Urteil des LG Köln vom 27.10.2005
LG Köln: rechtskräftiges urteil, avb, reparaturkosten, thüringen, berufliche tätigkeit, entgangener gewinn, allgemeine versicherungsbedingungen, versicherer, lagerung, vermögensschaden
Landgericht Köln, 24 O 365/02
Datum:
27.10.2005
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
24. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
24 O 365/02
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 90.332,82 € nebst 5 %
Zinsen p.a. vom 20.6.1995 bis zum 28.2.1997 und seit dem 17.9.2002 zu
zahlen. Die Beklagte wird weiter verurteilt, die Klägerin von ihrer
Zahlungspflichtung gegenüber der N GmbH u. Co Dortmund wegen der
durch die Lagerung von zwei Ankerwellen und sechs Gleitlagern
entstandenen Kosten in Höhe von insgesamt 16.637,44 € freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 61 % und die
Beklagte zu 39 %.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte als Betriebshaftpflichtversicherer der Firma X GmbH
aus Erfurt (im Folgenden: Versicherungsnehmerin) nach einem Schadensfall vom
12.2.1994 in Anspruch. Dieser hatte sich im Zusammenhang mit der Demontage von
Teilen einer Bergwerkförderanlage ereignet. Auf die Haftpflichtversicherung finden die
Allgemeinen und Besonderen Vereinbarungen zur Haftpflichtversicherung Anwendung
(im Folgenden: AVB). Wegen der näheren Einzelheiten wird auf Bl. 94 ff. d. A. Bezug
genommen.
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Im Juni 1992 kaufte die Klägerin von der C AG eine Förderanlage im Wesentlichen
bestehend aus zwei jeweils über 40 t schweren Gleichstrommaschinen (westliche und
östliche) nebst Lagerung (je drei Gleitlager pro Anker) und Technik, die sie demontieren
und dann weiterveräußern wollte. Die Klägerin beauftragte die Versicherungsnehmerin
mit der Demontage und Aufladung der Anlage. Die Versicherungsnehmerin sollte ferner
für den Transport vier Lagerböcke für die beiden Anker anfertigen.
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Am 12.2.1994 wurde der östliche Anker von der Versicherungsnehmerin demontiert und
auf zwei von ihren Mitarbeitern auf einem Tieflader eines von der Klägerin engagierten
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Transportunternehmens bereitgestellten Lagerböcke abgelagert. Unmittelbar nach dem
Anfahren des LKW knickte einer der Lagerböcke ein, wodurch der östliche Anker auf
den Lagerbock aufschlug und beschädigt wurde. Die Anker sowie die Gleitlager wurden
auf das Werksgelände der Firma N GmbH und Co in Dortmund transportiert, wo sie
zunächst in einer Halle und später im Außenbereich gelagert wurden. Es entstanden
hierdurch Lagerkosten in Höhe von insgesamt 16.637,44 €, die bis heute unbezahlt
geblieben sind. Es wurden zur Schadensermittlung an dem westlichen Anker
Bohrarbeiten durchgeführt, wodurch Bohrspäne in den Anker eindrangen und diesen
verunreinigten. Durch die Lagerung der Teile im Freien kam es an allen Teilen der
Anlage zu deutlichen Korrosionen.
Vor dem Landgericht Essen wurde zur Feststellung der an den Ankern und Lagern
entstandenen Schäden ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt, in dessen
Verlauf Gutachten der Sachverständigen E2 und X3 eingeholt wurden.
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Die Klägerin hatte den Erwerb der Förderanlage zum Teil über Darlehen finanziert.
Unter anderem gewährte Herr G der Klägerin ein Darlehen in Höhe von 150.000,- DM.
Dieses konnte die Klägerin schadensbedingt nicht vollständig zurückzahlen. Deshalb
wurde sie durch Versäumnisurteil des Landgerichts Essen vom 10.1.1995 zur
Rückzahlung verurteilt. Aufgrund des Versäumnisurteils betrieb Herr G die
Zwangsvollstreckung und ließ sich mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des
Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 4.8.1995 wegen einer Forderung in Höhe von
143.321,35 DM (73.297,04 €) die Ansprüche der Klägerin gegen die
Versicherungsnehmerin pfänden und zur Einziehung überweisen.
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Die Beklagte, bei der die X GmbH ebenfalls sachversichert war, leistete vorprozessual
aus der Sachversicherung an ihre Versicherungsnehmerin einen Betrag von 180.000,-
DM (92.032,54 €), wovon diese nach Einbehalt ihrer Ansicht nach ausstehender
Werklohnansprüche einen Betrag von 25.715,07 DM an die Klägerin weiterleitete.
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Über das Vermögen der Versicherungsnehmerin wurde am 1.3.1997 das
Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet. Zum Gesamtvollstreckungsverwalter wurde
Rechtsanwalt Dr. X2 bestellt. Die Klägerin nahm den Gesamtvollstreckungsverwalter
vor dem Landgericht Erfurt aufgrund des Schadensfalles in Anspruch, wobei sie
Ansprüche auf entgangenen Gewinn, Lagerungskosten, Darlehensrückzahlungskosten
geltend machte. Hilfsweise berief sie sich auf ihr zu ersetzende Reparaturkosten. Das
Landgericht urteilte mit Entscheidung vom 11.5.2000 (Bl. 337 ff. d. A.). Es lehnte einen
Anspruch auf entgangenen Gewinn ab und gab der Klage im Hinblick auf der Klägerin
entstandene Reparaturkosten statt. Über die Berufung entschied das Thüringer
Oberlandesgericht mit Urteil vom 23.7.2002 (Bl. 5 ff. d. A.). Das Oberlandesgericht
bejahte einen Anspruch der Klägerin auf entgangenen Gewinn und entschied über die
lediglich hilfsweise geltend gemachten Reparaturkosten nicht. Wegen der weiteren
Einzelheiten wird auf die Entscheidung des Oberlandesgericht Thüringen Bezug
genommen (Bl. 5 ff. d. A.). Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde am 11.11.2003 durch
den Bundesgerichtshof zurückgewiesen.
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Die Klägerin beruft sich auf § 157 VVG und nimmt die Beklagte aufgrund eines
behaupteten Absonderungsrechts in Anspruch. Sie sei berechtigt, ihren Anspruch auch
auf den Gesichtspunkt erforderlicher Reparaturkosten zu stützen, da diese von der
Beklagten nach dem Versicherungsvertrag zu ersetzen seien und im Verfahren vor dem
OLG Thüringen zumindest hilfsweise geltend gemacht worden seien. Die Höhe der
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notwendigen Reparaturkosten ergebe sich aus dem Kostenvoranschlag der Firma B
vom 28.7.1994. Wegen der Beschädigung der Anker und der Gleitlager habe die
Versicherungsnehmerin ihr Schadensersatz zu leisten, weil die Lagerböcke nicht
vertragsgemäß gewesen seien.
Sie rügt die Berechnung des entgangenen Gewinns durch das Oberlandesgericht
Thüringen als fehlerhaft (Bl. 352 ff. d. A.).
10
Die Beklagte habe nach Teil B Abschnitt III der Versicherungsbedingungen für den
Schaden einzustehen, ohne dass sie sich auf einen vereinbarten Selbstbehalt oder eine
Beschränkung der Deckungssumme berufen könne. Eine Selbstbeteiligung sei
höchstens in Höhe von 10.000,- DM vereinbart worden (Teil B Abschnitt III Ziffer 2.1.2
bis 2.1.5 AVB).
11
Ein Tätigkeitsschaden im Sinne des Teil B, Abschnitt I Nr. 4 AVB liege nicht vor, weil
der entstandene Schaden auf der Unzulänglichkeit der von der Gemeinschuldnerin
verwandten C2 beruhe.
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Dass ihr überhaupt ein Gewinn entgangen sei, habe die Beklagte wesentlich mit
verschuldet, da die Versicherungsleistung nicht zeitnah an die Gemeinschuldnerin
ausgekehrt worden sei und somit eine Reparatur nicht habe erfolgen können. Der
Weiterverkauf der Anlage sei letztlich aufgrund der nicht fristgerechten Reparatur der
Anlage gescheitert.
13
Die Beklagte sei spätestens mit der Verkündung des Urteils des Landgerichts Erfurts am
11.5.2000 in Verzug geraten.
14
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen,
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1.) an Herrn G 73.297,04 € (143.321,35 DM) nebst 12 % Zinsen p.a. auf
61.012,20 € (120.502,99 DM) vom 20.06.1995 bis zum 28.02.1997 und 4 %
Zinsen p.a. auf 3.984,92 € (7.793,83 DM) vom 20.06.1995 bis zum 28.02.1997
sowie 15 % auf 61.012,20 € (120.502,99 DM) seit dem 11.05.2000 zu zahlen,
17
2.) an die Klägerin 182.365,36 € (356.675,65 DM) nebst 5 % Zinsen p.a. vom
20.06.1995 bis zum 28.02.1997 und seit dem 11.05.2000 zu zahlen,
18
3.) die Klägerin von ihrer Zahlungsverpflichtung gegenüber der N GmbH u. Co
Dortmund wegen der durch die Lagerung von zwei Ankerwellen und sechs
Gleitlagern entstandenen Kosten in Höhe von insgesamt 16.637,44 €
(32.540,- DM) freizustellen.
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hilfsweise,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Rechtsanwalt X2 in seiner Funktion als
Verwalter in dem Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der X
GmbH die im Klageantrag aufgeführten Beträge zu zahlen und an ihn auch
den Betrag von 16.637,44 € zum Zwecke der Freistellung der Klägerin von
ihrer Zahlungsverpflichtung gegenüber der Firma N GmbH & Co. KG in
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Dortmund auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei nach § 4 Nr. 6 Abs. 2 AHB leistungsfrei, weil sie
hiernach für die Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der Erfüllungsleistung
tretende Ersatzleistung nicht einzustehen habe. Um solche Ansprüche handele es sich
jedoch hier, da die Klägerin entgangenen Gewinn wegen der fehlgeschlagenen
Weiterveräußerung der Förderanlage geltend gemacht habe und weil ihr zusätzliche
Mietkosten durch das Einlagern der Anlagenteile entstanden seien.
24
Auch sei nach § 4 Abs. 1 Ziff. 6 b) AHB der Ersatz von Vermögensschäden
grundsätzlich vom Versicherungsschutz ausgenommen. Eine Ausnahme ergebe sich
nur aus der Vorschrift des Teil B, Abschnitt I Nr. 4 AVB (Haftung für Tätigkeitsschäden).
Die Haftung für Tätigkeitsschäden sei auch nach Teil B Abschnitt II Ziffer 4.2 des
Versicherungsvertrags auf einen Betrag von 200.000,- DM begrenzt; vorprozessual
habe die Beklagte schon 180.000,- DM geleistet, so daß die Klägerin allenfalls noch
20.000,- DM verlangen könne.
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Auch sei die vertraglich vereinbarte Selbstbeteiligung von 20 % (Teil A Ziffer 6.1 AVB)
von der Klägerin zu Unrecht nicht berücksichtigt seien.
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Über Ansprüche der Klägerin gegen die Gemeinschuldnerin auf Ersatz von
Reparaturkosten habe das Thüringer Oberlandesgericht nicht entschieden, da diese im
dortigen Verfahren lediglich hilfsweise geltend gemacht worden seien, so daß das Urteil
diesbezüglich gegen die Beklagte keine Rechtskraft entfalte. Die Beklagte bestreitet die
Erforderlichkeit und Angemessenheit der geltend gemachten Reparaturkosten. Die
Klägerin habe ihre Schadensminderungspflicht verletzt, weil ein wesentlicher Teil der
Schäden an den Anlagenteilen durch Korrosion infolge unsachgemäßer Lagerung
entstanden sei. Hierfür sei die Klägerin selbst verantwortlich. Für die Schäden am
westlichen Anker sei die Gemeinschuldnerin zudem deshalb nicht verantwortlich, da
das Ausbohren der Schrauben, bei denen der Anker verunreinigt worden sei, durch eine
Drittfirma vorgenommen worden sei und nicht zum mit der Gemeinschuldnerin
vereinbarten Auftragsumfang gehört habe.
27
Die Klage ist der Beklagten am 16.9.2002 zugestellt worden. Das Gericht hat Beweis
erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses
der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen I3 vom 28.2.2005
(Bl. 452 ff. d. A.) Bezug genommen.
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Wegen der näheren Einzelheiten wird ergänzend auf die von den Parteien überreichten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
29
Entscheidungsgründe:
30
Die zulässige Klage ist teilweise begründet, im Übrigen unbegründet.
31
Der Antrag zu 3) war in vollem Umfang begründet. Der mit dem Antrag zu 2) geltend
gemachte Anspruch stand der Klägerin teilweise zu. Hinsichtlich des Antrages zu 1)
32
blieb die Klage ohne Erfolg.
I.
33
Der Antrag zu 2) war teilweise erfolgreich. Der Klägerin konnte von der Beklagten
lediglich die Zahlung eines Betrages von 90.332,82 € nebst der zuerkannten Zinsen
verlangen.
34
Die Klägerin stützt ihr Klagebegehren zu Recht auf die Vorschrift des § 157 VVG.
Hiernach kann der Dritte wegen des ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehenden
Anspruchs abgesonderte Befriedigung aus der Entschädigungsforderung des
Versicherungsnehmers verlangen, wenn über das Vermögen des
Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Entsprechend §
1282 BGB erwirbt der Dritte ein Einziehungsrecht unmittelbar gegen den Versicherer.
Voraussetzung ist, dass der Haftpflichtanspruch festgestellt und der
Entschädigungsanspruch fällig im Sinne des § 154 VVG geworden ist (Prölss/Martin,
VVG, § 157 Rdn. 3).
35
Durch Urteil des OLG Thüringen vom 23.7.2002 ist eine rechtskräftige Entscheidung
über den der Klägerin gegenüber der insolvent gewordenen Versicherungsnehmerin
zustehenden Anspruch auf Zahlung des entgangenen Gewinns in Höhe von 182.365,36
€ nebst Zinsen ergangen. Hierdurch war der Haftpflichtanspruch festgestellt und ein
Entschädigungsanspruch fällig geworden.
36
Die Beklagte haftete auf Grundlage des mit der Versicherungsnehmerin vereinbarten
Versicherungsvertrages auch für diesen Vermögensschaden der Klägerin.
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Die Haftung ergab sich aus Teil B Abschnitt III Nr. 1 i.V.m. Nr. 2 AVB. Diese Vorschriften
enthalten Bestimmungen über das Produktrisiko des Versicherungsnehmers. Versichert
ist die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers für Personen- und
Sachschäden, die durch vom Versicherungsnehmer hergestellte oder gelieferte
Erzeugnisse oder sonstige Leistungen nach Ausführung der Leistung oder nach
Abschluss der Arbeiten entstehen. Dabei werden nach Nr. 2.1 AVB Vermögensschäden
wie Sachschäden behandelt. Eingeschlossen sind Schäden, die aus der Herstellung
oder Lieferung mangelhafter Erzeugnisse oder sonstiger Leistungen resultieren. Der
seitens der Versicherungsnehmerin verursachte Schaden war nach Abschluss der
Arbeiten der Versicherungsnehmerin eingetreten. Diese war ausweislich des
übernommenen Auftrages lediglich für die Demontage und Aufladung der Anker
zuständig. Der Transport der Anker als solcher war dagegen von der
Versicherungsnehmerin nicht geschuldet, so dass das Transportunternehmen auch
nicht etwa seitens der Versicherungsnehmerin, sondern vielmehr seitens der Klägerin
selbst beauftragt worden war. Der Schadensfall ereignete sich erst nach dem Anfahren
des Tiefladers, mithin nach Antritt der Fahrt und Beginn des Transports. Zu diesem
Zeitpunkt waren die Arbeiten der Klägerin - zumindest hinsichtlich des bereits
verladenen östlichen Ankers abgeschlossen.
38
Der bedingt durch den Sachschaden am Anker eingetretene Vermögensschaden der
Klägerin in Gestalt entgangenen Gewinns, wie er vom OLG Thüringen erkannt worden
ist, war nach Nr. 2.1 AVB wie ein Sachschaden zu behandeln und deshalb seitens der
Beklagten zu ersetzen.
39
Die Haftung war nicht nach § 4 I Nr. 6 Abs. 3 AHB ausgeschlossen. Hiernach haftet der
Versicherer nicht für die Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der
Erfüllungsleistung tretende Ersatzleistung. Dabei konnte offen bleiben, ob es sich bei
dem geltend gemachten Vermögensschaden um eine an die Stelle der
Erfüllungsleistung tretende Ersatzleistung handelte. Denn Teil B Abschnitt III Nr. 2.1
AVB bestimmt in ausdrücklicher - teilweiser - Abänderung von § 4 I Nr. 6 Abs. 3 AHB,
dass die dort genannten Vermögensschaden versichert sein sollen. Insoweit stellen sich
die in den Versicherungsvertrag einbezogenen Bedingungen als Erweiterung
gegenüber der allgemeinen Vorschrift des § 4 I Nr. 6 Abs. 3 AHB dar.
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Entgegen der im Hinweisbeschluss der Kammer vom 5.2.2004 (Bl. 411 ff. d. A.) vorläufig
geäußerten Rechtsansicht geht die Kammer nicht mehr davon aus, dass es sich bei
dem Anspruch auf entgangenen Gewinn um einen Tätigkeitsschaden im Sinne des Teil
B Abschnitt I Nr. 4 AVB handelt. Deshalb kann sich die Beklagte im vorliegenden
Schadensfall nicht auf die für solche Tätigkeitsschäden vereinbarte reduzierte
Deckungssumme von 100.000,- DM berufen. Nach Teil B Abschnitt I Nr. 4 AVB sind -
abweichend von § 4 I Ziffer 6 b AHB - Haftpflichtansprüche wegen Schäden, die an
fremden Sachen durch eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des
Versicherungsnehmers an oder mit diesen Sachen entstanden sind, in die Versicherung
eingeschlossen. Die Kammer konnte offen lassen, ob der eingetretene Schadensfall als
ein solcher Tätigkeitsschaden zu qualifizieren war. Denn jedenfalls ergreift die für
solche Tätigkeitsschäden vorgesehene Deckungsbeschränkung nicht erlittene
Vermögensschäden. Dies hat der BGH, worauf die Klägerin zu Recht hinweist,
entschieden (BGH, NJW-RR 1999, 1038).
41
Folgeschäden, die in Zusammenhang mit ausgeschlossenen Sachschäden stehen,
werden in § 4 I 6 b AHB nicht erwähnt, so dass der Versicherer ohne Rücksicht darauf
Deckung zu gewähren hat, ob die Folgeschäden eng oder nur weiter entfernt mit dem
Sachschaden zusammenhängen (Prölss/Martin, VVG, § 4 AHB Rdn. 72). Denn
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher
Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und
Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dies führt bei
Risikoausschlussklauseln - wie § 4 I 6 b AHB - dazu, dass der Versicherungsschutz
nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel dies gebietet (BGH,
NJW-RR 1999, 1038). Da der Wortlaut des § 4 I Nr. 6 b AHB nur von Schäden an
fremden Sachen spricht, ist davon auszugehen, dass der Ausschluss nur auf den
unmittelbaren Sachschaden beschränkt ist (BGH, aaO; BGH RuS 1998, 58).
Folgeschäden - wie Nutzungsausfall oder entgangener Gewinn - fallen dagegen nicht
unter die Vorschrift.
42
Der BGH hat aus diesen Erwägungen ergänzend gefolgert, dass eine
Deckungsbegrenzung, die mit einer Abbedingung des § 4 I Nr. 6 b AHB verbunden ist,
sich ebenfalls nur auf den unmittelbaren Bearbeitungsschaden bezieht und nicht auf
ohnehin gedeckte Vermögensfolgeschaden (BGH, NJW-RR 1999, 1038; vgl. auch
Prölss/Martin, VVG, § 4 AHB Rdn. 72 a.E.). Das von der Beklagten in ihrem Schriftsatz
vom 11.10.2005 dargestellte Verständnis der Entscheidung des BGH vom 17.3.1998
teilt die Kammer nicht.
43
Eine Selbstbeteiligung war ebenfalls nicht in Abzug zu bringen. Der geltend gemachte
Anspruch unterfiel keiner der in Teil A Nr. 6.1 AVB genannten Fallgruppen.
Insbesondere war vor dem Hintergrund vorstehender Erwägungen nicht von einem
44
Tätigkeitsschaden auszugehen. Auch die Vereinbarung der Selbstbeteiligung bezog
sich konsequenterweise nur auf den unmittelbaren Bearbeitungsschaden, nicht aber auf
bloße Vermögensschäden. Ebenfalls war nach Nr. 6.1, 5. Spiegelstrich AVB nicht von
einem Produkthaftpflichtschaden im Sinne von Teil B, Abschnitt III, Nr. 2.1.2 - 2.1.5 AVB
auszugehen, weil der hier eingetretene Vermögensschaden kein
Produkthaftpflichtschaden im Sinne der Nr. 2.1.2 - 2.1.5 AVB darstellte.
Von dem damit zu zahlenden Betrag von 182.365,36 € war deshalb lediglich der von der
Beklagten an die Versicherungsnehmerin bereits geleistete Betrag von 92.032,54 €
(180.000,- DM) in Abzug zu bringen. Die Klägerin hatte sich insoweit bereits geleistete
Zahlungen der Beklagten anrechnen zu lassen. Dies hat die Klägerin, wie ihre
Berechnung im Schriftsatz vom 10.12.2003 zeigt, selbst erkannt (Bl. 353 d. A.). Es
verblieb sodann ein seitens der Beklagten auf den entgangen Gewinn zu zahlender
Restbetrag von 90.332,82 €.
45
Soweit die Klägerin die Berechnung des entgangenen Gewinns durch das OLG
Thüringen als rechtsfehlerhaft rügt, konnte sie dies nicht einwenden. Ein unmittelbares
Einziehungsrecht gegenüber der Beklagten bestand allein in Höhe des rechtskräftig
festgestellten Haftpflichtschadens. Dieser beschränkte sich auf den durch das OLG
Thüringen zuerkannten Betrag von 182.365,36 €.
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Der Zinsanspruch war begründet, soweit die Klägerin Zinsen aus einem Betrag von
90.332,82 € in Höhe von 5 % p.a. vom 20.6.1995 bis zum 28.2.1997 geltend macht. Dies
ergab sich bereits aus der Entscheidung des OLG Thüringen, welches einen
entsprechenden Zinsanspruch rechtskräftig festgestellt hat.
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Im Übrigen konnte die Klägerin Zinsen nicht bereits ab dem 11.5.2000 verlangen. Es ist
nicht ersichtlich, dass die Beklagte bereits zu diesem Zeitpunkt in Verzug geraten wäre.
Der Klägerin standen jedoch gemäß § 288, 291 ZPO Rechtshängigkeitszinsen zu, die
im Hinblick auf die Klagezustellung am 16.9.2002 ab dem 17.9.2002 zuzuerkennen
waren. Der Anspruch auf Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen bestand nach §§ 288,
291 ZPO in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, wobei im Hinblick
auf § 308 ZPO kein über den beantragten Zinsanspruch von 5 % p.a. hinausgehender
Zinsanspruch zuzuerkennen war.
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II.
49
Der Klägerin konnte weiterhin von der Beklagten Freistellung von ihrer
Zahlungsverpflichtung gegenüber der N GmbH & Co. KG wegen der durch die Lagerung
von zwei Ankerwellen und sechs Gleitlagern entstandenen Kosten in Höhe von
16.637,44 € verlangen. Diesen Anspruch hat die Klägerin mit ihrem Antrag zu 3) geltend
gemacht.
50
Der Klägerin stand insoweit gemäß § 157 VVG ein Recht auf abgesonderte
Befriedigung zu. Gegenüber der Beklagten hatte die Klägerin ein entsprechendes
Einziehungsrecht erworben. Der Anspruch war gegenüber der Beklagten fällig
geworden, nachdem die Entscheidung des Oberlandesgericht Thüringen rechtskräftig
geworden ist (§ 154 VVG).
51
Die Klägerin hatte nach dem mit der Versicherungsnehmerin abgeschlossenen
Versicherungsvertrag für die Lagerungskosten einzustehen. Das Oberlandesgericht hat
52
die Haftung der Versicherungsnehmerin damit begründet, dass diese zu Unrecht und
ohne triftigen Grund der früheren Beseitigung der Anker und Gleitlager nicht zugestimmt
hatte (Urteil vom 23.7.2002, Seite 42, Bl. 46 d. A.).
Die Haftung der Beklagten ergab sich vor diesem Hintergrund aus Teil B Abschnitt II Nr.
2.1.1 AVB. Hiernach sind Vermögensschäden im Sinne des § 1 Abs. 3 AHB aus
Schadensereignissen, die während der Wirksamkeit der Versicherung eingetreten sind,
vom Versicherer zu ersetzen. Der Anspruch war auch nicht gemäß Nr. 2.1.2, 1.
Spiegelstrich AVB ausgeschlossen. Hiernach sind Haftpflichtansprüche aus Schäden
ausgeschlossen, die durch vom Versicherungsnehmer hergestellte oder gelieferte
Sachen oder geleistete Arbeiten entstehen. Der eingetretene Vermögensschaden in
Gestalt der angefallenen Lagerungskosten stand indes nicht mehr in Zusammenhang
mit der Demontage und Aufladung der Anker. Vielmehr trat der Schaden zu einem
späteren Zeitpunkt anlässlich eines weiteren rechtswidrigen Verhaltens der
Versicherungsnehmerin ein, als diese zu Unrecht ihre Zustimmung zu einer früheren
Beseitigung der Anker und Gleitlager verweigerte. Dass es sich insoweit um einen
weiteren - als eigenständig zu betrachtenden - Schadensfall handelt, zeigt auch, dass
das Oberlandesgericht Thüringen hinsichtlich der Lagerungskosten eine 100 %ige
Haftung der Versicherungsnehmerin annahm, während es im Zusammenhang mit dem
Schadensfall bei der Demontage und Aufladung ein Mitverschulden der Klägerin
bejahte.
53
Die gemäß Teil A, Nr. 5.3 AVB für Vermögensschäden nach Teil B, Abschnitt II, Ziffer
2.1 geltende Deckungssumme von 100.000,- DM wurde nicht überschritten. Eine
Selbstbeteiligung war nicht in Abzug zu bringen. Demgemäß konnte die Klägerin von
der Beklagten in voller Höhe Freistellung verlangen.
54
III.
55
Unbegründet war die Klage indes insoweit, als die Klägerin mit dem Antrag zu 1)
Zahlung an Herrn G im Hinblick auf dessen offene Darlehensforderungen begehrte.
Dem stand nicht entgegen, dass Herr G Forderungen der Klägerin gegen die Beklagte
gepfändet hatte und sich hatte zur Einziehung überweisen lassen. Kläger dieses
Verfahrens war nicht Herr G, sondern die Klägerin. Diese stützte ihr Klagebegehren auf
ein eigenes Einziehungsrecht nach § 157 VVG. Ein solches bestand jedoch nicht.
56
Nach § 157 VVG kann der Dritte nur insoweit abgesonderte Befriedigung verlangen, als
ein Anspruch gegen den Versicherer fällig ist. Dies setzt wiederum voraus, dass der
Versicherer nach dem Versicherungsvertrag überhaupt für den geltend gemachten
Anspruch gegenüber dem Versicherungsnehmer haftet. Dies war nicht der Fall. Die
Beklagte haftet nach dem mit der Versicherungsnehmerin abgeschlossenen
Haftpflichtversicherungsvertrag lediglich wegen Haftpflichtschadensfällen der
Versicherungsnehmerin. Die Versicherungsnehmerin haftete Herrn G dagegen nicht
aufgrund eines Haftpflichtereignisses, sondern vielmehr aufgrund eines nicht
zurückgezahlten, vertraglich gewährten Darlehens. Es fehlte deshalb an einem
gesetzlichen Haftpflichtanspruch im Sinne des § 1 AHB, für den die Beklagte
einzustehen hätte.
57
IV.
58
Der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Zahlung unmittelbar an den
59
Gesamtvollstreckungsverwalter blieb ebenfalls ohne Erfolg, weil bereits keine
weitergehende Eintrittspflicht der Beklagten bestand.
V.
60
Die Klage blieb auch insoweit ohne Erfolg, als die Klägerin hilfsweise Erstattung der
Reparaturkosten begehrt hat. Wegen dieser steht der Klägerin nach §§ 157 VVG, 1282
BGB VVG kein Einziehungsrecht gegenüber der Beklagten zu. Ein solches setzt voraus,
dass der Entschädigungsanspruch fällig ist, also ein Anerkenntnis, ein Vergleich oder
ein rechtskräftiges Urteil vorliegt (§ 154 VVG). Der Haftpflichtanspruch muss durch ein
rechtskräftiges Urteil festgestellt sein. Ein Grundurteil genügt dazu nicht (Prölss/Martin,
VVG, § 154 Rdn. 2). Fehlt es an einem rechtskräftigen Urteil auch zur Höhe des
Haftpflichtanspruchs, entfällt ein Einziehungsrecht gegenüber dem Versicherer. Hier
bleibt der Insolvenzverwalter für den Haftpflichtprozess passivlegitimiert (BGH, VersR
1964, 966). Der Dritte hat insoweit kein weiterreichendes Recht als der
Versicherungsnehmer (BGH, VersR 1991, 414). Ein rechtskräftiges Urteil zur Höhe der
zu erstattenden Reparaturkosten fehlt bislang. Denn das rechtskräftig gewordene Urteil
des OLG Thüringen vom 23.7.2002 verhielt sich über die - nur hilfsweise geltend
gemachten - Reparaturkosten nicht. Da das Urteil des Landgerichts Erfurt nicht in
Rechtskraft erwachsen ist, war unerheblich, dass dieses die Verurteilung auf eine
Haftung für die Reparaturkosten gestützt hatte. Solange der Anspruch nicht rechtskräftig
festgestellt ist, kann die Klägerin von der Beklagten keine unmittelbare Zahlung
verlangen. Zumindest derzeit bestand deshalb wegen der Reparaturkosten kein
unmittelbarer Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten.
61
VI.
62
Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung war nicht geboten (§ 156 ZPO).
63
VII.
64
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.
65
Streitwert:
66
Antrag zu 1): 73.297,04 €
67
Antrag zu 2): 182.365,36 €
68
Antrag zu 3): 16.637,44 €
69
Gesamt: 272.299,84 €
70