Urteil des LG Köln vom 21.01.2009
LG Köln: allgemeine geschäftsbedingungen, konzentration, widerruf, brille, nachahmung, ausbildung, geschäftsverkehr, agb, materialien, gestaltung
Landgericht Köln, 18 O 351/08
Datum:
21.01.2009
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
18. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 O 351/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T A T B E S T A N D
1
Unter dem 30.6.2005 unterzeichnete die Beklagte den Beitritt an der Klägerin. Diese
behauptet, die Beklagte habe sich dabei in der Vertragsurkunde verpflichtet, neben ihrer
– tatsächlich in der Folgezeit eingezahlten – Einmalanlage eine monatliche
Rateneinlage in Höhe von 840,-- Euro zu zahlen. Dieser Verpflichtung sei die Beklagte
zunächst auch nachgekommen, habe die Zahlungen jedoch im März 2006 eingestellt.
2
Mit der vorstehenden Klage macht die Klägerin die aus ihrer Sicht ausstehenden Raten
mit einer Gesamtsumme in Höhe der Klageforderung geltend. Darüber hinaus fordert sie
Ersatz der vorgerichtlich angefallenen Rechtsverfolgungskosten.
3
Die Klägerin beantragt,
4
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 23.520,-- Euro nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7.8.2008 zu zahlen;
5
die Beklagte des weiteren zu verurteilen, die Kosten der außergerichtlichen
Rechtsverfolgung in Höhe von 1.085,04 Euro zu zahlen.
6
Die Beklagte beantragt,
7
die Klage abzuweisen.
8
Die Beklagte ist der Ansicht, daß die Klage aus mehreren Gründen – auch im
Urkundsprozeß – unbegründet sei.
9
So handele es sich zunächst um einen Vertrag, der dem Haustürwiderrufsgesetz
unterliege, und ein solcher Widerruf sei mit anwaltlichem Schreiben vom 10.7.2008
erfolgt. Der Widerruf sei auch nicht verfristet, weil die der Beklagten erteilte
entsprechende Belehrung rechtsfehlerhaft sei und somit keine Fristen in Gang gesetzt
habe.
10
Sei hiernach ein wirksamer Widerruf erfolgt, so habe eine Auseinandersetzung der
Klägerin zu erfolgen, wobei der Beklagten ein entsprechendes Guthaben zustünde,
welche mit den eventuell bestehenden Ratenverpflichtungen zu verrechnen seien;
angesichts der Höhe der ursprünglichen Einmalanlage in Höhe von 50.000,-- Euro
verbleibe in jedem Fall ein Überschuß zugunsten der Beklagten. Darüber hinaus sei die
Klägerin selbst ihren vertraglichen Verpflichtungen zur Zahlung von monatlich 291,67
Euro als gewinnunabhängige Entnahme von 7 % auf die Einlage nur anfänglich
nachgekommen; 28 Zahlungen stünden offen. Auch insoweit werde hilfsweise die
Aufrechnung erklärt.
11
Schließlich sei im Hinblick auf massive Aufklärungsfehler der Klägerin bei
Vertragsschluß mit besagtem Schreiben vom 10.7.2008 auch die außerordentliche
Kündigung erklärt worden.
12
Zum Termin hat der Klägervertreter den streitgegenständlichen Vertrag im Original zu
den Akten gereicht; der ausdrücklichen, schon mit der Terminsbestimmung
verbundenen Aufforderung, den Vertragstext in Schriftgröße 12 vorzulegen, ist er nicht
nachgekommen.
13
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien und
ihre zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind.
14
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
15
Die Klage ist nicht begründet.
16
Die Klage scheitert schon daran, daß die Klägerin den Vertragstext entgegen der
ausdrücklichen Aufforderung in der Terminsbestimmung nicht in einer üblichen
Schriftgröße beigebracht hat (etwa Schriftgröße 12, in der Schriftsätze oder auch Urteile
üblicherweise abgefaßt werden).
17
Es kann auch im Urkundsprozeß nicht ausreichen, eine Urkunde lediglich als solche zu
den Akten zu reichen, es muß vielmehr der Inhalt in einer Weise zur Kenntnis gebracht
werden, daß das Gericht in der Lage ist, denselben auch zu lesen. Hiervon kann
vorliegend keine Rede sein, da der Text für Leute mit Sehschwäche nur dann gut lesbar
ist, wenn man das Blatt sehr nahe vor die Augen hält, was – zumal bei mehrseitigen
Texten – selbstredend nicht zumutbar erscheint. Kann aber der Richter den Text, auf
den die Partei ihren Anspruch stützt, nicht in zumutbarer Weise lesen und weigert sich
die Partei trotz Aufforderung, eine lesbare Fassung vorzulegen, so ist die Klage schon
allein aus diesem Grunde abzuweisen.
18
Es kommt hinzu, daß der Anspruch auch materiell nicht besteht, weil der Vertragstext
einschließlich seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Anbetracht des extremen
19
Kleindrucks unwirksam ist, der Klägerin mithin ohne Rücksicht auf den konkreten Inhalt
Ansprüche aus diesem Vertragswerk nicht zustehen können.
Für die Wahrnehmbarkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gehört auch deren
problemlose Lesbarkeit, wovon dann nicht die Rede sein kann, wenn dieselben in
extrem kleiner Druckschrift gehalten sind, was nicht nur für Sehbehinderte – also solche
Menschen, die wegen einer allgemeinen Sehschwäche auf Brillen oder andere
Lesehilfen angewiesen sind -, sondern generell für alle Vertragspartner gilt, denn selbst
dann, wenn es dem Leser wegen ungewöhnlich guter Sehfähigkeit möglich ist, den Text
als solchen zu lesen, wird das Lesen durch das Verwenden unnötig kleiner Drucktypen
erheblich erschwert, so daß der Leser – weil er gegenüber dem Lesen von
Schriftstücken in normaler Schriftgröße ungleich mehr Konzentration auf das Lesen als
solches verwenden muß – entsprechend größere Hindernisse hat, den Inhalt zur
Kenntnis zu nehmen, wobei gerade das Lesen juristischer Texte, also auch und gerade
von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die dem Vertragspartner bindende
vertragliche Verpflichtungen auferlegen sollen, welche er – zumal als juristischer Laie –
nicht ohne weiteres überblickt, für den juristisch unerfahrenen Bürger schon generell
erhebliche Konzentration verlangt, so daß ein Erschweren des Verständnisses durch
extrem kleine Drucktypen des Textes den Kunden in der Regel vor unlösbare Probleme
stellt, was um so schwerer wiegt, wenn – wie im vorliegenden Fall – nicht der geringste
Grund erkennbar ist, weshalb der Text nicht in einer größeren Schriftart gehalten wird,
so daß sogar der Verdacht nicht fernliegt, die Aufmachung könne bewußt so gewählt
worden sein, um den Kunden davon abzuhalten, den Text wirklich durchzulesen, was
selbstredend als treuwidrig von Gesetz nicht gestützt werden kann, jedoch auch dann
geltend muß, wenn der extreme Kleindruck aus reiner Nachlässigkeit oder in
gedankenloser Nachahmung einer verbreiteten Unsitte erfolgt.
20
Man kann auch, anders ausgedrückt, sagen, daß Allgemeine Geschäftsbedingungen
dann unwirksam sind, wenn sie wegen extremen Kleindrucks nicht in zumutbarer Weise
zur Kenntnis genommen werden können. Zwar wird man im Regelfall davon ausgehen
können, daß Texte in Schriftgröße 12, wie sie üblicherweise in Schriftstücken
Verwendung finden, auch von Sehschwachen unter Zuhilfenahme der üblichen
Hilfsmittel (etwa Brille) ohne größere Schwierigkeiten zur Kenntnis genommen werden
können. Bei der Verwendung erheblich kleinerer Schriftgrößen kann dies jedoch nicht
mehr gesagt werden:
21
Es liegt auf der Hand, daß ein Leser – auch ein solcher mit normaler Sehstärke – bei
extrem kleinen Drucktypen erhöhte Konzentration auf das Lesen als solches richten
muß, was notwendigerweise die Konzentration auf den Inhalt schwächt; je kleiner der
Drucktyp, um so größer wird die Schwierigkeit, neben den Worten als solchen auch ihre
Bedeutung zur Kenntnis zu nehmen. Handelt es sich dann auch noch um Texte, die –
wie Allgemeine Geschäftsbedingungen – wegen der Komplexheit der Regelungen
erhöhte Anforderungen an Konzentration und Verständnis stellen, ist der Leser
regelmäßig überfordert; geht es gar, wie im vorliegenden Fall, um Leser, die mit den
geregelten Sachverhalten von Ausbildung und Berufs wegen alles andere als vertraut
sind, übersteigt die Verwendung derart kleiner Drucktypen, wie sie die Klägerin hier
ihrem Vertragswerk zugrunde gelegt hat, nach Ansicht der Kammer die Grenze des
Zumutbaren, was zur Folge hat, daß sich die Klägerin insgesamt auf diesen Vertragstext
nicht stützen kann.
22
Im aufgezeigten Sinne hat schon der Bundesgerichtshof (Urt. v. 3.2.1986 – II ZR 201/85)
23
selbst für den kaufmännischen Geschäftsverkehr herausgestellt, daß Allgemeine
Geschäftsbedingungen kein Vertragsbestandteil werden, wenn "sie infolge ihrer
drucktechnischen Gestaltung lediglich mit der Lupe und selbst dann nicht ohne Mühe
lesbar sind". Um so mehr muß dies im Verhältnis zu Nichtkaufleuten (wie hier der
Beklagten) gelten, hinsichtlich derer schon die Materialien zum AGB-Gesetz klargestellt
haben, daß es "zur Möglichkeit, in zumutbarer Weise von Inhalt der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen Kenntnis zu nehmen, auch gehört, daß diese mühelos lesbar
sind".
Kann nach allem die Klägerin aus dem Vertragstext keine Ansprüche auf Zahlung
rückständiger Raten fordern, so kann dahinstehen, wie die Beziehungen der Parteien
abzuwickeln sind. Liegt es nämlich auf der Hand, daß der Beklagten
Abwicklungsansprüche zustehen, die sich an ihrer Ersteinlage von 50.000,-- Euro
orientieren, so wäre es Sache der Kläger gewesen, im Detail darzulegen, daß ihr
gleichwohl noch Ansprüche zustehen. Hieran fehlt es.
24
Die Nebenentscheidung ergeht nach §§ 91, 709 ZPO.
25