Urteil des LG Köln vom 27.03.2002

LG Köln: bandscheibenvorfall, trauma, vergleich, versicherungsschutz, rehabilitation, rückenbeschwerden, invalidität, eng, zahl, wörterbuch

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Landgericht Köln, 23 O 106/01
27.03.2002
Landgericht Köln
23. Zivilkammer
Urteil
23 O 106/01
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.500 EUR vorläufig
vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Kläger ist bei der Beklagten mit einer Versicherungssumme von 240.000 DM bei
Invalidität sowie einem Krankenhaustagegeld und Genesungsgeld von je 100 DM privat
unfallversichert. Die GUB 95 der Beklagten sind vereinbart. Der Kläger zeigte der
Beklagten am 28.12.1998 ein Unfallereignis vom 14.11.1998 an, bei dem er beim Tragen
eines schweren Fernsehkartons auf einer Treppe abgerutscht ist, sich jedoch auf der
übernächsten Stufe noch hat abfangen können. Er befand sich wegen eines
Bandscheibenvorfalls im Bereich L5/S1 vom 1. bis 17.12.1998 im Bundeswehr-
Krankenhaus V. Die Beklagte holte einen Bericht dieses Krankenhauses vom 11.2.1999
ein und lehnte ihre Leistungen mit Schreiben vom 19.2.1999 ab, weil der
Bandscheibenvorfall nicht überwiegend durch den Unfall verursacht sei. Dagegen wendet
sich der Kläger mit der Klage.
Der Kläger beansprucht eine Invaliditätsentschädigung, ein Krankenhaustagegeld und ein
Genesungsgeld und behauptet, der Unfall sei die alleinige Ursache des
Bandscheibenvorfalls. Er habe zuvor an keinerlei Beeinträchtigungen aus dem Bereich der
Wirbelsäule gelitten. Zwar hätten die Ärzte eine leichte Schädigung im Bereich L3-L5
festgestellt. Diese Vorschädigungen hätten jedoch keinerlei Beeinträchtigung im Bereich
L5/S1 mit sich gebracht. Seine Invalidität betrage 10%. Er habe sich nach dem stationären
Krankenhausaufenthalt vom 29.12.1998 bis 26.1.1999 zur Rehabilitation in Bad T2
aufgehalten.
Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 14.571,82
EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit der Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, bei dem von dem Kläger geschilderten Ereignis habe es sich
nicht um einen Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen gehandelt. Jedenfalls sei
das behauptete Ereignis nicht die überwiegende Ursache des Bandscheibenvorfalles bei
dem Kläger. Vielmehr sei dieser alleine oder überwiegend degenerativ verursacht. Den
Aufenthalt zur Rehabilitation habe der Kläger nicht nachgewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Behauptungen der Parteien wird auf den Inhalt ihrer
Schriftsätze sowie den Versicherungsschein und die ärztlichen Berichte und Gutachten
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch nach §§ 1, 49 VVG, I 7 Abs. 2 c GUB
95. Zwar handelte es sich nach Ansicht des Gerichts bei dem von dem Kläger
geschilderten Ereignis um einen Unfall im Sinne von § 1 Abs. 3 GUB 95. Darauf kommt es
jedoch nicht entscheidend an. Jedenfalls hat der Kläger nicht ausreichend schlüssig
erläutert, daß der Unfall die überwiegende Ursache des Bandscheibenvorfalls im Bereich
L5/S1 ist.
Nach § 2 III Abs. 2 AUB 88 ( die GUB 95 der Beklagten sind insoweit gleichlautend ) fallen
Schädigungen an Bandscheiben nicht unter den Versicherungsschutz.
Bandscheibenschädigungen fallen nach § 2 III Abs. 2 S. 2 AUB 88 erst dann unter den
Versicherungsschutz, wenn der Unfall die überwiegende Ursache darstellt. Davon kann
jedoch nicht ausgegangen werden.
Nach dem Konsens aller Unfallchirurgen und Orthopäden sind Bandscheibenvorfälle
jedenfalls im Bereich der Lendenwirbelsäule in aller Regel nicht traumatisch bedingt,
sondern auf degenerative Erscheinungen zurückzuführen. Häufig sind
Bandscheibenvorfälle bei Patienten stumm und verursachten ihnen keine Schmerzen, sie
bemerkten sie nicht einmal; erst nach einem Trauma werden sie ihnen bewußt. Nach
medizinischer Erfahrung bricht bei einem Aufprall auf die Wirbelsäule eher der
Wirbelkörper, als daß die elastischere Bandscheibe reißt. Bei einem traumatisch bedingten
Bandscheibenvorfall sind in der Regel knöcherne Verletzungen an der Wirbelsäule
festzustellen. Ein einmaliges schweres Trauma ruft bei einer normalen, gesunden lumbalen
Bandscheibe nur äußerst selten einen isolierten dorsalen Vorfall hervor. Bei einer
vorgeschädigten Wirbelsäule genügt ein alltägliches Trauma, um eine akute
Verschlimmerung und damit das aktuelle klinische Syndrom auszulösen. Der Unfall ist
dann eine Gelegenheitsursache für die Verschlimmerung, jedoch nur für einen
vorübergehenden Zeitraum. Das OLG Hamm (MDR 02, 334 ) hat anschaulich formuliert:
" Bei in derartigen degenerativen Vorschädigungen ist der Unfall - gleichsam wie
der sprichwörtliche Tropfen, der das Faß zum überlaufen bringt - nur zufälliger Auslöser die
er auf die Vorschäden zurückzuführen in Beschwerden, die ohne den Unfall alsbald durch
ein beliebiges Alltagsereignis ausgelöst worden wären."
Um in diesem Bild zu bleiben: Der Unfall - der Tropfen - ist im Vergleich zu den
degenerativen Vorschäden - dem gefüllten Faß - mengenmäßig nicht der größere, sondern
der geringfügigere Teil. Traumatische Bandscheibenschäden sind im Vergleich zu
degenerativen Erkrankungen sehr selten. Häufiger sind Verletzungen der knöchernen
Elemente der Wirbelsäule oder Kombinationen von Verletzungen der knöchernen
Elemente mit Bandscheibenschädigungen. Deshalb fordern die mit der Begutachtung von
traumatischen Wirbelsäulenschäden betrauten Ärzte übereinstimmend den
röntgenologischen Nachweis knöcherner Verletzungen an den Wirbelkörpern. Das ist bei
dem Kläger nach den eingeholten Gutachten aber nicht der Fall.
Dem Gericht ist diese orthopädische Lehrmeinung bekannt, weil es ständig mit
Rechtsstreitigkeiten aus privaten Versicherungsverhältnissen befaßt ist. Derartige
Gutachten, die auf dieser wissenschaftlichen Ansicht beruhen, sind dem Gericht in großer
Zahl von den Versicherern vorgelegt oder selbst eingeholt worden. Eine abweichende
Ansicht ist bislang nicht bekannt geworden. Diese wissenschaftlich fundierte Ansicht hat
auch Eingang in die Rechtsprechung der Gerichte gefunden ( OLG Schleswig, r+s 95, 119;
OLG Hamm, r+s 98, 128 = VersR 99, 44; OLG Oldenburg, r+s 97, 41; OLG Nürnberg, r+s
01, 217; OLG Hamm, MDR 02, 334; LG Köln, r+s 86, 48 ). Auf sie weisen auch Grimm (
Unfallversicherung, 3. Aufl. 1999, § 2 Rn. 96 ), Wussow-Pürckhauer (AUB, 6. Aufl. 1990, §
2 Rn. 96 ) und Pschyrembel ( Klinisches Wörterbuch, Stichwort "Bandscheibe" ) hin. Das
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erkennende Gericht hat sich dem seit langem angeschlossen.
Diese durchgängige orthopädischen Lehrmeinung kann auch im Falle des Klägers zu
keiner anderen Beurteilung führen. Nach dem Bericht des Bundeswehr-Krankenhauses V
vom 11.2.1999 an die Beklagte hat der Kläger dort berichtet, daß er seit fast 10 Jahren
immer wieder an Rückenbeschwerden gelitten habe. Das ist ebenso bereits in dem Bericht
des Krankenhauses an den Truppenarzt vom 7.1.1999 zu finden. Sogar in einem weiteren
Bericht vom 15.6.1998, vor dem Unfall, werden rezidivierend strenge lumbale
Beschwerden erwähnt. Damit ist die gegenteilige Behauptung des Klägers, er sei bis zu
dem Unfall frei von jeglichen Rückenbeschwerden gewesen, widerlegt.
Die Ärzte des Bundeswehr-Krankenhauses sind in dem Bericht 11.2.1999 zu der
Einschätzung gekommen, daß der Bandscheibenvorfall im Bereich L5/S1, der das
Wurzelkompressionssyndrom verursacht habe, aufgrund degenerativer Veränderungen der
Bandscheiben eingetreten sei. In den ärztlichen Berichten ist an keiner Stelle erwähnt, daß
in Röntgenaufnahmen knöcherne Verletzungen im Bereich der Lendenwirbelsäule
gefunden worden wären.
Soweit der Kläger darauf hinweist, die Beschwerden hätten in dem Bereich L3 - L5
bestanden, während der Bandscheibenvorfall jetzt im Bereich L5/S1 aufgetreten sei, ist das
ohne Bedeutung. Die behandelnden Ärzte haben auch hier keine knöchernen
Verletzungen in Röntgenaufnahmen gefunden. Im übrigen ist es abwegig anzunehmen,
degenerative Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule seien auf ein einzelnes, eng
begrenztes Segment beschränkt, der unmittelbar benachbart liegende Wirbel sei dagegen
nicht vorgeschädigt. Nach orthopädischen Ansicht beginnt der degenerative Verschleiß
bereits im Jugendalter. Erst recht muß dies bei dem Kläger gelten, der als Berufsoldat
Fallschirmspringer ist.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.