrift "V", Ausgabe vom
26.07.2010 wiedergegeben. Auf den Artikel hatte der Verfügungsbeklagte keinen
Einfluss. Dem Bundesrechnungshof war durch die Redaktion der Zeitschrift "V" vor der
Veröffentlichung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
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Die Verfügungsklägerin ließ den Verfügungsbeklagten daraufhin mit anwaltlichem
Schreiben vom 24.07.2010 abmahnen. Die Prozessbevollmächtigten des
Verfügungsbeklagten wiesen die Ansprüche – nach Fristverlängerung – zurück.
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Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, der geltend gemachte Unterlassungsanspruch
bestehe. Dabei sei der Verfügungsbeklagte passivlegitimiert, da er die Äußerungen
nicht in seiner Funktion als Verwaltungsratsvorsitzender getätigt habe. Die aus dem
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Antrag ersichtlichen Eindrücke entstünden. Die entsprechende Äußerung sei daher
unzulässig. Insbesondere sei die Entscheidung des Bundesrechnungshofes nicht durch
einen einzelnen Prüfer, sondern – unstreitig – durch ein Dreiergremium beschlossen
und unterzeichnet worden. Es habe auch nicht der Wille oder die Absicht bestanden,
das Parlament durch die Äußerung von falschen Tatsachen oder Halbwahrheiten in die
Irre zu führen oder den Chef der BA in das Zwielicht krimineller Machenschaften zu
rücken.
Auf den Antrag der Verfügungsklägerin vom 03.08.2010 hat die L – nach Teilrücknahme
mit Schriftsatz vom 09.08.2010 – dem Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen
Verfügung ohne vorherige Anhörung des Verfügungsbeklagten bei Meidung der in §
890 ZPO vorgesehen Ordnungsmittel untersagt, durch die Äußerung, "Wenn ein
einzelner Prüfer im Bundesrechnungshof seine richterliche Unabhängigkeit nutzt, um
durch Halbwahrheiten das Parlament irrezuführen, und versucht, den erfolgreichsten
Chef der BA ins Zwielicht krimineller Machenschaften zu ziehen, schadet er damit dem
Ansehen des Bundesrechnungshofes." die Eindrücke zu erwecken,
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a. der Bericht des Bundesrechnungshofes über das AT-Konzept der Bundesagentur
für Arbeit sei von einem einzelnen Prüfer verfasst worden;
b. ein Prüfer bzw. die Prüfer des Bundesrechnungshofes habe/hätten durch den
Bericht über das AT-Konzept der Bundesagentur für Arbeit und dessen Zuleitung
an den Deutschen Bundestag das Parlament in die Irre geführt;
c. ein Prüfer bzw. die Prüfer des Bundesrechnungshofs hätte(n) bei Erstellung des
Berichts über das AT-Konzept der Bundesagentur für Arbeit und dessen Zuleitung
an den Deutschen Bundestag in der Absicht gehandelt, den Chef der
Bundesagentur für Arbeit in das Zwielicht krimineller Machenschaften zu ziehen.
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Die Kosten der Verfahren sind zu ¾ dem Verfügungsbeklagten und zu ¼ der
Verfügungsklägerin auferlegt worden.
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Gegen diese einstweilige Verfügung richtet sich der Widerspruch des
Verfügungsbeklagten.
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Die Verfügungsklägerin beantragt,
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die einstweilige Verfügung zu bestätigen.
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Der Verfügungsbeklagten beantragt,
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die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 10.08.2010, Az. 28 O
529/10 aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.
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Der Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, die einstweilige Verfügung sei zu Unrecht
ergangen. Der Erlass ohne Anhörung des Verfügungsbeklagten stelle einen Verstoß
gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs dar. Auch sei das Verbot der Erweckung eines
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Eindrucks unzulässig.
Der Verfügungsbeklagte trägt weiter vor, dass ein Unterlassungsanspruch der
Verfügungsklägerin nicht gegeben sei. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass durch
den Bericht des Bundesrechnungshofes der unzutreffende Eindruck einer
Günstlingswirtschaft erweckt würde. Daher stelle es eine zulässige Meinungsäußerung
dar, wenn dem Bundesrechnungshof vorgeworfen würde, er habe das Parlament durch
die Darstellung von Halbwahrheiten in die Irre geführt. Auch enthalte der Bericht
zahlreiche rechtliche Fehler, die die Äußerung des Verfügungsbeklagten provoziert
hätte.
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Bereits die Wortwahl des Verfügungsbeklagten zeige, dass es sich bei den
streitgegenständlichen Äußerungen des Verfügungsbeklagten um
Meinungsäußerungen handele.
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Auch müsse berücksichtigt werden, dass sich die strafrechtlichen Vorwürfe aus dem
Bericht des Bundesrechnungshofes – unstreitig - tatsächlich ergäben. Dies habe der
Verfügungsbeklagte zutreffend wiedergegeben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist die einstweilige Verfügung zu
bestätigen. Der Verfügungsklägerin steht auch zum Zeitpunkt der
Widerspruchsverhandlung gemäß §§ 823, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog ein
Unterlassungsanspruch hinsichtlich der aus der einstweiligen Verfügung vom
10.08.2010 ersichtlichen Äußerung gegen den Verfügungsbeklagten zu. Im Einzelnen:
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Der Erlass der einstweiligen Verfügung ist zulässig. Insbesondere verstößt das Gebot
der Unterlassung der Erweckung eines bestimmten Eindrucks nicht gegen das
Bestimmtheitsgebot, wenn sich die Verurteilung zur Unterlassung darauf bezieht, das –
konkret zum Gegenstand der Unterlassungsverfügung gemachte – Zitat in einer Weise
wiederzugeben, die den ebenfalls konkret in den Tenor aufgenommenen Eindruck
hervorruft (vgl. BVerfG in GRUR 2010, 544).
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Der Unterlassungsanspruch ist auch in der Sache zu bestätigen. Die
Verfügungsklägerin ist aktivlegitimiert, da sie von der streitgegenständlichen Äußerung
durch ihre ausdrückliche Benennung betroffen ist. Der Verfügungsbeklagte ist auch
passivlegitimiert, da das im Rahmen der Berichterstattung der Zeitschrift "V" enthaltene
Zitat unstreitig von ihm stammt.
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Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Verfügungsklägerin ist
rechtswidrig. Bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt es sich
um einen sogenannten offenen Tatbestand, d.h. die Rechtswidrigkeit ist nicht durch die
Tatbestandsmäßigkeit indiziert, sondern im Rahmen einer Gesamtabwägung der
widerstreitenden Interessen unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände des konkreten
Einzelfalles und Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit positiv
festzustellen (Palandt/Sprau, BGB, § 823 Rn. 95 m.w.N.). Stehen sich als
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widerstreitende Interessen – wie vorliegend – die Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) und das
allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2, 1 GG) gegenüber, kommt es für die Zulässigkeit
einer Äußerung maßgeblich darauf an, ob es sich um Tatsachenbehauptungen oder
Meinungsäußerungen handelt. Tatsachen sind innere und äußere Vorgänge, die
zumindest theoretisch dem Beweis zugänglich sind und sich damit als wahr oder
unwahr feststellen lassen (BGH NJW 52, 660 - Constanze; 66, 296 - Höllenfeuer; AfP
1975, 804 - Brüning I). Unabdingbare Voraussetzung für eine zutreffende Einordnung
einer Äußerung ist die Ermittlung des Aussagegehalts. Dabei darf nicht isoliert auf den
durch den Antrag herausgehobenen Text abgestellt werden. Vielmehr ist dieser im
Zusammenhang mit dem gesamten Aussagetext zu deuten. Dabei ist auf den objektiven
Sinn der Äußerung aus der Sicht eines unvoreingenommenen Durchschnittslesers
abzustellen (vgl. BGH NJW 1998, 3047).
Maßgeblich für das Verständnis der Behauptung ist dabei weder die subjektive Sicht
des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung
Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines
unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (BVerfG in NJW
2006, 207 – "IM Sekretär" - Stolpe). Fern liegende Deutungen sind auszuscheiden. Ist
der Sinn unter Zugrundelegung dieses Maßstabs eindeutig, ist er der weiteren Prüfung
zu Grunde zu legen. Zeigt sich aber, dass ein unvoreingenommenes und verständiges
Publikum die Äußerung als mehrdeutig wahrnimmt oder verstehen erhebliche Teile des
Publikums den Inhalt jeweils unterschiedlich, ist bei der weiteren Prüfung von einem
mehrdeutigen Inhalt auszugehen (BVerfG, a. a. O., – IM Stolpe). Bei
Unterlassungsansprüchen ist im Rahmen der rechtlichen Zuordnung von
Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz zu berücksichtigen, dass der Äußernde die
Möglichkeit hat, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich
klarzustellen, welcher Äußerungsinhalt der rechtlichen Prüfung einer Verletzung des
Persönlichkeitsrechts zu Grunde zu legen ist (vgl. BVerfG a.a.O.). Im Rahmen des
Unterlassungsbegehrens sind daher alle möglichen und durchaus naheliegenden
Auslegungen der Äußerung zugrundezulegen. Dabei ist auch zu ermitteln, ob lediglich
allgemein Kritik geübt werden soll, oder ob Vorwürfe direkt gegen den Betroffenen
erhoben werden (vgl. BVerfG in NJW 2006, 3769, 3772 – Babycaust).
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Im Rahmen der Ermittlung des Aussagegehalts kann sich die L nicht auf "offene"
Behauptungen beschränken. Vielmehr muss sich die Prüfung auch auf ehrenkränkende
Beschuldigungen erstrecken, die im Gesamtzusammenhang der offenen
Einzelaussagen "versteckt" bzw. "zwischen den Zeilen" stehen könnten (vgl. BGH in
NJW 2006, 601 – unvollständige Beichterstattung). Danach ist bei der Ermittlung so
genannter verdeckter Aussagen zu unterscheiden zwischen der Mitteilung einzelner
Fakten, aus denen der Leser eigene Schlüsse ziehen kann und soll, und der erst
eigentlich "verdeckten" Aussage, mit der der sich Äußernde durch das Zusammenspiel
offener Äußerungen eine zusätzliche Sachaussage macht bzw. sie dem Leser als
unabweisliche Schlussfolgerung nahe legt. Unter dem Blickpunkt des Art. 5 Abs. 1 GG
kann nur im zweiten Fall die "verdeckte" Aussage einer "offenen" Behauptung des
Äußernden gleichgestellt werden. Denn der Betroffene kann sich in aller Regel nicht
dagegen wehren, dass der Leser aus den ihm "offen" mitgeteilten Fakten eigene
Schlüsse auf einen Sachverhalt zieht, für den die offenen Aussagen Anhaltspunkte
bieten, der von dem sich Äußernden so aber weder offen noch verdeckt behauptet
worden ist (vgl. BGH a.a.O.).
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Dabei ist eine Äußerung zu untersagen, wenn die dem Leser nahegelegten
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Schlussfolgerungen so unabweislich sind, dass sie eine verdeckte Äußerung beinhalten
(vgl. BGH a.a.O.).
Nach diesen Grundsätzen ist die Äußerung des Verfügungsbeklagten aufgrund der
Erweckung der streitgegenständlichen Eindrücke zu untersagen:
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Hinsichtlich des unter Buchstabe a. genannten Eindrucks entsteht dieser aus dem
Wortlaut der Äußerung. Denn die Äußerung, "wenn ein einzelner Prüfer im
Bundesrechnungshof seine richterliche Unabhängigkeit nutzt, …" legt dem
Durchschnittsrezipienten unmittelbar nahe, dass die Prüfung nur durch eine einzelne
Person durchgeführt wurde. Denn bei Durchführung der Prüfung durch mehrere
Personen ist das Ausnutzen der Unabhängigkeit durch eine Einzelperson
ausgeschlossen. Vielmehr handelt es sich um eine Mehrheitsentscheidung, die auf das
Entscheidungsgremium zurückgeht. Wer in diesem Rahmen zur Entscheidung berufen
war, lässt sich auch mit Mitteln des Beweises prüfen, so dass die Äußerung daher als
Tatsachenbehauptung einzustufen ist.
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Soweit der Verfügungsbeklagte anführt, die sprachliche Darstellung ("Wenn …") zeige
bereits auf, dass es sich nicht um eine Meinungsäußerung handele, führt dies zu keinem
anderen Ergebnis. Denn durch die sprachliche Gestaltung soll nicht etwa offen gelassen
werden, ob die Prüfung durch eine einzelne Person erfolgte. Vielmehr soll
herausgestellt werden, dass dieses Verhalten einer Einzelperson das Ansehen des
Bundesrechnungshofes schädigt.
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Die unter Buchstabe a. genannte Äußerung ist vor diesem Hintergrund auch
unzutreffend, da – unstreitig – ein aus drei Personen stehendes Gremium entschieden
hat.
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Auch die unter Buchstaben b. und c. genannten Eindrücke entstehen durch die
Äußerung des Verfügungsbeklagten. Denn durch die Wortwahl des Begriffs der
Irreführung wird der bzw. den zur Entscheidung berufenen Personen die Absicht
unterstellt, das Parlament in die Irre zu führen bzw. den Chef der Bundesagentur für
Arbeit in das Licht krimineller Machenschaften zu rücken.
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Dabei sind auch diese Äußerungen als Tatsachenbehauptung einzustufen. Zwar kann
bei einer inneren Tatsache auch eine Meinungsäußerung vorliegen, wenn der
Äußernde auf die innere Tatsache nur mit Hilfe von Indizien schließt und daraus sein
subjektives Urteil bzw. seine persönliche Meinung ableitet. Äußerungen über Motive
oder Absichten eines Dritten können jedoch eine Tatsachenbehauptung darstellen, falls
Gegenstand der Äußerung ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten eines Dritten
ist und die Klärung seiner Motivlage möglich erscheint (vgl. BGH in NJW 2008, 2262,
m.w.N.). So liegt es etwa bei der Behauptung, jemand habe wissentlich falsche Zahlen
genannt, damit ein Vorgang bei einer Überprüfung nicht aufgedeckt werden könne (vgl.
BGH a.a.O.). Entsprechendes gilt hier. Denn über die tatsächliche Motivlage bei der
Beschlussfassung des Bundesrechnungshofes kann Beweis erhoben werden. So kann
die Motivlage durch Indizien oder Befragung der an der Entscheidung beteiligten
Personen aufgeklärt werden. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Äußerung
gerade den Vorwurf eines solchen unredlichen Verhaltens enthält.
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Diese Behauptung ist auch unwahr. Dies hat – unabhängig von der Frage, ob der
Verfügungsbeklagte die Wahrheit gemäß der in das Zivilrecht transformierten
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Beweislastregel des § 186 StGB zu beweisen hat – die Verfügungsklägerin durch die
Abgabe der eidesstattlichen Versicherungen der Zeugen I, L und F glaubhaft gemacht.
Gründe, an dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherungen zu zweifeln bestehen nicht.
Die Wiederholungsgefahr ist mangels der Abgabe einer strafbewehrten
Unterlassungserklärung hinsichtlich der streitgegenständlichen Äußerung gegeben. Die
Wiederholungsgefahr ist für den Unterlassungsanspruch materielle
Anspruchsvoraussetzung (vgl. BGH, 14.10.1994 – V ZR 76/93, NJW 1995, 132). Sie
wird durch die vorangegangene rechtswidrige Beeinträchtigung indiziert und
grundsätzlich erst dann ausgeräumt, wenn der Verletzer sich unter Übernahme einer
angemessenen Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegenüber dem
Verletzten verpflichtet, sein beanstandetes Verhalten einzustellen (vgl. Burkhardt a.a.O.,
Kap. 12.17, m.w.N.). Eine Unterlassungserklärung hat der Verfügungsbeklagte nicht
abgegeben.
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Ein Verfügungsgrund besteht ebenfalls. Da die Äußerung in einer in die
Persönlichkeitsrechte eingreifenden Weise am 27.07.2010 veröffentlicht wurde und die
Verfügungsklägerin den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung bereits am
04.08.2010 bei Gericht anhängig machte, liegt die erforderliche Dringlichkeit vor. Durch
das weitere Verbreiten der streitgegenständlichen Äußerungen droht der
Verfügungsklägerin auch ein erheblicher Schaden, so dass auch eine Entscheidung
ohne Anhörung des Verfügungsbeklagten gerechtfertigt war.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Das die einstweilige Verfügung
bestätigende Urteil wirkt wie die ursprüngliche einstweilige Verfügung und ist daher
ohne besonderen Ausspruch mit der Verkündung sofort vollstreckbar (Zöller-
Vollkommer, ZPO, 28. Auflage, § 925 Rn. 9).
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Streitwert bis zum 09.08.2010: 20.000,00 Euro,
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danach: 15.000,00 Euro.
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