Urteil des LG Köln vom 18.08.2010
LG Köln (allgemeine geschäftsbedingungen, agb, kläger, zustellung, geschäftsbedingungen, klausel, verhältnis zu, persönliche beziehung, express, nachbar)
Landgericht Köln, 26 O 260/08
Datum:
18.08.2010
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
26. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
26 O 260/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Unterlassungsanspruch hinsichtlich der
Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen geltend. Der Kläger ist ein
rechtsfähiger Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrnehmung von
Verbraucherinteressen durch Beratung und Aufklärung gehört.
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Die streitgegenständliche Regelung in § 4 Abs. 3 der AGB Paket/Express National (im
Folgenden: AGB) lautet:
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"§ 4 Leistungen der B
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(…)
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(3) B darf Sendungen, die nicht in der in Absatz 2 genannten Weise abgeliefert
werden können, einem Ersatzempfänger aushändigen. Dies gilt nicht für
Sendungen mit dem Service "Eigenhändig", Express-Sendungen mit dem Service
"Transportversicherung 25.000,- EURO" und EXPRESS BRIEFE mit dem Service
"Transportversicherung 2.500,- EURO". Ersatzempfänger sind
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1. Angehörige des Empfängers oder des Ehegatten, oder
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2. andere, in den Räumen des Empfängers anwesende Personen, sowie dessen
Hausbewohner und Nachbarn, sofern den Umständen nach angenommen werden
kann, dass sie zur Annahme der Sendungen berechtigt sind; EXPRESS BRIEFE
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werden nicht an Hausbewohner und Nachbarn ausgehändigt. (…)"
Mit Schreiben vom 15.07.2008 forderte der Kläger die Beklagte zur Abgabe einer
strafbewehrten Unterlassungserklärung hinsichtlich der Verwendung von § 4 Abs. 3
AGB betreffend die Aushändigung von Sendungen an Nachbarn und Hausbewohner
als Ersatzempfänger auf.
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Der Kläger trägt unter Berufung auf entsprechende Studien vor, der Klage liege eine
Vielzahl von Verbraucherbeschwerden zugrunde. Der Kläger ist der Ansicht, § 4 Abs. 3
AGB sei im Hinblick auf die dort gestattete Ersatzzustellung an Nachbarn und
Hausbewohner des Sendungsempfängers unangemessen benachteiligend. Dies gelte
insbesondere wegen der Gefahr der Aushändigung von Sendungen an unbefugte
Personen und der damit verbundenen Gefahr des Abhandenkommens. Die Klausel sei
insoweit gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB wegen unvereinbarer Abweichung von dem
wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung in §§ 407 Abs. 1, 418 Abs. 3
HGB unwirksam. Der Kreis der Nachbarn und Hausbewohner sei zudem zu unbestimmt,
weswegen die Klausel auch gegen das Transparenzgebot in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB
verstoße.
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Der Kläger beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der
Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, ersatzweise für den Fall,
dass dieses nicht beigetrieben werden kann, der Ordnungshaft, oder der
Ordnungshaft es zu unterlassen, die nachfolgenden oder dieser inhaltsgleichen
Bestimmungen in Bezug auf Beförderungsverträge zu verwenden, sofern nicht der
Vertrag mit einer Person abgeschlossen wird, die in Ausübung ihrer gewerblichen
oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt (Unternehmer):
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"§ 4 Leistungen der B
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(3) B darf Sendungen
abgeliefert werden können,)
einem Ersatzempfänger aushändigen
gilt nicht für Sendungen mit dem Service "Eigenhändig", Express-
Sendungen mit dem Service "Transportversicherung 25.000,- Euro".)
Ersatzempfänger sind
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(1. Angehörige des Empfängers oder des Ehegatten, oder
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(2. andere, in den Räumen des Empfängers anwesende Personen,
sowie)
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dessen Hausbewohner und Nachbarn, sofern den Umständen nach
angenommen werden kann, dass sie zur Annahme der Sendungen
berechtigt sind
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(; EXPRESS BRIEFE werden nicht an Hausbewohner und Nachbarn
ausgehändigt)"
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2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 200,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2008 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte trägt vor, mangels Vertragsabschlusses mit Verbrauchern sei sie nicht
passivlegitimiert, da im Privatkundenbereich Verträge in Vertretung der Q AG
geschlossen würden. Die Zahl der Beschwerden zum Thema Ersatzzustellung sei
verschwindend gering. Die Beklagte ist der Ansicht, es liege schon keine Verwendung
von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber dem Sendungsempfänger vor, da
Vertragspartner des Postbeförderungsvertrages allein der Absender sei. Zudem stehe
§ 4 Abs. 3 AGB in Einklang mit § 2 der Postuniversaldienstleistungsverordnung
(PUDLV). Diese Vorschrift sehe wie die Vorgängervorschrift in § 51 Abs. 2 Ziff. 4
Postordnung die Möglichkeit der Ersatzzustellung an Hausbewohner und Nachbarn vor.
Die angegriffene Klausel sei auch inhaltlich hinreichend klar und verständlich.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten und zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist unbegründet.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Unterlassung der Verwendung
von § 4 Abs. 3 AGB im Hinblick auf die Ersatzzustellung von Sendungen an Nachbarn
und Hausbewohner zu, §§ 1, 2, 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG.
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Dies folgt nicht bereits daraus, dass die Beklagte die angegriffene Klausel nicht im
Verbraucherbereich verwendet (§§ 1, 2 UKlaG). Die Verwendung gegenüber
Verbrauchern ergibt sich daraus, dass sich der Internetauftritt der Beklagten in Bezug
auf die Versendung von Paketen gerade auch an Privatkunden richtet. Entsprechend
dem Vortrag des Klägers und im Übrigen gerichtsbekannt bietet die Internetseite der
Beklagten die Möglichkeit der Online-Frankierung und hält in den dort aufrufbaren
Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine speziell an Verbraucher gerichtete
Widerrufsbelehrung vor. Die von der Beklagten zunächst behauptete Vertreterstellung
für die Q AG im Privatkundenbereich ändert aufgrund der Online-Frankiermöglichkeit für
Privatkunden und der Abrufbarkeit der Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf der
Internetseite nichts daran, dass die Beklagte jedenfalls in einem Teilbereich ihrer
Tätigkeit Allgemeine Geschäftsbedingungen gegenüber Verbrauchern verwendet. Auch
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hat die Beklagte insoweit eingeräumt, dass die Vertreterstellung auf der Homepage
nicht deutlich zum Ausdruck komme.
Auch steht einem Unterlassungsanspruch des Klägers nicht schon der Umstand
entgegen, dass die Klausel über die Zustellung an Ersatzempfänger lediglich in den
jeweiligen Vertrag zwischen dem Absender und der Beklagten einbezogen wird, die
Unwirksamkeit nach dem Vortrag des Klägers aber gleichwohl aus nachteiligen
Auswirkungen für den jeweiligen Sendungsempfänger resultiert. Der Kläger beruft sich
vornehmlich auf die Wahrnehmung der Verbraucherschutzrechte der
Sendungsempfänger. Die Interessen der Sendungsempfänger als Dritten finden
vorliegend jedoch mittelbar über die Interessen des Absenders Berücksichtigung. Bei
den Sendungsempfängern handelt es sich um in den Vertrag einbezogene Dritte, deren
Interessen typischerweise von dem vertragschließenden Absender wahrzunehmen sind
(vgl. Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 5. Aufl. 2009, § 307 Rn. 166). Dies gilt
insbesondere mit Blick auf spezielle Zustellarten wie etwa Express-Sendung oder
Eigenhändigkeitsvermerk, die seitens des Absenders bei entsprechendem Willen des
Sendungsempfängers zu beauftragen sind. Hinsichtlich der mittelbaren
Berücksichtigung der Empfängerinteressen ist zudem auch die Vorschrift über den
Gefahrübergang beim Versendungskauf in § 447 BGB heranzuziehen. Der in § 447
BGB geregelte Gefahrübergang durch Übergabe der Sache an die zur Ausführung der
Versendung bestimmte Person geht zulasten des Empfängers und ist ein typischer
Anwendungsfall des Rechtsinstituts der Drittschadensliquidation. Letzteres dient der
Wahrung der Interessen des geschädigten Dritten/Sendungsempfängers, der sich den
durch Beiziehung seines Schadens bestehenden Schadensersatzanspruch des
Versenders abtreten lassen kann. Über die Grundsätze der Drittschadensliquidation
sind Drittinteressen des auf Seiten des Absenders stehenden Sendungsempfängers
mittelbar auch bei der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu
berücksichtigen (vgl. Wolf/Lindacher/Pfeiffer, a. a. O., Rn. 172). § 447 BGB ist gemäß
§ 474 Abs. 2 S. 2 BGB zwar nicht im Vertragsverhältnis zwischen Unternehmer und
Verbraucher anzuwenden, greift aber gleichwohl bei der Abwicklung von Kaufverträgen
zwischen Privaten ein. Die durch die Möglichkeit einer Ersatzzustellung an Nachbarn
und Hausbewohner entstehenden etwaigen Nachteile für den Empfänger können daher
grundsätzlich auch im Vertragsverhältnis zwischen Absender und Zusteller zu einer
unangemessenen Benachteiligung führen.
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Das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs des Klägers scheidet aus dem Grund
aus, dass die in § 4 Abs. 3 AGB geregelte Möglichkeit der Ersatzzustellung an
Nachbarn und Hausbewohner nicht nach den §§ 307 bis 309 BGB unwirksam ist, § 1
UKlaG. Die Klausel in § 4 Abs. 3 AGB ist auch unter Berücksichtigung der Interessen
des Sendungsempfängers weder wegen unangemessener Benachteiligung gemäß
§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB noch wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot aus § 307
Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam.
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Nach Auffassung des OLG Düsseldorf (Urt. v. 14.03.2007, Az. I-18 U 163/06, juris Rn. 6
ff.) sind Allgemeine Geschäftsbedingungen eines Frachtführers unwirksam, wonach
dieser statt an den vertragsmäßigen Empfänger auch an dessen Nachbarn zustellen
darf. Zur Begründung wird angeführt, dass auch ein Nachbar im engsten Sinne ein
Dritter sei, den sich der frachtbriefmäßige Empfänger nicht aussuchen konnte und mit
dem ihn nicht zwingend eine persönliche Beziehung oder ein besonderes
Vertrauensverhältnis verbinde; allgemein und gerichtsbekannt seien Nachbarn
untereinander nicht selten gleichgültig oder sogar verfeindet.
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Dieser Wertung vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Dies gilt jedenfalls für
den Bereich der Zustellung von Postpaketen, da im Hinblick auf das Massengeschäft
Paketzustellung davon auszugehen ist, dass die Zustellung an Ersatzempfänger in
Person von Nachbarn und Hausbewohnern Ausdruck einer anerkannten
Verkehrsübung und der Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs ist.
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Die Verkehrssitte findet trotz fehlender ausdrücklicher Erwähnung bei der
Interessenabwägung im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB
Beachtung (BGH 30.10.1984, Az. VIII ARZ 1/84, BGHZ 92, S. 363, 368; 01.07.1987, Az.
VIII ARZ 9/86, NJW 1987, S. 2575, 2576; 07.06.1989, Az. VIII ZR 91/88, BGHZ 108, S.
1, 6;).
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Nach Auffassung der Kammer entspricht es einer weithin anerkannten Verkehrssitte,
dass ein Paket bei Nichtantreffen des Empfängers bei dessen Nachbarn abgegeben
und ein entsprechender Hinweis in den Briefkasten eingeworfen wird. Dies steht im
Einklang mit dem Interesse des Empfängers, die Sendung unweit von seiner Wohnung
und nicht erst im nächsten Service-Center und nur zu den dort geltenden Öffnungszeiten
entgegennehmen zu können. Dies gilt jedenfalls bei eindeutiger Kenntlichmachung des
verwahrenden Nachbarn oder Hausbewohners. Zudem hat der Absender bei
"sensiblen" Sendungen, die ausschließlich dem Empfänger ausgehändigt werden
sollen, die Möglichkeit, die Ersatzzustellung durch den Vermerk "Eigenhändig"
auszuschließen.
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Dass es nichtsdestotrotz aufgrund Missbrauchs der Ersatzempfänger und fehlender
Sorgfalt der Zustellpersonen im Einzelfall zu Sendungsverlusten kommen kann, ist auch
angesichts des verobjektivierten Prüfungsmaßstabs bei der Inhaltskontrolle Allgemeiner
Geschäftsbedingungen hinzunehmen. § 4 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Hs. 2 AGB erfordert zudem
eine Abwägung des Zustellers in jedem Einzelfall, da es danach darauf ankommt, ob
den Umständen nach angenommen werden kann, dass Nachbarn oder Hausbewohner
zur Annahme der Sendungen berechtigt sind. In aller Regel ist von einer
Annahmeberechtigung nur bei einem nah entfernt wohnenden Nachbarn, der dem
Sendungsempfänger zumeist näher bekannt sein dürfte, auszugehen. Entgegen der
Auffassung des OLG Düsseldorf (Urt. v. 14.03.2007, a. a. O., Rn. 7) wird ein Großteil der
(auch städtischen) Bevölkerung bemüht sein, im Hinblick auf ein geordnetes
Zusammenleben ein möglichst gutes Verhältnis zu Nachbarn und Hausbewohnern zu
pflegen.
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Zwar kann eine AGB-Klausel unangemessen sein, wenn die den Klauselinhalt
gestattende Verkehrssitte missbräuchlich ist (BGH 05.06.1984, Az. X ZR 75/83, BGHZ
91, S. 316, 319; 17.01.1989, Az. XI ZR 54/88, BGHZ 106, S. 259, 267; OLG Hamm
08.06.1989, Az. 18 U 186/88, NJW-RR 1990, S. 567, 570). Vom Vorliegen einer
missbräuchlichen Verkehrssitte ist hier jedoch nicht auszugehen. Unangemessen ist
eine Benachteiligung nur dann, wenn der Verwender ohne Berücksichtigung der
Belange des Vertragspartners eigene Interessen missbräuchlich durchzusetzen
versucht (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 69. Aufl. 2010, § 307 Rn. 8 m.w.N.). Durch die
Möglichkeit der Ersatzzustellung an Nachbarn und Hausbewohner wird zwar auch das
Interesse der Beklagten an einer effektiven, schnellen und kostensparenden Zustellung
gewahrt. Diese Kriterien prägen jedoch gleichermaßen auch die Belange des jeweiligen
Sendungsempfängers und dienen nicht ausschließlich und eigennützig den
ökonomischen Zielen der Beklagten. Das darüber hinausgehende Interesse des
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Empfängers an einer sicheren Zustellung ohne Sendungsverlust mag bei
Aushändigung der Sendung an Nachbarn oder Hausbewohner im Einzelfall verletzt
werden. Dies kann jedoch insbesondere unter Berücksichtigung des Bestehens
besonderer Zustellarten, bei deren Vereinbarung die Sendung ausschließlich dem
Empfänger ausgehändigt werden darf, nicht zur Annahme einer missbräuchlichen
Interessendurchsetzung durch die Beklagte führen.
Zudem ist bei der Abwägung im Rahmen des § 307 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen,
dass die Aushändigung der Sendung an einen Ersatzempfänger bei fehlender
gegenteiliger Weisung des Absenders oder Empfängers gemäß § 2 Ziff. 4 PUDLV
gestattet ist. Im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung nach § 307 Abs. 1 BGB
sind die sich aus der Gesamtheit der Rechtsordnung ergebenden Bewertungskriterien
einzubeziehen (BGH 24.07.2008, Az. VII ZR 55/07, BGHZ 178, S. 1 ff.). Die Vorschrift
des § 2 Ziff. 4 PUDLV ist entgegen der Ansicht des Klägers bei der vorliegenden
Beurteilung auch in inhaltlicher Hinsicht einschlägig. Zwar sind darin Nachbarn und
Hausbewohner nicht ausdrücklich als Ersatzempfänger benannt. Die Einbeziehung von
Nachbarn und Hausbewohnern ergibt sich jedoch aus der Regelung in § 51 Abs. 2 Ziff.
4 PostO, die als Vorgängervorschrift zu § 2 Ziff. 4 PUDLV bei der Auslegung
Berücksichtigung finden muss. Die Regelung in § 51 Abs. 2 Ziff. 4 PostO stellt nach
Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts keinen Verstoß gegen das Postgeheimnis
dar (Beschl. v. 15.03.1984, Az. 7 B 167/82, NJW 1984, S. 2112 f.). Dabei wird die
Zulässigkeit der Zustellung an Ersatzempfänger in Person von Nachbarn und
Hausbewohnern gerade auch unter Hinweis auf die Umstände bei der
Massendienstleistung und der Möglichkeit der Kennzeichnung einer Sendung mit
"Eigenhändig" festgestellt. Dass der Verordnungsgeber mit dem Erlass der PUDLV
auch in Anbetracht der Privatisierung der Postdienstleistungen weiterhin an der
Möglichkeit der Ersatzzustellung an Nachbarn und Hausbewohner festgehalten hat,
spricht gegen das Vorliegen einer unangemessenen Benachteiligung. Auch der
materiellgesetzlichen Regelung liegt eine Abwägung der widerstreitenden Interessen
und insbesondere die Berücksichtigung der Interessen der Sendungsempfänger
zugrunde.
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An dieser Einschätzung vermag auch die mit nachgelassenem Schriftsatz des Klägers
vom 02.07.2010 erneut geltend gemachte Vielzahl von Beschwerden und
Bürgereingaben nichts zu ändern. Dieser Vortrag erscheint insbesondere angesichts
der Entgegnung der Beklagten, die Beschwerdezahl beziehe sich auf die Zustellung
insgesamt, als zu pauschal. Zum anderen sind der seitens des Klägers vorgelegte
Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur und ähnliche Studien lediglich geeignet, den
Verordnungsgeber zu einer Präzisierung der entsprechenden Vorschriften der PUDLV
und die Beklagte sowie weitere Zustelldienste zu einer Verbesserung des Zustellservice
durch verstärkte Kontrolle der Zustellung im Einzelfall anzuhalten. Eine generelle
Abschaffung der Zustellung an Ersatzempfänger wie Nachbarn und Hausbewohner, die
durch die Unwirksamkeitserklärung entsprechender Allgemeiner Geschäftsbedingungen
de facto eintreten würde, ist dadurch nicht angezeigt und allem Anschein nach auch
nicht bezweckt.
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Die Klausel in § 4 Abs. 3 AGB verstößt hinsichtlich der Möglichkeit der Ersatzzustellung
an Nachbarn und Hausbewohner ferner nicht gegen das Transparenzgebot aus § 307
Abs. 1 S. 2 BGB.
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Nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung im Sinne
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des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und
verständlich ist. Maßgeblich ist die Sichtweise eines typischen Vertragspartners des
Klauselverwenders, wobei die Transparenzanforderungen nicht überspannt werden
dürfen (vgl. BGH 10.07.1990, Az. XI ZR 275/89, BGHZ 112, S. 115, 119; 10.03.1993, Az.
VIII ZR 95/92, NJW 1993, S. 2052, 2054). Grundsätzlich steht auch einer Übernahme
unbestimmter und der Auslegung bedürfender Rechtsbegriffe nichts entgegen (BGH
02.02.1994, Az. VIII ZR 262/92, NJW 1994, S. 1004; Palandt-Grüneberg, a. a. O., § 307
Rn. 18)
Das OLG Düsseldorf hat in seiner o.g. Entscheidung im Hinblick auf den Begriff
"Nachbar" einen Verstoß gegen das Transparenzgebot angenommen, da weder das
Klauselwerk eine eigene Definition enthalte, noch Rechts- und Umgangssprache zu
einer verlässlichen Begriffsbestimmung verhülfen (Urt. v. 14.03.2007, a. a. O., Rn. 6).
Dem mag zuzugeben sein, dass der Rechtsterminus "Nachbar" insbesondere mit Blick
auf das öffentliche Baurecht zum Teil nicht nur angrenzende, sondern auch räumlich
weiter entfernte Grundstücke erfasst.
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Der Begriff "Nachbar" ist jedoch nach Auffassung der Kammer jedenfalls unter
Berücksichtigung des insoweit maßgeblichen Sprachgebrauchs des täglichen Lebens
hinreichend bestimmt. Gleiches gilt für den Begriff "Hausbewohner". Beide Termini sind
sowohl im Bereich von Ein- als auch von Mehrfamilienhäusern hinreichend klar und
verständlich. Im Hinblick auf Mehrfamilienhäuser decken sich die Begriffe, da sowohl
unter "Nachbar" als auch unter "Hausbewohner" allein die in demselben Haus
wohnenden bzw. geschäftstreibenden Personen zu verstehen sind. Bewohner und
Geschäftstreibende der angrenzenden Häuser fallen insoweit nicht unter den
Nachbarbegriff.
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Bei Einfamilienhäusern sind unter "Nachbar" jeweils die in den angrenzenden und
gegenüberliegenden Häusern, demgegenüber unter "Hausbewohner" allein die in
demselben Wohnhaus lebenden Personen zu fassen. Mit entsprechender Begründung
vermochte auch das AG Bonn (Urt. v. 13.03.2008, Az. 9 C 484/07) die Bedenken des
OLG Düsseldorf zumindest für die Zustellung von Postpaketen nicht zu teilen.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ersatz der erforderlichen
Aufwendungen in Gestalt der Abmahnpauschale in Höhe von 200,- € gemäß §§ 5
UKlaG, 12 Abs. 1 S. 2 UWG. Ein Erstattungsanspruch besteht nur, soweit die
vorgerichtliche Abmahnung berechtigt ist. Dies ist vorliegend mangels Unwirksamkeit
der streitgegenständlichen Klausel nach §§ 307 ff. BGB nicht der Fall.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 und 2, 709 S. 2 ZPO.
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Streitwert: bis 4.000,- €
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