Urteil des LG Köln vom 01.10.2008
LG Köln: die post, trennung der verfahren, verwaltungsbehörde, auflage, verwaltungsverfahren, einspruch, aufzählung, vorverfahren, gesellschafter, versicherungsnehmer
Landgericht Köln, 20 S 15/08
Datum:
01.10.2008
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
20. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 S 15/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Köln, 126 C 629/07
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Köln vom
12.03.2008 – Aktenzeichen: 126 C 629/07 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren
Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Klägerin macht gegen die Beklagte aufgrund eines
Rechtsschutzversicherungsvertrages einen Anspruch auf Ersatz einer Post- und
Telekommunikationspauschale geltend.
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Der geschäftsführende Gesellschafter der Klägerin war von einem
Versicherungsnehmer der Beklagten mit der Interessenwahrung im Rahmen eines
Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahrens beauftragt. Dem Versicherungsnehmer der
Beklagten war am 19.01.2007 ein Bußgeldbescheid vom 16.01.2007 zugestellt worden,
der eine Geldbuße in Höhe von 75,00 €, den Ausspruch eines Fahrverbotes von einem
Monat und den Hinweis auf die Eintragung von drei Punkten im Verkehrszentralregister
enthielt.
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Der Klägerin legte mit Schreiben vom 24.01.2007 Einspruch gegen den
Bußgeldbescheid ein und forderte mit gleicher Post einen aktuellen Auszug des
Verkehrszentralregisters an.
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Dem Einspruch wurde nicht abgeholfen und die Akten an das Amtsgericht übermittelt,
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das die Hauptverhandlung auf den 07.05.2007 terminierte. Nach erfolgter Akteneinsicht
entschieden der geschäftsführende Gesellschafter der Klägerin und der versicherte
Mandant aufgrund der Beweislage den Einspruch zurückzunehmen, was am 20.04.2007
schriftlich erfolgte.
Mit Kostennote vom 27.04.2007 rechnete die Klägerin gegenüber der Beklagten die
anwaltliche Tätigkeit in Höhe von 650,44 € ab. Dabei wurde das Verfahren vor der
Verwaltungsbehörde mit den Ziffern 5100 und 5103 VV RVG abgerechnet sowie für
dieses Bußgeldverfahren die Post- und Telekommunikationspauschale gem. Nr. 7002
VV RVG in Ansatz gebracht.
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Für das gerichtliche Verfahren brachte die Klägerin die Ziffern 5109, 5115 und 5107 VV
RVG in Ansatz. Außerdem wurd neben den Kosten für die Kopien der Ermittlungsakte
wiederum die Post- und Telekommunikationspauschale gem. Nr. 7002 VV RVG
abgerechnet.
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Die Beklagte zahlte hierauf am 10.07.2007 einen Betrag in Höhe von 626,64 € und
begründete die Kürzung um 23,80 € damit, dass sie keinerlei rechtliche Grundlage für
die zweifache Geltendmachung der Abrechnungsziffer 7002 VV RVG sehe.
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Die Klägerin war der Ansicht, ihr stehe eine zweite Post- und
Telekommunikationspauschale gem. Nr. 7002 VV RVG zu. Das
Ordnungswidrigkeitsverfahren gliedere sich in zwei Verfahrensabschnitte, nämlich das
Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und das gerichtliche Verfahren. Dabei beginne
das Verwaltungsverfahren spätestens mit der Bekanntgabe des Bußgeldbescheides
und ende – ggf. nach einem dazugehörigen Zwischenverfahren – mit der Abgabe der
Akten an das zuständige Gericht. Mit Eingang der Akten bei Gericht beginne dann das
gerichtliche Verfahren. Dieses stelle eine eigenständige Angelegenheit im Sinne des
Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes dar und rechtfertige daher den Anfall einer weiteren
Auslagenpauschale.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 23,80 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 8 %
Punkten über dem Basiszinssatz seit 23.05.2007 zu bezahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie war der Auffassung, dass es sich bei dem Bußgeldverfahren vor der
Verwaltungsbehörde und dem anschließenden gerichtlichen Verfahren um eine
Angelegenheit handele, die nur die Entstehung einer Post- und
Telekommunikationspauschale gem. Nr. 7002 VV RVG rechtfertige.
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Mit Urteil vom 12.03.2008 hat das Amtsgericht Köln die Klage abgewiesen und die
Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich bei dem
Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde und dem anschließenden gerichtlichen
Verfahren um eine Angelegenheit im Sinne des RVG handele, so dass nur eine
Pauschale entstehe. Dies insbesondere deshalb, weil der Gesetzgeber in § 17 RVG
abschließend diejenigen Verfahren aufgezählt habe, bei denen das vorausgehende und
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das gerichtliche Verfahren als verschiedene Angelegenheiten zu qualifizieren seien.
Gegen dieses am 20.03.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 03.04.2008
Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 19.06.2008, eingegangen ebenfalls am
19.06.2008 begründet und das erstinstanzliche Vorbringen vertieft. Die Klägerin trägt
noch einmal vor, dass die systematische Trennung der Verfahren im
Vergütungsverzeichnis des RVG dafür spreche, dass es sich bei dem
bußgeldrechtlichen und dem gerichtlichen Verfahren um verschiedene Angelegenheiten
handele. Auch sei kein sachlicher Grund ersichtlich, der eine von § 17 Nr. 1 RVG
abweichende Behandelung rechtfertige.
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Die Klägerin beantragt unter Abänderung des am 12.03.2008 verkündeten Urteils des
Amtsgerichts Köln 126 C 629/07,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 23,80 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 8
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.05.2007 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte wiederholt im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen das Protokoll der Sitzung sowie den
sonstigen Akteninhalt Bezug genommen
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Entscheidungsgründe
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Die zugelassene Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
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In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg haben.
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Der Klägerin steht gegen die Beklagte keine zweite Post- und
Telekommunikationspauschale gem. Nr. 7002 RVG in der geltend gemachten Höhe von
23,80 € zu.
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Gemäß Nr. 7002 RVG VV kann die Pauschale für Post- und
Telekommunikationsdienstleistungen in jeder Angelegenheit anstelle der tatsächlichen
Auslagen nach Nr. 7001 RVG VV gefordert werden. Maßgeblich ist dabei nur, dass
gebührenrechtlich eine selbständige Angelegenheit vorliegt oder kraft gesetzlicher
Anordnung als solche gilt (Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Auflage 2008, Nr.
7001, 7001 RVG VV Rn. 21).
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Das bußgeldrechtliche Verfahren und das anschließende gerichtliche Bußgeldverfahren
stellen eine Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne dar (Müller-Rabe in:
Gerold/Schmidt, RVG, 18. Auflage 2008, § 17 RVG Rn. 63; LG Hamburg, Urteil vom
09.08.2006, Az. 319 S 3/06, a.A.: AG Nauen, Beschluss vom 10.05.2007, Az. 34 Owi
481 Js 20950/05 (430/05); AG Hamburg, Urteil vom 04.04.2006, Az. 920 C 53/06;
weitere Nachweise Burhoff, Verkehrsrecht aktuell 2007, 130 ff.).
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Das RVG bestimmt den verschiedentlich genannten Begriff der "Angelegenheit" nicht
ausdrücklich. Er dient gebührenrechtlich zur Abgrenzung desjenigen anwaltlichen
zusammengehörenden Tätigkeitsbereichs, der eine Pauschalgebühr abgelten soll.
Demnach ist eine "Angelegenheit" ein einheitlicher Lebensvorgang, der die gesamte
Tätigkeit des Anwalts von der Erteilung des jeweiligen Auftrages bis zur Erledigung
desselben oder bis zu seinem Ausscheiden abdeckt. Dabei kommt es wesentlich auf Art
und Umfang des Auftrages an (Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage 2007, § 15 RVG
Rn. 9-11; Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Auflage 2008, § 15 Rn. 5).
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Dies zugrunde gelegt, war es unter Geltung der BRAGO herrschende Meinung, dass
Bußgeldverfahren und anschließendes gerichtliches Verfahren eine Angelegenheit
darstellten (Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Auflage 2008, § 17 Rn. 63). Nach
dem nun geltenden RVG gilt nicht anderes:
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Das von der Klägerin aufgeführte systematische Argument, dass das
Vergütungsverzeichnis eine Trennung zwischen Bußgeld- und Gerichtsverfahren
vornimmt, nämlich in Teil 5 Unterabsatz 2 das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde
und in Teil 5 Unterabsatz 3 das Verfahren vor dem Amtsgericht regelt, trägt nicht. Aus
dieser systematischen Unterscheidung im Vergütungsverzeichnis folgt nicht, dass
verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheiten gegeben sind. Vielmehr handelt es
sich um unterschiedliche Verfahrensgebühren, die innerhalb einer Angelegenheit
nebeneinander entstehen können, wobei § 15 Abs. 2 S. 1 RVG lediglich verhindert,
dass dieselbe Gebühr innerhalb einer Angelegenheit mehrfach entsteht (vgl. OLG
Saarbrücken, Beschluss vom 15.12.2006, Az. 1 Ws 249/06, juris Rn. 5 zum Verhältnis
von Ermittlungs- und Strafverfahren).
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Auch ist § 17 Nr. 1 RVG nicht entsprechend anzuwenden.
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Gem. § 17 Nr. 1 RVG sind verschiedene Angelegenheiten jeweils das
Verwaltungsverfahren, das einem gerichtlichen Verfahren vorausgehende und der
Nachprüfung des Verwaltungsaktes dienende weitere Verwaltungsverfahren
(Vorverfahren, Einspruchsverfahren, Beschwerdeverfahren, Abhilfeverfahren), das
Verwaltungsverfahren auf Aussetzung oder Anordnung der sofortigen Vollziehung
sowie über einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte Dritter und ein
gerichtliches Verfahren.
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Voraussetzung einer entsprechenden Anwendung einer Vorschrift ist eine
Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes. Ob eine
derartige Lücke vorhanden ist, die im Wege der Analogie ausgefüllt werden kann, ist
vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht zu
beurteilen. Das Gesetz muss also, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht,
unvollständig sein (BGHZ 149, 165 [174] m.w.Nachw.).
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An einer solchen planwidrigen Regelungslücke fehlt es bereits. Vor dem Hintergrund,
dass das RVG erst seit dem 01.07.2004 in Kraft ist und davon ausgegangen werden
kann, dass der Gesetzgeber um die Problematik wusste, beinhaltet § 17 Nr. 1 RVG eine
abschließende Aufzählung. Für das Bußgeldverfahren und das sich daran
anschließende Verfahren fehlt aber in dieser Aufzählung eine Regelung.
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Selbst wenn man aber eine solche Regelungslücke annehmen würde, dürfte es an einer
Vergleichbarkeit des Bußgeldverfahrens einschließlich des Zwischenverfahren und den
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in § 17 Nr. 1 RVG genannten Verwaltungsverfahren fehlen. Zwar prüft die
Verwaltungsbehörde gem. § 69 Abs. 2 OWiG, ob sie den Bußgeldbescheid aufrecht
erhält oder zurücknimmt. Der Umfang eines Verwaltungsverfahrens in Verwaltungs-,
Finanz- und Sozialsachen, für die § 17 Nr. RVG gilt (Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt,
RVG, 18. Auflage 2008, § 17 Rn. 7), ist jedoch nicht mit dem Umfang des
Zwischenverfahrens nach dem OWiG vergleichbar (LG Hamburg, Urteil vom
09.08.2006, Az. 319 S 3/06). So ist beispielsweise das Vorverfahren nach §§ 69 ff.
VwGO bereits von Gesetzes wegen wesentlich aufwendiger (vgl. z.B. das
Abhilfeverfahren gem. § 72 VwGO) und an formelle Voraussetzungen anknüpfend
ausgestaltet, als das Zwischenverfahren im OWiG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit basiert auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.
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Die Revision war gem. § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, weil die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
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