Urteil des LG Köln vom 29.12.2010

LG Köln (höhe, abtretung, freies ermessen, versicherte person, liste, zpo, zeuge, tätigkeit, einziehung, nebenleistung)

Landgericht Köln, 9 S 252/10
Datum:
29.12.2010
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
9. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 S 252/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Gummersbach, 11 C 237/10
Tenor:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts
Gummersbach vom 27.08.2010 – 11 C 237/10 – aufgehoben und wie
folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 895,22 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
01.04.2010 sowie 101,40 € außergerichtliche Kosten zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund
des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin
vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e :
1
I.
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Die Klägerin betreibt ein Mietwagenunternehmen. Mit der Klage macht sie restliche
Mietwagenkosten aus abgetretenem Recht gegen die Beklagte als eintrittspflichtige
Haftpflichtversicherung aus einem Verkehrsunfall geltend.
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Die volle Haftung der Beklagten auf Grund des Verkehrsunfalls am 12.02.2010 in
Gummersbach, bei dem das Fahrzeug des Zeugen E2 beschädigt wurde, ist dem
Grunde nach unstreitig. Der Zeuge E2 mietete bei der Klägerin noch am Unfalltag einen
Ersatzwagen, den er am 19.02.2010 zurückgab. Das Fahrzeug wurde dem Zeugen E2
zugestellt; es war mit Winterreifen ausgestattet. Zum Mietbeginn trat der Zeuge E2
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seinen Schadensersatzanspruch aus dem Verkehrsunfall vom 12.02.2010 in Höhe der
vertraglich vereinbarten Mietwagenkosten durch schriftliche Erklärung erfüllungshalber
an die Klägerin ab. Die Abtretungserklärung lautete wie folgt: "Aus diesem
Verkehrsunfall steht mir gegen den o.g. Schädiger sowie dessen Haftpflichtversicherer
ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Ich weise den leistungsverpflichteten Versicherer
unwiderruflich an, unter Anrechnung auf meine Ansprüche auf Ersatz der
Mietwagenkosten direkt an den Vermieter zu zahlen. Gleichzeitig trete ich meinen
Schadensersatzanspruch auf Erstattung der Mietwagenkosten gegen das
leistungsverpflichtete Versicherungsunternehmen und seine versicherten Personen an
den Vermieter ab. […..] Meine persönliche Haftung für die Mietwagenkosten bleibt durch
diese Abtretung unberührt. Soweit der Versicherer bzw. die versicherte Person nicht
oder nicht voll zahlen, verpflichte ich mich, den offenstehenden Teil der
Mietwagenkosten dem Vermieter unmittelbar zu bezahlen."
Die Mietwagenkosten rechnete die Klägerin gegenüber der Beklagten ab; die Beklagte
zahlte vorgerichtlich 555,98 Euro. Der Zeuge E2 wurde zu keinem Zeitpunkt von der
Klägerin in Anspruch genommen. Auf der Grundlage der in der Klageschrift
vorgenommene Neuberechnung verlangt die Klägerin von der Beklagten einen weiteren
Betrag von 895,22 Euro, mithin insgesamt 1.451,20 Euro.
5
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die in Rede stehende Abtretung sei wirksam.
Die von ihr aufgrund der sog. Schwacke-Liste berechneten Mietwagenkosten seien
gemäß § 249 Abs. 2 BGB erforderlich gewesen.
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Ursprünglich hat die Klägerin begehrt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 895,22 Euro
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
01.04.2010 und vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 101,40 Euro zu zahlen.
7
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
8
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Abtretung sei unwirksam, weil diese der
Klägerin eine nach § 3 RDG unzulässige Rechtsdienstleistung ermögliche. Hilfsweise
hat sie den tatsächlichen Anfall der Kosten und deren Erforderlichkeit bestritten; auch
habe der Zeuge E2 gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen.
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Im Übrigen wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug
genommen.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Als Begründung hat es angeführt, dass die
Klägerin aufgrund der Abtretung vom 12.02.2010 nicht berechtigt sei, die restlichen
Mietwagenkosten geltend zu machen, weil die Abtretung gemäß § 134 BGB wegen
eines Verstoßes gegen § 3 RDG unwirksam sei. Eine solche Abtretung sei dann
unwirksam, wenn mit ihr nach den gesamten rechtlichen und wirtschaftlichen
Umständen die geschäftsmäßige Durchsetzung des Anspruchs ermöglicht, d.h. nicht nur
eine Sicherung verwirklicht, sondern dem Geschädigten die Verfolgung und
Durchsetzung seines Anspruchs abgenommen werden soll. Umstände in diesem Sinne
seien vorliegend gegeben.
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Schon der Wortlaut der Abtretung lasse nicht hinreichend eine bloße Sicherung eigener
Ansprüche der Klägerin erkennen. Ermöglicht werde vielmehr eine umfassende
Abwicklung der Angelegenheit, einschließlich einer geschäftsmäßigen Besorgung der
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Rechtsangelegenheit. Das weitere Vorgehen der Klägerin bestätige dies. So habe die
Klägerin den Unfallgeschädigten nicht zur Zahlung aufgefordert und sich auch
gegenüber der Beklagten nicht auf die bloße Geltendmachung eines abgetretenen
Anspruchs beschränkt, sondern die grundsätzlich dem Geschädigten selbst obliegende
Schadensabwicklung auch in rechtsdienstleistender Weise übernommen. Dies belege
ein Schreiben vom 17.03.2010. Gerade die Befassung mit den äußerst
problembehafteten Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Höhe der Mietwagenkosten
zeige – im vorliegenden Fall wie in gerichtsbekannten Parallelsachen – die
geschäftsmäßige und damit unzulässige Rechtsdienstleistung der Klägerin. Auch
bestehe kein praktisches Bedürfnis an einer gewissen Mitwirkung des
Mietwagenunternehmens bei der gerichtlichen Geltendmachung von
Schadensersatzansprüchen, vielmehr sei es ausreichend, dass ein
Mietwagenunternehmen die ersatzpflichtige Haftpflichtversicherung vorgerichtlich zur
Zahlung auffordern könne.
Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr
Klagebegehren auf Zahlung des oben genannten Betrages weiter. Sie vertritt weiterhin
die Auffassung, dass die streitgegenständliche Abtretung wirksam und die geltend
gemachten Mietwagenkosten erforderlich seien.
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Mit ihrer Berufung beantragt die Klägerin,
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unter Abänderung des am 27.08.2010 verkündeten Urteils des Amtsgerichts
Gummersbach – 11 C 237/10 – die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 895,22
Euro nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2010
sowie 101,40 Euro und außergerichtliche Kosten zu zahlen.
15
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts.
18
II.
19
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin hat
auch in der Sache Erfolg. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Zahlungsanspruch
in der geltend gemachten Höhe aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 VVG i.V.m. §§ 398ff.
BGB zu.
20
1.
21
Die Abtretung ist nicht wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz
unwirksam. Nach § 5 Abs. 1 S. 1 RDG sind Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang
mit einer anderen Tätigkeit erlaubt, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder
Tätigkeitsbild gehören. Liegt in der Ausübung der Rechtsdienstleistung eine solche
Nebentätigkeit, kommt es für die Frage der Rechtmäßigkeit der Abtretung und
Einziehung von Kundenforderungen nicht mehr auf die nach altem Recht
durchzuführende Abgrenzung zwischen der Wahrnehmung einer eigenen und der
Wahrnehmung einer fremden Angelegenheit an. Die klageweise Geltendmachung von
Schadensersatzforderungen des Kunden, die auf die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs
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infolge eines Verkehrsunfalls zurückzuführen sind, stellt für die Klägerin eine
Nebenleistung zur Ausübung ihrer Hauptleistung – der Vermietung von Kraftfahrzeugen
– dar.
Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte durch die Neufassung des
Rechtsdienstleistungsgesetzes die Berechtigung zur Einziehung von
Kundenforderungen nicht mehr vom Eintritt des Sicherungsfalls abhängig sein. Der
Unternehmer kann vielmehr seine Leistung sogleich direkt gegenüber dem wirtschaftlich
Einstandspflichtigen geltend machen und braucht seine Kunden nicht in Anspruch zu
nehmen. Dem Gesetzgeber standen dabei auch ganz konkret die Fälle der
Mietwagenunternehmen vor Augen. So heißt es in BR-Drs. 623/06, S. 96 f. 110 f.:
23
"Soweit Kfz-Werkstätten, Mietwagenunternehmen oder Sachverständige
Hinweise zur Erstattung sonstiger, nicht im Zusammenhang mit ihrer
eigentlichen Leistung stehender Schäden, insbesondere zu
Personenschäden und Schmerzensgeldansprüchen geben, handelt es sich
entweder um allgemein gehaltene Ratschläge, die – wie etwa der Hinweis auf
die allgemeine Schadenpauschale – nicht als Rechtsdienstleistung
anzusehen sind, oder – soweit etwa Schmerzensgeldansprüche konkret
beziffert oder geltend gemacht werden – um eindeutige
Rechtsdienstleistungen, die mangels Zusammenhangs mit der eigentlichen
Tätigkeit der Genannten, aber auch aufgrund der besonderen Bedeutung für
den Geschädigten generell auch nicht als Nebenleistung zulässig sein
werden.
24
Soweit ein Kfz-Reparaturbetrieb, ein Mietwagenunternehmen oder ein
Kraftfahrzeugsachverständiger dem Unfallgeschädigten dagegen Hinweise
zur Erstattungsfähigkeit der durch seine Beauftragung entstandenen Kosten
erteilen, handelt es sich um eine nach § 249 BGB zu beurteilende rechtliche
Frage, deren Beantwortung – jedenfalls in den Fällen, in denen hierüber Streit
entstehen kann – regelmäßig eine besondere rechtliche Prüfung im Sinn des
§ 2 Abs. 1 erfordert. In diesen Fällen wird aber die rechtliche Beratung des
Unfallgeschädigten zur vollständigen Erfüllung der vertraglichen Hinweis- und
Aufklärungspflichten des Unternehmers gehören und damit nach geltendem
Recht wie auch künftig nach § 5 Abs. 1 zulässig sein (vgl. – auch zur
Zulässigkeit des Forderungseinzugs in diesen Fällen – Begründung zu § 5
Absatz 1).
25
(…)
26
Zu den vertraglich vereinbarten Rechtsdienstleistungen, die (noch) nicht
typischerweise zum jeweiligen Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören, kann etwa
die Einziehung von Kundenforderungen zählen, die einem Unternehmer, Arzt
oder einer Werkstatt erfüllungshalber abgetreten wurden. Diese
Forderungseinziehung, bei der die Rechtsdienstleistung – die Einziehung der
eigenen Vergütungsansprüche gegenüber einem Dritten – besonders eng mit
der eigentlichen, den Vergütungsanspruch auslösenden Haupttätigkeit
verbunden ist, soll künftig auch dann grundsätzlich erlaubt sein, wenn sie eine
besondere rechtliche Prüfung erfordert (zur Erlaubnisfreiheit des schlichten
Forderungseinzugs ohne rechtliche Prüfung in diesen Fällen vgl. Begründung
zu § 2 Absatz 2). Weitere Anwendungsfälle der als Nebenleistung zulässigen
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Inkassotätigkeit finden sich auch im Bereich der Unfallschadenregulierung
etwa bei der Geltendmachung von Sachverständigen-, Mietwagen- oder
Reparaturkosten (vgl. dazu auch Begründung zu § 2 Absatz 1). Hierbei
entsteht häufig Streit etwa über die von einer Werkstatt in Rechnung gestellten
Reparaturkosten oder über die Höhe der Mietwagenrechnung, insbesondere
bei Zugrundelegung eines so genannten Unfallersatztarifs. Gerade die im
Streitfall erforderliche Rechtfertigung der eigenen Leistung oder Abrechnung
durch den Unternehmer belegt die in § 5 Abs. 1 geforderte Zugehörigkeit zu
dessen eigentlicher Hauptleistung. Soweit die Rechtsprechung unter Geltung
des Artikel 1 § 5 RBerG bis heute ganz überwiegend daran festhält, dass die
Einziehung abgetretener Kundenforderungen durch den gewerblichen
Unternehmer nur dann zulässig ist, wenn es diesem wesentlich darum geht,
die ihm durch die Abtretung eingeräumte Sicherheit zu verwirklichen (vgl.
zuletzt BGH, VI ZR 268/04 v. 15.11.2005, VersR 2006, 283; BGH, VI ZR
251/04 v. 20.9.2005, NJW 2005, 3570; BGH, VI ZR 173/04 v. 5.7.2004, NJW-
RR 2005, 1371; BGH, VI ZR 300/03 v. 26.10.2004, NJW 2005, 135), soll dies
künftig nicht mehr gelten."
Danach ergibt sich aus Sicht der Kammer im vorliegenden Fall kein Verstoß gegen das
Rechtsdienstleistungsgesetz. Unabhängig davon, dass die Klägerin wiederholt und in
einer Vielzahl von Fällen bei ihr angefallene Mietwagenkosten nach Verkehrsunfall
anstelle des Unfallgeschädigten aufgrund einer entsprechenden Abtretung gegenüber
der ersatzpflichtigen Versicherung geltend macht, handelt es sich dabei nicht um ihre
Haupttätigkeit. Ihre Haupttätigkeit ist nach Ansicht der Kammer ausschließlich in der
Vermietung von Fahrzeugen zu sehen; erst nachdem eine solche Vermietung
stattgefunden hat, können die dafür angefallenen Kosten in Rechnung gestellt werden.
Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, bei der (gerichtlichen) Geltendmachung der
Ansprüche handele es sich um eine Tätigkeit im gewerblichen Ausmaß, hat dies nach
Auffassung der Kammer keinen Einfluss auf die Frage, ob eine Tätigkeit Neben- oder
Haupttätigkeit ist. Im Übrigen ist zu beachten, dass die Klägerin sich lediglich in Bezug
auf die Mietwagenkosten – also ihr Hauptgeschäft – die Forderungen des
Unfallgeschädigten abtreten lässt. Keinesfalls nimmt sie eine umfassende Beratung des
Unfallgeschädigten vor oder setzt an dessen Stelle dessen sämtliche Ansprüche
aufgrund des Verkehrsunfalls durch. Schließlich ist zu beachten, dass der Gesetzgeber
die Geltendmachung von Mietwagenkosten durch den Mietwagenunternehmer aufgrund
abgetretener Forderung bei der Schaffung des § 5 RDG konkret bedacht hat und diese
Tätigkeit ausdrücklich als eine Rechtsdienstleistung angesehen hat, die (noch) nicht
typischerweise zum jeweiligen Berufs- und Tätigkeitsbild gehört. Auch standen ihm
dabei – wie aus der zitierten BR-Drucksache folgt - gerade die rechtlich nicht
unproblematischen Konstellationen der Geltendmachung von Unfallersatztarifen im
Mietwagengeschäft vor Augen. Es lässt sich demzufolge nach Ansicht der Kammer nicht
dahingehend argumentieren, gerade wegen der Schwierigkeiten der
Mietwagenabrechnungen könne dieser Komplex nicht mehr als Nebenleistung im Sinne
des § 5 Abs. 1 RDG angesehen werden. Vielmehr wurde die Vorschrift in Kenntnis der
Probleme gerade auch für die Fälle der Mietwagenunternehmer geschaffen. Ob und in
welcher Komplexität letztlich dann Rechtsprobleme im Einzelfall auftreten, ist ohne
Belang, da es bei der Auslegung des § 5 RDG auf eine generalisierende
Betrachtungsweise ankommt.
28
2.
29
Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch steht der Klägerin auch in der aus dem
Tenor ersichtlichen Höhe zu.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (z.B. NZV 2006, 463, 464)
kann der Geschädigte vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer nach § 249
BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten
verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des
Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist dabei
ebenso wie bei anderen Kosten der Wiederherstellung und wie in anderen Fällen, in
denen er die Schadensbeseitigung selbst vornimmt, nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot
gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den
wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet für den
Bereich der Mietwagenkosten, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt -
nicht nur für Unfallgeschädigte - erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines
vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur
den günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen kann. Ausgangspunkt für die Betrachtung
bildet der am Markt übliche Normaltarif. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs ist es zulässig, zu dessen Bestimmung in Ausübung tatrichterlichen
Ermessens gemäß § 287 ZPO auf das sog. gewichtete Mittel (jetzt Modus) des
"Schwacke-Automietpreisspiegels" im Postleitzahlengebiet des Geschädigten
zurückzugreifen (BGH, NZV 2006, 463 f.; BGH NZV 2008, 1519 f.; BGH, Beschl. v.
13.01.2009 – VI ZR 134/08 – zit. nach juris, Rn. 5; OLG Köln, NZV 2007, 199 f.; OLG
Köln, Urt. v. 03.03.2009 – 24 U 6/08 – zit. nach juris, Rn. 5 f.; LG Bonn, NZV 2007, 362 f.;
LG Köln, Urt. v. 19.11.2008 – 9 S 171/08). Bei einer mehrtägigen Vermietung sind die
entsprechenden Pauschalen heranzuziehen.
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Als Schätzungsgrundlage kann hier der Schwacke-Automietpreisspiegel für das Jahr
2009 herangezogen werden. Bedenken gegen die Richtigkeit dieser Schwacke-Liste
bestehen seitens der Kammer nicht. Soweit die Beklagte die Schwacke-Liste für nicht
anwendbar hält und meint, dass bei der Erhebung der Daten gravierende Mängel
vorgelegen hätten, kann sie hiermit nicht durchdringen. Zu berücksichtigen ist insoweit
zunächst, dass die Schadensschätzung im Rahmen von § 287 ZPO dem Tatrichter ein
besonders freies Ermessen einräumt (vgl. BGH, NJW 2008, 2910), wodurch auch dem
Gesichtspunkt der Praktikabilität Rechnung getragen werden soll. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2008, 1519), der die Kammer in
ständiger Rechtsprechung folgt, bedarf die Eignung von Listen oder Tabellen, die bei
der Schadensschätzung Verwendung finden können (speziell der Schwacke-Liste),
nämlich nur dann der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass sich
geltend gemachte Mängel auf den zu entscheidenden Fall ausgewirkt haben. Dies ist
vorliegend nicht der Fall. Dass die Erhebung des Fraunhofer Instituts für
Arbeitswirtschaft und Organisation mit dem Titel "Marktpreisspiegel Mietwagen
Deutschland 2008" zu anderen Ergebnissen gelangt und ihr deswegen der Vorzug zu
geben sei, genügt aus Sicht der Kammer in Kenntnis entgegengesetzter
obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. OLG Köln, Urt. v. 10.10.2008 – 6 U 115/08 und
Urt. v. 21.08.2009 – 6 U 6/09; OLG München, Urt. v. 25.07.2008 – 10 U 2539/08; OLG
Thüringen, Urt. v. 27.11.2008 – 1 U 555/07; anders aber OLG Köln, Urt. v. 03.03.2009 –
24 U 6/08) allein nicht, um durchgreifende Zweifel an der Nutzbarkeit der Schwacke-
Liste zu begründen. Die Kammer vermag – auch unter Berücksichtigung, dass im
Rahmen der Fraunhofer-Erhebung – anders als bei der Schwacke-Umfrage – eine
anonymisierte Befragung von Mietwagenunternehmen durchgeführt worden ist – keine
derart überlegene Methodik der Fraunhofer-Erhebung festzustellen, welche zugleich die
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Annahme einer mangelhaften Erhebung für den Schwacke-Mietpreisspiegel
rechtfertigen könnte. Eine entsprechende Annahme ist auch nicht durch den
Sachvortrag der Beklagten gerechtfertigt, so dass auch dem Beweisangebot auf
Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht nachzugehen war. Im Übrigen ist
die Zugrundelegung des Schwacke-Mietpreisspiegels für das Jahr 2006
zwischenzeitlich ausdrücklich durch den BGH gebilligt worden (vgl. BGH, Beschl. v.
13.01.2009 – VI ZR 134/08 – zit. nach juris, Rn. 5), wobei die Kammer sich bewusst ist,
dass es entsprechende Rechtsprechung für die sog. Schwacke-Liste 2009 bislang nicht
gibt. Umgekehrt erscheint aus Sicht der Kammer die Wiedergabe von Preisen mit einer
Vorbuchungsfrist von einer Woche durch das Fraunhofer Institut kaum geeignet, das
typische Anmietungsszenario nach einer Unfallsituation widerzuspiegeln. Auch war die
Datenerfassung auf die Situationen beschränkt, in denen ein Mietwagen per Telefon
oder über das Internet gebucht wird. Zudem wird in der Fraunhofer-Erhebung lediglich
der Marktpreis für ein großflächigeres Gebiet mit zwei Postleitzahlen angegeben. Die
Schwacke-Liste erscheint aufgrund der engmaschigeren Einteilung und der damit
einhergehenden Differenzierung zwischen großstädtischen und ländlicheren Gebieten
eher geeignet, den Normaltarif für den "örtlich" relevanten Markt abzubilden (so auch
OLG Köln, Urt. v. 03.03.2009 – 24 U 6/08 – zit. nach juris).
Auch der Einwand der Beklagten gegen den von der Klägerin vorgenommenen
Aufschlag von 20 % für unfallersatzbedingte Mehrkosten trägt nicht. Ein Geschädigter
verstößt noch nicht allein deshalb gegen seine Pflicht zur Schadensgeringhaltung, weil
er ein Kraftfahrzeug zum Unfallersatztarif anmietet, der gegenüber einem "Normaltarif"
teurer ist, soweit die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation
(etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen
falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den Kunden oder das
Mietwagenunternehmen u.ä.) einen gegenüber dem "Normaltarif" höheren Preis
rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere
Unfallsituation veranlasst und infolgedessen zur Schadensbehebung nach § 249 BGB
erforderlich sind (z.B. BGH, NJW 2005, 51; BGH, NJW 2005, 1933; BGH, NJW 2006,
2621, 2622). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei der Beurteilung
der Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots bei Inanspruchnahme des
Unfallersatztarifs eine generelle Betrachtung geboten und nicht auf den konkreten
Einzelfall abzustellen.
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Dass danach aufgrund der Besonderheiten der Unfallsituation in der Regel ein höherer
Mietwagenpreis als der Normaltarif zur Schadensbeseitigung i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1
BGB erforderlich ist, steht nicht mehr grundsätzlich in Streit (OLG Köln, NZV 2007, 199,
200; OLG Köln, Urt. v. 21.08.2009 – 6 U 6/09 – zit. nach juris, Rn. 21; LG Bonn, NZV
2007, 362, 363). Diese betriebswirtschaftlich gerechtfertigte Erhöhung kann in Form
eines pauschalen Aufschlags auf den Normaltarif erfolgen, dessen Höhe wiederum der
bei der Schadensabrechnung besonders freigestellte Tatrichter gemäß § 287 ZPO
schätzen kann (z.B. BGH, NZV 2006, 526).
34
Die Kammer folgt der im Vordringen befindlichen Ansicht, dass ein pauschaler
Aufschlag auf den Normaltarif gerechtfertigt sei, um die Besonderheiten der Kosten und
Risiken des Unfallersatzfahrzeuggeschäfts im Vergleich zum Normalgeschäft
angemessen zu berücksichtigen (z.B. OLG Köln, NZV 2007, 199, 201; LG Bonn, NZV
2007, 362, 363). Die Kammer veranschlagt diesen Aufschlag mit 20 % (ebenso z.B.
OLG Köln, NZV 2007, 199, 201; OLG Köln, Urt. v. 21.08.2009 – 6 U 6/09 – zit. nach juris,
Rn. 21; LG Hof, NJOZ 2008, 2806, 2809; LG Dortmund, Urt. v. 29.05.2008, 4 S 169/07;
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ähnlich LG Bonn, NZV 2007, 362, 363: 25 %).
Entgegen der Ansicht der Beklagten hat der Zeuge E2 auch nicht gegen die
Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB) verstoßen, so dass eine Zurechnung zu
Lasten der Klägerin nach § 404 BGB nicht in Betracht kommt. Insoweit hat die Klägerin
bereits erstinstanzlich zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beklagte darlegungs- und
beweisbelastet sei und die bloße Behauptung, dass über das Internet günstigere
Mietwagen zur Verfügung gestanden hätten, nicht ausreichend sei, zumal nicht
dargelegt wurde, dass diese Angebote auch zum fraglichen Zeitpunkt der Anmietung zur
Verfügung gestanden hätten.
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Soweit die Beklagte darauf hingewiesen hat, dass es sich bei der Frage, ob die Klägerin
über das objektiv erforderliche Maß hinaus im Hinblick auf die gebotene
subjektbezogene Schadensbetrachtung den Normaltarif übersteigende
Mietwagenkosten ersetzt verlangen kann, nicht um eine Frage der
Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 BGB, sondern um eine
Anspruchsvoraussetzung handelt, für die die Klägerin die Beweislast trägt, stimmt die
Kammer dieser grundsätzlich Ansicht zu. Demnach müsste die Klägerin darlegen und
erforderlichenfalls beweisen, dass dem Zeugen E2 unter Berücksichtigung seiner
individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn
bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in ihrer Lage
zeitlich und örtlich relevanten Markt - zumindest auf Nachfrage - kein wesentlich
günstigerer "(Normal-)Tarif" zugänglich war (z.B. BGH, NZV 2006, 363; NZV 2006, 410;
NZV 2006, 463; NJW 2008, 1519, 1520). Allerdings würde diese Überlegung nur dann
zum Tragen kommen, wenn die Parteien vorliegend um eine Anmietung zu einem
Unfallersatztarif streiten würden; dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr hat die Klägerin
wiederholt darauf hingewiesen und zur Verdeutlichung auf die sich anhand der sog.
Schwacke-Liste 2009 ergebende Berechnung verwiesen, dass der Zeuge E2 vorliegend
zum sog. Normaltarif angemietet hat.
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Ausgehend von den obigen Darlegungen errechnet sich der erstattungsfähige Aufwand
für den Mietwagen entsprechend den vorstehenden Ausführungen gemäß § 287 ZPO
auf einen Betrag von 1.451,20 Euro, wobei die Kammer wegen der Berechnung im
Einzelnen ausdrücklich auf die Ausführungen auf Seite 13 der Klageschrift vom
11.05.2010 Bezug nimmt. Von dem genannten Betrag ist die bereits vorgerichtlich
geleistete Zahlung der Beklagten in Höhe von 555,98 Euro in Abzug zu bringen, so
dass der aus dem Tenor ersichtliche Betrag verbleibt.
38
III.
39
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 709 S. 2, 711 ZPO.
40
Die Zulassung der Revision ist zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 895,22 EUR
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