Urteil des LG Köln vom 19.05.2004

LG Köln: ungerechtfertigte bereicherung, ersatzbeschaffung, reparaturkosten, händler, markt, ersatzfahrzeug, wiederherstellung, billigkeit, sicherheitsleistung, vollstreckung

Landgericht Köln, 13 S 15/04
Datum:
19.05.2004
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 S 15/04
Vorinstanz:
Amtsgericht Bergheim, 27 C 348/03
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Bergheim
vom 2.12.2003 (27 C 348/03) abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 524,14 EUR nebst 5 %
Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.4.2003 zu
zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die
Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die
Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %
des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, falls nicht der
Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e
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Hinsichtlich des Tatbestands wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem
angefochtenen Urteil verwiesen.
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Die gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassene und deshalb ohne Erreichen des
Beschwerdewerts zulässige Berufung ist auch in der Sache erfolgreich. Das
Amtsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte
einen Anspruch auf Erstattung des Mehrwertsteueranteils in Höhe von 524,14 EUR aus
§ 249 BGB.
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Die Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig. Der Höhe nach ist die
Beklagte zur Erstattung des gesamten Bruttowiederbeschaffungswerts gemäß
Gutachten des Sachverständigen F vom 27.3.2003 (Bl. 12 ff. d.A.), d.h. auch des
Mehrwertsteueranteils in Höhe von 524,14 EUR, verpflichtet.
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Ob es sich bei der Ersatzbeschaffung eines Gebrauchtfahrzeugs um einen Fall der
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Naturalrestitution i.S.d. § 249 BGB und nicht um einen Wertersatzanspruch gemäß §
251 BGB wegen Unmöglichkeit der Wiederherstellung handelt, weil der Geschädigte
durch die Beschaffung eines gleichwertigen Gebrauchtfahrzeugs in dieselbe
wirtschaftliche Lage versetzt wird wie vor dem schädigenden Ereignis (vgl. BGHZ 115,
364; a.A. etwa Palandt/Heinrichs § 251 BGB Rn 12 m.w.N.), kann dahin stehen. Denn
im vorliegenden Fall ist nach Ansicht der Kammer selbst im Falle der Naturalrestitution
ein Abzug des Mehrwertsteueranteils gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht
vorzunehmen.
Der Wortlaut der Norm spricht zwar auf den ersten Blick gegen eine Erstattung des
Mehrwertsteuerbetrags. Jedoch rechtfertigen Sinn und Zweck der gesetzlichen
Regelung unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte im vorliegenden Fall die
Bejahung einer Erstattungsfähigkeit im Wege teleologischer Reduktion der Norm. Der
Gesetzgeber wollte durch die Neuregelung in erster Linie eine ungerechtfertigte
Bereicherung von Geschädigten vermeiden, die eine abstrakte Schadensberechnung
auf der Basis fiktiver Reparaturkosten vornehmen, ohne den Nachweis einer
ordnungsgemäßen Reparatur und des Anfalls der Umsatzsteuer auf die
Reparaturkosten zu führen. In der Gesetzesbegründung (BT-Dr. 14/7752, S. 23) wurde
auch der Fall der Wiederherstellung durch Ersatzbeschaffung von Privat ausdrücklich
als Beispiel für den Anwendungsbereich der gesetzlichen Neuregelung genannt. In
diesen Fällen soll die tatsächlich nicht angefallene Umsatzsteuer auch nicht erstattet
werden, um eine Überkompensation des Schadens zu vermeiden. Dabei ging der
Gesetzgeber offensichtlich davon aus, dass Reparaturarbeiten und Ersatzbeschaffung
regelmäßig als mehrwertsteuerpflichtige Leistungen zu erhalten sind, so dass die
Zubilligung des in den kalkulierten Reparaturkosten bzw. Wiederbeschaffungskosten
enthaltenen Mehrwertsteueranteils unabhängig von der tatsächlichen Durchführung
einer mehrwertsteuerpflichtigen Reparatur oder Ersatzbeschaffung eine
ungerechtfertigte Bereicherung des Geschädigten darstellen würde. Diese Überlegung
greift indes für Leistungen, die in der Regel nicht der (vollen) Mehrwertsteuer unterfallen,
wie die Ersatzbeschaffung von älteren Gebrauchtfahrzeugen, nicht durch (vgl. Huber
NZV 2004, 106).
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Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln (Urteil vom 5.12.2003 - 19 U
85/03), der die Kammer folgt, ist bei der abstrakten Schadensberechnung nach den
fiktiven Kosten der Ersatzbeschaffung eines gebrauchten Fahrzeugs im
Bruttowiederbeschaffungswert in der Regel nur ein nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB n.F.
nicht zu ersetzender Mehrwertsteueranteil von ca. 2 % (Differenzbesteuerung gemäß §
25 a UStG) enthalten (ebenso AG Bergisch Gladbach, Urteil vom 5.8.2003, 61 C 122/03;
AG Erkelenz, Urteil vom 27.6.2003, 15 C 226/03; AG Holzminden, Urteil vom
20.12.2002, 10 C 384/02; AG Homburg, Urteil vom 17.4.2003; AG Kaiserslautern, Urteil
vom 20.6.2003, 8 C 558/03; AG Papenburg, Urteil vom 19.6.2003, 2 C 162/03; a.A. AG
Amberg, Urteil vom 8.5.2003, 2 C 1520/02; AG Berlin-Mitte, Urteil vom 28.2.2003, 101 C
3391/02; AG Bochum, Urteil vom 12.12.2002, 42 C 535/02; AG Geilenkirchen, Urteil
vom 11.4.2003, 5 C 199/02; AG Gladbeck, Urteil vom 9.12.2002, 12 C 327/02; AG
Göttingen, Urteil vom 3.6.2003, 22 C 179/03), weil der Geschädigte sich nicht darauf
verweisen lassen muss, ein vergleichbares Fahrzeug von einem
Gebrauchtwagenhändler, das dieser nicht von einem Privatmann erworben hat und für
das demnach die volle Mehrwertsteuer in Höhe von 16 % anfällt, zu erwerben, sondern
auch ein nur der Differenzbesteuerung in Höhe von ca. 2 % unterliegendes Fahrzeug
erwerben kann, das ein Gebrauchtwagenhändler von einem Privatmann erworben hat.
Nach dieser Entscheidung ist im Wiederbeschaffungswert sogar überhaupt keine
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Mehrwertsteuer enthalten und deshalb ein Abzug gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB auch
nicht in Höhe der Differenzbesteuerung vorzunehmen, wenn es sich um ein älteres
Fahrzeug handelt, das nahezu ausschließlich auf dem privaten Gebrauchtwagenmarkt
angeboten wird (ebenso AG Hameln, Urteil vom 27.6.2003, 20 C 89/03), weil ein
solches Fahrzeug nur in seltenen Fällen von einem Gebrauchtwagenhändler erworben
werden kann. Hat in einem solchen Fall der Sachverständige im Schadensgutachten
einen Bruttowiederbeschaffungswert einschließlich der 16 % MwSt. angegeben, ist es
eine Frage der tatsächlichen Feststellungen im Einzelfall, ob dieser
Bruttowiederbeschaffungswert dem auf dem privaten Markt zu zahlenden Nettopreis
entspricht (ebenso AG Münsingen, Urteil vom 6.5.2003, 2 C 32/03).
Danach ist vorliegend kein Abzug des (fiktiven) Mehrwertsteueranteils vorzunehmen,
der in dem vom Sachverständigen F ermittelten Bruttowiederbeschaffungswert enthalten
ist. Die Beklagte bestreitet nicht, dass das Fahrzeug des Klägers, ein Golf III TDI, im
Zeitpunkt der Beschädigung neun Jahre alt war, wie es sich auch aus dem
Sachverständigengutachten ergibt (Erstzulassung: 29.9.1994; Laufleistung: 182.325
km). Dass vergleichbare Fahrzeuge jedenfalls seit der Schuldrechtsreform mit der damit
verbundenen Verschärfung des Gewährleistungsrechts regelmäßig nicht bei
gewerblichen Autohändlern mit der Möglichkeit des Mehrwertsteuernachweises
angeboten werden, kann ohne weiteres angenommen werden. Dass dies im Einzelfall
anders sein mag (etwa durch Inzahlungnahme und Weiterveräußerung gebrauchter
Fahrzeuge durch Kfz-Händler), ist nicht ausschlaggebend, sondern es kommt darauf an,
ob es einen "Händlermarkt" gibt, d.h. die Möglichkeit eines Preis-Leistungs-Gefälles
zwischen privatem Markt und Händlermarkt. Dies ist bei Fahrzeugen dieses Alters und
dieser Laufleistung zu verneinen, da solche Autos in der Regel nur von Privatleuten
veräußert werden, weil Händler sich insbesondere wegen des Haftungsrisikos und der
geringen Gewinnspanne nicht mit derartigen Fahrzeugen "belasten" wollen. Dafür
spricht neben dem auszugsweise vorgelegten Gutachten des Sachverständigen M vom
24.2.2003 (Bl. 50 ff. d.A.) bzgl. eines 11 Jahre alten Seat Toledo (Laufleistung: 110.700
km), wonach derartige Fahrzeuge nicht mehr bei einem "seriösen Händler" zu erwerben
seien, auch der Umstand, dass in dem Gutachten des Sachverständigen F vom
27.3.2003 die Mehrwertsteuer bzgl. des Wiederbeschaffungswerts - im Unterschied zu
den Reparaturkosten - nicht gesondert ausgewiesen wurde.
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Dieses Ergebnis entspricht auch der Billigkeit, da der Kläger durch Vorlage des
Kaufvertrags vom 24.4.2003 (Bl. 49 d.A.) nachgewiesen hat, dass er ein dem
beschädigten Fahrzeug vergleichbares Ersatzfahrzeug erworben hat, dessen
Anschaffungskosten mit 4.500 EUR höher waren als die von dem Sachverständigen
kalkulierten Wiederbeschaffungskosten des beschädigten Fahrzeugs in Höhe von 3.800
EUR. Auch unter Berücksichtigung der geringeren Laufleistung des Ersatzfahrzeugs
(135.000 km) im Vergleich zu dem beschädigten Fahrzeug (182.325 km) ist danach
davon auszugehen, dass der von dem Sachverständigen kalkulierte
Bruttowiederbeschaffungswert dem tatsächlich erforderlichen Aufwand für die
Beschaffung eines adäquaten Ersatzfahrzeugs entspricht (§ 287 ZPO), zumal die
Beklagte weder bestritten hat, dass die beiden Fahrzeuge vergleichbar sind noch dass
der für das Ersatzfahrzeug gezahlte Preis angemessen war.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Zulassung der Revision ist i.S.d. § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Fortbildung des Rechts
bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, da zur Frage der
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Erstattungsfähigkeit von Mehrwertsteuer bei der Ersatzbeschaffung von älteren
Gebrauchtfahrzeugen gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB n.F. unterschiedliche
Auffassungen der Instanzgerichte vertreten werden und die maßgebliche Rechtsfrage
auch nicht durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20.4.2004 (VI ZR 109/03)
höchstrichterlich geklärt werden konnte, sondern ausdrücklich offen gelassen wurde.
Berufungsstreitwert: 524,14 EUR
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