Urteil des LG Köln vom 19.08.2009

LG Köln (chemotherapie, behandlung, wesentlicher nachteil, zugang, aufklärung, zeitpunkt, schmerzensgeld, höhe, antrag, durchführung)

Landgericht Köln, 25 O 249/07
Datum:
19.08.2009
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
25. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
25 O 249/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
T A T B E S T A N D:
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen des Vorwurfs von Behandlungsfehlern im
Zusammenhang mit einer chemotherapeutischen Behandlung, bei der es zu einem
Paravasat kam, auf den Ersatz materieller und immaterieller Schäden in Anspruch.
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Die am 11.01.1959 geborene Klägerin begab sich bei der Beklagten in Behandlung,
nachdem ein Mammakarzinom festgestellt worden war. Am 26.01.2006 erfolgte eine
brusterhaltene Operation rechts und links.
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Sodann wurde die Indikation zur Durchführung einer Chemotherapie gestellt. Am
15.02.2008 erfolgte ein Aufklärungsgespräch über den Ablauf und die Risiken der
Chemotherapie unter Zuhilfenahme des einschlägigen Diomedaufklärungsbogens
durch Frau Dr. S.
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Am 22.02.2006 begann der erste Zyklus der Chemotherapie. Es wurde ein peripher-
venöser Zugang links radial gewählt und Fluorouracil, Epirubicin und Cyclophosphamid
infundiert.
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Der Klägerin wurde sodann ein Port implantiert. Über diesen erfolgte der zweite Zyklus
ab dem 15.03.2006.
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Am 05.04.2006 begann der dritte Zyklus, aus dem die Klägerin die
streitgegenständlichen Ansprüche herleitet. Nachdem zunächst erfolgreich ein Bolus in
die Portkammer appliziert worden war, gelang die weitere Verabreichung über den
Infusionszähler nicht. Daraufhin erfolgte eine Portdarstellung, bei der sich eine
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regelgerechte Lage des Ports ergab. Weil die Infusion über den Port nicht möglich war,
legte die mit der Chemotherapie befasste Frau Dr. H eine Verweilkanüle links. Nach
erfolgreicher Blutaspiration wurde über 30 Minuten Kochsalzlösung infundiert. Sodann
wurde die Epirubicinlösung angehängt und, nachdem diese durchgelaufen war, mit der
Infusion von Fluorouracil begonnen.
Kurz danach sistierte die Infusion und es zeigte sich eine lokale Rötung.
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Die vom Ehemann der Klägerin hinzugezogene Frau Dr. H informierte ihrerseits Frau
Dr. S. Diese kam spätestens nach einigen Minuten hinzu und beendete die Infusion am
Handrücken. Es wurde nunmehr eine Verweilkanüle am linken Unterarm als Zugang
gewählt und die Chemotherapie hierüber fortgesetzt.
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Bezüglich des zunächst gewählten Zugangs wurde bei Verdacht auf ein Paravasat eine
lokale Behandlung mit DMSO sowie mit kühlenden Maßnahmen durchgeführt.
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Am 07.04.2006 stellte sich die Klägerin zu einem Kontrolltermin vor, bei dem ein
unauffälliger Befund erhoben wurde.
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Am 18.04.2006 erfolgte im Hinblick auf den vierten Zyklus eine Korrektur der
Portkammer, bei der der Katheterschlauch, der abgeknickt war, gerichtet wurde.
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Der vierte Zyklus erfolgte ab dem 26.04.2006. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die
Klägerin keine weitergehenden Beschwerden im Bereich des linken Handrückens
beklagt.
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Am 16.05.2006, am Tag vor dem Beginn des fünften Zyklus, stellte sich die Klägerin mit
einer zunehmenden Schwellung am linken Handrücken vor. Diese wurde mit einer
lokalen Kühlung behandelt und es erfolgte die Ruhigstellung per Schiene.
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Der fünfte Zyklus wurde wiederum über den Port appliziert.
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Wegen der Beschwerden am linken Handrücken begab sich die Klägerin in der N-Klinik
in Köln in Behandlung. Dort wurden ab dem 02.06.2006 eine abheilende Cuisnekrose
sowie eine bräunliche Pigmentierung festgestellt.
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Nachdem im Juni 2006 weiterhin eine Radiatio der Brust erfolgt war, stellte sich ab
September 2006 insgesamt eine gute Regeneration der Klägerin ein.
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Die Klägerin wirft der Beklagten vor, dass für den dritten Zyklus ein ungeeigneter
Venenzugang gewählt worden sei, weil die Punktionsstelle am Handrücken eine
erhöhte Gefahr für die Dislokation der Braunüle sowie ein Paravasat berge.
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Zudem beanstandet sie, dass keine ausreichende Funktions- und Lagekontrolle erfolgt
seien. Weiterhin sei die Überwachung während der Infusion unzureichend gewesen.
Die hiermit befassten Ärzte Dr. H und Dr. S seien als Assistenzärztinnen nicht
hinreichend qualifiziert gewesen.
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Sodann sei auf die Rötung unzureichend reagiert worden und auch die weitere
Behandlung des Paravasats sei fehlerhaft erfolgt.
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Zu den Folgen behauptet die Klägerin, dass die Gebrauchsfähigkeit des linken Arms
infolge des Paravasats erheblich beeinträchtigt sei. Hierdurch sei sie in allen
Lebensbereichen und insbesondere auch bei der Haushaltsführung stark eingeschränkt.
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Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen
aus dem Schadenereignis vom 04.04.2006 im Hause der Beklagten, wobei das
Schmerzensgeld den Betrag von 25.000,-- € nicht unterschreiten mag, nebst
5 Prozentpunkte Zinsen auf dieses Schmerzensgeld über den jeweiligen
Basiszinssatz der EZB seit dem 01.09.2007;
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2. die Beklagte zu verurteilen, an sie ab dem 01.07.2006 eine vierteljährlich
vorauszahlbare monatliche Rente in Höhe von 500, €, jeweils zum 01.01., 01.04.,
01.07. und 01.10. eines jeden Jahres zu zahlen bis zur Vollendung des 75.
Lebensjahres der Klägerin;
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3. a) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtlichen
weiteren materiellen Schaden zu ersetzen aus dem Schadenereignis
vom 04.04.2006, soweit Ansprüche nicht auf Dritte oder
Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen werden;
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b) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr weiteren
immateriellen künftigen Schaden zu ersetzen aus dem zu Ziffer 3. a)
genannten Schadenereignis;
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4. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen weiteren Betrag in Höhe von 1.880,20 €
zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie weist die erhobenen Vorwürfe zurück.
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Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 15.05.2008 (Bl. 58
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f. d.GA.) durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Bezüglich des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. L vom 02.12.2008 (Bl. 87 ff. d.GA.) sowie des Protokolls der
mündlichen Verhandlung vom 06.05.09 ( Bl. 169 ff. d. A.) verwiesen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die zur Gerichtsakte
gereichten Behandlungsunterlagen Bezug genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E:
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Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin kann von der Beklagten unter keinem
rechtlichen Gesichtspunkt aufgrund der Behandlung vom 05.04.2006 Schadensersatz
verlangen.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch die Einholung eines medizinischen
Sachverständigengutachtens hat sie nicht den ihr obliegenden Beweis zu führen
vermocht, dass sie im Haus der Beklagten unter Verstoß gegen die Regeln ärztlicher
Kunst behandelt worden ist.
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Der Sachverständige Prof. Dr. L, der der Kammer aus einer Vielzahl von Verfahren als
sehr sorgfältiger und durchaus kritischer Sachverständiger bekannt ist, ist zu dem wohl
begründeten Ergebnis gelangt, dass sich ein Behandlungsfehler nicht feststellen lasse.
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Ein solcher lasse sich nicht aus der gewählten Punktionsstelle herleiten. Hierzu gelte
zwar der Grundsatz, dass nach Möglichkeit diejenigen Venen verwendet werden sollten,
die von Weichteilgewebe umgeben sind, damit im Falle eines Paravasats die Nerven
und Gefäße möglichst geschützt seien. Als empfehlenswerte Reihenfolge ergebe sich
daher die Punktion am Unterarm, sodann am Handrücken, sodann am Handgelenk und
schließlich in der Ellenbogenvene. Hierbei handele es sich jedoch nur um eine
Empfehlung, so dass sich aus einer anderweitigen Handhabung kein
Behandlungsfehler herleiten lasse. Auch aus den einschlägigen Leitlinien ergäben sich
insoweit keine Vorgaben. Im zu beurteilenden Fall sei es eine durchaus plausible
Begründung für die Wahl der Punktionsstelle am Handrücken, hierdurch ein späteres
Ausweichen auf die Punktionsstelle am Unterarm zu ermöglichen. Ebenso sei es nicht
zu beanstanden, sich von dem Lumen der jeweiligen Vene leiten zu lassen.
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Das Ausweichen auf einen peripheren Zugang als solches sei gerechtfertigt gewesen,
weil die zeitnahe Durchführung der Chemotherapie erforderlich gewesen sei.
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Zu einer fehlerhaften, vom ärztlichen Standard abweichenden Behandlung der Klägerin
gelangt die Kammer auf der Grundlage dieser Ausführungen des Sachverständigen im
Hinblick auf die Punktionsstelle nicht.
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Auch im Hinblick auf die Reaktion nach Auftreten der Rötung ist der Sachverständige
nicht zu einem fehlerhaften Vorgehen gelangt, das zu einem Nachteil für die Klägerin
geführt hat.
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Dies betreffe zunächst die Frage der notwendigen Qualifikation der betreuenden Ärztin.
Es sei absolut üblich, dass die Primärversorgung von besonders qualifizierten
Assistenzärztinnen, um die es sich auch bei den Dres. S und H gehandelt habe,
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wahrgenommen werde und eine Supervision durch Fachärzte/Oberärzte erfolge. Dass
stets eine Fachärztin zugegen sei, sei zwar wünschenswert, jedoch nicht Postulat des
Standards.
Was die Frage der Reaktionszeit anbelange, sei zunächst zu berücksichtigen, dass eine
solche von zwei bis drei Minuten noch ohne weiteres adäquat sei. Zudem sei davon
auszugehen, dass sich auch durch eine längere Reaktionszeit kein wesentlicher
Nachteil für die Klägerin ergeben habe. Hierfür sei maßgeblich, dass die Rötung erst
beim Einlaufen der Fluorouracillösung aufgetreten sei. Zu diesem Zeitpunkt war die
Infusion der gewebeschädigenden Epirubicinlösung bereits abgeschlossen gewesen,
so dass die gewebsschädigende Wirkung durch ein frühzeitigeres Eingreifen nicht
verringert worden wäre.
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Aus denselben Erwägungen sei es äußerst unwahrscheinlich, dass durch eine
Aspiration zum einen gewebsschädigende Flüssigkeit hätte gewonnen werden können
und sich zum anderen hierdurch ein Vorteil für die Klägerin ergeben hätte. Aufgrund der
Verdünnung des Epirubicins durch die danach infundierte Fluorouracillösung sei
vielmehr davon auszugehen, dass dies nicht der Fall gewesen wäre. Im Hinblick auf
den nach wie vor nicht nachgewiesenen wirklichen Wert und die Effektivität der
Aspiration handele es sich hierbei auch nicht um eine Maßnahme, deren Unterlassen
als fundamentaler Elementarverstoß zu qualifizieren sei. Er selbst halte die Aspiration
deshalb inzwischen für verzichtbar, wenngleich er auch in seiner Klinik grundsätzlich
Wert darauf lege, dass sie erfolge und entsprechend dokumentiert werde, damit der
Algorhithmus, wie in einem solchen Fall zu verfahren ist, klar sei. Ob im Fall der
Klägerin tatsächlich eine Aspiration erfolgt ist, wie von Beklagtenseite behauptet, kann
danach dahinstehen.
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Zur Gabe von DMSO hat der Sachverständige schließlich ausgeführt, dass sowohl die
unmittelbare Verabreichung nach der Komplikation als auch die Mitgabe von DMSO an
den Patienten zu dokumentieren seien. Unterstellt letztere sei nicht erfolgt, lasse sich
jedoch nicht sagen, dass der weitere Verlauf für die Klägerin hierdurch nachteilig
beeinflusst worden ist. Die Wirksamkeit von DMSO zur Behandlung der Folgen eines
Paravasats sei bislang nicht geklärt.
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Das zwischenzeitlich verwendete Dexracoxane, dessen Wirksamkeit nachgewiesen sei,
sei zum streitgegenständlichen Zeitpunkt noch nicht zur Behandlung eines Paravasats
zugelassen gewesen.
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Den gut nachzuvollziehenden und differenzierten Ausführungen des Sachverständigen,
die dieser im Anhörungstermin noch einmal eingehend erläutert hat, schließt sich die
Kammer nach eigener Würdigung an.
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Der Klage ist schließlich auch kein Erfolg beschieden, soweit die Klägerin geltend
macht, sie sei über das erhöhte Risiko eines Paravasats bei Fortführung der
Chemotherapie über einen peripheren Zugang nicht aufgeklärt worden und hätte dieser
bei zutreffender Aufklärung nicht zugestimmt. Zum einen hat die Klägerin nicht
bestritten, dass die Aufklärung vor Beginn der Chemotherapie, so wie sie von
Beklagtenseite dezidiert und unter Bezugnahme auf die Dokumentation vorgetragen
und vom Sachverständigen als adäquat beurteilt worden ist, erfolgt ist. Zum anderen hat
sich die Beklagte zulässigerweise auf eine hypothetische Einwilligung der Klägerin bei
zutreffender Aufklärung berufen und die Klägerin hat schon nicht ansatzweise plausibel
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dargelegt, dass sie sich bei Vornahme der postulierten Aufklärung in einem ernsthaften
Entscheidungskonflikt befunden hätte. Sie hat hierzu nämlich nur vortragen lassen, dass
sie der Chemotherapie über einen peripheren Zugang dann nicht zugestimmt hätte,
wenn sie darüber aufgeklärt worden wäre, dass in diesem Fall ein Paravasat auftreten
könne. Sie hat sich jedoch nicht mit den Ausführungen des Sachverständigen
auseinandergesetzt, dass das Ausweichen auf einen peripheren Zugang zur
Fortsetzung der Chemotherapie erforderlich gewesen sei. Zudem ist zu berücksichtigen,
dass bereits der erste Zyklus über einen peripheren Zugang erfolgt war und es hierbei
nicht zu einer Komplikation gekommen war. Auch mit Blick hierauf stellt es sich als
fernliegend dar, behauptet die Klägerin nunmehr, sie hätte der Durchführung des dritten
Zyklus über einen peripheren Zugang nicht zugestimmt.
Schließlich hat die Klägerin die Rüge der unzureichenden Risikoaufklärung nach den
Ausführungen des Sachverständigen auch nicht mehr aufgegriffen, sondern lediglich
geltend gemacht, es sei nach dem Ereignis keine angemessene Aufklärung über
dasselbe und mögliche Folgeerscheinung erfolgt. Hierbei handelt es sich jedoch um
eine Frage der therapeutischen Aufklärung. Dafür dass etwaige Fehler dieser Art zu
nachteiligen Folgen für die Klägerin geführt haben, gibt es keinen Anhaltspunkt.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 Satz 2 ZPO.
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Streitwert:
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Antrag zu 1.: 25.000,-- €,
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Antrag zu 2.: 30.000,-- €,
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Antrag zu 3.: 10.000,-- €,
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gesamt: 65.000,-- €.
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