Urteil des LG Köln vom 19.11.2008

LG Köln: allgemeine geschäftsbedingungen, europäisches recht, flugschein, eugh, beförderung, verbraucher, unterliegen, gegenleistung, fotokopie, abgabe

Landgericht Köln, 26 O 125/07
Datum:
19.11.2008
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
26. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
26 O 125/07
Rechtskraft:
noch nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der
Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €,
ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis
zu sechs Monaten, zu vollziehen am Vorstand der Beklagten, zu
unterlassen, im geschäftigten Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs
nachfolgende oder diesen inhaltsgleiche Bestimmungen in
Luftbefärderungsverträge mit Verbrauchern mit Wohnsitz in der
Bundesrepublik Deutschland einzubeziehen sowie sich auf die
Bestimmungen bei der Abwicklung derartiger Verträge, geschlossen
nach dem 1.7.77, zu berufen:
1. (3.3.1)
Die vereinbarte Beförderungsleistung umfasst die Beförderungsstrecke,
die im Flugschein enthalten ist, beginnend mit dem ersten und endend
mit dem letzten Ort der gesamten im Flugschein eingetragenen
Streckenführung.
2. (3.3.1)
Der Flugschein verliert seine Gültigkeit und wird nicht zur Beförderung
angenommen, wenn Sie nicht alle Flugcoupons vollständig und in der
im Flugschein vorgesehenen Reihenfolge ausnutzen.
3. (3.3.1)
Die Inanspruchnahme der gesamten Beförderungsleistung ist
wesentlicher Bestandteil des mit uns geschlossenen
Beförderungsvertrages.
4. (3.3.1)
Die Kündigung einzelner Teilstrecken (Coupons) ist vertraglich ausge-
schlossen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 200,00 € nebst Zinsen
in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem
30.05.2007 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,00 € vor-
läufig vollstreckbar.
T A T B E S T A N D:
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Der Kläger ist der bundesweit tätige Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen der
Bundesländer und weiterer 25 Verbraucher- und sozialorientierter Organisationen in
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Deutschland. Er ist in die beim Bundesverwaltungsamt geführte Liste gemäß § 4 UKlaG
eingetragen. Der Kläger nimmt die Beklagte, ein weltweit tätiges Flugunternehmen, auf
die Unterlassung der Verwendung von aus dem Tenor ersichtlichen Klauseln in
Anspruch. Die Beklagte betreibt einen Internetauftritt (Teledienst). In diesem werden im
Zusammenhang mit dem Abschluss von Verträgen über Luftbeförderungen Allgemeine
Geschäftsbedingungen, konkret Beförderungsbedingungen für Fluggäste und Gepäck
(ABB Flugpassage) bereit gehalten (Fotokopie Bl. 15 ff. d.A.), auf die wegen der
Einzelheiten insbesondere unter Art. 3 Flugscheine, Reihenfolge der Benutzung der
Flugcoupons (Bl. 19 d.A.), Bezug genommen wird.
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Der Kläger verlangte mit Schreiben vom 31.1.2007 (Bl. 32 ff. d.A.) von der Beklagten die
Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, deren Abgabe die Beklagte mit
Schreiben vom 14.2.2007 (Bl. 38 ff. d.A.) ablehnte.
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Der Kläger trägt vor, die mit der Klage beanstandeten Allgemeinen
Geschäftsbedingungen seien aus den von ihm im einzelnen dargelegten Gründen
unwirksam. Der Kläger begehrt außerdem den Ersatz vorprozessualer Aufwendungen
für das Abmahnverfahren in Höhe von 200,00 €.
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Der Kläger beantragt,
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wie erkannt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte beruft sich auf Kontrollfreiheit nach § 307 Abs. 3 BGB. Sie tritt auch in der
Sache dem Vorbringen des Klägers zur geltend gemachten Unwirksamkeit der
beanstandeten Klauseln aus im einzelnen dargelegten Gründen entgegen. Die Beklagte
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macht weiter geltend, eine etwaige andere Auslegung durch ein deutsches Gericht
würde einen Verstoß gegen europäisches Recht darstellen und müsse zur Vorlage an
den EuGH führen.
Ergänzend wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst
vorgelegter Unterlagen Bezug genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Der gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG klagebefugte und aktivlegitimierte Kläger kann
gemäß § 1 UKlaG von der Beklagten verlangen, daß sie die Verwendung der
streitgegenständlichen Klauseln unterlässt.
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Die streitgegenständlichen Klauseln sind nicht gemäß § 307 Abs. 3 BGB einer
Inhaltskontrolle entzogen.
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Gemäß § 307 Abs. 3 BGB gelten die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 BGB
nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von
Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart
werden. Preisvereinbarungen unterliegen danach nicht der Inhaltskontrolle, soweit sie
Art und Umfang der Vergütung unmittelbar regeln; dagegen unterliegen der
Inhaltskontrolle Preisnebenabreden, die zwar mittelbare Auswirkungen auf Preis und
Leistungen haben, an deren Stelle aber bei Fehlen einer wirksamen vertraglichen
Regelung dispositives Gesetzesrecht treten kann (vgl. BGH WM 1993, 2237; WM 1996,
1080; Palandt/Grüneberg, BGB, 67. Aufl., § 307 Rn 59, 60).
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Im vorliegenden Rechtsstreit geht es um kontrollfähige Klauseln, so dass das
Verbandsklageverfahren eröffnet ist. Ohne die fraglichen Klauseln der Beklagten würde
dispositives Gesetzesrecht in Verbindung mit den mit den Kunden jeweils generell oder
individuell getroffenen Vereinbarungen eingreifen.
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Bei den streitgegenständlichen Klauseln handelt es sich ersichtlich um vorformulierte
Vertragsbedingungen und damit um Allgemeine Geschäftsbedingungen. Dafür, dass
diese der Inhaltskontrolle nach §§ 307-309 BGB unterliegen, ist es auch ohne
Bedeutung, ob streitgegenständliche Regelungen der in Wechselwirkung mit der EU
sowie nationalen Behörden, Regierungen und Verbraucherschutzorganisationen
erarbeiteten IATA-Empfehlung, gegebenenfalls Regelungen des Warschauer
Abkommens in der nunmehr geltenden Fassung oder europäischen oder ausländischen
nationalen Regelungen entsprechen sollen. Wie der Bundesgerichtshof in seinem Urteil
vom 20.1.1983 – veröffentlicht in NJW 83, 1322 ff. – zur Frage der Unwirksamkeit
Allgemeiner Flugbeförderungsbedingungen eines Luftfahrtunternehmens bereits im
einzelnen mit einer Begründung, der die Kammer folgt und auf die sie Bezug nimmt,
entschieden hat, steht dies der gerichtlichen Inhaltskontrolle damals noch nach dem
AGB-Gesetz und nach Auffassung der Kammer nach der entsprechenden gesetzlichen
Neuregelung nun nach §§ 307-309 BGB nicht entgegen. Vielmehr muß sich die
Beklagte, so sie sich, wie vorliegend, nicht einfach mit der sich aus gültigen
Rechtsvorschriften ergebenden Rechtslage begnügen will, mit ihren Klauseln an den
Anforderungen der §§ 307 ff. BGB messen lassen. Dies folgt im übrigen auch eindeutig
aus den Regelungen unter § 307 Abs. 3 BGB.
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Zu den einzelnen vom Kläger mit der Klage angegriffenen Klauseln gilt folgendes:
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Die Klausel zu 1. (Ziff. 3.3.1)
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"Die vereinbarte Beförderungsleistung umfasst die Beförderungsstrecke,
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die im Flugschein enthalten ist, beginnend mit dem ersten und endend mit
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dem letzten Ort der gesamten im Flugschein eingetragenen Streckenfüh-
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rung."
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ist gemäß § 307 in Verbindung mit § 305 b BGB unwirksam.
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Bei der allgemeinen Festlegung in dieser Klausel, die eine anderslautende
Individualabrede im Einzelfall ausschließen würde, liegt schon wegen des Verstoßes
gegen § 305 b BGB (Vorrang der Individualabrede) eine unzulässige Benachteiligung
des Kunden im Sinne von § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB vor.
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Die streitgegenständliche Klausel ist so gefasst, dass sie auch auf Fallgestaltungen
Anwendung finden würde, bei denen der Kunde aufgrund der Auslegung der
beiderseitigen Willenserklärungen bei Vertragsschluß mit der Beklagten davon
ausgehen darf, dass Vertragsbestandteil separate Teilleistungen seien.
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In welchem Umfang und welcher Häufigkeit derartige Individualvereinbarungen eines
Kunden mit der Beklagten zustande kommen, ist im vorliegenden
Verbandsklageverfahren nicht maßgebend. Es ist jedenfalls im Einzelfall denkbar, dass
solche Vereinbarungen getroffen werden, und die generelle Fassung der
streitgegenständlichen Klausel würde insbesondere auch unter Berücksichtigung der im
vorliegenden Verbandsklageverfahren gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung der
Klausel die Geltung der individualabreden ausschließen.
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Darüber hinaus ist für die Beurteilung auch wesentlich, dass sich die Beklagte mit den
streitgegenständlichen Bedingungen letztlich vorbehalten will, jede Beförderung in
Teilstrecken zu versagen, wenn der Kunde nicht sämtliche Leistungen in Anspruch
nimmt. Dies erfasst z.B. auch rückwirkend Fälle nach Inanspruchnahme der Leistung
hinsichtlich der ersten Teilstrecke oder aber auch jede weitere Beförderung nach
Nichtinanspruchnahme der ersten Teilstrecke durch den Kunden, und das grundsätzlich
ohne Berücksichtigung der Gründe dafür. Dies würde zudem auch dann eingreifen,
wenn der Kunde bereits die gesamte Gegenleistung erbracht hätte.
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Dies stellt bei der im Verbandsklageverfahren, wie ausgeführt, gebotenen
kundenfeindlichsten Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der allgemein
bestehenden Rechte und Pflichten der Kunden einerseits und der Beklagten
andererseits eine unangemessene Benachteiligung des Kunden dar. Dies ist in dem
von dem Kläger in Fotokopie vorgelegten und auch der Beklagten bekannten Urteil des
Landgerichts Frankfurt/Main vom 14.12.2007 jedenfalls mit den Gründen auf Seite 7
jenes Urteils (Bl. 373 d.A.) nach Auffassung der Kammer zutreffend ausgeführt worden.
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Dabei ist nochmals darauf hinzuweisen, dass es im vorliegenden
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Verbandsklageverfahren nicht darauf ankommt, ob die Beklagte, die bei der
Verteidigung ihrer streitgegenständlichen Klauseln u.a ein missbräuchliches Verhalten
von Kunden geltend macht, unter Umständen ähnliche Klauseln auf zulässige Art und
Weise anders formulieren könnte. Vorliegend stehen zur Überprüfung des Gerichts nur
die von der Beklagten konkret verwendeten Klauseln, die eine Beschränkung auf
Missbrauchsfälle und Ausnahmeregelungen hinsichtlich z. B. besonderer Notfälle,
gerade nicht enthalten.
Hinsichtlich der Klausel zu 2. (Ziff. 3.3.1)
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"Der Flugschein verliert seine Gültigkeit und wird nicht zur Beförderung
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angenommen, wenn Sie nicht alle Flugcoupons vollständig und in der im
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Flugschein vorgesehenen Reihenfolge ausnutzen."
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liegt ebenfalls ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB vor.
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Nach der Fassung der Klausel und bei kundenfeindlichster Auslegung könnte die
Beklagte danach ihre Leistung verweigern, auch wenn der Kunde seine Gegenleistung
und zudem bei Berücksichtigung des möglichen Vorliegens einer entsprechenden
Individualvereinbarung vollständig erbracht hätte.
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Entsprechendes gilt hinsichtlich der Klausel zu 3. (Ziff. 3.3.1)
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"Die Inanspruchnahme der gesamten Beförderungsleistung ist wesentli-
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cher Bestandteil des mit uns geschlossenen Beförderungsvertrages."
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und der Klausel zu 4. (Ziff.3.3.1.)
41
"Die Kündigung einzelner Teilstrecken (Coupons) ist vertraglich ausge-
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schlossen."
43
Entgegen dem Vorbringen der Beklagten hatte auch keine Vorlage durch die Kammer
an den EuGH zu erfolgen.
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Eine Vorlage an den EuGH ist für das Landgericht als Instanzgericht nach EGV 234 bei
einer für den Verbraucher günstigen Entscheidung von vornherein nicht zwingend
geboten. Eine solche ist vorliegend auch deshalb nicht geboten, weil die Richtlinie
93/13/EWG strengere Regelungen des nationalen Vertragsrechts zugunsten der
Verbraucher jedenfalls gerade nicht ausschließt. Der EuGH ist für die bei der
Inhaltskontrolle vorzunehmenden Wertungen, insbesondere des nationalstaatlich
geprägten rechtlichen Umfeldes, nicht zuständig (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 67.
Aufl., § 310 Rn 23, 22 m.w.N.).
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Die Wiederholungsgefahr bezüglich des streitgegenständlichen
Unterlassungsbegehrens folgt daraus, daß die Beklagte trotz Aufforderung eine
strafbewehrte Unterlassungserklärung nicht abgegeben hat, vielmehr ihre Klauseln
sogar im Gegenteil verteidigt.
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Die Androhung des Ordnungsgeldes und der Ordnungshaft beruht auf § 890 ZPO.
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Der Kläger kann weiter gemäß § 5 UklaG i.V.m. § 12 Abs. 1 S. 2 UWG Ersatz der
geltend gemachten Abmahnkosten in Höhe von 200,00 € verlangen.
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Die Beklagte hat die Entstehung und Höhe der insoweit vom Kläger geltend gemachten
Kosten bereits nicht konkret bestritten.
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Der zugesprochene Zinsanspruch ist gemäß §§ 286 ff. BGB begründet.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO, diejenige über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
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Streitwert
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Es geht im wesentlichen um die begehrte Unterlassung der Verwendung
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von Klauseln. Nach den Grundsätzen zur Streitwertfestsetzung im
Verbandsklageverfahren erscheint der Kammer danach auch hier die Festsetzung eines
Streitwerts von 3.000,00 € pro Klausel angemessen.
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