Urteil des LG Köln vom 22.08.2007

LG Köln: operation, pes adductus, berufliche tätigkeit, behandlungsfehler, arthrose, anhörung, arthrodese, eingriff, fehlbehandlung, schmerzensgeld

Landgericht Köln, 25 O 402/05
Datum:
22.08.2007
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
25. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
25 O 402/05
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 2.500,- nebst Zinsen in
Höhe von 4 Prozent seit dem 13. Juli 2005 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 115% des beizutreibenden Betrages.
T A T B E S T A N D:
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Der am 12.10.1955 geborene Kläger nimmt die Beklagte auf Grund einer vermeintlich
fehlerhaften ärztlichen Behandlung, die während eines stationären Aufenthaltes des
Klägers im Krankenhaus der Beklagten durch die Ärzte der Beklagten in dem Zeitraum
vom 24. November 1995 bis zum 7. Dezember 1995 erfolgt ist, insbesondere wegen
einer vermeintlich misslungene operative Arthrodese in Anspruch.
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Gestützt auf ein Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung
Nordrhein behauptet der Kläger, die Operation sei fehlerhaft durchgeführt worden. Die
distale Blount-Klammer sei falsch gesetzt worden, nämlich im Chopart’schen Gelenk.
Die Arthodese sei nicht achsengerecht eingestellt worden. Das Ergebnis der Operation
sei unbefriedigend, weil nach der Operation eine Fehlstellung des unteren
Sprunggelenks im Sinne einer vermehrten Supination um 40° und Eversion bestehe.
Dadurch sei eine Versorgung mit orthopädischen Schuhen erforderlich geworden. Vor
der Operation habe eine solche Fehlstellung nicht bestanden. Die Fehlstellung habe zu
erheblichen Folgeschäden, insbesondere Rückenbeschwerden und Problemen im
Bereich der Knie geführt. In Folge des Operationsfehlers sei er heute zu 30 Prozent als
schwerbehindert anerkannt. Er sei nicht mehr in der Lage, länger zu stehen, sondern
müsse sich immer eine Sitzgelegenheit suchen. Infolge der Behandlung leide er unter
schweren Depressionen.
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Durch diese Beschwerden sei er in der Haushaltsführungsfähigkeit erheblich
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Durch diese Beschwerden sei er in der Haushaltsführungsfähigkeit erheblich
eingeschränkt gewesen, woraus ihm ein materieller Schaden entstanden sei, für dessen
Einzelheiten auf die Darstellung in der Klageschrift Bezug genommen wird.
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Der Kläger beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, welches
in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von €
52.000,- nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 13. Juli 2005 zu
zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle zukünftigen
materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die sich aus der fehlerhaften
Behandlung des Klägers durch die Beklagte in dem Zeitraum 24. November 1995
bis 7. Dezember 1995 ergeben, soweit diese Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen;
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 47.273,66 nebst 5% Zinsen über dem
Basiszinssatz seit dem 13. Juli 2005 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte tritt dem Vorliegen eines Behandlungsfehlers entgegen. Die Beklagte
behauptet, die ursprüngliche Fehllage der Blount’schen Klammer sei bei der
Materialentfernung beseitigt worden. Dies habe keine Auswirkungen auf das
Operationsergebnis im Übrigen gehabt. Bereits vor dem Eingriff hätte beim Kläger ein
sog. Pes adductus vorgelegen. Die verbliebene Fußfehlform sei also Folge der
Grunderkrankung.
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Sie bestreitet insbesondere, dass die vom Kläger geltend gemachten Beschwerden der
Wirbelsäule durch eine Fehlbehandlung bedingt sind.
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Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 8. Februar 2006,
Bl. 74-76 d.A. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. S, Klinik und Poliklinik für Orthopädie des Klinikums der
Universität zu Köln, vom 25. Mai 2006, Bl. 96 bis 132 d.A., nebst der ergänzenden
Stellungnahme, Bl. 154 bis 156 d.A., Bezug genommen.
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Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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Die Klage ist nur zu einem geringen Teil im Antrag zu 1. begründet. Dem Kläger steht
gegen die Beklagte ein Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 31, 847 BGB a.F. auf Zahlung
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eines Schmerzensgelds in Höhe von € 2.500,- zu.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sind die Behandlungsfehlervorwürfe nur
insoweit begründet, als die Blount-Klammer im Chopart’schen Gelenk fehlerhaft
positioniert worden ist. Deretwegen hat der Kläger bis zur Entfernung Schmerzen
erlitten. Die übrigen Behandlungsfehlervorwürfe und weitere aus der Fehlbehandlung
bedingte Schäden haben sich nicht erweisen lassen.
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Zu dem Vorwurf einer fehlerhaften Behandlung hat der Sachverständige nach
sorgfältiger Auswertung der Gerichtsakte und der Behandlungsunterlagen einschließlich
der Röntgenbilder des sowie körperlicher Untersuchung des Klägers ausgeführt, die
Operation sei bei der vorliegenden hochgradigen Arthrose im oberen und unteren
Sprunggelenk indiziert gewesen. Vor der Arthrodese seien alternative
Behandlungsmethoden erschöpfend und ohne Erfolg angewandt worden. Durch die der
Operation vorangegangene Infiltration mit einem Lokalanästhetikum mit anschließender
Beschwerdefreiheit sei der Ursachenszusammenhang zwischen Arthrose und
Schmerzsymptomatik präoperativ unzweifelhaft festgestellt worden.
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Fehler bei der Operationsdurchführung ließen sich nicht feststellen. Die Verwendung
von Blount-Klammern anstelle eines Fixateur externe sei nicht fehlerhaft gewesen,
sondern erscheine – wie der Vergleich der vom Sachverständigen ausführlich
beschriebenen Verfahren – als kleinerer Eingriff vorzugswürdig. Die allerdings
festzustellende Fehllage der distalen Blountklammer im Chopart’schen Gelenk sei nach
der Entfernung im Jahr 1996 ohne weitere Folgen beseitigt. Die Operation habe im
Übrigen insgesamt eine zufrieden stellende Gelenkversteifung erbracht.
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Auf einen weiteren Fehler bei der Operation lasse sich auch nicht wegen der in der
Folge bei dem Patienten aufgetretenen Beschwerden zurückschließen.
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Zu den Folgen hat der Sachverständige erläutert: Eine erhebliche
Supinationsfehlstellung von mehr als 10° lasse sich aktuell nicht feststellen, ebenso
wenig ein Rückfußvarus von 40°. Überdies rechtfertige die Supinationsfehlstellung, wie
sie allerdings von mehreren nachbehandelnden Ärzten gesehen worden sei, nicht den
Rückschluss auf einen Behandlungsfehler, denn die Fehlstellung lasse sich auch bei
kunstgerechtem Vorgehen nicht immer vermeiden. Eine Einlagenversorgung und
orthopädische Schuhe seien als Folge der Operation in jedem Falle therapeutisch
sinnvoll gewesen. Wenn der Patient LWS- und BWS-Beschwerden als Folge eines
Behandlungsfehlers klage, bestehe jedenfalls kein Ursachenzusammenhang zu der
Operation, denn diese Beschwerden hätten seit der Kindheit bestanden. Eine Arthrose
in den Kniegelenken lasse sich nicht feststellen und stünde auch in keinem
Zusammenhang mit der hier streitgegenständlichen Arthrodese.
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Die Kammer folgt diesen erkennbar von großer Sachkunde getragenen,
nachvollziehbaren und folgerichtigen Ausführungen des für die Beantwortung der
vorliegend aufgeworfenen Fragen durch seine berufliche Tätigkeit als besonders
sachkundig ausgewiesenen Sachverständigen. Nach alledem bestehen auch keine
Anhaltspunkte für schlechthin unverständliche Behandlungsfehler, die Grundlage für
eine Beweislastumkehr aus dem Gesichtspunkt eines groben Behandlungsfehlers
geben könnten.
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Veranlassung zur mündlichen Anhörung des Sachverständigen bestand nicht, weil sie
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vom Kläger nicht beantragt worden ist und das Gutachten im Übrigen keine Fragen, die
Anlass für eine Anhörung von Amts wegen gäben, offen lässt. Einen Antrag auf
Anhörung hat der Kläger auch nach Hinweis in der mündlichen Verhandlung, dass eine
Ladung des Sachverständigen aufgrund des Schriftsatzes vom 13. März 2007 nicht
veranlasst sei, nicht formuliert. Die in dem Schriftsatz vom Kläger angesprochenen
Fragen hat der Sachverständige bereits beantwortet. Die Auffassung des Klägers, nach
den Ausführungen des Sachverständigen läge ein schwerwiegender Behandlungsfehler
vor, so dass rechtlich die Annahme eines groben Behandlungsfehlers geboten sei,
beruht auf einem in der mündlichen Verhandlung erörterten Missverständnis der
Ergebnisse des Sachverständigen. Von dem ihm eingeräumten Schriftsatznachlass hat
der Kläger keinen Gebrauch gemacht.
Zum Ausgleich aller erlittenen immateriellen Schäden, die sich danach auf den relativ
begrenzten Behandlungsfehler (Fehllage der Blount-Klammern) zurückführen lassen,
hat die Kammer unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte,
insbesondere der Dauer und dem Umfang der vermeidbaren Schmerzen durch die
Fehllage der Klammern bis zu deren Entfernung, ein Schmerzensgeld im tenorierten
Umfang als angemessen erachtet.
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Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB i.V.m. Art. 229 § 1 Abs. 1 EGBGB. Zinsen
werden nicht in der geltend gemachten Höhe, sondern nur in Höhe von 4% nach § 288
Abs. 1 BGB in der am 17. März 2000 geltenden Fassung geschuldet. § 288 Abs. 1 BGB
in der Fassung vom 1. Mai 2000 gilt gemäß Art 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB nicht, weil
er nur auf Forderungen anwendbar ist, die nach dem 1. Mai 2000 fällig geworden sind.
Deliktische Schadensersatzansprüche entstehen indes sogleich mit Vornahme der
unerlaubten Handlung (vgl. OLG Köln, Urt. v. 25.4.2007 – 5 U 180/05).
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Der Klage ist im Antrag zu 1. auch unter dem Gesichtspunkt der erstmals im Anschluss
an das Sachverständigengutachten erhobenen Aufklärungsrüge kein weitergehender
Erfolg beschieden. Nach den wiederum überzeugenden Ausführungen des
Sachverständigen hat der Kläger den ihm obliegenden Beweis nicht erbracht, dass
zwischen dem als rechtswidrig unterstellten Eingriff und den von ihm geltend gemachten
Folgen – soweit diese über die o.a. Fehllage der Klammern hinausgehen – ein
Kausalzusammenhang besteht.
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Aus den Ausführungen des Sachverständigen folgt zugleich, dass den weiteren
Anträgen zu 2. und 3. kein Erfolg beschieden ist. Nach den Ausführungen des
Sachverständigen ist über die durch die Fehllage der Blount-Klammern bedingten
Schmerzen hinaus dem Kläger keine weitere Beeinträchtigung entstanden. Der
Schaden ist durch die Entfernung der Klammern abschließend beseitig. Danach fehlt es
medizinisch an einer Beeinträchtigung als Grundlage der geltend gemachten
materiellen Schäden ebenso wie für mögliche zukünftige materielle und immaterielle
Schäden.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2, 108 Abs. 1, 709 ZPO.
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Streitwert
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Antrag zu 1. € 52.000,00
29
Antrag zu 2. € 30.000,00
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Antrag zu 3. + € 47.273,66
31
zusammen € 129.273,66
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