Urteil des LG Köln vom 21.01.2004
LG Köln: kost und logis, firma, schweres verschulden, untersuchungshaft, freispruch, zeitung, familie, alibi, gegendarstellung, wachmann
Landgericht Köln, 28 O 96/03
Datum:
21.01.2004
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
28. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
28 O 96/03
Tenor:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger
15.000,00 EUR zu zahlen.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger
306,73 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 18.03.2003 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 62 %, die Beklagten
als Gesamtschuldner zu 38 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger gegen
Sicherheitsleistung von 115 % des zu vollstreckenden Betrages. Dem
Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die
Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des
vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
T a t b e s t a n d:
1
Die Parteien streiten über Schadenersatzansprüche nach der Berichterstattung der
Beklagten über einen Vergewaltigungsfall.
2
Der Kläger, der bei der L GmbH & Co. KG (im folgenden: L) beschäftigt ist, war bis Mitte
September 2001 von L als Objektleiter bei der Firma E in I eingesetzt. Dort war er an der
Werkschutzpforte tätig und hatte in dieser Funktion persönlichen Kontakt zu den
Besuchern und Angestellten der Firma E.
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Am 13.09.2001 gegen 22.00 Uhr wurde der Kläger - nachdem er von einem Opfer bei
einer polizeilichen Gegenüberstellung eindeutig identifiziert worden war - unter dem
Verdacht festgenommen, am 21.06.2001 gegen 1.30 Uhr eine 35-jährige Frau
4
vergewaltigt und mit einem Messer bedroht zu haben.
Am 15.09.2001 und am 17.09.2001 berichtete die C Zeitung über den Vorfall, über den
bereits vor der Festnahme des Klägers - auch unter der Verwendung des Begriffs
"Taximonster" - in erheblichem Umfang und unter Veröffentlichung von Phantombildern
berichtet wurde, und nannte dabei eine große Anzahl an Informationen über den Kläger.
Auf den Artikel vom 15.09.2001, der als Anlage B 7 zur Klageerwiderung eingereicht
wurde, wird Bezug genommen.
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Am 18.09.2001 - nachdem bereits am 15. und 16.09.2001 von den Beklagten über die
Vorfälle berichtet worden war - berichtete die Beklagte zu 1. in einem von dem
Beklagten zu 2. geschriebenen Artikel unter der Überschrift "Taximonster wurde
identifiziert, 35-jährige erkannte ihn bei Gegenüberstellung wieder" über die Festnahme
des Klägers. In diesem Artikel heißt es unter anderem:
6
"... 88 Tage nach der schlimmen Tat an der S Brücke, wo das Taximonster die 35-
jährige mit einem Messer bedrohte und vergewaltigte, sah sie ihm gestern wieder in die
Augen. Nachdem sie das Taximonster wiedererkannt hatte, liefen ihr Tränen übers
Gesicht.
7
...
8
Sein Anwalt B sagte aber: "Mein Mandant hat ein Alibi, hat zur Tatzeit seine kranke Frau
gepflegt." Doch da Opfer identifizierte ihn einwandfrei ..."
9
Ferner wird der Kläger in dem Artikel als N., ## Jahre alt, T und Wachmann bei E
bezeichnet. Auf den Artikel vom 18.09.2001, der als Anlage zur Klageschrift eingereicht
wurde, wird Bezug genommen.
10
Mit Schreiben vom 18.09.2001 wurde die Beklagte zu 1. aufgefordert, eine
Gegendarstellung zu veröffentlichen. Dies wies die Beklagte zu 1. auf formellen
Gründen zurück. Weitere Ansprüche wurden gegen die Beklagten nicht geltend
gemacht. Der Kläger wandte sich aber mit Schreiben vom 18.10.2001 an den deutschen
Presserat, der die Beklagte zu 1. ausdrücklich rügte.
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Mit einem Artikel vom 31.10.2001 berichtete die Beklagte zu 1. über Vorfall erneut, da
Anklage vor dem Landgericht Köln gegen den Kläger erhoben wurde. Auch dieser
Artikel wurde von dem Beklagten zu 2. verfasst. Auf den Artikel vom 31.10.2001 wird
Bezug genommen.
12
Unmittelbar nach dem Bekanntwerden von entlastenden Informationen veröffentlichte
die Beklagte zu 1. am 31.12.2001 einen Artikel, indem die Schuld des Klägers in Frage
gestellt wurde. Auf den Artikel der als Anlage zur Klageschrift eingereicht wurde, wird
Bezug genommen. Mit Artikel vom 20.02.2002 wurde über den erfolgten Freispruch des
Kläger vom 19.02.2002 berichtet. In diesem Artikel heißt es unter anderem:
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"Ui, ist das peinlich für die fussige Staatsanwältin N2 (##)! Mit aller Macht hat sie
versucht, den T Taxifahrer N (##) als großen Taxivergewaltiger von S zu überführen. N
wurde eingesperrt, weil er dem Zahnlückenmann auf dem Phantomfoto ähnlich sah.
Obwohl er ein Alibi hatte und alle Gutachten negativ ausfielen."
14
Auf den Artikel vom 20.02.2002, der als Anlage zur Klageschrift eingereicht wurde, wird
Bezug genommen.
15
Die Ehefrau des Klägers wurde mehrfach hinsichtlich des Vorfalls angesprochen und
angepöbelt. Aus diesem Grund zog sie zu Bekannten nach X. Bei diesen blieb sie für
einen Zeitraum von 5 1/2 Monaten bis der Kläger aus der Untersuchungshaft entlassen
wurde. Hierfür zahlte sie aus dem Vermögen des Klägers an die Familie L2 einen
Betrag von 153,39 EUR monatlich bzw. insgesamt 613,47 EUR für Kost und Logis.
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Der Kläger wurde nach seiner Verhaftung auf ausdrücklichen Wunsch der Firma E als
Objektleiter an der Werkschutzpforte abgelöst und auch nach dem Freispruch dort nicht
mehr als Objektleiter eingesetzt, da dies die Firma E nicht wünschte und die Position
durch einen anderen Mitarbeiter der Firma L besetzt ist. Der Kläger ist aufgrund der
traumatischen Erfahrungen in der Untersuchungshaft auch nicht in der Lage,
Geldtransporte zu begleiten oder bei Waffentransporten eingesetzt zu werden.
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Aus diesem Grund konnte der Kläger durch seinen Arbeitgeber nicht mehr in einem
Umfang mit Arbeiten bedacht werden, die Zuschläge auslösen. Der Kläger erlitt und
erleidet daher einen Verdienstausfall, für den Zeitraum von März 2002 bis August 2002
in Höhe von 1.697,00 EUR.
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Der Kläger trägt vor, eine große Anzahl Personen hätte ihn aufgrund der
Berichterstattung der Beklagten identifiziert. Da aus diesem Grund der Umzug seiner
Ehefrau zur Familie L2 habe erfolgen müssen, könne er die zusätzlichen Aufwendungen
in Höhe von 307,73 EUR, die er, nachdem er ursprünglich Kosten in Höhe von 613,47
EUR für Kost und Logis geltend gemacht hat, als Anteil der auf die Logis entfallenden
Kosten beziffert. Auch habe er seine Tätigkeit bei der Firma E aufgrund der
Berichterstattung nicht wieder aufnehmen können, so dass die Gehaltseinbußen als
materieller Schaden zu ersetzen seien.
19
Der Kläger ist der Auffassung, dass durch die Berichterstattung eine Vorverurteilung
stattgefunden habe, die nur durch Zahlung eines immateriellen Schadenersatz, die er in
Höhe von 30.000,00 EUR für angemessen erachtet, ausgeglichen werden könne.
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Der Kläger beantragt,
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1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 2.003,73 EUR
nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
18.03.2003 zu zahlen;
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1. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger jeden weiteren
Schaden zu ersetzen, der diesem infolge der Berichterstattung im F vom
15.09./16.09./18.09. und 31.10.2001 durch verminderte Gehaltszahlungen
entsteht;
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1. Die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung einer angemessenen
Geldentschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zu
verurteilen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
27
Die Beklagten tragen vor, eine Identifikation des Klägers durch ihre Berichterstattung sei
nicht möglich gewesen, da - was unstreitig ist - E nicht nur einen Standort in L3 sondern
eine Vielzahl weiterer Standorte betreibt und der Ort der Tätigkeit des Klägers nicht
genannt wird, der Kläger bei L und nicht bei E angestellt ist und der Doppelname des
Klägers in der Abkürzung N nicht zum Ausdruck gekommen war.
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Auch sei die Berichterstattung zulässig gewesen, da lediglich der jeweilige Stand der
Ermittlungen zutreffend wiedergegeben worden sei, so dass keine Vorverurteilung
vorliege.
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Schließlich seien die Kosten für Kost und Logis der Ehefrau des Klägers sowie der
geltend gemachte Verdienstausfall nicht zu ersetzen gewesen, da diese Kosten kausal
auf die Verhaftung und die Untersuchungshaft, nicht aber auf die Berichterstattung der
Beklagten zurückgingen.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den
Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klage ist im hinsichtlich eines immateriellen Schadensersatzes in Höhe von
15.000,00 EUR und eines materiellen Schadensersatzes in Höhe von 306,73 EUR
begründet, im Übrigen unbegründet:
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I. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagten auf Ersatz des immateriellen
Schadens aus den §§ 823 Abs. 1, 253 BGB, Art. 1, 2 GG in Höhe von 15.000,00
EUR ist begründet.
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35
Der Kläger ist besonders schwer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht
verletzt, die Beklagten haben schuldhaft gehandelt, es ist keine andere Möglichkeit
der Wiedergutmachung zu erkennen und die Umstände des Einzelfalles
rechtfertigen die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes (vgl. BGH in NJW 1995, S.
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861). Hierzu im Einzelnen:
a. Durch die Berichterstattung insbesondere in dem Artikel vom 18.09.2001 in der
Zeitung "F" ist der Kläger besonders schwerwiegend in seinem
Persönlichkeitsrecht verletzt worden, da die Grenzen der zulässigen
Verdachtsberichterstattung erheblich überschritten wurden.
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38
Zwar handelt es sich um eine besonders gravierende Tat, über die grundsätzlich
berichtet werden durfte. Auch mögen die Beklagten bezüglich der Berichterstattung
sorgfältig recherchiert haben, da die Informationen aufgrund von Polizeiberichten
veröffentlicht wurden. Aber die Beklagten haben in ihrer Darstellung nicht
klargestellt, dass es sich um einen Verdacht und nicht um feststehende Tatsachen
handelt:
39
Dies ist Voraussetzung für eine zulässige Verdachtsberichterstattung, da sich die
Beklagte bei einem Bericht über eine schwere Straftat nur auf die Wahrnehmung
berechtigter Interessen berufen kann, wenn sie den Sachverhalt zutreffend mitteilt,
soweit er zum Zeitpunkt der Berichterstattung feststeht. Wer zu Unrecht die Schuld
des Betroffenen behauptet, kann sich auf diese Privilegierung nicht berufen, weil
mit einer derartigen Falschberichterstattung keine berechtigten Interessen
wahrgenommen werden können (vgl. Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 271).
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Bei der Frage, ob eine Verdachtsberichterstattung auch als solche kenntlich
gemacht wird und nicht zu einer Vorverurteilung führt, kann die isolierte
Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils den Anforderungen nicht gerecht
werden. Insoweit muß für die zuverlässige Sinnermittlung wiederum auf den
Aussagegehalt der gesamten Artikel - insbesondere des Artikels vom 18.09.2001 -
abgestellt werden. Diesbezüglich ist zu berücksichtigen, wie der Durchschnitsleser
die Aussage auffaßt. Dabei darf das Verständnis des Durchschnittslesers nicht mit
dem des flüchtigen Lesers gleichgesetzt werden. Das Vorgesagte gilt umso mehr,
als dassAussagen vorliegend auch in der Überschrift getätigt wurden, weil diese
den Aussagegehalt weit weniger prägten, als der Text selbst (vgl. KG in AfP
1999,369). Hierbei ist auf den Durchschnittsleser der vorliegenden Zeitung
abzustellen (vgl. BGH in NJW 1992, S. 1312).
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Bei einer Ermittlung des Sinnes der Berichterstattung der Beklagten anhand der
vorstehend beschriebenen Kriterien, liegt eine Vorverurteilung des Klägers vor. Nur
so konnte der durchschnittliche Leser der Zeitung "F" die Berichterstattung
auffassen. Bereits in der Überschrift des Artikels vom 18.09.2003 wird deutlich,
dass das sogenannte "Taximoster" gefasst und identifiziert wurde. Aber auch der
weitere Text läßt an der Täterschaft des Klägers keinen Zweifel. So wird
ausführlich beschrieben, dass ein Opfer dem Täter (nicht dem mutmaßlichen Täter
o.ä.) "wieder in die Augen sah". Danach wird dargelegt, dass der Täter
wiedererkannt wurde. Soweit die Beklagten sodann die Aussage des
Rechtsanwaltes des Beklagten wiedergeben, der Kläger habe ein Alibi, führt auch
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dies nicht zu einer anderen Bewertung. Die Möglichkeit, dass ein Alibi vorgelegen
haben könnte, wird von den Beklagten mit dem Satz ausgeräumt: "Doch das Opfer
identifizierte ihn einwandfrei - zwischen fünf Kripobeamten, die bei der
Gegenüberstellung als "Täter" neben ihm standen." Selbst die von den Beklagten
abschließend gestellte Frage, ob der Kläger auch für weitere Sexualdelikte in
Frage komme, führt zu einer unzweideutigen Darstellung des Klägers als Täter des
beschriebenen Deliktes, da diese Frage die Tatsachenbehauptung beinhaltet, er
sei jedenfalls für das beschriebene Delikt verantwortlich.
Die Beklagten haben über den Kläger auch in identifizierbarer Weise berichtet.
Auch dies ist entscheidende Voraussetzung für die Geltendmachung eines
Schadenersatzanspruchs, da erst dadurch, dass über eine erkennbare Person
berichtet wird, der Leser den Verdacht auf einen bestimmten Menschen bezieht;
erst dies führt zu den schädigenden Konsequenzen für den Betroffenen. Dabei sind
der namentlichen Erwähnung die Fälle gleichzusetzen, in denen zwar nicht der
Name des Betroffenen genannt wird, aber individualisierende Umstände angeführt
werden, durch die der Betroffene für Bekannte erkennbar ist (vgl. Prinz/Peters Rn.
282 m.w.N.). So liegt der Fall hier. Der Vorname des Klägers wird genannt und der
erste Buchstabe seines Nachnamens. Auch wird zutreffend berichtet, dass der
Kläger T Staatsangehöriger ist, er ## Jahre alt ist und als Wachmann bei der Firma
E arbeitet. Allein hierdurch läßt sich im Umfeld des Täters leicht erkennen, um wen
es sich handelt. Auch die von den Beklagten hiergegen erhobenen Einwände
führen zu keinem anderen Ergebnis. Die Tatsache, dass der Kläger mit vollem
Nachnamen N heißt, führt nicht dazu, dass der erste Buchstabe des Nachnamens
eine andere Bedeutung bekommt, zumal eine Abkürzung mit "N" kaum jemals
gewählt würde. Auch wenn der Kläger tatsächlich arbeitsrechtlich für die Firma L
GmbH & Co. KG beschäftigt ist, ergibt sich keine andere Bewertung, da der Kläger
seine eigentliche Tätigkeit als Wachmann bei der Firma E ausführte. Auch mit dem
Einwand, dass die Beklagten nicht mitgeteilt hätten, der Kläger sei bei E im Raum
L3 tätig gewesen, greift nicht durch. So ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass
der Kläger im diesem Raum als Taxifahrer tätig war, dass auch in diesem
Großraum wohnt und arbeitet. Im Ergebnis bestehen daher an der Erkennbarkeit
des Klägers keine Zweifel.
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a. Die Berichterstattung erfolgte schuldhaft. Die Beklagten hätten ohne weiteres
erkennen können und müssen, dass sie im Rahmen der
Verdachtsberichterstattung nicht vorverurteilend berichten dürfen, zumal dies nicht
nur Bestandteil der einschlägigen Rechtsprechung ist, sondern darüber hinaus im
Pressekodex, der den Beklagten bekannt ist, sogar ausdrücklich unter Ziff. 13
festgehalten wird:
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"Die Berichterstattung über schwebende Ermittlungs- und Gerichtsverfahren muss
frei von Vorurteilen erfolgen. Die Presse vermeidet deshalb vor Beginn und
während der Dauer eines solchen Verfahrens in Darstellung und Überschrift jede
präjudizierende Stellungnahme. Ein Verdächtiger darf vor einem gerichtlichen
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Urteil nicht als Schuldiger hingestellt werden."
Angesichts der Tatsache, dass die Beklagten wie bereits unter Ziff. 1. dargestellt,
eine Vorverurteilung des Klägers vorgenommen haben, liegt ein schweres
Verschulden vor.
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a. Die Voraussetzung für einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens,
dass sich die erlittene Beeinträchtigung nicht auf andere Weise befriedigend
ausgleichen läßt, liegt vor.
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Insbesondere der Ansicht der Beklagten, die Beeinträchtigung des Rufes habe
durch eine Unterlassungsverpflichtung, eine Gegendarstellung oder einen Widerruf
der Beklagten hinreichend beseitigt werden können, kann nicht gefolgt werden.
Dabei ist zu berücksichtigen, wie empfänglich die in solcher Situation besonders
hoch schlagenden Emotionen für eine Personifizierung von Verdächtigen sind und
wie schwer es dem Betroffenen fallen muss, sich von solcher Einschätzung zu
befreien. Die einmal in der Öffentlichkeit erfolgte Möglichkeit der Identifizierung des
Klägers und der damit verbundene Anschein, er sei nicht nur Verdächtiger, sondern
Täter einer schweren Gewalttat, kann weder durch Widerruf noch durch
Gegendarstellung wieder rückgängig gemacht werden (vgl. BGH in GRUR 1982, S.
183 ff). Auch eine Unterlassung bezüglich einer solchen Berichterstattung führt zu
keinem anderen Ergebnis, da der Kläger - wie ausgeführt - einmal erkennbar als
der Straftäter dargestellt wurde.
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Auch die spätere Berichterstattung über den Kläger und die bestehenden Zweifel
an seiner Schuld sowie über den Freispruch, stellen entgegen der Auffassung der
Beklagten keine ausreichende Wiedergutmachung dar. Richtig ist zwar, dass auch
über die entlastenden Momente und den Freispruch des Klägers zeitnah berichtet
wurde. Diese Berichterstattung erfolgte aber erst ab dem 31.12.2002, also etwa 3
1/2 Monate nach der ersten Berichterstattung. Damit wurde der Kläger für einen
Zeitraum von 3 1/2 Monaten in der Öffentlichkeit als Täter eines besonders
verwerflichen Sexualdeliktes angesehen. Angesichts der Schwere des Vorwurfes
und der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, kann eine solche spätere
Berichterstattung nicht als ausreichende Wiedergutmachung angesehen werden.
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a. Die Gesamtwürdigung aller Umstände begründet vorliegend eine
Schmerzensgeldforderung, da für die Zuerkennung ein unabwendbares Bedürfnis
besteht. So wiegt der Vorwurf für ein Sexualdelikt verantwortlich zu sein, dass
bereits vor der Verhaftung des Klägers in der Öffentlichkeit für besondere
Aufmerksamkeit gesorgt hat, besonders schwer. Dabei ist auch zu
berücksichtigen, dass die Beklagten entgegen den Grundsätzen der
Verdachtsberichterstattung an der Schuld des Klägers keinen Zweifel gelassen
haben.
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a. Soweit die Beklagten sich darauf berufen, ihr Verhalten sei für die Schädigung des
Klägers nicht kausal gewesen, da auch andere Zeitungen in identifizierender
Weise über den Kläger berichtet haben, spielt dies für die Beurteilung des
immateriellen Schadensersatzanspruchs keine Rolle. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass jede unzulässige Veröffentlichung den Ruf des Betroffenen
beeinträchtigt, weil die Leser von verschiedenen Zeitungen nicht identisch sind
(vgl. Prinz/Peters a.a.O., Rn. 771).
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a. Die Zubilligung eines solchen Anspruchs scheitert schließlich nicht an der
Zweckbestimmung dieses Anspruchs. Die Zubilligung einer Geldentschädigung,
die ihre Grundlage in Art. 1,2 GG und § 823 Abs. 1 BGB findet, beruht auf dem
Gedanken, daß ohne einen solchen Anspruch Verletzungen des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, daß der
Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde. Anders als beim
Schmerzensgeldanspruch steht bei dem Anspruch auf eine Geldentschädigung
wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Gesichtspunkt
der Genugtuung des Opfers im Vordergrund. Außerdem soll er der Prävention
dienen (BGHZ 128, 1 ff.). Beide Gesichtspunkte kommen im Streitfall zum Tragen.
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Die Kammer hält für die vorliegende Verletzung ein Schmerzensgeld in Höhe von
15.000,00 EUR für angemessen. Dabei ist - neben den bereits aufgeführten
Gründen, die zu einem schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht führen - noch
zu berücksichtigen, dass die von der Beklagten zu 1. vertriebene Zeitung im Raum
L3 einen erheblichen Verbreitungsgrad hat und die Darstellung zunächst in
mehreren Artikeln erfolgte. Es ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte
zu 1., nachdem entlastende Tatsachen über den Kläger bekannt wurden, zeitnah
und mit deutlichen Worten über die neue Entwicklung der Ermittlungen und der
Freispruch berichtete.
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Nach alledem erscheint ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 EUR
angemessen, aber auch ausreichend, einen Ausgleich für die erlittene
schwerwiegende Verletzung der Persönlichkeitsrechte zu schaffen.
57
I. Soweit der Kläger materiellen Schaden gegen die Beklagten als Gesamtschuldner
geltend macht, ist dieser in Höhe von 306,73 EUR begründet.
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59
Wie bereits unter Ziff. I. ausgeführt, liegt eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts
60
des Klägers durch die Beklagten vor, so dass auch ein materieller
Schadensersatzanspruch dem Grunde nach gegeben ist.
Soweit hinsichtlich des materiellen Schadensersatzanspruchs von den Beklagten
eingewandt wird, dieser sei aufgrund des fehlenden Nachweises der Kausalität
nicht gegeben, da auch andere Zeitungen über den Beklagten in ähnlicher Form
berichtet hätten, kann dem nicht gefolgt werden. Wenn mehrere Tageszeitungen
die gleiche schwere Unwahrheit verbreiten, kann eine Nebentäterschaft im Sinne
des § 840 BGB nicht abgelehnt werden, da nicht festgestellt werden kann, auf
welches Blatt die bei den einzelnen Personen verursachten Fehlvorstellungen
zurückzuführen sind. Daher erscheint die Annahme einer Nebentäterschaft mit der
Folge der gesamtschuldnerischen Haftung in dem vorliegenden Fall geboten (vgl.
Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Auflage, Rn. 14.68).
61
Aufgrund der Berichterstattung der Beklagten ist dem Kläger ein materieller
Schaden in der erkannten Höhe entstanden, da seine Ehefrau Kosten aus Mitteln
des Klägers in dieser Höhe für die Unterbringung bei der Familie L2 aufbringen
musste. Die Höhe der Kosten wurde dabei durch die Kammer gemäß § 287 ZPO
geschätzt. Dabei sind die Kosten in der geltend gemachten Höhe von 306,73 EUR
für die Unterbringung für einen Zeitraum von 5 1/2 Monaten angemessen. Insoweit
hat die Ehefrau des Klägers auch keine Aufwendungen erspart, da die Kosten für
die eigentliche Wohnung weiterhin angefallen sind. Soweit eingewandt wurde, es
seinen auch Kosten durch die Unterbringung der Ehefrau des Klägers bei der
Familie L2 erspart worden, wurde dem durch die Rücknahme der ursprünglich in
doppelter Höhe geltend gemachten Forderung ausreichend Rechnung getragen.
62
I. Ein weiterer materieller Schadenersatz, wie der Kläger ihn zum einen durch einen
bezifferten Zahlungsantrag und zum anderen durch die Feststellungsklage wegen
des Verdienstausfalls geltend macht, ist nicht gegeben.
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64
Nach den eigenen Ausführungen des Klägers ist der Verdienstausfall nicht auf die
Berichterstattung durch die Beklagten, sondern auf die erlittene Untersuchungshaft
und die im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren erlittenen traumatischen
Erfahrungen zurückzuführen, so dass insoweit kein kausaler Schaden entstanden
ist. So wird dargelegt, dass die Stelle des Klägers bei der E bei dessen Entlassung
aus der Untersuchungshaft bereits besetzt gewesen sei und eine Umbesetzung
nicht möglich gewesen sei. Ferner hat der Kläger vorgetragen, dass er aufgrund
der Untersuchungshaft und der traumatischen Erfahrungen verschiedene
Tätigkeiten nicht mehr ausführen kann. Er ist nicht mehr in der Lage einen
Geldtransport zu begleiten, da er unter Platzangst leidet, und kann auch bei
Waffentransporten nicht mehr eingesetzt werden, da er eine erhebliche Aversion
gegen Waffen hat. Folglich wäre der Kläger trotz der Berichterstattung der
Beklagten in der Lage gewesen, nach dem Freispruch und der Haftentlassung
wieder Tätigkeiten aufzunehmen, die entsprechende Mehrverdienste begründen,
wenn nicht traumatische Erfahrungen, die unstreitig durch die Untersuchungshaft
65
ausgelöst wurden, die Ausführung der oben genannten Tätigkeiten unmöglich
machen würde.
Damit liegt kein kausaler Schaden vor, der die geltend gemachten
Zahlungsansprüche oder die Feststellungsklage begründen könnte.
66
Die nicht nachgelassenen Schriftsätze des Klägers vom 23.12.2003 und vom
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rechtfertigen keine andere Beurteilung.
68
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 269 Abs. 3, 709 ZPO.
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Streitwert:
70
Antrag zu 1): 2.310,47 EUR (bis zum 30.07.2003)
71
2.003,73 EUR (seit dem 30.07.2003)
72
Antrag zu 2): 8.000,00 EUR
73
Antrag zu 3): 30.000,00 EUR
74