Urteil des LG Köln vom 11.06.2008

LG Köln: operation, eltern, lagerung, behandlungsfehler, schmerzensgeld, wahrscheinlichkeit, diagnose, kausalität, schule, zustand

Landgericht Köln, 25 O 410/06
Datum:
11.06.2008
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
25. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
25 O 410/06
Tenor:
1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger
85.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 05.04.2007, der Beklagte zu 2 erst seit dem
03.05.2007 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner
verpflichtet sind, dem Kläger alle materiellen und sämtliche weiteren
immateriellen Schäden zu ersetzen, die dem Kläger aus der
Nichterkennung und unzureichenden Behandlung des Kompartment-
Syndroms am 22.05.2003 entstanden sind, soweit diese Ansprüche
nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen
sind bzw. übergehen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten als
Gesamtschuldner zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d:
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Der Kläger macht Ansprüche wegen angeblich fehlerhafter und mangels ausreichender
Aufklärung rechtswidriger ärztlicher Behandlung geltend.
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Der am 21.04.1999 geborene Kläger musste mehrmals an der Speiseröhre und im
Bereich seiner Hoden, Nieren und des Harnleiters operiert werden. Am 21.05.2003
wurde der Kläger zwischen 8 Uhr und 14:30 Uhr erneut urologisch operiert. Diese
Operation war in urologischer Hinsicht erfolgreich und ist nicht Gegenstand des
vorliegenden Prozesses. Vielmehr geht es um ein nach der Operation bei dem Kläger
aufgetretenes Kompartment-Syndrom.
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Die vorgenannte Operation wurde laut Operationsbericht in Steinschnittlage
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durchgeführt. Weitere Angaben zur Lagerung finden sich in den Behandlungsunterlagen
nicht. Nach der Operation wurde der Kläger auf der Intensivstation erstversorgt. Hier ist
für 5 Uhr am Morgen des 22.05.2003 im Kurvenblatt vermerkt, dass beide Waden stark
gespannt, prall und berührungsempfindlich seien. Es erfolgte eine Kühlung und
Hochlagerung, ferner die Versorgung mit einer Salbe. Auch in der ärztlichen
Dokumentation des Frühdienstes wie auch des Spätdienstes sind extrem geschwollene
und druckempfindliche Waden beschrieben. Dasselbe gilt für den Nachtdienst. Eine am
22.05.2003 durchgeführte Sonografie erbrachte die Verdachtsdiagnose eines
Kompartmentsyndroms, welches aber nach den Angaben der Mutter rückläufig sei, wie
es in dem Befund vermerkt ist. Dieser Befund führte im Folgenden nicht zu
Konsequenzen. Am 23.05.2003 erfolgte die Verlegung des Klägers auf die
Normalstation. In dem Verlegungsbericht werden ebenfalls Wadenschwellung und
Wadenschmerzen vermerkt. In dem Pflegeverlegungsbericht heißt es, die
Unterschenkel seien massiv verhärtet und geschwollen. Am 25.05.2003 findet sich in
der ärztlichen Dokumentation der Eintrag, die Beine seien beidseits geschwollen, laut
Schwester jedoch rückläufig. Ähnliches findet sich am 27. und 29.05.2003, wobei die
Schwellung als weiter rückläufig beschrieben wird.
Am 02.06.2003 veranlassten die Mitarbeiter der Beklagten die Einholung eines
neurologischen Konsils. Der Neurologe gelangte zu dem Ergebnis, dass beide Füße
Zeichen einer Fußheberparese zeigten und ein Tibialis-Anterior-Syndrom vorliege. Am
03.06.2003 wurde zum Ausschluss einer Frakturschädigung eine Röntgenaufnahme
des linken Unterschenkels in zwei Ebenen angefertigt.
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Identische Eintragungen zum Zustand der unteren Extremitäten des Klägers finden sich
auch in der Pflegedokumentation.
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Im Entlassungsbrief empfehlen die Beklagten Krankengymnastik und gegebenenfalls
die Anlage einer Peroneus-Schiene. Weiteres geschah nicht.
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Kurz nach der Entlassung, nämlich am 13.06.2003, stellten die Eltern des Klägers ihren
Sohn wegen Persistenz der Schmerzen und Fehlhaltung beider Füße in der
Neuropädiatrie der Universitätsklinik F bei Prof. Dr. W vor, der ein Kompartment-
Syndrom für wahrscheinlich hielt und von einem neurologischen Notfall spricht. Er
veranlasste eine systematische Schmerztherapie und neurologische Rehabilitation.
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Eine erneute neurologische Untersuchung am 25.06.2003 zeigte ein deutliches
Schädigungsmuster im Bereich der rechten Unterschenkelmuskulatur.
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Wegen der Spitzfußstellung kam es am 24.07.2003 zu einer operativen Korrektur beider
Füße im Universitätsklinikum E, Orthopädische Abteilung (Prof. Dr. L.
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Der Kläger wirft den Beklagten multiple Behandlungsfehler bei seiner Lagerung in der
Operation vom 21.05.2003, ferner Fehler bei der postoperativen Diagnostik und
Behandlung der sich schon früh abzeichnenden Problematik der Unterschenkel vor.
Außerdem erhebt er die Aufklärungsrüge, weil seine Eltern nicht über das Risiko eines
postoperativ auftretenden Kompartment-Syndroms aufgeklärt worden seien.
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In Folge dieser Fehler leide er bis heute an Schmerzen und Missempfindungen in
beiden Beinen. Er habe Dysaesthesien bei Berühren der Unterschenkel und anfangs
sei er sogar auf den Rollstuhl angewiesen gewesen. Er sei in seiner Lebensführung
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durch seine Beschränkungen stark eingeschränkt und müsse sich dauernder
Nachbehandlungen unterziehen. Ferner habe er Albträume, die psychotherapeutisch
behandelt worden seien. Er verlangt ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen
Größenordnung er mit 60.000,00 Euro angibt. Ferner begehrt er Feststellung der
Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich sämtlicher materieller und weiterer immaterieller
Schäden.
Der Kläger beantragt,
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1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn ein angemessenes
Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des
Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz nach § 288 I BGB seit Rechtshängigkeit;
2. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihm den
materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Fehlbehandlung entstanden ist,
bzw. entstehen wird, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger
oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen;
3. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihm
sämtliche immateriellen Schäden – auch die nicht vorhersehbaren – für die
Zukunft zu ersetzen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Sie treten den Behandlungsfehlervorwürfen entgegen und tragen vor, das Problem einer
Schwellung der Beine nach einer langandauernden Operation in Steinschnittlage sei
bekannt. Solche Schwellungen bildeten sich jedoch erfahrungsgemäß immer durch
konservative Maßnahmen ohne bleibende Schäden zurück. Das Auftreten eines
Kompartment-Syndroms gehöre überdies nach langen Operationen in Steinschnittlage
zu den typischen Komplikationen, die auch bei ordnungsgemäßer Lagerung auftreten
könnten.
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Die Beklagten bestreiten ferner die Kausalität. Es lasse sich nämlich nicht feststellen,
dass die Behandlungsverzögerung für die angeblichen Schäden des Klägers ursächlich
geworden sei. Auch eine frühere Intervention hätte keine Vorteile gebracht.
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Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens
des Direktors der Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie der Charité (Kampus Virchow–
Klinik) Prof. Dr. N. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das
schriftliche Gutachten sowie wegen der mündlichen Anhörung auf das Protokoll der
Sitzung vom 07.05.2008 Bezug genommen. Wegen aller weiteren Einzelheiten des
Sach- und Streitstandes verweist die Kammer auf die Gerichtsakte.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klage ist begründet.
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Dem Kläger ist der Beweis grober Behandlungsfehler gelungen, so dass ihm gemäß §§
280, 823 Abs.1, 253 BGB Ansprüche auf Ersatz materiellen und immateriellen
Schadens zustehen.
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Im einzelnen hat der Sachverständige ausgeführt, dass zwar ein Lagerungsfehler nicht
erkennbar sei. Insbesondere sei keine Abweichung vom Üblichen zu erkennen. Aus
diesem Grunde sei auch nichts hinsichtlich der Lagerung zu dokumentieren. Wenn wie
von den Beklagten vorgetragen regelmäßig eine Lagerungskontrolle und
Wadenmassagen durchgeführt wurden, sei die Lagerung nicht fehlerhaft gewesen.
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Allerdings sei das Verhalten des Beklagten zu 2) sowie der Mitarbeiter der Beklagten in
der Phase unmittelbar postoperativ unzureichend gewesen. Aufgrund des
dokumentierten Zustands der Waden, nämlich pralle Schwellung und Schmerzhaftigkeit,
hätte bereits am 22. und spätestens 23.05.2003 auf die als Operationsfolge nicht zu
erklärende Symptomatik der Schwellung und der Schmerzen diagnostisch eingegangen
werden müssen. In Anbetracht der langen Operationsdauer, der Lagerung in
Steinschnittlage und der unmittelbar postoperativ beobachteten Komplikationen der
Beine hätte unverzüglich eine genaue neurologische Untersuchung zum Ausschluss
eines Kompartment-Syndroms stattfinden müssen. Wäre dies geschehen, so sei davon
auszugehen, dass der Kläger bereits am 22.03.2003 operiert worden wäre, und zwar in
Gestalt einer Fasziotomie. Die Verkennung der ab dem 22.05.2003 frühmorgens
beschriebenen Schwellung und Schmerzen und die Nichtreaktion hierauf seien als grob
fehlerhaft anzusehen.
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Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige verdeutlicht,
dass bei der von ihm postulierte neurologische Untersuchung mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit bereits Zeichen einer reduzierten Nervenleitungsgeschwindigkeit
bemerkt worden wären, was er rechtlich zutreffend mit dem späteren Verlauf begründet.
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Noch einmal hat er wiederholt, dass bereits die Nichtreaktion auf die Symptome ein
schwerer Fehler sei, den er allerdings nachvollziehen könne, weil offenbar sämtliche
der Beteiligten noch nie ein Kompartment-Syndrom gesehen hätten. Das Kompartment-
Syndrom sei allerdings ebenso wie seine Therapie in jedem studentischen Lehrbuch
beschrieben. Es gehöre zum grundlegenden Fachwissen, was der Sachverständige
dadurch verdeutlicht hat, dass ein Prüfling der Facharztprüfung bei
Nichtberücksichtigung der Frage des Kompartment-Syndroms bei Vorgabe der hier
vorliegenden Symptomatik die Prüfung nicht bestehen würde.
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Angesprochen auf den in den Behandlungsunterlagen aufgefundenen
Sonografiebefund vom 22.05.2003 hat der Sachverständige seine Beurteilung nicht
geändert und erläutert, dass eine solche Untersuchung die gebotene neurologische
Abklärung nicht ersetze.
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Die Kammer folgt den Feststellungen des Sachverständigen. Sie sind in jeder Hinsicht
überzeugend. Prof. Dr. N ist als Direktor einer universitären Kinderklinik in besonderem
Maße zur Beurteilung der anstehenden Fragen berufen. Zudem verfügt er über große
klinische Erfahrung, was den Feststellungen des Sachverständigen zu besonderer
Überzeugungskraft verhilft. Sie stimmt im übrigen überein mit den forensischen
Erfahrungen der Kammer aus diversen ähnlichen Rechtsstreitigkeiten, in denen
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unzureichende Behandlungen von Kompartmentsyndromen zur Beurteilung standen.
Aus den vorstehenden Feststellungen folgt in rechtlicher Hinsicht, dass die
ausbleibende bzw. unzureichende Reaktion auf die bei dem Kläger unmittelbar
postoperativ aufgetretene Symptomatik ein im Rechtssinne grober Behandlungsfehler
ist. Es liegt ein Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln und gesicherte
medizinische Erkenntnisse vor. Denn es gehört zum Grundwissen eines jeden Arztes,
erst recht eines jeden Facharztes, dass bei der hier vorliegenden Symptomatik
zumindest differentialdiagnostisch die Frage eines Kompartment-Syndroms ins Auge zu
fassen ist. Bereits vor diesem Hintergrund ist die Nichtreaktion, zumindest aber die völlig
unzureichende Reaktion der Beklagten ein unverständlicher Verstoß gegen diese
Regel. Dies gilt um so mehr, als bereits am 22.05.2003 eine Ultraschalluntersuchung
der Beine stattgefunden hat, nach der der untersuchende Arzt die Diagnose eines
Kompartment-Syndroms erwähnt hat. Aus welchem Grunde die handelnden Ärzte aus
dieser Diagnose keinerlei Konsequenzen gezogen haben, ist auch aus laienhafter Sicht
gänzlich unverständlich und wird seitens der Beklagten auch nicht zu rechtfertigen
versucht. Es gehört zum Grundwissen jeden Arztes, dass die einzige gegebenenfalls
erfolgreiche Therapie des Kompartment-Syndroms die Faszienöffnung ist.
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Soweit der Sachverständige Verständnis für die Beklagten geäußert hat, gründet sich
dieses nicht auf objektive Umstände der Behandlungssituation, sondern auf die bei den
Beklagten vorliegende Unkenntnis insoweit. Der Sachverständige nimmt nämlich an,
sämtliche der Beteiligten hätten offenbar noch nie ein Kompartment-Syndrom gesehen.
Dies aber macht den Fundamentalverstoß gegen grundlegende ärztliche Regeln, der
aus objektiver Sicht zu beurteilen ist, nicht zu einem einfachen Behandlungsfehler.
Denn Grundlage der Beurteilung ist der Facharztstandard. Irgendwelche Umstände, die
das Verharren der Beklagten in Untätigkeit nachvollziehbar machen könnten, sind nicht
dargetan und auch nicht ersichtlich.
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Was die Folgen des Behandlungsfehlers anbetrifft, hat der Sachverständige eine
sichere Aussage nicht machen können. In seinem Gutachten hat er hierzu ausgeführt,
die vorhandenen Beschwerden beruhten mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der nicht
zeitgerecht erfolgten Faszienspaltung. In der mündlichen Anhörung hat er dies
dahingehend konkretisiert, dass es keinesfalls sicher zu sagen sei, ob die Folgen durch
eine Faszienspaltung minimiert worden wären, dies allerdings durchaus möglich sei.
Diese Unsicherheit im Rahmen des Kausalverlaufs geht aufgrund der durch die grobe
Fehlerhaftigkeit der Behandlung ausgelösten Beweislastumkehr im Bereich der
haftungsbegründenden Kausalität zu Lasten der Beklagten. Danach ist es jedenfalls
nicht äußerst unwahrscheinlich, dass die bei dem Kläger noch heute im Bereich der
unteren Extremitäten bestehenden Beschwerden auf die nicht rechtzeitige
Faszienspaltung zurückzuführen sind.
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Diese Folgen stellen sich nach den Behandlungsunterlagen und den Angaben der
Eltern, an deren Richtigkeit zu zweifeln die Kammer keinen Anlass hat, sondern sie im
Gegenteil für nachvollziehbar und in jeder Hinsicht glaubhaft ansieht, folgendermaßen
dar:
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Unmittelbare Folgen der Nichtreaktion der Beklagten sind die persistierenden, im
wesentlichen unbehandelt gebliebenen Schmerzen bis zur Einleitung einer
systematischen Schmerztherapie durch Prof. Dr. W. Zwar ist zu berücksichtigen, dass
auch eine Faszienspaltung mit erheblichen Schmerzen einher gegangen wäre. Solche
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als Folge eines operativen Eingriffs auftretenden Schmerzen sind allerdings durch eine
geeignete Schmerzmedikation beherrschbar. Es ist davon auszugehen, dass sich eine
solche suffiziente Schmerztherapie einer operativen Faszienspaltung angeschlossen
hätte, wie es nach den Erfahrungen der Kammer heute üblicher Standard ist. Eine
solche suffiziente Schmerztherapie ist indessen nach Auftreten des
Kompartmentssyndroms nicht erfolgt.
Die operative Korrektur beider Füße durch Sehnenverlängerungen durch Prof. L
(Operation vom 24.07.2003) ist ebenso Folge des Behandlungsfehlers wie die
vorangehende Problematik des Klägers, nämlich eine massive Hypaesthesie im
Bereich beider Unterschenkel und der Unmöglichkeit des Klägers zu stehen oder zu
gehen. Auch nach der den Zustand des Klägers deutlich bessernden Operation durch
Prof. Dr. L war der Kläger erheblich in seiner Beweglichkeit eingeschränkt, wie sich aus
dem Entlassungsbericht des Universitätsklinikums E vom 17.10.2003 ergibt.
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Ferner erschließt sich aus den Behandlungsunterlagen, dass das Kompartment-
Syndrom zeitnah psychische Folgen gezeitigt hat, die sich abgrenzbar auf die
Kompartmentproblematik zurückführen lassen. So ergibt sich aus dem psychologischen
Bericht vom 26.09.2003 über eine Behandlung in der Zeit vom 14.07. – 12.09., dass der
Kläger gelegentlich Alpträume hatte, die inhaltlich im Zusammenhang mit der
Erkrankung seiner Unterschenkel und der damit zusammenhängenden
Mobilitätseinschränkung standen.
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Bis heute hat der Kläger Probleme beim Gehen und Laufen. Er kann nicht längere Zeit
stehen. Er trägt spezielle Schuhe zur Stützung des Fußgelenkes. Offenbar ist das
Wachstum seiner Füße eingeschränkt. Nachvollziehbar ist auch die Angabe der Eltern,
der Kläger habe infolge seiner Gehbehinderung Probleme in der Schule, weil er nicht an
allen Spielen der Mitschüler teilnehmen könne, was auch zu Hänselungen seitens der
Mitschüler führe. Das sich die daraus resultierende Belastung gelegentlich durch starke
Aggressivität äußert, ist ebenfalls nachvollziehbar, ebenso wie der durch die Eltern
mitgeteilte Umstand, dass der Kläger dieserhalb kinderpsychologisch behandelt wird.
Folge des Behandlungsfehlers ist schließlich die nach wie vor regelmäßig
durchzuführende Krankengymnastik.
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Bei der Bemessung des dem Kläger zuzuerkennenden Schmerzensgeldes hat die
Kammer auf der Grundlage des vorstehend Ausgeführten zunächst den unmittelbar
postoperativen Verlauf berücksichtigt. Dabei ist allerdings kein Ausgleich zu gewähren
für das Auftreten des Kompartmentsyndroms, denn dieses ist nicht auf einen Fehler der
Beklagten zurück zu führen. Fehlerhaft und deswegen in den Folgen zu entschädigen
ist allerdings der Umstand, dass nicht bereits am 22.05.2003 durch eine
Faszienspaltung auf die Symptomatik reagiert wurde und damit die Weiterentwicklung
des Kompartment-Syndroms gestoppt wurde. Die nach dem 22.05.2003 bestehenden
Schmerzen am Unterschenkel sind deshalb bei der Schmerzensgeldbemessung zu
berücksichtigen. Dabei darf allerdings nicht außer Ansatz bleiben, dass auch eine
Faszienspaltung im unmittelbar postoperativen wie auch weiteren Verlauf erhebliche
Folgen mit sich bringt, nämlich insbesondere die lebenslang verbleibenden Narben. Bei
der Bemessung des Schmerzensgeldes ist weiter der Umstand zu bewerten, dass der
Kläger wegen des unbehandelten Kompartment-Syndroms die Operation in E über sich
ergehen lassen musste. Dieser Verlauf ist in Anbetracht des Umstandes, dass der
Kläger sich einige Wochen zuvor einer mehrstündigen urologischen Operation
unterziehen musste und allein die Folgen dieser Operation eine beträchtliche Belastung
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für ein 4-jähriges Kind darstellen, wegen der zusätzlich hinzugetretenen Belastungen
durch die nicht rechtzeitige Behandlung des Kompartment-Syndroms als besonders
schwer zu bewerten.
Hinzu kommen die funktionellen und ästhetischen Veränderungen am Unterschenkel
des Klägers. Die funktionellen Beeinträchtigungen in Folge der neurologischen
Ausfälle, wie sie sich aus den Befunden in den beigezogenen Behandlungsunterlagen
wie auch aus den glaubhaften Darlegungen der Eltern des Klägers ergeben, haben ein
besonderes Gewicht. Sie sind typische Folgen eines Kompartment-Syndroms. Dass
eine nennenswerte Verbesserung zu erwarten wäre, ist nicht abzusehen. Im Gegenteil
besteht die Gefahr, dass der Kläger wegen der Bewegungseinschränkungen seiner
unteren Extremitäten auch Beschwerden in den höher liegenden Gelenken (Kniegelenk,
Hüftgelenk) zu erleiden haben wird. Hierzu hat der Sachverständige ausgeführt, dass es
sein könne, dass Folgeschäden infolge des Kompartment-Syndroms auch in den höher
liegenden Gelenken zu späterer Zeit auftreten.
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Hieraus ergeben sich auch allgemeinen Beeinträchtigungen des Klägers im täglichen
Leben. Nach glaubhafter Darstellung der Eltern hat der Kläger durch seine
Beeinträchtigungen Nachteile in der Schule wie auch im privaten Leben zu erdulden.
Laufen und Gehen ist ihm nur eingeschränkt möglich. Längeres Stehen bereitet ihm
ebenfalls Probleme.
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Bei der Zuerkennung des Schmerzensgeldes von 85.000,00 Euro hat die Kammer sich
auch an ihrer Entscheidung vom 19.03.2008 – 25 O 180/05 (www.nrwe.de) orientiert.
Hier ist einem ähnlichen Fall ein Schmerzensgeld von 75.000,00 Euro zuerkannt
worden, wobei die dort betroffene Klägerin 10 Jahre älter war als der Kläger, was eine
maßvolle Erhöhung des Schmerzensgeldes im vorliegenden Fall rechtfertigt.
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Von der Zuerkennung einer Schmerzensgeldrente wegen der voraussichtlich den
Kläger lebenslang begleitenden Problematik sieht die Kammer ab. Eine
Schmerzensgeldrente bleibt schwersten Dauerschäden vorbehalten.
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Die Feststellungsanträge des Klägers sind ebenfalls begründet, wie sich aus dem
Vorstehenden ergibt. Die Kammer hat aus redaktionellen Gesichtspunkten die Anträge
zu 2) und 3) des Klägers zu einem umfassenden Feststellungstenor zusammen gefasst.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 ZPO.
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Streitwert:
46
Antrag zu 1) 85.000,- €
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Antrag zu 2) + 3) 40.000,- €
48
125.000,- €
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