Urteil des LG Köln vom 06.09.2006
LG Köln: eingriff, anhörung, einwilligung, schmerzensgeld, klinik, gefahr, patient, operation, behandlungsfehler, leistungsfähigkeit
Landgericht Köln, 25 O 346/02
Datum:
06.09.2006
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
25. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
25 O 346/02
Tenor:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger
100.000 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem
01.09.2000 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet
sind, dem Kläger sämtliche künftigen immateriellen sowie alle
materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus ärztlichen Behandlung ab
dem 28.02.2000 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, soweit
diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige
Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten als
Gesamtschuldnern auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 120% des beizutreibenden Betrages.
T A T B E S T A N D:
1
Der Kläger verlangt von den Beklagten Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen
einer nach seiner Behauptung fehlerhaft und ohne die erforderliche Aufklärung
durchgeführten ärztlichen Behandlung in der Klinik der Beklagten zu 1.
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Der am 24.02.1961 geborene Kläger hatte am 21.04.1999 einen Reitunfall, nach dem
sich ein Bandscheibenvorfall L5/S1 im MRT vom 23.04.1999 zeigte. Nach
konservativen Behandlungen mit physikalischer Therapie, Krankengymnastik und
Injektionen im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie einer erweiterten ambulanten
Physiotherapie suchte er das beklagte Krankenhaus auf. Durch ein in einer Apotheke
erhaltenes Informationsschreiben war er auf eine andere Behandlungsmöglichkeit in
diesem Krankenhaus aufmerksam gemacht worden.
3
Nach ambulanter Beratung wurde er am 28.02.2000 stationär aufgenommen und nach
der Aufnahmeuntersuchung darüber aufgeklärt, dass am Folgetag ein Epiduralkatheter
gelegt werden sollte. Mündlich wurde er über die Infektionsgefahr aufgeklärt. Das
schriftliche Informationsmaterial, das ihm ausgehändigt wurde, enthielt keine Angaben
über die Risiken der Behandlung. Eine unterschriebene Aufklärungs- und
Einwilligungserklärung ist nicht vorhanden. Nur im Verlaufsbericht unter dem
28.02.2000 ist eine Aufklärung über die prä- und postoperativen Maßnahmen vermerkt.
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Laut OP-Bericht vom 29.02.2000 gestaltete sich die Plazierung der Führungskanüle für
den Katheter wegen der knöchernen Enge des Hiatus schwierig. Im OP-Bericht ist eine
Korrektur nach ursprünglich falschseitiger Katheterlage vermerkt. Die Lokalisation der
Katheterspitze wurde mehrfach unter Röntgenkontrolle geprüft, dann der Führungsdraht
herausgelöst und Kontrastmittel appliziert. Am Abend beklagte der Kläger noch ein
taubes Gefühl in den Beinen.
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In den Folgetagen erfolgten die Einspritzungen in den Katheter und der Katheter wurde
am 02.03.2000 gezogen. Der Kläger klagte bereits bei den Einspritzungen und nach
Entfernung des Katheters über Taubheitsgefühle und Schmerzen im Bereich des
rechten Beins bis zur Großzehe. Am Abend des 02.03.2000 fiel eine zunehmende
Caudasymptomatik auf, die vom hinzugezogenen Neurologen unter dem 7., 8. und
14.03.2000 bestätigt wurde. Kernspin- und CT-untersuchungen ergaben keinen Anhalt
für einen Verdrängungsprozess, so dass keine Re-OP erfolgte. Nach drei Wochen
stationären Aufenthalts wurde der Kläger in eine Reha-Klinik verlegt, wo er weitere drei
Wochen verblieb. Er klagte weiterhin über Taubheitsgefühl sowie Schmerzen im rechten
Bein. Wegen Zunahme der Beschwerden erfolgten diverse Behandlungen bei
Orthopäden, Neurologen und Anästhesisten sowie in zahlreichen Kliniken.
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Die Kläger wirft den Mitarbeitern der Beklagten vor, ihn vor der epiduralen Katheter-
Behandlung nicht ausreichend über die Chancen und Risiken sowie
Behandlungsalternativen aufgeklärt sowie die Operation selbst grob fehlerhaft nicht
nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt zu haben. Hierzu behauptet er, die
Punktion sei fehlerhaft erfolgt, weil es dabei zweimal infolge Nervenwurzelverletzungen
zu dafür typischen Schmerzreaktionen (Hochschnellen des Beins) gekommen sei. Man
hätte den sakralen Akt abbrechen und einen lumbalen Zugang wählen müssen. Statt
einer Linderung seiner vorher im Vergleich zu nachher minimalen linksseitigen
Beschwerden sei es zu einem bleibenden schwerwiegenden rechtsbetonten Schaden
gekommen, weil der Katheter traumatisierenden Kontakt zu nervalen Strukturen hatte.
Ein inkomplettes rechtsseitiges Caudasyndrom läge vor, das zu einer Störung der
Sensibilität in der Rima ani zum Genitale geführt habe. Er leide unter Schmerzen im
Rücken, im Gesäß und in den Beinen sowie eingeschränkter Blasentätigkeit und
erektiler Impotenz. Aufgrund seiner zahlreichen Beschwerden sei die geplante
Aufnahme einer neuen beruflichen Tätigkeit misslungen. Nach der Aufnahme am
01.05.2000 sei es bereits in der Probezeit ab dem 22.08.2000 zur Krankschreibung
gekommen.
7
Er erhebt die Aufklärungsrüge und behauptet, zu keinem Zeitpunkt über die nicht
unbeträchtlichen Risiken aufgeklärt worden zu sein.
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Der Kläger beantragt,
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1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes
Schmerzensgeld aus der fehlerhaften Behandlung ab dem 28.02.2000 zu zahlen,
dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird,
mindestens jedoch 102.258 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz –
mindestens verzinslich mit 8 % seit dem 29.02.2000, spätestens jedoch seit dem
01.09.2000,
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2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem
Kläger sämtliche künftige immaterielle sowie alle vergangene und künftige
materielle Schäden zu ersetzen, die ihm aus der fehlerhaften und rechtswidrigen
Behandlung ab dem 28.02.2000 entstanden ist bzw. noch entstehen werden,
soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte
übergegangen sind bzw. übergehen werden.
11
Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Sie treten der Behauptung eines Behandlungsfehlers entgegen und bestreiten
behandlungsfehlerbedingte Schäden. Dass es bei der Katheterlegung zweimalig zu
Berührungen von Nervenwurzeln gekommen sei, belege keinen Behandlungsfehler,
weil dies ein der Punktion immanentes Risiko sei. Nicht eine mechanische Schädigung
sei Ursache des Caudasyndroms, sondern eine schicksalhafte Empfindlichkeitsreaktion
des Klägers auf die eingesetzten Medikamente.
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Sie behaupten, vor dem Eingriff sei der Kläger hinreichend aufgeklärt worden. Im
Rahmen des Erstgesprächs seien sämtliche Möglichkeiten der Entwicklung
durchgesprochen worden. Beim Aufnahmetag sei – wie dies Routine sei - eine zweite
umfassende Beratung und Aufklärung erfolgt. Es sei dargelegt worden, dass der Eingriff
nicht risikolos sei. Da nahe an den Nerven gearbeitet werde, bestehe auch die
Möglichkeit einer Schädigung. Zudem lägen die Voraussetzungen einer hypothetischen
Einwilligung vor, unabhängig von der Schwere der Beschwerden, die beim Kläger vor
Aufnahme bestanden. Der Kläger habe unbedingt etwas an seinem Zustand,
insbesondere bezüglich der Schmerzattacken ändern wollen. Eine Bandscheiben-
Operation habe der Kläger nicht gewollt.
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Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 30. 10.2002, Blatt
84 ff. d.A., in der Fassung des Beschlusses vom 28.10.2004, Blatt 119 d.A. Für das
Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. L vom 28. Dezember 2004, Blatt 112 ff. d.A., nebst
Ergänzung vom 03.06.2005, Blatt 273 ff. d.A., Bezug genommen. Für das Ergebnis der
mündlichen Sachverständigenanhörung und der Beweisaufnahme zur Aufklärungsrüge
wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31.05 2006 Bezug genommen.
16
Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
18
Die Klage ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
19
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Schmerzensgeld aus §§ 823
Abs. 1, 847 BGB in Höhe von € 100.000,- sowie auf Ersatz seiner infolge der
Behandlung entstandenen und noch entstehenden materiellen Schäden und
zukünftiger, derzeit noch nicht feststehender immaterieller Schäden, was festzustellen
war. Denn die Behandlung durch die Beklagten ist ohne eine wirksame Einwilligung
des Klägers erfolgt und daher eine rechtswidrige Körperverletzung.
20
I.
21
Die Beweisaufnahme hat indes eine Abweichung der Behandlung der Klägerin im
Krankenhaus der Beklagten vom medizinischen Standard nicht ergeben. Nach den
ausführlichen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. L ist
die gewählte Behandlungsmethode nicht als exotische Außenseitermethode
anzusehen, deren Anwendung an sich bereits einen Behandlungsfehler darstellt. Er hat
diesbezüglich aus medizinischer Sicht inhaltlich Folgendes nachvollziehbar erläutert:
22
Die Raczmethode gehört zu einer der minimalinvasiven Methoden im Bereich der
Therapie der Wirbelsäulenschäden. Diese Methode ist eine der vielen neuartigen
Methoden, um offene Operationen an der Wirbelsäule mit ihren zahlreichen Risiken zu
vermeiden. Sie ist indes technisch anspruchsvoll und komplikationsträchtig. Die
Einführung des Katheters in den Wirbelkanal ist vom System her nichts Neues und
findet seit langem Anwendung z.B. im Bereich der Anästhesie. Der Unterschied zu den
üblichen Anwendungen ist, dass der Katheter nicht von dorsal, sondern von sakral unter
Bildwandlerkontrolle eingeführt wird. Auch die Mischung der Medikamente ist bei der
Racz-Methode neuartig und war bis dahin noch nicht üblich. Racz hat diese Methode
seit Jahren praktiziert und hierüber publiziert. Es gab in Deutschland Kurse, um diese
Methode zu erlernen. Bedenken gegen diese Methode bestehen insbesondere wegen
der erhöhten Infektionsgefahr. Diese resultiert daraus, dass der Katheter über mehrere
Tage liegen bleibt. Bereits im Jahre 2000 gab es daher in der medizinischen
Wissenschaft diesbezüglich einen unterschiedlichen Meinungsstand mit zwei Lagern,
die sog. Single-Shot-Vertreter und diejenigen, die die Kathetermethode bevorzugten. Es
gab damals noch keine kontrollierten Studien, und zwar weder bezüglich der Methode
Racz noch bezüglich anderer minimalinvasiver Methoden im Bereich der Wirbelsäule.
Die Racz-Methode war in dem Sinne neu, dass sie sich noch nicht bewährt hatte. Sie
wird allerdings noch heute praktiziert, wie sich an der vom Sachverständigen im Termin
übergebenen Veröffentlichung ergibt.
23
Im Jahre 2003 hat allerdings die Bundesärztekammer auf Bedenken gegen die Racz-
Methode hingewiesen und sie als experimentelle Methode eingestuft, weil sich in der
Zeit zwischen 2000 und 2003 Komplikationsberichte betreffend Infektionen und
negativer Ergebnisse gehäuft hatten.
24
Aufgrund dieser Umstände hat der Sachverständige in aller Eindeutigkeit darauf
verwiesen, dass ein Patient im Jahre 2000 vor einer Behandlung mit der Methode Racz
umfassend aufgeklärt werden musste, insbesondere auch über die Neuartigkeit des zur
Anwendung gelangenden Verfahrens. Im vorliegenden Fall ist indes davon
auszugehen, dass dem Kläger die Neuartigkeit des Verfahrens aus der Veröffentlichung
in der Apothekenzeitschrift und auch aus dem in der Klinik übergebenen
Informationsblatt, Anlage K30, bekannt war.
25
Hinsichtlich der mit der Methode verbundenen Risiken sind diese bereits von Racz
selbst mitgeteilt worden. Danach besteht sogar die Gefahr einer tiefen
Querschnittslähmung als Folge von Nervenverletzungen, die sich allerdings nur selten
realisiert. Tritt jedoch das Querschnittssyndrom als Folge einer Nervenverletzung auf, so
führt es zu erheblichen Schäden, wie z.B. einer Schließmuskelstörung, einer teilweisen
Beinlähmung und Beeinträchtigungen der sexuellen Funktion. Die Gefahr der
Nervenverletzung ist bei der Racz-Kathetermethode höher als bei der Single-Shot-
Methode, weil der Katheter größer ist als die bei der Single-Shot-Methode verwendeten
feinen Nadeln. Bezüglich der Alternative der Single-Shot-Methode gab es bereits im
Jahre 2000 evidenzbasierte Studien.
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Nach den Ausführungen des Sachverständigen, der aufgrund eigener Untersuchung
beim Kläger eine Schädigung der rechtsseitigen S1-Nervenwurzel und einiger
Caudafasern nach sakral/epiduraler Katheterbehandlung festgestellt hat, lässt sich im
nachhinein nicht klären, was zu diesen Schäden des Klägers genau geführt hat, ob dies
durch den Katheter oder durch die ihm applizierte Lösung geschehen ist.
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Die Kammer nimmt auf diese nachvollziehbaren Darstellungen der Sachverständigen,
der aufgrund seiner Tätigkeit über eine große Erfahrung in der zu beurteilenden
Behandlung verfügt, Bezug und macht sie sich zu Eigen. Da der Sachverständige auch
in der Durchführung der Behandlung kein fehlerhaftes Vorgehen feststellen konnte,
kann im Ergebnis nicht von einer ärztlichen Standards nicht entsprechenden
Behandlung des Klägers durch die Beklagten ausgegangen werden.
28
II.
29
Der Eingriff stellt sich aber wegen des Fehlens einer wirksamen Einwilligung als
rechtswidrig dar. Nach den eindeutigen Ausführungen des Sachverständigen ist ein
Patient vor einer Behandlung mit dieser Methode umfassend über deren Neuartigkeit,
ihren Vor- und Nachteilen gegenüber Behandlungsalternativen sowie insbesondere
über die Risiken aufzuklären. Je weniger dringlich der Eingriff ist, desto größere
Anforderungen sind an die Aufklärung zu stellen. Besonders eingehender Aufklärung
bedarf es, wenn der Arzt neuartige Behandlungsmethoden anwenden will, für die noch
keine abgesicherte Erfahrung mit möglicherweise nicht völlig übersehbaren Risiken
besteht (vgl. zu diesem Gesichtspunkt OLG Köln, NJW-RR 1992, 986-987
Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rn. 185 mwN). Eine vitale Indikation für den
Eingriff lag nicht vor, so dass jedenfalls nicht aus diesem Gesichtspunkt an die Intensität
der ärztlichen Aufklärungspflicht geringere Anforderungen zu stellen waren.
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Unstreitig ist der Kläger über die Infektionsgefahr aufgeklärt worden und kannte, wie
bereits oben ausgeführt, die Neuartigkeit des Verfahrens. Ob er indes ausreichend über
Behandlungsaltenativen, wie auch das Single-Shot-Verfahren, und die besonderen
weiteren Risiken der Racz-Methode, insbesondere das Risiko einer tiefen
Querschnittslähmung bzw. eines Querschnittsyndroms aufgeklärt worden ist, ist nicht
festzustellen. Das wäre aber erforderlich gewesen. Das Querschnittssyndrom ist bei
einer Katheterbehandlung nach Racz ein zwar recht seltenes, aber ein gerade für diese
Behandlung typisches Risiko ist, dessen Kenntnis bei einem Laien nicht vorausgesetzt
werden kann. Über solche typischen, dem Patienten nicht erkennbaren Risiken ist
grundsätzlich auch dann aufzuklären, wenn sie sehr selten sind (BGH NJW 1980, 1905
ff; VersR 1980, 68), dies vor allem dann, wenn ihre Folgen bei Verwirklichung des
Risikos schwerwiegend sind (BGH NJW 1980, 1905 ff; VersR 1976, 293 unter II 2a).
31
Angesichts dieser Umstände macht auch eine geringe Komplikationsdichte eine
Aufklärung über dieses spezielle Risiko nicht entbehrlich. Bezeichnenderweise hat
auch der Sachverständige Prof. Dr. L erklärt, er halte seine Mitarbeiter dazu an, bei
derartigen Katheterbehandlungen auch über die Gefahr einer tiefen
Querschnittslähmung als Folge von Nervenverletzungen aufzuklären, obwohl sich diese
nur selten realisiere.
Eine schriftlich bestätigte Aufklärung mit Angabe des wesentlichen Inhalts liegt nicht vor.
Es ist in den Behandlungsunterlagen lediglich vermerkt, dass der Patient am 28.02.2000
über prä- und postoperative Maßnahmen aufgeklärt worden sei. Hierzu liegt keine
ausreichende Dokumentation einer Aufklärung über Risiken und
Behandlungsalternativen. Außerdem ergibt sich aus dem zitierten Vermerk im
Pflegebericht nicht, wer genau, insbesondere ob ein Arzt das Aufklärungsgespräch
geführt haben soll. Auch aus dem Sachvortrag der Beklagten zur Aufklärung ergibt sich
keine ausreichende Aufklärung über Behandlungsalternativen, etwa über die Single-
Shot-Methode als Alternative. Hinsichtlich der Risiken ist eine tiefe
Querschnittslähmung bzw. ein Querschnittsyndrom nicht erwähnt, was indes nach dem
vom Sachverständigen dargelegten Aufklärungsprofil erforderlich war. Damit fehlt es
bereits an erheblichem Vortrag der Beklagten zu der erfolgten Aufklärung, so dass eine
Grundlage für eine Anhörung bzw. Vernehmung der Beklagten als Partei zur erfolgten
Aufklärung nicht besteht. Von einer Vernehmung der von den Beklagten angebotenen
Zeugen zur üblichen Aufklärung hat die Kammer abgesehen, da unterstellt werden
kann, dass routinemäßig im Krankenhaus der Beklagten zu 1) vor einer
Katheterbehandlung über das Risiko einer Nervenschädigung aufgeklärt wurde und
eine Eintragung über eine Aufklärung im Pflegebericht nur erfolgen soll, wenn ein
unterschriebenes Aufklärungs- und Einwilligungsformular vorliegt. Jedoch ergibt sich
auch aus diesem Vorbringen der Beklagten nicht, dass dem Kläger z.B. die
Behandlungsalternative der Single-Shot-Methode dargestellt und das Risiko einer tiefen
Querschnittslähmung bzw. eines Querschnittsyndroms im Falle einer Nervenverletzung
erwähnt worden ist.
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Insgesamt ist deshalb nicht von einer ausreichenden Aufklärung auszugehen.
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Ebenso sind die Voraussetzungen einer hypothetischen Einwilligung angesichts der
bestehenden Behandlungsalternative Single-Shot-Methode nicht gegeben, zumal der
Kläger bei seiner Anhörung auch plausibel und glaubhaft seine Situation vor dem
Eingriff nicht als so belastend dargestellt hat, dass er für die Chance der Verbesserung
seiner Schmerzsituation alle Risiken ohne weiteres in Kauf genommen hätte. Er hat
überzeugend und in jeder Hinsicht glaubhaft dargestellt, dass er zuvor
Beeinträchtigungen im wesentlichen im Zusammenhang mit Sport und langen
Autofahrten bzw. langem Sitzen hatte, die sich nach einiger Zeit jeweils wieder gaben.
Von dem Eingriff erhoffte er sich nur, auch diese Beeinträchtigungen zu überwinden und
das letzte Quäntchen körperlicher Leistungsfähigkeit wieder zu erlangen. Bei dieser
Sachlage liegt ein Entscheidungskonflikt bei Kenntnis der zwar seltenen, aber
erheblichen Risiken der Racz-Methode einerseits und der bestehenden
Behandlungsalternative andererseits auf der Hand. Es bestehen hingegen keine
Anhaltspunkte, dass der Kläger die genannten Risiken gleichsam ohne weiteres
Überlegen und in blindem Vertrauen auf die Kenntnisse und Fähigkeiten der Beklagten
eingegangen wäre.
34
III.
35
Bei der Bemessung des damit geschuldeten Schmerzensgeldes hat die Kammer
ausgehend von den glaubhaften Angaben des Klägers zu den Folgen bei seiner
Anhörung gemäß § 287 Abs. 1 S. 3 ZPO folgende Gesichtspunkte berücksichtigt:
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Der Kläger musste sich dem Eingriff nicht unterziehen. Er war zwar durch den erlittenen
Bandscheibenvorfall beeinträchtigt, jedoch zeigten sich die damit verbundenen
Einschränkungen in erster Linie bei sportlicher Betätigung und bei längerem Sitzen.
Den Vertrag für die am 01.04.2000 anzutretende Managementstelle hatte er im Februar
vor der Behandlung unterzeichnet und erhoffte vor Antritt der neuen Stelle durch die
Behandlung seine dann volle körperliche Leistungsfähigkeit und Schmerzfreiheit
wiederzuerlangen.
37
Durch die Katheterbehandlung nach Racz wurden die rechtsseitige S1-Nervenwurzel
und einige Caudafasern geschädigt, so dass es zu dem Caudasyndrom kam. Folge sind
zahlreiche Beeinträchtigungen, wie Gefühlsstörungen, starke Schmerzen,
Bewegungseinschränkungen, erektile Dysfunktion und Inkontinenz. Der Kläger bedarf
starker Schmerzmittel. Seinem ursprünglich ausgeübten Beruf kann er nicht mehr
nachgehen und bezieht eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Er ist zu 80 % schwerbehindert
mit dem Kennzeichen G. Die Situation ist für ihn psychisch so belastend, dass er sich
einer psychotherapeutischen Behandlung wegen Depressionen unterzogen hat und seit
etwa 4 Jahren Antidepressiva einnimmt. Er hat glaubhaft geschildert, dass er sich
überlegt habe, ob es überhaupt noch Sinn mache, unter diesen Umständen weiter zu
leben. Er habe sich mit Suizidgedanken getragen. Insoweit habe ihm die Therapie aber
schon eine Besserung gebracht. Eine Besserung der Schmerzen sei indes nicht
eingetreten.
38
Die Kammer glaubt dem Kläger aufgrund des bei der Anhörung gewonnenen Eindrucks.
Dramatisierungstendenzen waren nicht erkennbar. Seine Schilderung steht zudem in
Einklang mit dem Dokumentierten in den zahlreich beigezogenen Krankenunterlagen
der vielen Nachbehandler und den Ausführungen des Sachverständigen über die
Auswirkungen einer tiefen Querschnittslähmung.
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Unter Berücksichtigung dessen hält die Kammer zum Ausgleich der immateriellen
Schäden des Klägers und zu seiner Genugtuung insgesamt ein Schmerzensgeld als
billige Geldentschädigung unter Berücksichtigung von vergleichbaren Fällen, wie sie
sich aus den Zusammenstellungen bei Jäger/Luckey und Hacks/Ring ergeben, einen
Betrag von insgesamt € 100.000,- für angemessen.
40
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB; einen über den gesetzlichen Zinssatz
hinausgehenden Verzugsschaden hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt und unter
Beweis gestellt. Es fehlt Vortrag dazu, dass in dem infrage stehenden Zeitraum für
sichere Anlagen höhere Zinsen zu erlangen gewesen wären.
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Der Feststellungsantrag (Antrag zu 2.) ist zulässig und begründet. Das
Feststellungsinteresse der Klägerin ergibt sich daraus, dass aufgrund der eingetretenen
Gesundheitsbeeinträchtigung dem Kläger in der Vergangenheit materielle Schäden
entstanden sind und in Zukunft noch entstehen können. Aufgrund des gesundheitlichen
Dauerschadens, der bei als solcher der Bemessung des Schmerzensgeldes
Berücksichtigung gefunden hat, besteht indes die nicht unwahrscheinliche Möglichkeit,
dass er sich zur Zeit nicht genau vorhersehbaren weiteren Eingriffen wird unterziehen
42
müssen, die dann zu einem darüber hinausgehenden immateriellen Schaden führen.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 ZPO.
43
Streitwert
44
Antrag zu 1) 102.258,00 €
45
Antrag zu 2) 50.000,00 €
46
152.258,00 €
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