Urteil des LG Köln vom 04.04.2008
LG Köln: geschäft, entschädigung, bauarbeiten, eingriff, verzug, verkehrswert, honorarforderung, vollstreckbarkeit, vergleich, zahlungsaufforderung
Landgericht Köln, 17 O 148/06
Datum:
04.04.2008
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
17. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 O 148/06
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.000 € nebst Zinsen in
Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
24.05.2006 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 59 %, die Beklagte
41 %.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
TATBESTAND
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Der Kläger betreibt seit 1979 als Einzelkaufmann das Schuhgeschäft "T" in seinem
Geschäftslokal in der B-Straße in Köln. Die Beklagte führt als örtliches
Nahverkehrsunternehmen den Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Köln
vom 30.04.2002 – Bau der unterirdisch geführten Nord-Süd-Stadtbahn – aus. In diesem
Zusammenhang finden seit April 2004 auch in der unmittelbaren Umgebung des
Geschäftslokals des Klägers Bauarbeiten statt. Das Geschäft des Klägers ist über die
Kleine Sandkaule, durch die I-Passage und die N-Straße sowie über die B-Straße
erreichbar. Die Kleine Sandkaule wurde im Zuge der Baumaßnahmen von der
Beklagten für den Fahrzeugverkehr gesperrt und als Baustelleneinrichtungsfläche in
Anspruch genommen. Im Übrigen wurde ein U-Bahn-Ausgang der Haltestelle
"Heumarkt" so verändert, dass die Fahrgäste nicht mehr unmittelbar in Richtung des
Geschäftlokals des Klägers den Bahnhof verlassen konnten; eine Bushaltestelle in
unmittelbarer Nähe des Ladenlokals wurde ebenso wie einige öffentliche PKW-
Stellplätze entfernt.
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Der Kläger behauptet, ihm sei in den Jahren 2004 und 2005 insgesamt ein Schaden von
103.230,54 € aufgrund der Baumaßnahmen der Beklagten entstanden. Zur Begründung
seines Schadens beruft er sich insbesondere auf ein von der Beklagten eingeholtes
Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Dr. M & Q GmbH, das unter anderem für
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das Jahr 2005 einen Mindergewinn von 46.000 € prognostiziert. Nachdem er die
Beklagte ursprünglich auf Zahlung dieses Betrages in Anspruch genommen hatte,
haben sich die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 22.09.2006 teilweise
dahingehend verglichen, dass die Beklagte an den Kläger für das Jahr 2004 einen
Ausgleich in Höhe von 31.200 € zahlt.
Der Kläger beantragt nunmehr sinngemäß,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 51.615,27 € nebst Zinsen in Höhe von 8
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.05.2005 sowie vorgerichtliche
Anwaltskosten in Höhe von 2.369,50 € zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, die Beeinträchtigungen seien nicht geeignet gewesen, den
Gewerbebetrieb des Klägers zu beeinträchtigen. Hierzu behauptet sie, unmittelbar vor
dem Geschäft des Klägers – das unstreitig ständig fußläufig erreichbar geblieben ist –
hätten nicht kontinuierlich Baumaßnahmen stattgefunden. Im Übrigen habe der Kläger
bereits seit 2002 mit ständig rückläufigen Umsätzen und Erträgen zu kämpfen gehabt,
so dass sein Umsatzrückgang nicht auf die Bauarbeiten zurückzuführen sei.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des
Sachverständigen E, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, sowie durch die
Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 22.01.2008.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen.
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ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
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Die Klage ist lediglich teilweise begründet.
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Nachdem die Parteien sich hinsichtlich einer Entschädigung für das Jahr 2004 geeinigt
haben, war nur noch über die Entschädigung für das Jahr 2005 zu entscheiden.
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Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf einen angemessenen Ausgleich
ergibt sich für dieses Jahr lediglich in Höhe von 12.000 € nach den Grundsätzen über
den enteignenden Eingriff beziehungsweise einer analogen Anwendung des § 906 Abs.
2 Satz 2 BGB. Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch nach § 823 I
BGB liegen hingegen nicht vor, da der Kläger nicht dargelegt hat, dass ein
rechtswidriger Eingriff der Beklagten in ein deliktisch geschütztes Rechtsgut erfolgte.
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Die Voraussetzungen eines enteignenden Eingriffs sind dem Grunde nach gegeben:
Ein Eingriff in eine eigentumsmäßig geschützte Rechtsposition liegt vorliegend darin,
dass die Beklagte in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers
eingegriffen hat. Zwar müssen unter dem Gesichtspunkt der Sozialpflichtigkeit des
Eigentums auch gewerbetreibende Anlieger einer Straße die mit den Arbeiten zur
Schaffung einer U-Bahn verbundenen Behinderungen bis zu einem gewissen Grad
hinnehmen; dies gilt jedoch nicht, wenn die Beeinträchtigungen ein bestimmtest Maß
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überschreiten. Abzustellen ist dabei auf Dauer, Intensität und Art der Maßnahme (vgl.
dazu insgesamt BGH, Urteil vom 20.12.1971, Az. III ZR 79/69). Unter Anwendung dieser
Grundsätze ist vorliegend zum einen die lange Dauer der Baumaßnahmen im Bereich
des klägerischen Geschäftslokales, zum andern die Tatsache zu berücksichtigen, dass
sich der Ertrag aus dem Geschäft für den Kläger innerhalb kurzer Zeit vermindert hat.
Nach Ansicht der Kammer kommt es dabei nicht darauf an, ob Bauarbeiten
kontinuierlich unmittelbar vor dem Ladenlokal des Klägers durchgeführt wurden.
Maßgeblich ist vielmehr, dass die Gesamtheit der Arbeiten rund um das Ladenlokal des
Klägers – wie sie fotographisch von beiden Parteien dokumentiert ist, vgl. Bl. 88 ff. d.A.
und Bl. 137 ff. d.A. – aufgrund ihres Umfangs geeignet ist, Kunden vom Geschäft des
Klägers fernzuhalten. Das gilt unabhängig von der Frage, ob das Geschäft fußläufig
stets erreichbar war; denn jedenfalls ist die Attraktivität des Standortes nach Auffassung
der Kammer durch die Baumaßnahmen für einen "Einkaufsbummel" erheblich
herabgesetzt.
Hinsichtlich der Höhe der Entschädigung hält die Kammer einen Ausgleich in Höhe von
12.000 € für das Jahr 2005 für angemessen. Dieser ergibt sich aus folgenden
Überlegungen: Die Höhe des Ausgleichsanspruches ist unter Abwägung der Interessen
der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass
diese Ausgleichsfunktion keinen Schadensersatz darstellt und demnach grundsätzlich
nicht der entgangene Gewinn verlangt werden kann. Der Geldwert, den der Betroffene
anstelle des entzogenen Sachwertes erhalten soll, ist vielmehr am Verkehrswert der
entzogenen Substanz und nicht an hypothetischen Vermögensentwicklungen
auszurichten (vgl. BGH a.a.O.). Grundsätzlich ist damit eine Entschädigung für die
entzogenen Vermögenssubstanz zu gewähren. Zur Berechnung der Folgen einer
vorübergehenden Substanzentziehung duldet der Bundesgerichtshof jedoch eine
"vereinfachte Berechung" dadurch, dass der Ertragsverlust gestattet wird, weil dieser als
angemessene Nutzung des im Betrieb steckenden Substanzwertes betrachtet werden
könne (vgl. BGH, a.a.O.). Ausgehend von diesen Überlegungen lässt sich die Kammer
von den Feststellungen des Sachverständigen E leiten, der einen "entgangenen
Gewinn" in Höhe von 23.643 DM – also rund 12.000 € – für das Jahr 2005 errechnet hat.
Die Ausführungen des Sachverständigen sind schlüssig und in sich widerspruchsfrei.
Insbesondere hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend
und nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen bei dem hypothetischen Umsatz
lediglich auf das Referenzjahr 2003 abgestellt wurde. Den Ausführungen in dem privat
eingeholten Gutachten Dr. M und Q kann hingegen nicht gefolgt werden, da sie sich für
das Jahr 2005 einzig als Prognose darstellen.
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Ein Anspruch auf Zahlung von Zinsen ergibt sich erst ab dem Zeitpunkt der
Klagezustellung. Ein vorheriger Verzug der Beklagten ist nicht ersichtlich, denn in dem
Schreiben des Klägervertreters vom 25.04.2005 ist keine Zahlungsaufforderung im
Sinne des § 286 I BGB zu sehen.
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Da ein Verzug der Beklagten vor Klageerhebung nicht gesehen werden kann, ist auch
eine Anspruchsgrundlage für die Erstattung der eingeklagten Honorarforderung nicht
ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 91 a ZPO. Durch den Abschluss des
Teilvergleiches haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt
erklärt, so dass nur noch über die Kosten zu entscheiden war. Dabei hat die Kammer
sich von der im Vergleich festgehaltenen Zahlung leiten lassen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
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Streitwert: 103.230, 54 €.
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