Urteil des LG Köln vom 01.02.2007
LG Köln: verfügung, regress, zustellung, aufspaltung, beschränkung, anfang, eigenschaft, verjährungsfrist, sicherheitsleistung, erlass
Landgericht Köln, 30 O 127/06
Datum:
01.02.2007
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
30. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
30 O 127/06
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem klagenden Land auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T A T B E S T A N D:
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Am 27.08.2000 kam es zu einem Geschehen, aufgrund dessen das klagende Land nach
dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) Leistungen an das Opfer, einen Herrn E
erbrachte. Im Rahmen des Leistungsverfahrens erging am 19.10.2001 durch die
Bezirksregierung Münster als Widerspruchsbehörde ein Widerspruchsbescheid. Die
Unterschriftsleistung erfolgte "im Auftrag" durch den Mitarbeiter der Bezirksregierung
Münster Regierungsdirektor C, der aufsichtsführender Dezernent der zuständigen
Abteilung war.
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Das klagende Land begehrt vom Beklagten als - so behauptet - Täter aus
übergegangenem Recht gemäß § 5 Opferentschädigungsgesetz (OEG) i. V. m. § 81 a
Bundesversorgungsgesetz (BVG) Schadensersatz.
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Die Akten des Regressverfahrens wurden gemäß der für das Land Nordrhein-Westfalen
geltenden Aufgabenverteilung bei der Bezirksregierung Münster geführt. Dort gingen die
Akten - vom für das Leistungsverfahren zuständigen Versorgungsamt Köln kommend -
im Februar 2003 ein. Am 17.02.2003 erging die Verfügung Bl. 51 der Regressakten
einschließlich der Berechnung zur Verjährung. Die Unterschrift erfolgte wiederum "im
Auftrag" durch Regierungsdirektor C, diesmal als aufsichtsführenden Dezernenten der
Regressabteilung.
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Das klagende Land beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin aus Anlass der am 27.08.2000
an Herrn E, geb. am 14.06.1954, vorsätzlich begangenen unerlaubten
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Handlung 10.643,41 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
Basiszins seit Zustellung des Mahnbescheids zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er erhebt die Einrede der Verjährung. Bei Zustellung des Mahnbescheids am
15.02.2006 sei Verjährung bereits eingetreten gewesen.
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Das klagende Land tritt dem entgegen. Kenntnis von den für den Beginn der Verjährung
maßgeblichen Tatsachen und von der Person des Schädigers habe es erstmals mit
Eingang der Akten vom Versorgungsamt Köln kommend am 13.02.2003 erhalten. Durch
Eingang des Antrages auf Erlass eines Mahnbescheids beim zuständigen Gericht am
27.01.2006 sei der Lauf der Verjährung vor Ablauf der 3-jährigen Verjährungsfrist
gehemmt worden.
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Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den
Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die beigezogenen
Akten des Versorgungsamtes Köln und der Bezirksregierung Münster (AZ: 2a E-824/03),
die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug
genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Dem klagenden Land steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch gegen den
Beklagten nicht zu.
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Denn der geltend gemachte Anspruch war bei Einleitung des Mahnverfahrens bereits
verjährt, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB n. F.
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In der Person des Regierungsdirektors C als "Wissensvertreter" im Sinne des § 166
BGB erlangte das klagende Land nicht erst durch Eingang der Akten im Rahmen des
Regressverfahrens am 13.02.2003 Kenntnis im Sinne der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB n. F.,
sondern im Rahmen des Leistungsverfahrens bereits am 19.10.2001. Im Januar 2006
war bereits Verjährung eingetreten.
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I.
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In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass für die Kenntnis von den den
Anspruch begründenden Umständen für den Bereich einer Behörde nicht auf die
Kenntnis eines beliebigen Mitarbeiters abgestellt werden kann. Vielmehr ist erforderlich,
dass der Rechtsträger den "Wissensvertreter" mit der Erledigung bestimmter
Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut hat. Voraussetzung für die Annahme
eines "Wissensvertreters" sind also dessen Sachzuständigkeit und
Eigenverantwortlichkeit (vgl. nur BGH NJW 1985, 2583; BGH NJW 1986, 2315 f, VI ZR
133/85, Urteil vom 22.04.1986; BGHZ 134, 343 ff., VI ZR 306/95, Urteil vom 04.02.1997;
vgl. auch BGH NJW 2000, 1411, III ZR 198/99, Urteil vom 09.03.2000). Der
Bundesgerichtshof ließ in NJW 1986, 2315, 2316 (unter II. 2. b) bb) offen, ob anders zu
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entscheiden gewesen wäre, wenn ein innerhalb der für Regressangelegenheiten
zuständigen Arbeitseinheit tätiger Sachbearbeiter, der nach der internen
Geschäftsverteilung für die Bearbeitung des konkreten Regressfalles nicht zuständig ist,
die nach § 852 Abs. 1 BGB - seinerzeit noch alte Fassung - vorausgesetzte Kenntnis
erlangt.
II.
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1. Der vorliegende Fall, dass - hier in der Person des Regierungsdirektors C - der
gleiche Mitarbeiter sowohl hinsichtlich des Leistungsverfahrens - hier als
Widerspruchsbehörde - als auch hinsichtlich des Regressverfahrens "im Auftrag"
sachlich zuständig und verantwortlich war, ist in der höchstrichterlichen
Rechtsprechung - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.
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2. Zwei Gesichtspunkte sind bei der Entscheidung im konkreten Fall durch die
Kammer insbesondere auch zu berücksichtigen gewesen:
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a) Wie wirkt es sich aus, wenn die selbe Person im Rahmen des
Leistungsverfahrens Kenntnis erlangt und später erneut im Rahmen des
Regressverfahrens mit der Sache befasst wird?
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b) Ist auch der zuständige Dezernent als "Wissensvertreter" mit der Erledigung
bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut? Oder gilt dies nur für
den (einen) Akten-Sachbearbeiter?
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3. Nach Abwägung aller vorgenannten Gesichtspunkte geht die Kammer für diesen
Fall von folgendem Grundsatz aus:
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Wird eine Person sowohl im Leistungsverfahren als auch - später erneut - im
Regressverfahren als Dezernent mit einer Angelegenheit zuständigkeitshalber befasst
und unterschreibt er im Rahmen des üblichen Verfahrensgangs jeweils "im Auftrag",
so ist für die - im Rahmen der Verjährung zu prüfende - Erlangung der Kenntnis von
den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners auf die
Kenntnis (oder grob fahrlässige Unkenntnis) im Rahmen des Leistungsverfahrens
abzustellen.
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a) Denn zum einen ist die Kenntnis des "Wissensvertreters" einheitlich zu
betrachten, d. h. ohne eine willkürliche Aufspaltung in eine im Bereich Leistung
erzielte Kenntnis und eine solche aus dem Bereich Regress. Bei aller – auch vom
BGH akzeptierten – innerbehördlichen Aufgabenverteilung ist es doch die eine
"ungespaltene" Person, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit - einerseits Leistung,
andererseits Regress - Kenntnis erlangte.
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b) Zum anderen ist auch der jeweils zuständige Dezernent "Wissensvertreter",
zumindest wenn er wie hier tätig wurde. Entgegen der Auffassung des klagenden
Landes ist die Stellung als "Wissensvertreter" nicht an den einen einzigen Akten-
Sachbearbeiter in der Regressabteilung geknüpft. Die Auffassung des klagenden
Landes ist schon insoweit mit der Regelung des § 166 BGB nicht vereinbar. Eine
solche Auffassung steht auch im Widerspruch zur Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs, aus der sich eine Beschränkung auf eine einzige Person nicht
herleiten lässt. Zudem war die Tätigkeit des Dezernenten konkret nicht durch
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Aufsichtsführung oder die Stellung als Dienstvorgesetzter geprägt: Sowohl im
Rahmen des Leistungsverfahrens als auch des Regressverfahrens zeichnete er die
Entscheidung oder Verfügung nicht nur z.B. "zur Kenntnis/gesehen" ab - und dies
hätte nach Einschätzung der Kammer schon für eine Kenntnis genügen dürfen -;
vielmehr unterschrieb er selbst und "im Auftrag" also in einer Weise, die
nachgeordneten Mitarbeitern nicht zukam. Dass aber der Unterschriftsleistung des
Dezernenten nicht eine entsprechende Willens- und Wissensbildung seitens des
Unterschreibenden vorausging, wird auch das klagende Land nicht ernsthaft in den
Raum stellen wollen.
c) Es mag sein, dass der zuständige Dezernent beim Unterschreiben der
Verfügung am 17.03.2003 möglicherweise kein Bewusstsein hatte, dass die Akten
ihm mit den den Anspruch begründenden Tatsachen und der Person des
Schädigers ihm schon mal vorgelegen hatten. Ein solches Bewusstsein ist indes
nicht erforderlich. Zudem hätte er ohne weiteres - nur bei kurzer Durchsicht der
Leistungsakten - Kenntnis vom Widerspruchsbescheid und der Begleitverfügung
um somit von seiner Unterschrift nehmen können.
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4. Der Anspruchsübergang nach §§ 5 OEG, 81 a BVG, 823 BGB auf das klagende
Land erfolgte - da von Anfang an die Möglichkeit von Versorgungsleistungen nach
dem OEG bestand - bereits im Augenblick der dem Beklagten zur Last gelegten
Verletzungshandlung, spätestens aber mit Durchführung des Leistungsverfahrens.
Regierungsdirektor C war - in seiner Eigenschaft als Dezernent - im Rahmen des
Widerspruchsverfahrens sachlich zuständig und verantwortlich mit der Erledigung der
Angelegenheit betraut. Er erlangte am 19.10.2001 Kenntnis von den den Anspruch
nach §§ 5 OEG, 81 a BVG begründenden Umständen und von der Person des
Beklagten als Schuldner, der im Rahmen des Leistungsverfahrens auch bereits
namhaft war.
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Gemäß Art. 229 § 6 EGBGB i. V. m. § 199 Abs. 1 BGB n. F. verjährte der Anspruch am
31.12.2004.
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III.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
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Streitwert: 10.643,41 €
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