Urteil des LG Köln vom 19.03.2008

LG Köln: operation, lagerung, behandlungsfehler, versorgung, zentralbank, nacht, unterlassen, eltern, belastung, ermessen

Landgericht Köln, 25 O 180/05
Datum:
19.03.2008
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
25. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
25 O 180/05
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 75.000,- € nebst Zinsen in
Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
01.09.2004 zu zahlen.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin 500,- € nebst Zinsen
in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
01.05.2005 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle
weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus
der verspäteten und unzureichenden Versorgung des bei der Klägerin
nach der OP vom 14.07.2004 im Hause des Kinderkrankenhauses der
Beklagten aufgetretenen Kompartment-Syndroms zu ersetzen, soweit
diese Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind oder noch
übergehen werden.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerin macht Ansprüche wegen angeblich fehlerhafter und ohne ausreichende
präoperative Aufklärung durchgeführter ärztlicher Behandlung geltend.
2
Im Sommer 2004 wurde bei der damals 15-jährigen Klägerin eine Raumforderung im
Bereich der linken Niere diagnostiziert. Nach zahlreichen Untersuchungen wurde die
Klägerin deshalb am 13.07.2004 im Krankenhaus der Beklagten zum Zwecke einer
3
Teilentfernung der linken Niere aufgenommen. Am selben Tag unterzeichneten die
Eltern der Klägerin ein Einwilligungsformular für die für den Folgetag geplante
Operation.
Am 14.07.2004 erfolgte die Operation in der Zeit von 8:30 – 20:00 Uhr, wobei die linke
Niere zu 2/3 reseziert wurde.
4
Angaben zur Lagerung der Klägerin während der OP, insbesondere über die
Verwendung von Lagerungshilfsmitteln, finden sich in den Unterlagen der Beklagten
nicht, mit Ausnahme eines Vermerks im Operationsprotokoll (Bl. 26 der
Behandlungsunterlagen der Beklagten), wo durch Ankreuzen vermerkt ist, dass die
Operation in Rückenlage unter Verwendung von Fersenpolstern und einer Fixierung der
Beine durchgeführt werden sollte.
5
Die Operation als solche erfolgte ausweislich der Behandlungsunterlagen der
Beklagten ohne erkennbare Komplikationen.
6
Im Befundblatt vom 14.07.2004 ist für 22:00 Uhr vermerkt, dass die Klägerin über heftige
Wadenschmerzen klage und die Waden, vor allem die rechte sehr
berührungsempfindlich seien. Eine Umfangsvermehrung ist nicht festgestellt, die
Hautfarbe als rosig und nicht glänzend beschrieben. Die Fußpulse waren beidseits nicht
palpabel. Füße und Unterschenkel waren warm, der Fußheber allerdings schwach.
7
Für 0:00 Uhr ist auf dem Befundblatt dokumentiert:
8
"Frage Kompartment > beobachten"
9
Auch in der Pflegedokumentation ist für den Abend vermerkt, dass die Klägerin immer
wieder über Schmerzen klagte.
10
Ein in der Nacht genommenes Blutlabor ergab einen nur geringfügig erhöhten CK-Wert.
11
Eine auf der operativen Intensivstation am Morgen des 15.07.2004 vorgenommene
Beinumfangsmessung ergab, dass der Unterschenkel rechts 2,5 cm dicker war als der
linke, der Oberschenkel rechts 1 cm dicker war als der linke.
12
In der Pflegedokumentation sind erneut starke Schmerzen in den Beinen vermerkt. Eine
Druckmessung gegen 10:30 Uhr ist als "positiv" beschrieben.
13
Der Befund einer Laboruntersuchung des Blutes von kurz nach 12 Uhr ergab einen
extrem erhöhten Creatinin-Kinase-Wert.
14
Um 13:55 Uhr wurde die Klägerin zum Zwecke eines Konsils in das Krankenhaus N der
Beklagten verlegt. Im Verlegungsbericht heißt es:
15
"Patientin klagt seit ca. 22:00 Uhr über heftige Wadenschmerzen beidseits, normale
kräftige Beinbewegung in Hüfte und Kniegelenk, Fußheberschwäche beidseits,
Sensibilitätsstörung nur Füße, an Vorabend Sono und Doppler o. B., CK 345, Krea
1,5, Symptomatik insgesamt zunehmend, keine Umfangsvermehrung bisher, alle
Fußpulse dopplersonographisch darstellbar, Druckmessung in beiden
Paeroneuskompartments und Tibialis anterior links normal. Labor heute früh CK 49
16
411, LDH 2 158 (Werte liegen bei). Da wir ein Kompartment-Syndrom nicht
ausschließen können, erbitten wir Ihre Konsiliaruntersuchung."
Die konsiliarische Untersuchung in N ergab offenbar eine Nervenschädigung durch ein
Kompartment-Syndrom rechts. Aus den bei den Akten der Beklagten befindlichen
Konsilien ist eine eindeutige Empfehlung für das weitere Vorgehen nicht zu entnehmen.
Allerdings heißt es im Entlassungsbrief, dass man ein manifestes Kompartment-
Syndrom gefunden und eine rechtsseitige Fasziotomie empfohlen habe, während der
linke Unterschenkel weiter beobachtet werden sollte.
17
Um 16:20 Uhr des 15.07.2004 traf die Klägerin wieder im Kinderkrankenhaus B- Straße
ein.
18
Hier erfolgte in der Zeit von 18:30 Uhr bis 20:00 Uhr nach entsprechender Aufklärung
der Eltern der Klägerin die Operation:
19
Es wurde zunächst rechts die vordere und die äußere Muskelloge eröffnet. Am linken
Unterschenkel wurde durch eine kleine Hautöffnung die vordere Muskelloge eröffnet.
Auf der rechten Seite wölbte sich die Muskulatur erkennbar vor, ist im Operationsbericht
aber als unauffällig aussehend beschrieben. Danach erfolgte der Hautverschluss.
20
In der Nacht auf den 16.07.2004 klagte die Klägerin erneut häufig über Schmerzen,
weshalb der Entlastungsschnitt durch einen Chirurgen in 10-minütiger Operation
nochmals eröffnet wurde. Ferner wurde in diesem Eingriff ein zentraler Venenkatheter
angelegt.
21
Im Operationsprotokoll dieser in den frühen Morgenstunden des 16.07.2004
durchgeführten Operation heißt es, dass die Operation erst 2 Stunden und 30 Minuten
nach Indikationsstellung habe durchgeführt werden können, weil die Bereitstellung von
Blutkonserven, die von der Narkoseärztin angefordert worden waren, diese Zeit in
Anspruch genommen habe.
22
In der Befunddokumentation für den 16.07.2004 ist sodann für 10:00 Uhr vermerkt, dass
weiterhin Schmerzen und rechts auch Kribbeln und Parästhesien bestünden. Eine
Laborkontrolle ergab wiederum einen stark erhöhten CK-Wert. Von 18:20 – 19:20 Uhr
erfolgte deshalb nach Aufklärung eine weitere Operation, in der die seitliche Muskelloge
rechts komplett gespalten wurde.
23
Am 19.07.2004 wurde operativ die Bedeckung (Epigard) des eröffneten rechten äußeren
Unterschenkels gewechselt. In der Folge besserte sich die Situation alllmählich,
allerdings verblieben rechts Sensibilitätsstörungen und Parästhesien an Fuß und Wade
sowie Schmerzen bei der Krankengymnastik. Am 24.07.2004 erfolgte operativ ein
erneuter Verbandswechsel mit Abtragung der nekrotisch erscheinenden oberflächlichen
Muskelschicht. Am 25.07. begann die Mobilisierung. Wegen der stetigen Besserung
konnte die Klägerin am 27.07.2004 auf die Normalstation verlegt werden. Am 28.07.
erfolgte eine weitere Operation. In der Folge klagte die Klägerin erneut über Schmerzen,
was am 30.07. nach einer deutlichen Verschlechterung der Situation rechts eine erneute
Operation zur Folge hatte. In dieser Operation wurde nekrotisches Muskelgewebe,
insbesondere im Bereich des Fußhebers und der Zehenhebermusku-latur entfernt.
Ferner erfolgte der Hautverschluss.
24
Nachfolgend wurde die Klägerin im Krankenhaus N der Beklagten auf der Plastischen
Intensivstation weiter versorgt, weil sich am Unterschenkel rechts ein ausgedehntes
Hämatom gebildet hatte. In N erfolgte eine Hämatomausräumung sowie die weitere
Behandlung. Die Fädenentfernung erfolgte am 26.08.2004.
25
Die Klägerin behauptet Behandlungsfehler. Zum einen beanstandet sie ihre Lagerung
und deren Kontrolle in der Operation vom 14.07.2004. Zum zweiten behauptet sie, die
Mitarbeiter der Beklagten seien im Zusammenhang mit den von ihr postoperativ
beklagten Schmerzen im Unterschenkel zu zögerlich vorgegangen. Bereits am Abend
des 14.07.2004 hätte dem Verdacht eines Kompartment-Syndroms nachhaltig
nachgegangen und gehandelt werden müssen. Das Konsil sei viel zu spät eingeholt
worden. Eine Verlegung hierzu sei in Anbetracht der klaren Klinik überflüssig gewesen.
Zudem habe man am Vormittag des 15.07.2004 die erforderlichen Untersuchungen
unterlassen.
26
Die Operationen seien jeweils zu spät und unzureichend erfolgt.
27
Die Folgen der Behandlungsfehler seien erheblich. So finde sich am rechten
Unterschenkel eine ca. 25 cm lange und große rote Narbe. Zudem sei der rechte
Unterschenkel wesentlich umfangsvermehrter gegenüber dem linken Unterschenkel.
Überdies sei die Struktur beider Unterschenkel unterschiedlich, was Folge der
Muskelresektion sei.
28
Hinzu komme eine ausgeprägte Dysfunktionalität in Folge der neurologischen
Beeinträchtigungen. Sie sei hierdurch erheblich beeinträchtigt. Sie habe sich
zahlreichen Operationen unterziehen müssen. Bis heute sei sie in ständiger
physiotherapeutischer Behandlung.
29
Wegen der neurologischen Ausfälle verweist sie auf den Befund des Neurologen Dr. L
vom 28.09.2004 (Bl. 28 f. d. SH I).
30
Die Klägerin beantragt,
31
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein der Höhe nach in das Ermessen der
Kammer gestelltes Schmerzensgeldkapital, mindestens jedoch 40.000,- €, nebst
Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der
Europäischen Zentralbank seit dem 01.09.2004 zu zahlen,
2. die Beklagte ferner zu verurteilen, an sie eine ebenfalls der Höhe nach in das
Ermessen der Kammer gestellte monatliche lebenslange Schmerzensgeldrente,
wenigstens jedoch 350,- € zahlbar bis zum 3. eines jeden Monats und dem
Abänderungsmechanismus der § 323 ZPO unterworfen, nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen
Zentralbank, jeweils ab Fälligkeit, ab dem 01.09.2004 zu zahlen, ferner
3. die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 1.596,- € nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank
seit dem 01.05.2005 zu zahlen, schließlich
4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr allen materiellen und, soweit
nicht vorhersehbar, immateriellen Zukunftsschaden aus Anlass der am 14.07.2004
32
im Kinderkrankenhaus der Beklagten durchgeführten Nierenoperation zu ersetzen,
soweit ein öffentlich-rechtlicher Forderungsübergang nicht stattfindet, außerdem
5. die Beklagte ferner zu verurteilen, an sie weitere 830,05 € nebst Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen
Zentralbank seit dem 20.04.2005 zu zahlen.
33
Die Beklagte beantragt,
34
die Klage abzuweisen.
35
Sie tritt den Behandlungsfehlerbehauptungen der Klägerin entgegen und bestreitet die
Kausalität. Sie behaupten, die Lagerung der Klägerin in der Operation vom 14.07.2004
sei auf Gelmatten erfolgt.
36
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des
Sachverständigen Prof. Dr. N2. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wir auf
sein Gutachten vom 28.02.2007 (Bl. 193 ff. d.A.) sowie auf die mündliche Anhörung des
Sachverständigen im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.02.2008 verwiesen.
37
Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes verweist die Kammer auf die
Gerichtsakten.
38
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
39
Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
40
Die Klägerin hat ihre Behandlungsfehlerbehauptungen zum großen Teil bewiesen. Auf
Grund der Beweisaufnahme steht fest, dass die Klägerin innerhalb der 12-stündigen
Operation nicht ordnungsgemäß gelagert war. Zum anderen sind den Mitarbeitern der
Beklagten bei Diagnose und Versorgung des postoperativ aufgetretenen Kompartment-
Syndroms entscheidende Versäumnisse unterlaufen. Dies folgt aus den sehr gut nach-
vollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N2,
der als Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie an der Charité in besonderer
Weise zur Beantwortung der streitgegenständlichen Fragen berufen ist. Die Kammer
folgt dem Sachverständigen nach eigener Prüfung seiner Darlegungen, die für die
Kammer nachvollziehbar und überzeugend sind. Daraus ergibt sich folgendes:
41
Bezüglich der Art und Weise der Lagerung war die Lagerung in Rückenlage
unverzichtbar. Ob eine Lagerung auf Gelmatten, wie von der Beklagten behauptet
stattgefunden hat, kann dahin stehen. Denn jedenfalls sind bei der Lagerung der
Klägerin in der Operation nicht die vom Sachverständigen für erforderlich gehaltenen
Lagerungshilfen wie Keile unter der Lendenregion und unter den Knien verwendet
worden. Die Beklagten haben zwar behauptet, dass Gelmatten verwendet worden
seien. Dass allerdings auch die erwähnten Lagerungshilfen für die Lendenregion und
insbesondere unter den Knien verwendet wurden, wird von Beklagtenseite nicht
behauptet. Auch nach Vorlage des Sachverständigen-Gutachtens und entsprechendem
Vortrag des Kläger-Vertreters (vgl. Bl. 279 d. A.) hat die Beklagte ihren Vortrag zur
Lagerung nicht ergänzt.
42
Das Nichtverwenden von Lagerungshilfen insbesondere im Kniebereich ist ein
schlechthin unverständlicher Verstoß gegen den ärztlichen Standard. Der
Sachverständige hat sich einen solchen Verstoß nicht vorstellen können, weil es aus
seiner Sicht selbstverständlich sei, dass die erwähnten Lagerungshilfen verwendet
werden: Hierbei handele es sich um einen selbstverständlichen Standard, der in jedem
Operationssaal vorgehalten werde. Damit handelt es sich bei dem Unterlassen einer
Lagerungshilfe insbesondere mit der Knierolle um einen unverständlichen
Elementarverstoß, der schlechthin nicht vorkommen kann. Rechtlich ist dies ein grober
Behandlungsfehler.
43
Weitere Fehler hat der Sachverständige bei der Versorgung des Kompartment-
Syndroms festgestellt. So hat er Versäumnisse jedenfalls darin gesehen, dass nicht am
Morgen des 15.07.2004 gegen 8:00 Uhr eine erneute Blutkontrolle vorgenommen
wurde. Anlass hierzu habe bestanden, weil in der Nacht zuvor bereits die
Verdachtsdiagnose eines Kompartment-Syndroms von dem behandelnden Arzt des
Nachtdienstes gestellt worden war. Das Unterlassen einer solchen Blutkontrolle, die –
zumal auf der Intensivstation – unproblematisch und schnell vorzunehmen war, ist nach
den Feststellungen des Sachverständigen zwar verständlich, aber fehlerhaft. Dass die
Blutkontrolle, wäre sie denn bereits um 8:00 Uhr morgens durchgeführt worden, einen
extrem erhöhten CK-Wert ergeben hätte, hat der Sachverständige in der mündlichen
Anhörung verdeutlicht. Hieraus folgt, dass spätestens am Vormittag des 15.07.,
jedenfalls nach der klinischen Untersuchung, die nach dem Aufwachen der Klägerin
ermöglicht war, die Indikation für eine sofortige Faszinspaltung hätte gestellt werden
müssen.
44
Diese Indikation stand jedenfalls nach Vorliegen des Labors von 12:12 Uhr am
15.07.2004 fest: Nunmehr nämlich sei die Diagnose eines Kompartment-Syndroms
gesichert gewesen. Das stark erhöhte CK, LDH und GOT im Zusammenhang mit der
Klinik machten die Indikation klar. Weiterer Untersuchungen bedurfte es hierfür nicht.
Warum von den beteiligten Ärzten der Beklagten nicht eine sofortige operative
Intervention für notwendig erachtet wurde, erschließt sich dem Sachverständigen nicht.
Verständlich erscheint dem Sachverständigen die Einholung eines Konsils allerdings
vor dem Hintergrund, dass die mit der Behandlung der Klägerin befassten Ärzte offenbar
nicht über ausreichende Erfahrung in der Behandlung eines Kompartment-Syndroms
verfügten.
45
Auch die Operation als solche war fehlerhaft. Hierzu führt der Sachverständige aus,
dass man am 15.07.2004 – jedenfalls nach der Mitteilung des Konsilianten – von einem
manifesten Kompartment-Syndrom auszugehen hatte. In einem solchen Fall sei die
Fasziotomie durch Quer- und Längsinzisionen der Faszie durchzuführen. Dies sei in der
Operation vom 15.07.2004 nicht erfolgt. Die chirurgische Therapie sei deshalb nicht
konsequent genug gewesen. Im einzelnen beanstandet der Sachverständige, dass die
Faszienspaltung nicht komplett war, wie der Sachverständige auf Nachfragen in der
mündlichen Verhandlung verdeutlicht hat.
46
Ebenfalls zu beanstanden war, dass nach der Operation die Haut verschlossen wurde.
Richtig wäre es gewesen, die Haut offen zu belassen und die Muskulatur durch einen
artifiziellen Verband abzudecken. Hierbei handelt es sich nach den Feststellungen des
Sachverständigen um einen klaren Verstoß gegen den ärztlichen Standard. Auch dies
wertet die Kammer als groben Behandlungsfehler. Der Sachverständige hat
47
verdeutlicht, dass der Vorschlag eines Kandidaten in der Facharztprüfung, nach der
Fasziotomie wegen eines Kompartment-Syndroms die Haut zu schließen, dazu führen
würde, dass er die Facharztprüfung nicht besteht. Dies zeigt, dass es sich bei dem
Offenlassen der Haut nach der Faszienspaltung um eine elementare und medizinisch
gesicherte ärztliche Behandlungsregel handelt, gegen die die Mitarbeiter der Beklagten
im vorliegenden Fall unverständlicherweise verstoßen haben.
Weitere Fehler hat der Sachverständige in der Behandlung mit der Klägerin nicht
feststellen können.
48
Auf der Grundlage der multiplen schweren Behandlungsfehler, die auch für sich
betrachtet zum Teil (Lagerung, Hautverschluss) als grobe Behandlungsfehler im
Rechtssinne zu werten sind, haftet die Beklagte der Klägerin auf Schadensersatz. Dabei
ist zu berücksichtigen, das bereits die Lagerung der Klägerin grob fehlerhaft war mit der
Folge, dass die Beklagte schon für die Folgen des Kompartment-Syndroms als solchem
einzustehen hat. Dies bedeutet, dass die Klägerin nicht nur für die funktionellen
Schäden und Umfangsveränderungen ihres rechten Unterschenkels und Fußes als
Folge der unzureichenden Versorgung des Kompartment-Syndroms zu entschädigen
ist, sondern auch für die durch das Auftreten des Kompartment-Syndroms entstandenen
Schäden, wie insbesondere die ausgeprägte Narbe rechts und die kleinere Narbe am
linken Unterschenkel.
49
Bezüglich der Folgen ist zunächst der unmittelbar postoperative Verlauf zu
berücksichtigen. Die Klägerin litt über einen längeren Zeitraum an teils massiven
Schmerzen, die durch Schmerzmittel nur zeitweise reduziert werden konnten. Ferner
musste sie wegen des Kompartment-Syndroms mehrfach operiert werden. In Anbetracht
des Umstandes, dass die Klägerin zuvor in einer 12-stündigen Operation ein
Nierentumor entfernt worden war und allein die Folgen dieser Operation eine
beträchtliche Belastung für ein 15-jähriges Kind darstellen, sind die zusätzlich
hinzugetretenen Belastungen durch das Kompartment-Syndrom als besonders schwer
zu bewerten.
50
Hinzu kommen die ästhetischen Veränderungen insbesondere des rechten
Unterschenkels und Fußes, die die Klägerin als junge Frau besonders beeinträchtigen.
Die von der Klägerin überreichten Lichtbilder (Bl. 79 – 84 d.A.), an deren Authentizität
die Kammer keine Zweifel hat, belegen die Formveränderung der rechten Wade und
insbesondere die deutliche Fehlstellung am rechten Fuß, die sich nach der glaubhaften
Darstellung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung noch weiter verschlechtert hat.
51
Ebenfalls von erheblichem Gewicht bei der Schmerzensgeldbemessung sind die
funktionellen Beeinträchtigungen infolge der neurologischen Ausfälle, wie sie sich aus
den Befunden des niedergelassenen Neurologen Dr. L vom 28.09.2004 (Bl. 28 d. SH I)
und vom 09.05.2005 (Bl. 78 d.A.) ergeben. Die hier beschriebenen neurologischen
Ausfälle sind typische Folgen eines Kompartment-Syndroms. Zweifel an der Richtigkeit
der Feststellungen des Neurologen Dr. L hat die Kammer nicht. Nach den Ausführungen
des Sachverständigen handelt es sich hierbei um einen Zustand, der eine
nennenswerte Verbesserung nicht erwarten lässt.
52
Bei der Schmerzensgeldbemessung ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass die Klägerin
sich wegen der Auswirkungen des Kompartment-Syndroms bereits zwei Mal
belastenden Operationen hat unterziehen müssen, die jeweils mit einem etwa 1-
53
wöchigen stationären Aufenthalt verbunden waren und einer anschließenden
Gipsruhigstellung von 6 Wochen, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom
20.02.2008 dargestellt hat. Die Kammer hat keine Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit
der Angaben der Klägerin.
Hieraus ergeben sich auch die allgemeinen Beeinträchtigungen der Klägerin im
täglichen Leben. Nach ihrer glaubhaften Darstellung leidet sie bei längerer Belastung
an Schmerzen im Bein und vor allem im Fußgelenk und Zeh des rechten Fußes.
Schnelleres Laufen oder Joggen ist ihr nicht möglich. Auch längeres Gehen bereitet ihr
Schmerzen. Ferner steht eine weitere Operation im Sommer des Jahres 2008 an. Bis
heute muss sie sich regelmäßig der Physiotherapie unterziehen. Bei dieser Sachlage
hält die Kammer die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes von 75.000 € für
angemessen. Sie orientiert sich dabei an den Entscheidungen des OLG Celle vom
13.02.2001 – 14 U 146/00 und OLG Naumburg vom 13.11.2003 – 4 U 136/03 (beide
mitgeteilt von Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld 4. Auflage, E 289 u. 290), ferner an OLG
München vom 10.09.2003 – 20 U 2061/03 (Vers.R 2005, 1745, ebenfalls mitgeteilt bei
bei Jaeger/Luckey a.a.O. E 357). Im vorliegenden Falle waren insbesondere das
jugendliche Alter der Klägerin, die zahlreichen Operationen und die die Klägerin bis an
ihr Lebensende begleitenden Einschränkungen zu beachten.
54
Von der Zuerkennung einer Schmerzensgeldrente wegen des letztgenannten
Gesichtspunkts sieht die Kammer allerdings ab. Eine Schmerzensgeldrente bleibt
schwersten Dauerschäden vorbehalten.
55
Bezüglich des mit der Klage geltend gemachten materiellen Schadens von 1.596,00 €
fehlt es an jeglichen Belegen. Auch auf das Bestreiten der Beklagten hin hat die
Klägerin ihr Vorbringen hierzu nicht belegt. Die Kammer hält es allerdings für
angemessen, in Anbetracht der bekannten und ohne weiteres naheliegenden
Beeinträchtigungen wie Fahrtkosten, Selbstbeteiligung bei Kompressions-Strümpfen
und behindertengerechtem Schuhwerk einen Schadensersatzbetrag als Pauschale von
500,- € zuzuerkennen, § 287 ZPO.
56
Der Feststellungsantrag ist in der zur Klarstellung abgeänderten Formulierung
begründet.
57
Hingegen hat der Antrag zu 5), mit welchem die Klägerin Kosten aus der
vorgerichtlichen Tätigkeit ihres anwaltlichen Vertreters geltend macht, nicht
zuzuerkennen. Hierzu hat die Klägerin eine Zahlung des Betrages an ihren
Rechtsanwalts nicht behauptet, so dass sie allenfalls einen Anspruch auf Freistellung
hätte.
58
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
59
Streitwert: 82.596,00 EUR.
60
Antrag zu 1) 40.000,00 €
61
Antrag zu 2) 21.000,00 €
62
Antrag zu 3) 1.596,00 €
63
Antrag zu 4) 20.000,00 €
64
Antrag zu 5) - ohne Ansatz -
65
82.596,00 €
66