Urteil des LG Köln vom 07.10.2009
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Landgericht Köln, 20 O 228/09
Datum:
07.10.2009
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
20. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 O 228/09
Schlagworte:
Haftpflichtversicherung, erwachsenes Kind
Tenor:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger wegen
des von seinem Sohn N verursachten Schadensereignisses vom
12.08.2008 Haftpflichtversicherungsschutz zu gewähren.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
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Der Kläger macht mit seiner Klage Ansprüche aus einer bei der Beklagten auf Basis
deren EHV und BHB abgeschlossenen Privathaftpflichtversicherung geltend wegen
einer Inanspruchnahme seines erwachsenen Sohnes durch die Augsburger
Verkehrsbetriebe, die diesem vorwerfen, am 12.08.2008 anlässlich eines
Verkehrsunfalls in Augsburg eine Straßenbahn beschädigt zu haben.
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Die dem Vertragsverhältnis zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen lauten
auszugsweise:
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"2. Mitversichert ist
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2.1. die gleichartige gesetzliche Haftpflicht(...) c. (der) unverheirateten und nicht in
einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebenden Kinder (...), bei volljährigen
Kindern jedoch nur, solange sie sich noch in der Schul- oder sich unmittelbar
anschließenden Berufsausbildung befinden (berufliche Erstausbildung – Lehre
und/oder Studium – nicht Referendarzeit, Fortbildungsmaßnahmen und dgl. Bei
Ableistung des Grundwehr- oder Zivildienstes (einschließlich des zusätzlichen
freiwilligen Wehrdienstes) vor, während oder im Anschluss an die
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Berufsausbildung bleibt der Versicherungsschutz bestehen. (...)"
Der Sohn des Klägers ist 1979 geboren und unverheiratet. Nach dem Bestehen des
Abiturs im Jahre 1999 leistete er in der Zeit vom 04.10.1999 bis 31.08.2000 seinen
Zivildienst ab. Anschließend besuchte er bis zum Sommer 2003 eine Bibelschule. Im
Oktober 2003 nahm er ein Lehramtsstudium in den Fächern Mathematik und Physik auf,
das er im Zeitpunkt des hier in Rede stehenden Verkehrsunfalls noch nicht
abgeschlossen hatte.
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Der Kläger hält die Beklagte für aufgrund des Verkehrsunfalls vom 12.08.2008
eintrittspflichtig.
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Er beantragt,
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festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm wegen des von seinem Sohn
N verursachten Schadensereignisses vom 12.08.2008
Haftpflichtversicherungsschutz zu gewähren
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sowie
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe
von 899,40 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie meint, eine sich an die Schule unmittelbar anschließende Berufsausbildung könne
bezogen auf den Unfallzeitpunkt nicht mehr angenommen werden. Dies gelte schon vor
dem Hintergrund, dass sich der Besuch der Bibelschule als eine den
Versicherungsschutz ausschließende Fortbildungsmaßnahme darstelle. Jedenfalls
setze eine Gewährung von Versicherungsschutz voraus, dass ein Zusammenhang
zwischen dem Besuch der Bibelschule und dem späteren Lehramtsstudium bestehe,
dieser sei aber nicht erkennbar.
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Der Kläger trägt hierzu vor, die Bibelschule habe dazu gedient, seinen Sohn
vollumfassend auf verschiedene Bereiche der Kinder- und Jugendarbeit vorzubereiten,
was ohnehin immer seiner Neigung entsprochen habe; schon damals habe der Sohn
ein späteres Lehramtsstudium zumindest in Erwägung gezogen, er habe immer einen
Beruf ergreifen wollen, in dem der Umgang mit jungen Menschen eine Rolle spiele.
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Wegen der näheren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen
Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf die von ihnen
überreichten Unterlagen Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch
Vernehmung eines Zeugen. Wegen des Beweisergebnisses wird auf das
Sitzungsprotokoll vom 09.09.2009 Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage hat völlig überwiegend Erfolg.
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Der Feststellungsantrag ist gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig.
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Ihm fehlt insbesondere nicht das Feststellungsinteresse, weil der Versicherungsnehmer
in der Haftpflichtversicherung grundsätzlich nur auf die Feststellung der Verpflichtung
des Versicherers, Versicherungsschutz zu gewähren, klagen kann, solange sich nicht
sein diesbezüglicher Anspruch in einen Freistellungs- oder Zahlungsanspruch
umgewandelt hat, was vorliegend noch nicht der Fall war. Der Haftungsfall steht nämlich
nach Grund und Höhe noch nicht fest.
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Der Feststellungsantrag ist auch begründet, weil die Beklagte gemäß §§ 1, 49 VVG a.F.,
Ziffer 2. der bedungenen EHV Haftpflichtversicherungsschutz zu gewähren hat.
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Der Zeuge N ist im Hinblick auf Ziffer 2.1.c. EHV als sich in einer der Schulausbildung
unmittelbar angeschlossenen Berufsausbildung befindliches Kind des Klägers in den
Versicherungsschutz einbezogen.
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Die genannte Bestimmung soll sicherstellen, dass Kinder in der Haftpflichtversicherung
ihrer Eltern so lange mitversichert sind, wie sie im Rahmen eines durchgängigen,
zusammenhängenden Ausbildungswegs noch in der notwendigen einheitlichen
Ausbildungsphase zu einem Beruf sind und deshalb noch keine eigene Versicherung
finanzieren können. Vor diesem Hintergrund ist aus der Sicht eines verständigen
Versicherungsnehmers die vorzitierte Regelung dahin auszulegen, dass die
Mitversicherung erst enden soll, wenn das mitversicherte Kind die von ihm beabsichtigte
und kontinuierlich durchgeführte Ausbildung abgeschlossen hat.
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Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer geht es für den Versicherer erkennbar
darum, dass seine Kinder mitversichert sind, solange er für sie Unterhalt leisten muss,
dass er also nicht im Rahmen seiner wegen der Berufsausbildung gegenüber den
Kindern fortbestehenden Unterhaltsverpflichtung für diese eine gesonderte
Privathaftpflichtversicherung abschließen oder finanzieren muss (vgl. OLG Düsseldorf,
VersR 1994, 1172; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 677 ff.; OLG Schleswig, VersR
1993, 736; OLG Köln, VersR 1993, 430).
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Der Unterhaltsanspruch eines Kindes gegen seine Eltern endet nämlich ebenfalls erst
nach Abschluss eines als einheitlich einzustufenden Ausbildungswegs, der praktische
Ausbildungsabschnitte und ein damit in Zusammenhang stehendes Studium umfassen
kann. Hervorzuheben ist insoweit insbesondere, dass eine Altersgrenze für die Pflicht,
Kindern Unterhalt zu leisten, in den Regelungen über die gesetzliche Unterhaltspflicht
von Verwandten nicht enthalten ist, vgl. §§ 1601 ff. BGB. Diese knüpfen vielmehr
altersunabhängig an die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten an. Dies deckt sich
insoweit mit den Bedingungen der Beklagten, die eine Altersgrenze für die
Einbeziehung volljähriger Kinder in den Versicherungsschutz ebenfalls nicht vorsehen.
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Unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze weist der Ausbildungsweg des Zeugen
nach dem Dafürhalten der Kammer keine derartigen sachlichen und zeitlichen
Unterbrechungen auf, die es gebieten würden, ihn nicht mehr als mitversicherte Person
anzusehen.
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In zeitlicher Hinsicht verzeichnet der Lebenslauf des Zeugen nach bestandenem Abitur
im Sommer 1999 die Ableistung des Zivildiensts von Oktober 1999 bis zum 31.08.2000.
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Hieran schloss sich ein drei Jahre dauerender Aufenthalt in einer Bibelschule an. Zum
Wintersemester 2003 nahm der Zeuge schließlich ein Lehramtsstudium mit den Fächern
Mathematik und Physik auf.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass nicht zu große Lücken im Ausbildungsweg
unschädlich sind und den Versicherungsschutz nicht entfallen lassen, zumal derartige
Orientierungszeiträume auch die elterliche Unterhaltspflicht nicht berühren (vgl. OLG
Schleswig, a.a.O.; OLG Düsseldorf, VersR 1994, 1172, enger wohl OLG Köln, a.a.O., die
vorgenannte Entscheidung wird indessen als zu streng angesehen bei Prölss/Martin,
VVG 27. Auflage, Privathaftpflicht Mustertarif 2000 Nr. 2 Rdnr. 4).
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Auch in sachlicher Hinsicht erachtet das Gericht das Kriterium einer sich unmittelbar
anschließenden Berufsausbildung als erfüllt.
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Die Kammer hat insoweit erwogen, dass das Bestehen eines Zusammenhangs
zwischen dem Bibelschulaufenthalt einerseits und dem Lehramtsstudium andererseits
auf den ersten Blick Zweifeln begegnen könnte.
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Jedoch hat der Zeuge, äußerst ernsthaft und in jeder Hinsicht persönlich glaubwürdig,
im Rahmen seiner Bekundung plausibel erklären können, zunächst zwischen dem
Besuch einer konfessionellen Schule und einem Physikstudium geschwankt zu haben.
Anlässlich des Bibelschulbesuchs sei ihm jedoch immer bewusster geworden, dass er
"etwas mit Menschen" habe machen wollen. Der angestrebte Beruf des Physiklehrers
habe ihm die Möglichkeit geboten, seine naturwissenschaftliche Neigung mit den in der
Bibelschule gewonnenen Erkenntnissen zu kombinieren. Unter Berücksichtigung des
Umstands, dass auch die zur Akte gereichte Bescheinigung der Bibelschule vom
04.11.2008, Anlage K 7, ausführt, nach erfolgreicher Beendigung seien die Teilnehmer
befähigt, berufliche Aufgaben unter anderem in der Kinder- und Teenagerarbeit zu
übernehmen, erscheint das in der Bibelschule Erlernte für eine spätere Lehramtstätigkeit
ohne weiteres verwertbar und erschließt sich der Zusammenhang zwischen
konfessioneller Schule und Lehramtsstudium zwanglos.
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Die Vornahme einer entsprechenden Wertung erscheint um so mehr geboten, weil in
der neueren Rechtsprechung anerkannt ist, dass in Fällen, in denen das unverheiratete
Kind eines Versicherungsnehmers noch keinerlei Ausbildungsabschluss erworben hat,
der es ihm auch nur theoretisch ermöglichen würde, sich selbst zu erhalten und
dementsprechend selbst zu versichern, von dem regelmäßig bestehenden Grundsatz,
dass Schul- und Berufsausbildung ein ununterbrochenes Ganzes bilden sollten,
abzuweichen ist (vgl. etwa OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 677, 679 im Falle einer
abgebrochenen Lehre zum Kfz-Mechaniker, nach achtmonatiger Wartezeit Berufskolleg,
zwei Jahre später Ausbildung zum Koch).
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Denn anders als in von der Rechtsprechung zu Lasten des jeweiligen
Versicherungsnehmers entschiedenen Fällen, in denen die unverheirateten Kinder
bereits eine entgeltliche Tätigkeit ausgeübt hatten, woraus ihre Nichteinbeziehung in
den Versicherungsschutz abgeleitet wurde (vgl. etwa OLG Hamm, ZfS 1996, 185 f.), hat
der Sohn des Klägers überhaupt noch keinen Ausbildungsabschluss erreicht und noch
nie eigenes Geld verdient.
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Insbesondere ist mit dem dreijährigen Besuch der Bibelschule nicht das Erlangen eines
Ausbildungsabschlusses verbunden. Das gilt auch in Ansehung der als Anlage K 7 zur
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Akte gereichten Bescheinigung der Bibelschule, die ausführt, nach deren erfolgreicher
Beendigung seien die Teilnehmer befähigt, berufliche Aufgaben in der Evangelisation,
Mission, Diakonie, Predigtdienst, Kinder- und Teenagerarbeit und im Musikdienst
wahrzunehmen. Ein Ausbildungsabschluss, der es einem Absolventen ermöglichen
könnte, hierauf eine Bewerbung zu stützen, wird gerade nicht erworben. Die Kammer
hält es im Gegenteil für ausgeschlossen, dass ein junger Mensch allein auf den Besuch
der Bibelschule seinen Lebensunterhalt gründen könnte. Erst recht gilt das, weil die
vorzitierte Bescheinigung in ihrem weiteren Verlauf einräumen muss, der Abschluss der
Bibelschule werde vorwiegend im freikirchlichen Raum und teilweise auch darüber
hinaus anerkannt. Abgeschlossene Berufsausbildungen sind demgegenüber durch ihre
allgemeine Anerkennung gekennzeichnet.
Soweit der Zeuge N schließlich bekundet hat, sich den Aufenthalt in der Bibelschule
durch Ferienjobs in einer Papierfabrik völlig überwiegend selbst finanziert zu haben,
lediglich das Kindergeld habe ihm der Kläger noch dazugegeben, stellt das nach dem
Dafürhalten des Gerichts keine entgeltliche Tätigkeit dar, die eine auch nur zeitweilige
finanzielle Unabhängigkeit des Klägers rechtfertigen könnte. Die Annahme von
Ferienjobs in Fabriken ist auch unter Studenten weithin verbreitet, sie lässt indessen
weder die elterliche Unterhaltspflicht entfallen noch stellt sie sich als Ausübung einer
durchgängigen entgeltlichen Tätigkeit dar. Keinesfalls führt allein die Aufnahme eines
Ferienjobs durch einen Studenten zum Verlust des Versicherungsschutzes in der
elterlichen Haftpflichtversicherung; nichts anderes kann vor diesem Hintergrund für
einen Bibelschüler gelten.
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Wie überschaubar im Übrigen der Verdienst aus dem Ferienjob des Zeugen gewesen
sein muss, ergibt sich nicht zuletzt aus dem Umstand, dass für den Zeugen unstreitig
während des Bibelschulbesuchs noch Kindergeld gezahlt worden ist, sein Einkommen
mithin nicht die Verdienstgrenze des § 2 abs. 2 BKKG, gegenwärtig gerade einmal
8.004,-- € jährlich, überschritten haben kann.
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Dass letztendlich die Beklagte die Klage für abweisungsreif hält, weil bereits in dem
Besuch der Bibelschule selbst eine den Versicherungsschutz ausschließende
Fortbildungsmaßnahme liege, hat die Kammer erwogen, ohne indessen von der
Argumentation der Beklagten überzeugt zu sein.
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Das Ableisten einer Fortbildungsmaßnahme setzt denknotwendig voraus, dass
zunächst eine Erstausbildung abgeschlossen worden ist. Ohne eine Erstausbildung
kann es keine Fortbildung geben. Eine berufliche Erstausbildung ist aber dadurch
gekennzeichnet, dass sie einen jungen Menschen in die Lage versetzt, eigenes Geld zu
verdienen und seinen Lebensunterhalt durch die absolvierte Ausbildung zu bestreiten.
Vor dem Hintergrund, dass der Besuch der Bibelschule sich unmittelbar an den
Zivildienst des Zeugen N anschloss und der Zeuge wenige Monate vor Beginn des
Zivildiensts gerade einmal sein Abitur bestanden hatte, hatte er noch keinerlei
Berufsausbildung abgeschlossen, die es rechtfertigen könnte, den Besuch der
Bibelschule als Fortbildung einzuordnen.
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Ist demnach der Zeuge N am 12.08.2008 noch in den Haftpflichtversicherungsvertrag
einbezogen gewesen, so schuldet die Beklagte gleichwohl nicht die Zahlung
vorprozessual angefallener Rechtsanwaltskosten aus § 280 Abs. 2 BGB als der allein in
Betracht kommenden Anspruchsgrundlage. Der Kläger hat nämlich weder dargetan,
dass er anwaltliche Hilfe erst zu einem Zeitpunkt in Anspruch genommen hat, in dem
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sich die Beklagte bereits in Verzug befand, noch ist ersichtlich, welche anwaltlichen
Tätigkeiten die Bevollmächtigten des Klägers vorprozessual überhaupt entfaltet haben.
Die Nebenentscheidungen folg
e
40
Streitwert:
41
14.000 €
42