Urteil des LG Köln vom 01.07.2009

LG Köln: form, kunst, gestaltung, auskunft, gebrauchsgegenstand, werken, materialien, verbreitung, urheberrecht, münze

Landgericht Köln, 28 O 42/09
Datum:
01.07.2009
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
28. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
28 O 42/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
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Die Parteien streiten um urheberrechtliche Ansprüche an der Gestaltung von
Weißbiergläsern, deren unterer Teil in Fußballform gestaltet ist (vgl. Anlage K 7b).
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Der Kläger ist freischaffender Künstler sowie Grafik- und Produktdesigner im Ruhe-
stand.
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Unter dem Geschmacksmuster M 9408454.8 war das Glas des Klägers vom 23.02.1995
bis zum 31.08.2000 beim deutschen Patent- und Markenamt eingetragen. Inhaber des
Geschmacksmusters war der Kläger (vgl. Anlagen B 1, K 12).
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Die Beklagte ist eine Bierbrauerei, die anlässlich der Fußball-WM 2006 und der EM
2008 Weißbiergläser vertrieben hat, deren unterer, schlanker Teil in Fußballform
ausgestaltet war.
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Der Kläger erfuhr im Herbst 2008, dass die Beklagte die streitgegenständlichen Gläser
vertrieb. Am 18.11.2008 schrieb er die Beklagte an, um sie von seinen Urheberrechten
an den Gläsern in Kenntnis zu setzen. Unter dem 18.12.2008 mahnte er die Beklagte ab
und forderte die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung.
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Mit Schreiben vom 11.12.2008, das der Kläger am 19.12.2008 erhielt, antwortete die
Beklagte auf das erste Schreiben des Klägers und wies die Ansprüche zurück.
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Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung gab die Beklagte nicht ab.
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Der Kläger behauptet, im Jahr 1994 seinerseits Gläser entworfen zu haben, die unten,
über dem Fuß in Fußballform ausgestaltet gewesen seien. Soweit er zunächst
behauptet hat, dies sei im Jahr 1995 erfolgt, hat er dies korrigiert, nachdem die Beklagte
darauf verwiesen hat, dass der Kläger die Gläser dann erst nach der Eintragung des
Geschmacksmusters entworfen habe. Hinsichtlich der vorgelegten Geschmacksmuster
behauptet der Kläger, dass das von der Gegenseite vorgelegte Geschmacksmuster, das
einen Herrn T, Y als Entwerfer ausweise, erschlichen worden sei. Ihm sei ausdrücklich
bestätigt worden, dass er der Entwerfer sei und seine Rechte als Entwerfer durch die
Vereinbarung gewahrt werden sollten. Er trägt weiter vor, er habe bei der Gestaltung
seines Glases auf eine ganz besondere und eigentümliche Art und Weise konkret die
Form eines Fußballs mit der eines Weißbierglases verschmolzen. Die Gläser seien
daher urheberrechtlich schutzfähig. Der Kläger ist der Ansicht, es handele sich bei den
Gläsern der Beklagten um ein (schlechtes) Plagiat. Die Beklagte habe die
Gestaltungsformel 100%ig übernommen. Die überragende Formgebung seiner Gläser
habe überragenden objektiven Erfolg. Es handele sich daher bei seinen Gläsern um ein
eigenständiges, schutzfähiges Werk.
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Der Kläger beantragt nach Erweiterung seiner Klage nunmehr,
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1. die Beklagte hat es zur Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der
Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses
nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis
zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,- €, Ordnungshaft
insgesamt höchstens zwei Jahre) zu unterlassen, ohne Zustimmung des Klägers
Fußball-Weißbier-Gläser wie auf dem nachstehenden Lichtbild ersichtlich,
versehen mit verschiedenen Länder-Flaggen, zu produzieren, zu vervielfältigen,
oder zu verbreiten:
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(Es folgt eine Bilddarstellung)
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2. die Beklagte hat dem Kläger Auskunft über Art, Umfang und Dauer der nach Ziffer
1 verbotenen Handlung zu erteilen, und zwar insbesondere unter Angabe der
Gesamtzahl der Vervielfältigungsstücke sowie des/der Empfänger/s der
Vervielfältigungsstücke und des Zeitpunktes der Verbreitung der
Vervielfältigungsstücke und insbesondere auch über die An- und Verkaufspreise
der Vervielfältigungsstücke, jeweils unter Angabe der Mehrwertsteuer;
3. die Beklagte hat den Kläger gegenüber seinem Bevollmächtigten von
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von brutto 1.085,04 € freizu-stellen;
4. es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen Schaden
zu ersetzen, der ihm durch die in Ziffer 1 bezeichneten Handlungen entstanden ist
oder noch entstehen wird.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, die Gläser seien nicht schutzfähig, da sie als Werke der
angewandten Kunst den erhöhten Schutzanforderungen nicht genügten. Die abstrakte
Idee sei nicht schutzfähig. Es käme allenfalls eine Doppelschöpfung in Betracht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte
gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber insgesamt unbegründet.
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I.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Unterlassung aus § 97 I UrhG gegen die Beklagte.
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Die Beklagte hat durch die Produktion und den Verkauf ihrer Weizenbiergläser keine
Urheberrechte des Klägers verletzt.
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Bei den Gläsern des Klägers handelt es sich nicht um Werke der angewandten Kunst.
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Ein Werk der angewandten Kunst unterscheidet sich von den "reinen" Kunstwerken
durch seinen Gebrauchszweck und die Art seiner Herstellung. Es handelt sich um einen
formschönen Gegenstand, der meistens industriell und serienmäßig hergestellt wird
(vgl. Dreier/Schulze, UrhG, 3. Auflage 2008, § 2 Rn. 158). Zwar ist es einerseits für die
Schutzfähigkeit gleichgültig, ob das Werk neben seinem ästhetischen Zweck noch
einen Gebrauchszweck dient, jedoch deutet der Gebrauchszweck eines Gegenstandes
andererseits an, ob und inwieweit seine Form vorgegeben oder technisch bedingt ist
und lediglich einer – schutzlosen – handwerklichen Durchschnittsleistung entspricht.
Dort muss exakter als bei den "reinen" Kunstwerken herausgestellt werden, inwieweit
der Gebrauchsgegenstand über seine von der Funktion vorgegebene Form hinaus
künstlerisch gestaltet ist. Dies gilt insbesondere bei den sachlich-schlicht gestalteten
Gegenständen der sog. Funktionsästhetik. Nur so wird verständlich, dass manchem
kunstgewerblichen Kitsch Urheberrechtsschutz eher zugebilligt wird, als z.B. dem
funktionalen Design von Feuerzeugen, Rasierapparaten und Küchenmaschinen,
obwohl deren Design die Formgebung vergleichbarer Produkte oft deutlich überragt, als
es besagter Kitsch gegenüber der Formgebung vergleichbarer Kitsch-Produkte tut.
Letztlich handelt es sich aber im Bereich der Funktionsästhetik nur um Bedarfs- und
Gebrauchsgegenstände mit künstlerischer Formgebung (vgl. Dreier/Schulze, a.a.O., § 2
Rn. 159, § 26 Rn. 34).
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Die Weißbiergläser des Klägers gehören diesem Bereich der Funktionsästhetik an. Sie
stellen einen Gebrauchsgegenstand dar, dessen Grundkonzeption durch seinen
Gebrauchszweck vorgegeben ist. Das Design des Glases ist themenspezifisch für ein
Fußballereignis angepasst.
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Die Rechtsprechung stellt bei Werken der angewandten Kunst, soweit sie einem
Geschmacksmusterschutz zugänglich sind, höhere Anforderungen an die
Schutzfähigkeit, d. h. an die hinreichende Individualität als bei Werken der "reinen"
Kunst. Der Schutz der sog. "kleinen Münze" gilt hier nicht. Da sich bereits die
geschmacksmusterschutzfähige Gestaltung von der nicht geschützten
Durchschnittsgestaltung, dem rein Handwerklichen und Alltäglichen abheben muss, ist
für die Urheberrechtsschutzfähigkeit ein noch weiterer Abstand, d.h. ein deutliches
Überragen der Durchschnittsgestaltung, zu fordern. Für den Urheberrechtsschutz ist
danach ein höherer schöpferischer Eigentümlichkeitsgrad als bei nur
geschmacksmusterschutzfähigen Gegenständen zu verlangen, wobei die Grenze
zwischen beiden nicht zu niedrig angesetzt werden darf. Es scheiden somit all
diejenigen Formelemente vom Urheberrechtsschutz aus, die auf bekannte, technisch
vorgegebene oder allgemein übliche Vorbilder zurückgehen, soweit nicht in der
Kombination dieser Formelemente, sei es untereinander oder sei es in Verbindung mit
neuen Elementen, wiederum eine schöpferische Leistung entstanden ist (vgl.
Dreier/Schulze, a.a.O., § 2 Rn. 160; BVerfG, GRUR 2005, 410, 410f.).
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Die erforderliche Schöpfungshöhe ist bei den streitgegenständlichen Weißbiergläsern
nicht erreicht.
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Ein deutliches Überragen der Durchschnittsgestaltung liegt nicht vor. Ein höherer
schöpferischer Eigentümlichkeitsgrad als bei nur geschmacksmusterschutzfähigen
Gegenständen kommt den Weißbiergläsern des Klägers nicht zu. Allein ein
formschönes und klares Design genügt dazu nicht. Die streitgegenständlichen Gläser
weisen keine Schöpfungshöhe auf, die über die Geschmacksmusterfähigkeit
hinausreicht. Die Gläser setzen sich aus bekannten Stilelementen, der typischen Form
eines Weißbierglases, eines bei Gläsern üblichen Elements einer Kugel im Stil bzw.
Fuß, zusammen. Dass das Kugelelement einen Fußball symbolisiert, reicht - auch in
Kombination mit einem Weißbierglas - nicht aus, um eine höhere schöpferische
Eigentümlichkeit zu begründen.
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Auch die hinter dem Entwurf der Gläser stehende abstrakte Idee, einen Fußball in den
Fuß eines Weißbierglases zu integrieren, ist nicht schutzfähig. Eine Schutzfähigkeit
beginnt erst, wenn die Idee eine konkrete Gestalt angenommen hat. Die konkrete
Ausgestaltung der Gläser führt aber – wie dargelegt – nicht zu einer urheberrecht-lich
relevanten Verletzungshandlung.
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Selbst wenn man die Gläser als urheberrechtlich geschützt ansehen wollte, so liegt
keine unzulässige Übernahme vor.
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Je individueller ein Werk ist, desto größer ist auch sein Schutzumfang. Dies hat zur
Folge, dass das Werk nicht nur in seiner konkreten Form gegen identische Nutzungen
geschützt ist, sondern dass auch Abweichungen und nahezu identische Nutzungen in
seinen Schutzbereich fallen. Erst wenn das Verletzungsexemplar selbst in erheblichem
Umfang eigene individuelle Züge aufweist, so dass dahinter die Züge des benutzen
Werkes verblassen, kann von einer – zulässigen – freien Benutzung die Rede sein.
Umgekehrt folgt aus einem geringen Maß an Individualität auch ein entsprechend enger
Schutzumfang bei dem betreffenden Werk (vgl. Dreier/Schulze, a.a.O., § 2 Rn. 34, § 24
Rn. 31). Entscheidend ist mithin allein das Maß der Übernahme der prägenden
Gestaltungselemente.
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Anhand der diversen vorgelegten Gestaltungsmöglichkeitenvon Weißbiergläsern, auch
mit einem integrierten Fußball, ist erkennbar, dass die individuellen Unterschiede
zwischen den Gläsern insgesamt sehr gering sind. Zwar weisen einige Gläser größere
Unterschiede, d.h. eine geringere Übernahme der Gestaltungselemente, in Bezug auf
das Glas des Klägers auf, insbesondere da bei diesen der Fußball in die Glasmitte oder
in den oberen Pokal eingearbeitet ist, jedoch weisen die Gläser der Beklagten selbst in
erheblichem Umfang eigene individuelle Züge auf, so dass dahinter die Züge des
benutzen "Werkes", des Weißbierglases des Klägers, verblassen, und keine
unzulässige Übernahme vorliegt.
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Ein bereits auf den ersten Blick erkennbarer, deutlicher Unterschied der Gestaltung liegt
darin, dass das Glas der Beklagten unter dem eingearbeiteten Fußball wieder breiter
wird und in einem dicken Glasfuß mündet, während das Glas des Klägers einen – für
ein Weißbierglas eher untypischen – abgesetzten Fuß hat. Auch endet der Füllbereich
des Glases des Klägers mit dem eingearbeiteten Fußball. Der Füllbereich des Glases
der Beklagten setzt sich jedoch noch unter dem Fußball ein Stück fort, sodass der
Fußball nicht den Abschluss des Glases bildet. Hinzukommt, dass die Gläser aus
unterschiedlichen Materialien – mundgeblasenes Kristallinglas einerseits, Pressglas
andererseits – hergestellt sind, und auch in der weiteren konkreten Ausgestaltung
differieren. So ist der Fußball in dem Glas des Klägers durch seinen Schliff deutlich in
seiner Wabenstruktur ausgearbeitet und erkennbar, während bei dem Glas der
Beklagten die formgebenden Linien durch die Pressung nicht so deutlich hervortreten.
Insgesamt vermittelt das Glas des Klägers zudem einen gänzlich anderen
Qualitätseindruck.
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All diese Unterschiede streicht auch der Kläger heraus, allerdings zur Begründung der
individuellen Schöpfungshöhe seiner Gläser. Bei näherer Betrachtung folgen hieraus
aber gerade die Abweichungen, die zu einer zulässigen freien Benutzung führen. In
dem engen Gestaltungsbereich, der durch den Gebrauchszweck und die
ereignisspezifische Themengebung vorgezeichnet ist, genügen hierzu bereits die
dargelegten geringen Abweichungen, um den angenommenen Schutzbereich wieder zu
verlassen.
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II.
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Mangels Verletzungshandlung hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Auskunft, da
der Auskunftsanspruch von deren Bestand abhängig ist.
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Gleiches gilt für den Freistellungsanspruch hinsichtlich der außergerichtlichen
Rechtsanwaltskosten für das Abmahnschreiben vom 18.12.2008 und den Anspruch auf
Feststellung der Schadenersatzpflicht.
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III.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 I 1, 709 Satz 1 und Satz 2
ZPO.
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Streitwert: 25.000,- €
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