Urteil des LG Köln vom 29.05.2007
LG Köln: einstweilige verfügung, programm, gestaltung, nachahmung, hersteller, versicherung, gefahr, herkunft, markt, endverkaufspreis
Landgericht Köln, 33 O 82/07
Datum:
29.05.2007
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
33. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
33 O 82/07
Tenor:
Die einstweilige Verfügung vom 8.3.2007 wird bestätigt.
Der Antragsgegnerin werden auch die weiteren Kosten des Verfahrens
auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die einstweilige Verfügung vom 8.3.2007 wird bestätigt.
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Der Antragsgegnerin werden auch die weiteren Kosten des Verfahrens auferlegt.
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Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
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T a t b e s t a n d
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Die Antragstellerin ist die deutsche Vertriebsgesellschaft der F ASA, einer
norwegischen Möbelherstellerin. Schwerpunkt des Produktprogramms der F Gruppe ist
das Sessel-Programm "Stressless". Die Antragstellerin ist durch die norwegische
Konzernmutter zum Vertrieb des "Stressless"-Sesselprogramms in Deutschland
berechtigt. Der Vertrieb der Sessel erfolgt über ca. 230 "Stressless"-Studios in einer
entsprechenden Anzahl von Möbelhäusern, die die Sessel von der Antragstellerin
beziehen.
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Die "Stressless"-Sessel weisen folgende Gestaltungsmerkmale auf: Das Grundgestell
setzt sich aus einem ringförmigen, auf dem Boden aufliegenden Element und zwei
seitlichen, S-förmig ausgestalteten Trägern zusammen, die den eigentlichen Körper des
Sessels tragen. Der ringförmige auf dem Boden aufliegende Teil besteht aus einem aus
Metall hergestellten Gleitring, auf dem ein aus laminierter Buche hergestelltes Oberteil
aufgebracht ist. Die beiden seitlich angebrachten S-Träger sind ebenfalls aus
laminierter Buche hergestellt. Dieses Grundgestell wird von der Erkornes Gruppe nicht
nur bei sämtlichen ihrer Ruhesessel, sondern auch bei den dazugehörigen Hockern
verwendet. Wegen der Einzelheiten der Produktgestaltung wird Bezug genommen auf
das als Anlage H & P 1 zur Antragsschrift gereichten Originalprospekt. Das Sessel-
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Programm ist seit Jahrzehnten auf dem deutschen Markt.
Die Antragsgegnerin handelt mit einer Vielzahl von Produkten. Unter anderem handelt
sie unter dem Mitgliedsnamen "m" auf der Internetauktionsplattform eBay. Die
Antragstellerin stellte am 15.2.2007 fest, dass die Antragsgegnerin die im Tenor der
einstweiligen Verfügung vom 8.3.2007 (Bl. 56-63 d.A.) wiedergegebenen Ruhesessel
und Hocker anbot
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Die Antragstellerin ließ die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 19.2.2007 vergeblich
abmahnen.
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Die Antragstellerin behauptet, dass weltweit bislang über 5 Mio. Stück "Stressless"-
Sessel verkauft worden seien. In Deutschland sei 2006 ein Umsatz in Höhe von ca. 110
Mio. €, berechnet nach dem Endverkaufspreis der Produkte, erzielt worden. 2006 seien
ferner ca. 38 Mio. Stück des als Anlage H&P 4 zur Akte gereichten Streuprospekts (Bl.
26 d.A.) verteilt worden. Die Antragstellerin habe 2006 für ca. 1,5 Mio. € TV-Werbung
schalten lassen und insgesamt für die Werbung 2006 einen Betrag von ca. 4,5 Mio. €
aufgewendet. Zur Glaubhaftmachung legt sei eine eidesstattliche Versicherung eines
Mitarbeiters der Marketingabteilung vom 1.3.2007 vor (Bl. 24 f. d.A.). Sie behauptet
weiter, dass sie in Deutschland allein und ausschließlich vertriebsberechtigt sei und legt
zur Glaubhaftmachung eine eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers vom
18.4.2007 (Bl. 129 f. d.A.) sowie eine Konzernbroschüre der F-Gruppe aus dem Jahr
2007 (Bl. 140 d.A. vor.
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Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass das Anbieten der im Tenor wiedergegebenen
Ruhesessel und Hocker wettbewerbswidrig sei unter dem Gesichtspunkt der
wettbewerbswidrigen Nachahmung aufgrund vermeidbarer Herkunftstäuschung. Auch
werde der gute Ruf der "Stressless"-Sessel ausgebeutet.
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Wegen der näheren Einzelheiten des diesbezüglichen Vortrags der Antragstellerin wird
ergänzend Bezug genommen auf die S. 10-12 der Antragsschrift (Bl. 10-12 d.A.) sowie
auf die S. 4-11 des Schriftsatzes vom 18.4.2007 (Bl. 121-128 d.A.).
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Auf Antrag der Antragstellerin hat die erkennende Kammer am 8.3.2007 im
Beschlusswege die nachstehend wiedergegebene einstweilige Verfügung erlassen:
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einstweilige Verfügung vom 8.3.2007 (Bl. 54- 66 d.A.) einblenden
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Nachdem die Antragsgegnerin gegen diese einstweilige Verfügung Widerspruch
eingelegt hat, beantragt die Antragstellerin nunmehr,
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wie erkannt,
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die einstweilige Verfügung aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten
Antrag zurückzuweisen.
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Sie rügt zunächst die Aktivlegitimation der Antragstellerin. Da diese weder Herstellerin
sei und selber vorgetragen habe, dass die Sessel über ca. 200 Möbelhäuser vertrieben
würden, sei sie auch nicht Alleinvertriebsberechtigte. Sie ist des weiteren der Ansicht,
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dass der Verfügungsantrag nicht hinreichend bestimmt sei, da die Merkmale, welche die
wettbewerbliche Eigenart begründen, nicht dargetan seien. Schließlich ist die
Antragsgegnerin der Ansicht, dass den "Stressless"-Sesseln die wettbewerbliche
Eigenart fehle, da die Verwendung eines ringförmigen Fußteils auch im
wettbewerblichen Umfeld angeboten werde. Es handele sich im Übrigen um eine
technisch bedingte Gestaltung, da die Sessel um 360 Grad drehbar sein sollen. Sie
bestreitet schließlich, dass der angesprochene Verkehr mit den S-förmigen
Verbindungselementen irgendeine betriebliche Herkunft verbinde. Wegen der näheren
Einzelheiten des Vortrags der Antragsgegnerin wird auf die S. 3-8 des Schriftsatzes vom
30.3.2007 (Bl. 80-85 d.A.) sowie die S. 2 f. des Schriftsatzes vom 3.5.2007 (Bl. 143 f.
d.A.) verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die einstweilige Verfügung ist zu bestätigen, weil ihr Erlass auch nach dem weiteren
Vorbringen der Parteien gerechtfertigt ist.
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Die Antragstellerin ist aktivlegitimiert, da sie durch Vorlage einer eidesstattlichen
Versicherung ihres Geschäftsführers vom 18.4.2007 (Bl. 129 f. d.A.) sowie einer
Konzernbroschüre der F Gruppe aus 2007 (Bl. 140 d.A.) glaubhaft gemacht hat, dass sie
für Deutschland allein und ausschließlich vertriebsberechtigt ist. Grundsätzlich ist zwar
nur der Hersteller des Originals, also derjenige, der das Produkt in eigener
Verantwortung herstellt oder von einem Dritten herstellen lässt und über das
Inverkehrbringen entscheidet, anspruchsberechtigt. Dem Hersteller steht aber der
ausschließlich Vertriebsberechtigte gleich, soweit durch den Vertrieb einer
Nachahmung (auch) über die Herkunft aus dem Bereich des ausschließlichen
Vertriebsberechtigten getäuscht wird. Ihm steht ein selbständiges
wettbewerbsrechtliches Leistungsschutzrecht zu (Köhler-Hefermehl/Köhler/Bornkamm,
Wettbewerbsrecht, 25. Aufl. § 4 Rn. 9.85 m.w.N.).
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Der Verfügungsantrag ist auch bestimmt genug. Durch die Einblendung der konkreten
Verletzungsform, ist deutlich gemacht, dass der Antragsgegnerin nicht das Anbieten,
Bewerben und/oder in Verkehrbringen von Ruhesesseln jeglicher Art untersagt worden
ist, sondern dass sich das Verbot auf die in der einstweiligen Verfügung eingeblendeten
Ruhesessel und Hocker bezieht. Ob und in welchem Umfang Abänderungen aus dem
Verbotsbereich herausführen, ist bei Unterlassungsverfügung stets in den Bereich der
Vollstreckung verlagert und führt nicht zur Unbestimmtheit des Unterlassungstenors.
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Der geltend gemachte Verfügungsanspruch folgt aus §§ 3, 4 Nr. 9a), 8 UWG unter dem
Gesichtspunkt der vermeidbaren betrieblichen Herkunftstäuschung. Mit den
beanstandeten Sesseln und Hockern hat die Antragsgegnerin Produkte angeboten, die
aufgrund der Ähnlichkeit der Gestaltung mit den bereits im Markt befindlichen
"Stressless"- Sesseln die Gefahr der Herkunftstäuschung begründen.
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Die Übernahme einer Gestaltungsform kann nach § 4 Nr. 9 UWG wettbewerbswidrig
sein, wenn das Erzeugnis von wettbewerblicher Eigenart ist und besondere Umstände
hinzutreten, die die Nachahmung als unlauter erscheinen lassen. Eines dieser
Unlauterkeitsmomente, dessen Vorliegen das Inverkehrbringen einer Nachahmung als
wettbewerblich unlauter im Sinne von § 4 Nr. 9a) UWG erscheinen lässt, liegt dann vor,
wenn hierdurch bei einem mehr als nur unbeachtlichen Teil des angesprochenen
Verkehrs die Gefahr betrieblicher Herkunftsverwechslungen begründet wird, obwohl
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diese durch geeignete und zumutbare Maßnahmen hätte vermieden werden können.
Bei der Prüfung dieser Frage ist von einer Wechselwirkung zwischen dem Grad der
wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie
den besonderen wettbewerblichen Umständen auszugehen. Je größer die
wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme ist, desto geringer sind
die Anforderungen an die besonderen Umstände, die die Wettbewerbswidrigkeit
begründen (vgl. nur BGH GRUR 2003,359 ff – Pflegebett; BGH WRP 2002, 1058 ff –
Blendsegel; BGH WRP 2001, 153, 155 – Messerkennzeichnungen; BGH GRUR 2000,
521, 523 – Modulgerüst; BGH GRUR 1999, 1106, 1108 – Rollstuhlnachbau).
Unter Zugrundelegen dieser Grundsätze erweist sich der Vertrieb der angegriffenen
Möbelstücke der Antragsgegnerin als wettbewerbswidrig.
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Das von der Antragstellerin vertriebene Sessel-Programm "Stressless" ist von
ausreichender wettbewerblicher Eigenart. Wettbewerbliche Eigenart weist ein
Erzeugnis auf, dessen konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale geeignet sind,
die angesprochenen Verkehrskreise auf die betriebliche Herkunft oder die
Besonderheiten des Erzeugnisses hinzuweisen (vgl. die oben zitierten Entscheidungen
des BGH). Das Sessel-Programm "Stressless" unterscheidet sich hinreichend von dem
vorgestellten wettbewerblichen Umfeld, wobei nicht zergliedernd auf die einzelnen
Elemente abgestellt werden darf, sondern der Gesamteindruck maßgeblich ist (BGH
WRP 2001, 153, 155 – Messerkennzeichnungen). Dieser wird beim "Stressless"-Sessel
geprägt vom Zusammenwirken folgender Gestaltungsmerkmale: Der eigentliche
Sesselkörper, der in unterschiedlichen Formen und Lederarten hergestellt wird, wird von
einem Grundgestell getragen, das sich aus einem ringförmig auf dem Boden
aufliegenden Element sowie aus zwei seitlich, S-förmig ausgestalteten Trägern
zusammensetzt. Der ringförmige auf dem Boden aufliegende Teil besteht aus einem aus
Metall hergestellten Gleitring, auf dem ein aus laminierter Buche hergestelltes Oberteil
aufgebracht ist. Die beiden seitlich angebrachten S-Träger sind ebenfalls aus
laminierter Buche hergestellt. Daraus ergibt sich ein individuelles Design, das gerade im
Möbelbereich, und speziell im Bereich der Ruhesessel, in aller Regel nur einem
bestimmten Hersteller zugeordnet wird. Dies zeigt auch das von der Antragsgegnerin
vorgelegte wettbewerbliche Umfeld. Dieses weist nicht nur unterschiedliche
Trägerformen auf. Es verdeutlicht auch, dass im Ruhesesselbereich, gerade das
Grundgestell von den Herstellern genutzt wird, um ihren Sesseln durch besondere
ästhetische Gestaltung ein individuelles Gesicht zu geben.
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Im wettbewerblichen Umfeld sind zwar ringförmige Grundgestelle zu finden. Es ist
jedoch kein Sessel vorhanden, der neben dem Ring auch die Trägerelemente in einer
S-Form aufweist. Die zum Beleg der Schwächung der wettbewerblichen Eigenart durch
die Antragsgegnerin angeführten Sessel-Programme unterscheiden sich im Bereich des
Grundgestells wesentlich von dem Sessel-Programm "Stressless", da - wenn sie eine
ringförmige Bodenauflage aufweisen - jedenfalls durchweg eine andere
Trägergestaltung gewählt wird. Alle Sessel von Elastoform Polstermöbel haben
parallele, schräg angeschnittene Träger. Die Sessel der Firma N weisen ebenfalls
parallele, schräg angeschnittene Träger auf, wobei das Metallgestell röhrenartig
anmutet und die Träger bei allen Holzgestellen nach oben hin schmal zulaufen und drei
übereinander angeordnete horizontale, nach oben hin kürzer werdende Schlitze
aufweisen. Die "Zerostress"-Sessel von I Polstermöbel haben unterschiedliche Träger
für Hocker und Sessel, wobei die Träger beim Hocker C-förmig verlaufen und beim
Sessel selbst eine Verlängerung der Armlehne sind und zunächst diagonal und dann
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gerade herunter verlaufen. Bei den Modellen der Firmen D und B ist nicht dargetan,
dass diese überhaupt in Deutschland vertrieben werden. Selbst wenn, wären auch
diese gerade im Hinblick auf die Trägerform unterschiedlich gestaltet. Der Vergleich mit
dem wettbewerblichen Umfeld verdeutlicht gerade, dass alle Hersteller bemüht sind,
sich durch eine besondere Gestaltung des Grundgestells, insbesondere der
Verbindungselemente, hervorzuheben und voneinander zu unterscheiden.
Aus den oben genannten Gründen handelt es sich bei der Gestaltung des Grundgestells
der "Stressless"-Sessel auch nicht um eine technisch bedingte Lösung, an der ein
Freihaltebedürfnis bestünde. Das wettbewerbliche Umfeld zeigt, dass jedenfalls die
Trägerform willkürlich wählbar ist.
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Das Sessel-Programm "Stressless" ist dem Verkehr auch hinreichend bekannt. Die
Annahme einer Verkehrsgeltung ist insoweit nicht erforderlich. Vielmehr reicht es aus,
wenn die betreffenden Produkte in der konkreten äußeren Gestaltung in den
maßgeblichen Verkehrskreisen so bekannt geworden sind, dass sich überhaupt
Verwechslungen ergeben können, wenn Nachahmungen auf den Markt gelangen (vgl.
BGH GRUR 2002, 275, 277 - Noppenbahnen) . Diese Voraussetzungen sind vorliegend
gegeben. Das Programm wird seit Jahrzehnten in Deutschland vertrieben mit einem
Umsatz allein in 2006 in Höhe von ca. 110 Mio. € nach dem Endverkaufspreis der
Produkte berechnet. Es wird über ca. 200 Studios in diversen Möbelhäusern vertrieben
mit einem Werbeaufwand allein für Deutschland von 4,5 €. Diese Angaben sind durch
die eidesstattliche Versicherung des Marketingmitarbeiters vom 1.3.2007 glaubhaft
gemacht.
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Es liegt auch eine Nachahmung vor, die die Gefahr von unmittelbaren Verwechslungen
begründet. Die Antragsgegnerin hat mit den im Tenor aufgeführten Sessel-
Kombinationen, die neben der ringförmigen Bodenauflage auch die S-förmigen Träger
bei Sessel und Hocker aufweisen, ein mit dem "Stressless"-Programm nahezu
identisches Grundgestell gewählt. Abweichende gestalterische Elemente, die eine
solche Verwechslung ausschließen könnten, sind nicht ersichtlich.
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Ob daneben auch die Wertschätzung der nachgeahmten Ware unangemessen
ausgenutzt wird im Sinne des § 4 Nr. 9b) UWG kann dahin gestellt bleiben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus dem Sinn und Zweck der
einstweilige Verfügung.
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