Urteil des LG Köln vom 16.03.2010

LG Köln (treu und glauben, gebäude, archiv, bahn, bewegliche sache, grobe fahrlässigkeit, schaden, stadt, herausgabe, kündigung)

Landgericht Köln, 5 O 257/09
Datum:
16.03.2010
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 O 257/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen, hinsichtlich des Antrags Ziffer 2. auf
Herausgabe als derzeit unbegründet.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung der Beklagten in Höhe von 120
% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T A T B E S T A N D:
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Die Klägerin macht Ansprüche im Zusammenhang mit dem Einsturz des Historischen
Archivs der Stadt Köln, T-Straße, geltend.
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Am 11.03.1952 schlossen der Vater der Klägerin, Dr. X, und das Historische Archiv der
Stadt Köln eine Vereinbarung über die unentgeltliche Verwahrung des Familienarchivs
von X im Historischen Archiv. Wegen der Einzelheiten der Vereinbarung wird auf
Anlage B 1 (Bl. 10 des Anlagenheftes) verwiesen. In der Folgezeit wurden dem Archiv
32 Archivkartons übergeben – siehe Findbuch zum Bestand Nr. 1123 –. Danach folgten
weitere Vereinbarungen (Anlage B 2, Bl. 11, 12 des Anlagenheftes; Bl. 1 des
Anlagenheftes).
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Am 03.03.2009 kam es im Zusammenhang mit U-Bahn-Arbeiten zum Einsturz des
Historischen Archivs. Zwei Menschen starben in den Trümmern mitgerissener
Wohnhäuser. Die archivierten Gegenstände wurden verschüttet.
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Mit Schreiben vom 13.05.2009 kündigte die Klägerin den Verwahrungsvertrag zum
Bestand Nr. 1123 (Bl. 28 d.A.).
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Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin als Erbin des Familienarchivs von X
Feststellung der Haftung der Beklagten für den ihr entstandenen Schaden sowie die
Herausgabe des Bestandes, die bisher nicht erfolgte.
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Die Klägerin behauptet, sie sei nach dem Tod ihrer Mutter Alleinerbin des
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Familienarchivs.
Sie trägt vor, die Beklagte habe die ihr als Verwahrerin obliegenden Obhutspflichten
vorsätzlich vernachlässigt.
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Die Archivleitung, aber auch die Gebäudewirtschaft der Beklagten als Eigentümerin des
Archivgebäudes und das Kulturamt der Beklagten hätten mit einer Katastrophe wie dem
vorliegenden Einsturz rechnen müssen. Hierfür habe es vielfache Anzeichen gegeben,
sowohl Schäden am Gebäude des Historischen Archivs selbst – Risse; Schäden am
Dach u.a. –, als auch Schäden an Gebäuden und Kirchen in der Umgebung.
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Die zur Untersuchung getroffenen Maßnahmen der Beklagten seien nicht ausreichend
gewesen. Dies gelte für die – unstreitig – am 18.11.2008 ohne die Archivleitung
durchgeführte Begehung des Archivs durch das Ingenieurbüro Y, dessen Protokoll
(Anlage B 8, Bl. 69 des Anlagenheftes) – unstreitig – erst nach dem Einsturz erstellt
worden sei und auch für die statische Begutachtung des Ingenieurbüros W vom
05.01.2009 (Anlage B 10, Bl. 72 des Anlagenheftes). Vielmehr hätte von der
Archivleiterin ein Spezialist eingeschaltet werden müssen.
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Die Archivleitung habe nach eigener Aussage – in einem Interview mit dem Kölner
Stadtanzeiger - auch mit dem Schlimmsten – einem Einsturz des Historischen Archivs –
gerechnet und dennoch die Klägerseite unter größter Verletzung von Treu und Glauben
nicht davon unterrichtet. Hätte sie dies getan, hätte die Klägerseite das gesamte
Depositum bis zum Ende des U-Bahn-Baus zurückgenommen und anderswo sicher
verwahrt.
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Angesichts der Umstände hätte die Archivleitung jedenfalls im Februar 2009 im
Interesse der Bediensteten und des Archivgutes sofort die Räumung des Objektes und
das Auslagern des Archivgutes veranlassen müssen. Die Nichträumung grenze
geradezu an Vorsatz.
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Es habe zudem keinen Evakuierungsplan, keinen Notfallplan und im Hinblick auf den
U-Bahn-Bau auch keinen Sicherheitsplan gegeben.
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Aufgrund des Fehlverhaltens der Archivleitung sei auch der Anspruch auf Herausgabe
des Bestandes begründet. Den noch lebenden Leihgebern müsse ermöglicht werden,
noch vor ihrem Tod über ihr Eigentum zu verfügen.
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Angesichts dieser groben Pflichtverletzungen sei die Kündigung des
Verwahrungsverhältnisses wirksam.
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Die Klägerin beantragt,
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1. festzustellen, dass die Beklagte für ihren, der Klägerin, Schaden infolge des
Einsturzes des Kölner Stadtarchivs am 03.03.2009 hafte;
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2. die Beklagte zu verurteilen, den gesamten noch unversehrten Bestand 1123
gemäß Findbuch sofort an sie herauszugeben und ferner die Beklagte zu
verpflichten, den versehrten Teil des Depositum bis zum 31.12.2010 restauriert
und in konservatorisch einwandfreiem Zustand herauszugeben, wobei für den Fall
der nicht rechtzeitigen Erfüllung ein vom Gericht noch festzusetzendes
Zwangsgeld angedroht werde.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Auffassung, der Klägerseite stehe kein Anspruch zu.
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Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin Alleinerbin ihrer Mutter sei und befugt sei,
Ansprüche, die das Familienarchiv von X beträfen, geltend zu machen.
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Die Beklagte ist der Meinung, ein Schadensersatzanspruch scheide aus. Eine
Verletzung von Obhutspflichten liege nicht vor. Die Räumlichkeiten des Historischen
Archivs seien zwar renovierungsbedürftig gewesen. Eine Gefahr für das
ordnungsgemäß gelagerte Archivmaterial habe aber nicht bestanden.
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Sämtliche Verantwortungsträger bei ihr, auch im Historischen Archiv, hätten davon
ausgehen dürfen, dass die im Archiv gelagerten Gegenstände nicht gefährdet seien. Es
habe nicht befürchtet werden müssen, dass das Gebäude hätte einstürzen können.
Überprüfungen hätten stets zu dem Ergebnis geführt, dass die Standsicherheit des
Gebäudes nicht gefährdet gewesen sei.
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Als im November 2008 erstmals Risse am Gebäude des Historischen Archivs
aufgetreten seien, sei das Gutachten des Ingenieurbüros W eindeutig zu dem Schluss
gekommen, dass es keine Probleme mit der Statik oder Standsicherheit des Gebäudes
gebe. Das Einschalten eines weiteren Gutachters sei nach der Begehung des
Gebäudes am 18.11.2008 durch das Ingenieurbüro Y nicht erforderlich gewesen. Die
Verursacherfrage – der U-Bahn-Bau – sei nämlich geklärt gewesen. Von Auffälligkeiten
an anderen Gebäuden in der Umgebung seit dem Jahr 2004 könne zudem nicht auf die
Standsicherheit des Gebäudes des Historischen Archivs geschlossen werden. Danach
habe keine Veranlassung bestanden, das Archivgut an einen anderen Ort zu verbringen
oder die verschiedenen Leihgeber in Kenntnis von den Rissen zu setzen und diese
aufzufordern, das Leihgut wieder an sich zu nehmen.
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Es fehle zudem an einem Verschulden der Beklagten. Sie wende für Archivbestände
der Leihgeber die gleiche Sorgfalt auf wie für eigene Bestände.
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Die Klägerseite müsse sich ein erhebliches Mitverschulden entgegenhalten lassen.
Wegen der anlässlich des U-Bahn-Baus aufgetretenen Zwischenfälle bei anderen
Gebäuden und Kirchen in der Umgebung – Risse u.a. –, über die in der Lokalpresse
berichtet worden seien, hätte die Klägerseite von sich aus beim Historischen Archiv
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nachfragen und das Archivgut aus eigenem Antrieb zurücknehmen müssen.
Im Übrigen stehe derzeit auch nicht fest, ob der Klägerseite überhaupt ein Schaden
entstanden sei.
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Ein Anspruch auf Herausgabe der Gegenstände bestehe nicht. Der Antrag sei
unzulässig, da er zu unbestimmt sei, weil er keinen vollstreckungsfähigen Inhalt habe.
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Die Kündigung des Verwahrungsvertrages sei zudem unwirksam.
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Eine Herausgabe des verlangten Archivgutes sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch
schlicht nicht möglich. Der Verbleib des Bestandes – unversehrt oder beschädigt – sei
derzeit noch unbekannt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der
zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze einschließlich der beigefügten
Unterlagen ergänzend Bezug genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E:
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Klägerin steht kein Anspruch auf Feststellung dahingehend zu, dass die Beklagte
für ihren Schaden infolge des Einsturzes des Historischen Archivs am 03.03.2009 haftet.
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Ob die Klägerin aktivlegitimiert ist, kann dabei dahinstehen. Die Klägerin hat ein
Testament vom 26.10.1993, woraus sich ergeben soll, dass sie Alleinerbin ihrer am
17.03.1998 verstorbenen Mutter sei, nicht vorgelegt. Der vorgelegte gemeinschaftliche
Erbschein betrifft nur die Erbengemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrer Mutter
nach dem Tod des am 06.04.1965 verstorbenen Vaters Dr. X.
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Der Klägerseite steht kein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz gegenüber der
Beklagten gemäß §§ 680, 280 BGB zu.
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Es fehlt bereits an einer Pflichtverletzung der Beklagten gemäß § 688 BGB.
Gemäß § 688 BGB ist der Verwahrer verpflichtet, eine ihm vom Hinterleger übergebene
bewegliche Sache aufzubewahren. Diese Pflicht beinhaltet auch die Übernahme der
Obhut über die Sache, d.h. grundsätzlich Schutz gegen Zerstörung, Beschädigung und
Verlust, unter Umständen im Rahmen des Zumutbaren auch Erbringen der für die
Erhaltung der Sache nach ihrer Art gebotene Fürsorge (Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, §
688, Rdnr. 4).
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Bei unentgeltlicher Verwahrung hat der Verwahrer grundsätzlich gemäß § 690 BGB nur
für diejenige Sorgfalt einzustehen, welche er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden
pflegt (§ 277 BGB). Es gilt insofern ein subjektiver Maßstab, der auf die Veranlagung
und das gewohnheitsmäßige Verhalten des Handelnden abstellt (Palandt, a.a.O., § 277,
Rdnr. 3). Für grobe Fahrlässigkeit wird dabei immer gehaftet. Bei öffentlich-rechtlichen
Verwahrungsverhältnissen ist die Haftungsminderung des § 690 BGB indes
grundsätzlich nicht anwendbar (BGHZ 4, 192). Hat der Schuldner sich fahrlässig
verhalten, muss er beweisen, dass er in eigenen Angelegenheiten nicht sorgfältiger zu
verfahren pflegt als im konkreten Fall. Das ist prima facie anzunehmen, wenn er sich
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zugleich selbst geschädigt hat. Die Beweislast für das Fehlen einer Pflichtverletzung
und eines Verschuldens liegt beim Verwahrer (§ 280 Abs. 1 BGB; Palandt, a.a.O., § 695,
Rdnr. 1, § 280, Rdnr. 37 – "Verantwortungsbereiche" –, Rdnr. 40).
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus § 3 der Vereinbarung vom 11.03.1952, dass das
Historische Archiv das "Familienarchiv von X" pfleglich wie die eigenen Sammlungen
zu behandeln hatte.
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Die Beklagte hat im vorliegenden Fall die ihr obliegenden Obhutspflichten gegenüber
der Klägerseite erfüllt. Es fehlt bereits an einem fahrlässigen Verhalten der Beklagten.
Für ein grob fahrlässiges oder sogar vorsätzliches Verhalten, das die Klägerseite der
Beklagten vorwirft, fehlen jegliche Anhaltspunkte.
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Die Verantwortungsträger der Beklagten mussten nicht mit einem Einsturz des
Historischen Archivs rechnen. Sie konnten davon ausgehen, die im Archiv gelagerten
Gegenstände seien nicht gefährdet. Es lagen keine solche Auffälligkeiten vor, die
Zweifel an der Standsicherheit des Gebäudes hätten aufkommen lassen müssen.
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Dass die Räumlichkeiten des Objektes des Historischen Archivs renovierungsbedürftig
waren, ist insofern unerheblich. Die vorliegenden Mängel betrafen nämlich nicht die
Standsicherheit des Gebäudes.
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Im Februar 2004 wurde vor Beginn der U-Bahn-Arbeiten von der KVB ein
Beweissicherungsverfahren unter Einschaltung des Büros Z + Partner aus Berlin
durchgeführt. Dieses diente dazu, etwaige bereits bestehende Schäden für die
Beurteilung späterer Schäden am Gebäude festzuhalten. Seit Beginn der U-Bahn-
Arbeiten erfolgten im Auftrag der KVB durch das Liegenschaftsamt der Stadt Köln
Messungen am Gebäude des Historischen Archivs, um Setzungen des Gebäudes zu
überprüfen. Diese erfolgten insbesondere in der Zeit des Schildvortriebs zwischen
Januar und März 2007 und am 05.02.2009. Alle Messungen kamen zu dem Ergebnis,
dass alle Setzungen am Gebäude des Historischen Archivs innerhalb der Norm waren
und die Standsicherheit des Gebäudes nicht gefährdet sei.
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Die Eigentümerin des Gebäudes, die Gebäudewirtschaft der Stadt Köln, führte
sogenannte Jahresbegehungen des Objektes durch und auch Überprüfungen nach
Schadensmeldungen. Die Jahresbegehung vom 28.04.2008 führte ebenso wie die
anderen Begehungen zu dem Ergebnis, dass die Standsicherheit des Gebäudes nicht
gefährdet sei.
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Seit dem Jahr 2004 gab es zwar Schäden am Gebäude des Historischen Archivs, etwa
Rohrbrüche und Sturmschäden. Diese waren bis auf einen Schaden am 17.05.2005, bei
dem eine Glasscheibe an der Hausfront des Gebäudes im Zuge der von der KVB
beauftragten Außenarbeiten zerstört worden war, nicht auf die U-Bahn-Arbeiten
zurückzuführen.
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Im November 2008 wurde durch den Haustechniker im Historischen Archiv gemeldet,
dass im Keller im B-Trakt neben dem Treppenhaus ein Stück Mörtel von der Decke
abgeplatzt sei. Daraufhin fand am 18.11.2008 eine Begehung statt. Der technische
Sachverständige U aus dem Ingenieurbüro Y, dem Schadensregulierer der KVB, stellte
darüber hinaus verschiedene weitere Schäden fest, insbesondere schleifende Türen.
Herr U stufte alle begutachteten Schäden als unbedenklich ein. Nicht einmal das Setzen
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neuer Gipsplomben wurde von ihm angeraten. Dass der Vermerk über die Begehung
erst nach Einsturz des Historischen Archivs gefertigt worden war, ist unerheblich.
Vielmehr ist maßgeblich, dass das Ergebnis der Untersuchung dahin lautete, dass keine
Gefahr für die Standsicherheit des Gebäudes vorlag. An dem Termin hatte eine
Mitarbeiterin der Beklagten teilgenommen, die im Objektcenter Gebäudewirtschaft als
technische Baubetreuerin tätig war. Zudem war ein Haustechniker des Historischen
Archivs zugegen. Die persönliche Anwesenheit von Seiten der Archivleitung des
Historischen Archivs war daher nicht erforderlich.
Nachdem sich im November 2008 Risse im Gebäude gezeigt hatten, wurde auf Wunsch
der Leiterin des Historischen Archivs im November 2008 ein weiteres Gutachten über
die Gebäudewirtschaft der Stadt Köln beauftragt, um die Standsicherheit des Gebäudes
zu überprüfen. Beauftragt wurde das Baubüro der Dipl.-Ing. W. Dieses kam nach einem
Ortstermin am 18.12.2008 durch den Sachbearbeiter Dipl.-Ing. N zu dem Ergebnis, die
entstandenen Risse seien unbedenklich. Das Gebäude sei im jetzigen Zustand in
statischer Hinsicht ausreichend standsicher. Sicherungsmaßnahmen müssten nicht
getroffen werden. Dass es sich bei dem Baubüro W nicht um einen gerichtlich bestellten
Sachverständigen handelt, ist unerheblich, da sich das vorgenannte Baubüro
ausdrücklich mit Fragen der Tragwerksplanung befasst. Konkrete Einwendungen gegen
die Qualifikation des Büros, die der Beklagten hätten bekannt sein müssen, hat die
Klägerseite nicht vorgetragen. Danach durfte die Beklagte davon ausgehen, dass die
Standsicherheit des Gebäudes nicht gefährdet sei.
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Soweit das Baubüro empfahl, einen öffentlich anerkannten Sachverständigen für
Bauwerkschäden einzuschalten, um eine genaue Ursache für das unterschiedliche
Setzungsverhalten herauszufinden und um eventuell weitere Schäden am Gebäude zu
vermeiden, und die Beklagte dem nicht nachkam, ändert dies am Vorgesagten nichts.
Diese Angabe schränkte nämlich die Aussage hinsichtlich der Standsicherheit des
Gebäudes nicht ein. Vielmehr war hierzu eine eindeutige Aussage getroffen worden.
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Auch bei den sonstigen von der Klägerseite geschilderten Vorfällen und Umständen
handelt es sich nicht um konkrete Warnhinweise, die auf die Standunsicherheit des
Gebäudes des Historischen Archivs hindeuteten. Die von der Klägerseite vorgetragenen
Schäden an anderen Gebäuden, insbesondere Kirchen, die die Beklagte mit
Nichtwissen bestritten hat, ließen keine Rückschlüsse auf den Zustand des Gebäudes
des Historischen Archivs zu. Vielmehr war maßgeblich, welche Verhältnisse dort
vorlagen. Hierzu waren indes die vorgenannten Untersuchungen zur Standsicherheit
erfolgt.
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Soweit die Klägerseite auf das Interview der Archivleiterin im Kölner-Stadt-Anzeiger
vom 11.03.2009 verweist, lässt sich hieraus nicht entnehmen, dass die Archivleiterin vor
dem eigentlichen Schadensereignis von einer konkreten Einsturzgefahr ausging. Die
Archivleiterin hat insbesondere darauf hingewiesen, dass es nach dem eingeholten
Gutachten keine gravierenden statischen Mängel gab. Da seien sie beruhigt gewesen.
Wenn jemand, der von Statik Ahnung habe, ihnen so etwas sage, dann müssten sie das
glauben. Demgemäß ging die Archivleiterin von der Standsicherheit des Gebäudes aus,
was sie aufgrund des vorliegenden Gutachtens des Büros W vom 05.01.2009 auch
konnte. Andere Aussagen der Archivleiterin in dem Interview beziehen sich
offensichtlich auf den renovierungsbedürftigen Zustand des Objektes. Mit der Frage der
Standsicherheit hatte dies indes nichts zu tun.
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Soweit die Klägerseite auf einen hydraulischen Grundbruch im September 2008
verweist, den die Beklagte bestreitet, ist auch insofern darauf zu verweisen, dass für die
Beklagte die Untersuchungen zur Standsicherheit des Gebäudes maßgeblich waren.
Eine konkrete Ursache für die Einsturzgefahr war für die Archivleiterin ohnehin nicht
erkennbar; eine solche Ursache ist bis heute nicht bekannt.
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Der Vortrag der Klägerseite, Archivmaterialien seien nicht ordnungsgemäß aufbewahrt
worden und es habe an einer Notfallplanung gefehlt, ist nicht geeignet, einen
Schadensersatzanspruch zu begründen. Insoweit fehlt es an der Kausalität für den
geltend gemachten Schaden.
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Nach dem Vorgesagten bestand keine Benachrichtigungspflicht gegenüber der
Klägerseite. Es bestand ferner keine Pflicht zum Auslagern des Archivgutes. Insofern ist
einerseits zu berücksichtigen, dass keine konkrete Einsturzgefahr vorhersehbar war und
andererseits im Rahmen der Zumutbarkeit ein erheblicher Aufwand erforderlich
gewesen wäre, um die Archivmaterialien zu verlagern.
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Der Klägerseite stehen nach dem Vorgesagten auch keine Ansprüche aus § 823 BGB,
bzw. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG auf Zahlung von Schadensersatz zu.
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Der von der Klägerseite geltend gemachte Herausgabeanspruch besteht derzeit nicht.
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Gemäß § 695 BGB kann ein Hinterleger die hinterlegte Sache jederzeit zurückfordern.
Das Rückgabeverlangen bedeutet dabei die Kündigung des Vertrages. Allerdings darf
eine solche Kündigung nicht zu einem unangemessenen Zeitpunkt erfolgen; dabei ist im
Übrigen ohnehin eine angemessene Rückgabefrist gemäß § 242 BGB zu gewähren
(Palandt, a.a.O., § 695, Rdnr. 1).
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Im vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob die Kündigungsvoraussetzungen nach der
vertraglichen Vereinbarung der Parteien vorliegen und die Kündigung der Klägerseite
wirksam ist oder nicht. Angesichts der Gesamtumstände zur Bergung, Sichtung und
Restaurierung des Archivmaterials sowie des damit verbundenen Zeit- und
Kostenaufwands ist der Beklagten eine Herausgabe des Archivmaterials an die
Klägerseite, auch unter Berücksichtigung von deren Interesse am Archivmaterial, derzeit
nicht zumutbar (§ 242 BGB).
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
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Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Klägerseite vom 23.11.2009, 30.11.2009,
27.11.2009, 16.12.2009, 06.01.2010, 11.01.2010, 14.01.2010, 08.02.2010 und
08.03.2010 geben keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung. Der Vortrag der Klägerseite ist nicht geeignet, einen Anspruch zu
begründen. Der Vortrag der Beklagten im nachgelassenen Schriftsatz vom 18.12.2009
und nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 03.03.2010 macht ebenfalls die
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht erforderlich.
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Soweit die Klägerseite mit Schriftsatz vom 27.11.2009 den Antrag ankündigt,
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die Beklagte zu verurteilen, Auskunft darüber zu erteilen, wo sich die gemäß
Findbuch zu Bestandsnummer 1123 enthaltenen einzelnen Gegenstände aus
dem Eigentum der Klägerin befinden,
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fällt dieser Sachantrag nicht unter § 296 a ZPO. Er ist indes unzulässig nach
§§ 261 Abs. 2, 297 ZPO (vgl. Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 296 a, Rdnr. 2 a). Der Antrag
wäre spätestens in der mündlichen Verhandlung zu stellen gewesen. Ein Grund zur
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung besteht nicht. Insofern wird auf das
Vorgesagte verwiesen, wonach auch dieser Auskunftsanspruch unter dem
Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Berücksichtigung der
Zumutbarkeit für die Beklagte steht.
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Streitwert:
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Bis 15.11.2009: 25.000,-- €
67
Ab 16.11.2009: 55.000,-- €
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Feststellungsantrag: 25.000,-- €
Herausgabeantrag: 30.000,-- €
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