Urteil des LG Köln vom 19.03.2008
LG Köln: verordnung, beförderung, maschine, check, begriff, verspätung, besatzung, verzinsung, flugzeug, vollstreckbarkeit
Landgericht Köln, 10 S 391/06
Datum:
19.03.2008
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
10. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 S 391/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Köln, 111 C 260/096
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 07.11.2006 verkündete Urteil
des Amtsgerichts Köln – Az.: 111 C 260/06 – abgeändert und wie folgt
neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 800.- € nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.03.2006 zu
zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gem. den §§ 540 II, 313 a I
1, 542 I, 543, 544 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung des Klägers gegen das oben genannte klageabweisende Urteil
des Amtsgerichts hat in der Sache Erfolg.
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Dem Kläger steht der eingeklagte Anspruch auf Zahlung von 800.- € aus eigenem Recht
sowie aus von seiner Ehefrau abgetretenem Recht als Ausgleichsanspruch gemäß Art.
5 Abs. 1 lit. c) i.V.m. Art. 7 Abs. 1 lit. b) der EG-Verordnung Nr.261/2004 vom 11.02.2004
zu.
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Der vom Kläger und seiner Ehefrau gebuchte Flug ##### am 16.02.2006 von E nach
Madrid ist im Sinne der vorgenannten Verordnung "annulliert" worden. Der Begriff der
Annullierung ist in Art. 2 lit. l) der Verordnung legal definiert, als die Nichtdurchführung
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eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt:
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Der Kläger und seine Ehefrau waren im Besitz bestätigter Buchungen für den Flug
#####, der am 16.02.2006 um 15.30 Uhr von E nach Madrid starten sollte. Der Flug
##### wurde jedoch am 16.02.2006 nicht durchgeführt. Statt dessen wurden der Kläger
und seine Ehefrau auf einen anderen Flug mit einer anderen Maschine umgebucht, und
sodann mit dieser anderen Maschine über eine andere Flugroute, nämlich über
Barcelona nach Madrid befördert.
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Sind damit die tatbestandlichen Voraussetzungen der Annullierung erfüllt, so ist letztlich
unerheblich, dass es durch die Annullierung des vom Kläger und seiner Ehefrau
gebuchten Fluges im Ergebnis – nur – zu einer Ankunftsverzögerung von 4 Stunden
gekommen, wie im Tatbestand des angefochtenen Urteils – für die Kammer bindend –
festgestellt. Die oben genannte EG-Verordnung differenziert gerade zwischen der
"Annullierung" eines Fluges einerseits und der in Art. 6 geregelten Verspätung eines
Fluges andererseits. Diese Differenzierung ist auch – entgegen der Auffassung der
Beklagten – durchaus trennscharf durchzuführen. Entscheidender Unterschied ist, dass
bei der Annullierung der geplante Flug nicht stattfindet, bei der Verspätung indes sehr
wohl, wenn auch verspätet. Zu Unrecht, nämlich entgegen der vorerörterten
Legaldefinition des Begriffs der "Annullierung", hebt die Beklagte darauf ab, dass eine
"Annullierung" – erst – dann vorliege, wenn die Beförderung der Passagiere überhaupt
nicht stattfinde, das heißt auch nicht nach einer Umbuchung mit einer anderen
Maschine. Der Begriff der Annullierung bezieht sich nämlich nach der oben zitierten
Legaldefinition nicht auf die Beförderung, sondern auf den konkret geplanten Flug.
Daraus ergibt sich zugleich auch, dass es nicht darauf ankommt, ob das
Luftfahrtunternehmen anstelle des annullierten Fluges zeitnah einen Ersatzflug anbieten
kann oder nicht. Zutreffend hat der Kläger in diesem Zusammenhang bereits in erster
Instanz auf die Regelungen in Art. 5 Abs. 1 lit. c) iii) der Verordnung verwiesen; danach
entfällt der wegen der Annullierung an sich gegebene Ausgleichsanspruch nach Art. 7
der Verordnung, wenn das Luftfahrtunternehmen anstelle des annullierten Fluges eine
ersatzweise Beförderung anbietet, die es den Fluggästen ermöglicht, nicht mehr als eine
Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei
Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen. Aus dieser Regelung folgt
zwingend, dass für die Frage, ob die Annullierung eines Fluges tatbestandlich gegeben
ist, die Möglichkeit und das Angebot einer ersatzweisen Beförderung durch das
Luftfahrtunternehmen unbeachtlich sind. Bei alldem ist auch kein Raum für die von der
Beklagten vertretene Auffassung, der Verordnungsgeber habe den Begriff der
Annullierung ungewollt zu weit gefasst.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten steht dem streitgegenständlichen
Ausgleichsanspruch auch nicht die Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 3 der
Verordnung entgegen. Deren Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die
Beklagte hat nämlich nicht "nachgewiesen", dass die Annullierung des Fluges #####
am 16.02.2006 auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann nicht
hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
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Die Beklagte hat in erster Instanz, wie auch im Berufungsverfahren in tatsächlicher
Hinsicht vorgetragen, Grund für die Annullierung des vorgenannten Fluges sei
gewesen, dass an der einzusetzenden Maschine, dem Canadair Jet mit dem
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Kennzeichen D-ACLT, die Notbeleuchtung teilweise defekt gewesen sei, nämlich die
Beleuchtung des Notausgangsschildes an der vorderen rechten Tür ausgefallen
gewesen sei. Die Beklagte hat weiter vorgetragen, dieser Defekt sei im Rahmen der
Übernahme des Flugzeugs durch die neue, für den Flug ##### eingeteilte Besatzung
festgestellt worden. Bei dem letzten planmäßigen S-Check des Flugzeugs, der am
13.02.2006 in Mailand erfolgt sei, und zu dem auch die Überprüfung der Notbeleuchtung
gehört habe, habe es hinsichtlich der Notbeleuchtung keine Beanstandung gegeben.
Dieser Tatsachenvortrag genügt nicht, um die oben zitierten engen Voraussetzungen
des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung auszufüllen. Es kann anhand dieses Vortrags nämlich
nicht festgestellt werden, ob der am 16.02.2006 zeitlich kurz vor dem für 15.30 Uhr
geplanten Start des Fluges ##### von der Besatzung festgestellte Defekt der
Notbeleuchtung nicht durch zumutbare Maßnahmen hätte vermieden werden können.
Die Beklagte trägt nämlich nicht vor, wann der Defekt im Zeitraum nach dem S-Check
vom 13.02.2006 erstmals auftrat. Ebenso wenig trägt die Beklagte vor, wann und von
wem der Defekt im Zeitfenster zwischen dem S-Check vom 13.02.2006 und der Zeit
unmittelbar vor dem geplanten Start des Fluges ##### am 16.02.2006 erstmals
festgestellt wurde. Schließlich trägt die Beklagte auch nicht vor, wie lange es dauerte,
bis der am 16.02.2006 zugezogene Techniker die Ursache des Defekts festgestellt und
den Defekt behoben hatte. Dementsprechend kann nicht festgestellt werden, ob es nicht
möglich gewesen wäre, den Defekt rechtzeitig vor dem Start des Fluges ##### am
16.02.2006 festzustellen und zu beheben, namentlich während einer der Zeitphasen, als
das Flugzeug zwischen zwei Flügen am Boden war. Hierbei kommt es nicht einmal
entscheidend auf den – erstmals im Berufungsverfahren erfolgten – Vortrag des Klägers
an, wonach bereits am 16.02.2006 um 8.14 Uhr in Manchester Probleme mit der
Notbeleuchtung festgestellt worden seien und der an diesem Vormittag durchgeführte
Flug von Manchester nach E mit (teilweise) defekter Notbeleuchtung absolviert worden
sei. Die Beklagte, die für die tatsächlichen Voraussetzungen der Ausnahmeregelung
des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung in vollem Umfang darlegungs- und beweispflichtig ist,
war nämlich – unabhängig vom Vortrag des Klägers - gehalten, von sich aus lückenlos
dafür vorzutragen, dass sich der für die Annullierung maßgebliche technische Defekt
nicht durch zumutbare Maßnahmen hätte vermeiden lassen. Hierauf hat der Kläger
bereits in erster Instanz – dem Sinne nach – hingewiesen.
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Der Ausspruch zur Verzinsung ergeht unter dem Gesichtspunkt des Verzuges.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, (711 S. 1), 713 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 800.- €
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