Urteil des LG Köln vom 22.07.2010
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Landgericht Köln, 15 O 36/09
Datum:
22.07.2010
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
15. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 O 36/09
Tenor:
Unter Abweisung der weitergehenden Klage wird die Beklagte verurteilt,
an die Klägerin € 75.600,00 nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über
dem Basiszinssatz seit dem 12.3.2009 zu zahlen, und zwar Zug um Zug
gegen Abtretung eventueller Ersatzansprüche gegen den Emittenten der
streitgegenständlichen Zertifikate X.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T A T B E S T A N D:
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Die Klägerin verlangt aus eigenem und aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes, des
Zeugen M, vgl. die Abtretungskunde Bl. 91 d.A., Schadensersatz wegen angeblich
fehlerhafter Anlageberatung. Nach einem Gespräch mit dem Bankmitarbeiter M2 Ende
Februar 2007 erwarben die Eheleute Anfang April 2007 die streitgegenständlichen, im
Tenor erwähnten Zertifikate zu einem Kurswert von € 81.600,00. Es handelt sich um
sog. Top Zins Zertifikate auf den Dow Jones Euro Stoxx 50. Die Mittel hierfür stammten
überwiegend aus einem Verkauf von Aktienfondsanteilen, den Herr M2 vorgeschlagen
hatte. Nach dem Zusammenbruch der Emittentin sind die Papiere praktisch wertlos.
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Die Klägerin meint, die Beklagte habe ihre Pflichten in mehrfacher Hinsicht verletzt. Die
Papiere hätten Anfang 2007 schon gar nicht mehr empfohlen werden dürfen.
Pflichtwidrig habe der Berater auch gehandelt, indem zum Kauf ohne Erstellung eines
Risikoprofils geraten worden sei. Herr M2 habe jegliche Risikoaufklärung, vor allem
hinsichtlich des möglichen Totalverlustes unterlassen und keinerlei Produktunterlage
ausgehändigt. Ferner macht die Klägerin geltend, der Beklagten sei eine verdeckte
Rückvergütung zugeflossen, über die hätte aufgeklärt werden müssen. Wären sie und
ihr Ehemann pflichtgemäß belehrt worden, wäre es zum Kauf der Papiere nicht
gekommen.
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Schließlich behauptet die Klägerin, ihr Ehemann habe sich Anfang September bei der
Bank wegen eingetretener Kursverluste erkundigt. Ihm sei geraten worden, die Papiere
zu halten. Wäre seinerzeit der Verkauf empfohlen worden, wäre "nur" ein Verlust von €
58.864,00 und kein Totalverlust entstanden.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie
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€ 80.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 30.4.07 Zug um Zug gegen Abtretung eventueller
Ersatzansprüche gegen die Emittentin der streitgegenständlichen
Zertifikate
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und weitere € 3.022,60 nebst entsprechender Zinsen ab Rechthängigkeit
(vorgerichtliche Kosten) zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie macht geltend, es habe schon keine Beratung stattgefunden. Ungeachtet dessen
seien die Eheleute unter Übergabe des sog. Flyers pflichtgemäß über die mit der
Anlage verbundenen Risiken, aber auch über die besondere Funktionsweise der
Papiere aufgeklärt worden. Ferner meint die Beklagte, über den ihr zugeflossenen
Vertriebsbonus und damit die Marge in Höhe von 2,16% habe nicht aufgeklärt werden
müssen. Davon abgesehen sei eine Aufklärung in dem Flyer unter der Überschrift
"weitere Informationen" erfolgt. Eine etwaige Verletzung einer möglichen
Aufklärungspflicht sei keinesfalls schuldhaft gewesen. Die Beklagte behauptet zudem,
eine etwaige nicht hinreichende Aufklärung betr. den Vertriebsbonus sei nicht kausal für
die Entscheidung der Anleger gewesen. Dies zeige sich auch in dem Ankauf weiterer
Papiere Ende April 07 nach pflichtgemäßer Beratung und Aufklärung. Schließlich macht
die Beklagte geltend, den Anlegern sei eine in jedem Fall anzurechnende
Kuponzahlung in Höhe von € 4.400,00 zugeflossen.
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Wegen des Flyers, der Effektenabrechnungen betr. den Verkauf der Fondsanteile und
den Kauf der Zertifikate, die Basisinformation und die Wertpapierorder wird auf die
Anlagen B 3 (Bl. 58 ff. d.A.), B 5 (Bl. 69 d.A.), B 6 (Bl. 70 d.A.), B 7 (Bl. 71 d.A.) und B 1
(Bl. 53 d.A.) verwiesen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen und Anhörung der
Klägerin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll
vom 24.6.2010 Bezug genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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Die Klage ist überwiegend begründet.
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In Höhe des zuerkannten Betrages (€ 80.000,00 abzüglich der Kuponzahlung von €
4.400,00) kann die Klägerin Schadensersatz von der Beklagten wegen fehlerhafter
Anlageberatung verlangen.
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Die Beklagte hat schon nach dem Parteivorbringen ihre Beratungspflichten – ein
Beratungsvertrag ist stillschweigend durch die tatsächlich erfolgte Beratung in Form der
Aufklärung über Funktionsweise und Risiken der Anlage zustande gekommen – verletzt.
Dabei lässt die Kammer u.a. dahin gestellt, ob der Berater M2 hinreichend, zutreffen und
umfassend über die mit der Anlage verbundenen Risiken, insbesondere das sog.
Bonitätsrisiko, aufklärte und ob – jedenfalls angesichts der erheblichen Anlagesumme -
schon in dem Unterlassen der Erstellung eines Risikoprofils eine Pflichtverletzung liegt.
Jedenfalls ist insoweit eine Pflichtverletzung zu bejahen, als die Anleger nicht
hinreichend – der Flyer klärt unter der Überschrift "weitere Informationen" nach Form
und Inhalt nicht ausreichend über den tatsächlichen Zufluss des Bonus und dessen
Höhe auf – über die Vertriebsgebühr von 2,16% aufgeklärt wurden. Dies wäre nach der
ständigen Rechtsprechung der Kammer auch vorliegend nötig gewesen. Die
Rechtsprechung des BGH zu den Pflichten einer beratenden Bank betr. die Beteiligung
eines Anlegers an einem von Fonds ist nach Ansicht der Kammer auf den Kauf von
Zertifikaten durchaus übertragbar. Der jeweilige Interessenkonflikt ist vergleichbar.
Einerseits hat die Bank in beiden Fällen pflichtgemäß ihren Kunden zu beraten und
insoweit dessen Interessen zu berücksichtigen. Ferner verfolgt die Bank bei der
Vermittlung von diesen Anlagenprodukten ein Eigeninteresse an der Erzielung einer
möglichst hohen Vergütung ihrer Tätigkeit Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob ihr
eine Vergütung in Form z.B. einer Verkaufsprovision zufließt oder ob sie deshalb einen
Gewinn, eine Marge erzielt, weil sie das Papier zu einem geringeren Preis von dem
Emittenten erwirbt oder ob sie auf den vor ihr gezahlten Kaufpreis einen Aufschlag im
Rahmen des Weiterverkaufs tätigt. Die Argumentation der Gegenansicht, nunmehr auch
vertreten z.B. durch das aktuelle Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts,
überzeugt die Kammer nicht. Anders als bei einem üblichen Handelskauf tritt in Fällen
der vorliegenden Art die Bank eben nicht nur als Verkäuferin auf, die natürlich in dieser
Position an der Erzielung eines Gewinns interessiert ist. Sie ist zugleich ausdrücklich
oder konkludent Berater des Käufers und hat daher auch dessen Interessen zu wahren.
Jedenfalls bis ggf. der BGH oder der für die Kammer zuständige Berufungssenat bei
dem OLG Köln eine abweichende Auffassung vertritt, hält die Kammer aus diesem
Grund an dieser Rechtsprechung ebenso fest wie an ihrer mehrfach in Urteilen
geäußerten und gerade auch der konkret verklagten Partei bekannten Ansicht, dass sich
die beratenden Bank nicht auf fehlendes Verschulden berufen kann. Letzteres folgt
allein schon aus der Begründung der Rechtsprechung des BGH, dass die Bank in
Erkennung des Interessenkonflikts auf Grund anerkannter allgemein zivilrechtlicher
Grundsätze gehalten ist, diesem Konflikt durch Offenbarung ihrer Interessenlage, als
durch Bekanntgabe der Provision, Gebühr oder Margenhöhe Rechnung zu tragen.
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Schließlich ist die nach der Rechtsprechung des BGH zu vermutende Kausalität dieses
Beratungsfehlers nicht widerlegt. Sowohl der Zeuge M als auch die Klägerin selbst
haben bei ihren Bekundungen von vorn herein keine Zweifel gelassen, dass sie von
dem Kauf der Papiere Abstand genommen hätten, wenn sie über den Vertriebsbonus
aufgeklärt worden wären. Dies ist von Beiden auch nachvollziehbar mit dem Hinweis
darauf begründet worden, dass sie an sich gar keinen Anlass gesehen hätten, dem Rat
des Beraters zu folgen und die Fondsanteile zu verkaufen. Sie waren nach ihren
Aussagen mit dieser Geldanlage durchaus zufrieden, Kursrückgänge in der Zukunft
waren konkret nicht zu befürchten. Ein Verbleiben im Fonds war nicht mit (weiteren)
Kosten verbunden. Zwar wäre der Vertriebsbonus, wie dem Zeugen und der Klägerin
vorgehalten worden ist, nicht von den Anlegern zu leisten gewesen. Den Anlegern
wären indes bei Offenbarung des der Beklagten zufließenden Bonus Bedenken an einer
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anlage- und anlegergerechten Beratung im Hinblick auf den Erwerb der Papiere
gekommen, während der Verbleib im Aktienfonds solche Bedenken nicht ausgelöst
hätten. Letztlich mögen zwar aus Sicht der Beklagten, die einen anderen Hintergrund
vermutet, nicht gänzlich unverständliche Zweifel bleiben. Selbst wenn man diese teilen
wollte, wäre damit die Vermutung der Kausalität eben noch nicht widerlegt. Schließlich
kann die Beklagte auch nicht auf den weiteren Wertpapierkauf Ende April 2007
abstellen. Es steht – ebenfalls zu Lasten der Beklagten - nicht fest, dass die Anleger bei
diesem Kauf überhaupt und zutreffend über den Bonus aufgeklärt wurden. Insoweit
bedarf es auch nicht der beantragten Beweisaufnahme. Das Vorbringen ist nämlich
nicht erheblich. Entgegen dem Vortrag der Beklagten weist der diesbezügliche
Produktflyer – eine mündliche Aufklärung wird nicht behauptet – nicht auf die Höhe des
Vertriebsbonus hin.
Die weitergehende Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin muss sich die Kuponzahlung auf den Anspruch, den sie selbst mit €
80.000,00 beziffert, anrechnen lassen. Wie aus dem von der Beklagten vorgelegten
Kontoauszug hervorgeht, betr. die unstreitige Zahlung von € 4.400,00 die
streitgegenständlichen Papiere. Dies folgt aus einem Vergleich der
Wertpapierkennnummern.
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Die zuerkannten Zinsen sind wegen Rechtshängigkeit gerechtfertigt. Der weitergehende
Zinsanspruch ist unbegründet. Auf den diesbezüglichen Hinweis der Kammer hat die
Klägerin nicht geantwortet.
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Die Klägerin kann auch keine Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten verlangen.
Insoweit ist die Klage nicht schlüssig. Es fehlt jegliche Begründung für den
diesbezüglichen Klageantrag.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 II, 709 ZPO. Auf § 108
ZPO wird hingewiesen.
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