Urteil des LG Kleve vom 22.07.2004

LG Kleve (familie, schwerer fall, mutter, wohnung der familie, wohnung, zimmer, zeuge, tötung, umstände, sohn)

Landgericht Kleve, 140 Ks 1/04 LG
Datum:
22.07.2004
Gericht:
Landgericht Kleve
Spruchkörper:
Schwurgericht
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
140 Ks 1/04 LG
Schlagworte:
niedrige Beweggründe, besonders schwerer Fall des Totschlages
Normen:
StGB § 211, 212 Abs.1, Abs. 2
Tenor:
Der Angeklagte ist des Totschlags schuldig.
Er wird zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen
Auslagen aller Nebenkläger zu tragen.
- § 212 Abs. 1 und Abs. 2 StGB -
G r ü n d e
1
---------------
2
3
I.
4
Der mm Jahre alte Angeklagte wurde J Dy Dy, einem kleineren Ort im Fd, geboren. Er
ist von kurdischer Volkszugehörigkeit und wuchs J seiner Familie mit sieben älteren
Geschwistern, zwei Schwestern und fünf Brüder, auf. Die Familie lebte von der Arbeit J
der Landwirtschaft. Sie wechselte häufig ihren Wohnsitz, um Repressalien des
damaligen Regimes im Fd zu entgehen. Aufgrund dessen besuchte der Angeklagte nur
sporadisch und an wechselnden Orten die Schule. Insgesamt hat der Angeklagte rund 3
Jahre lang Schulen besucht. Er kann nur mäßig schreiben und lesen. Eine
Berufausbildung hat der Angeklagte nicht.
5
6
_____ heiratete der Angeklagte im Alter von 18 Jahren die gleichaltrige P, das spätere
7
Tatopfer. Beide hatten sich kennengelernt, als der Angeklagte mit seiner Familie im
gleichen Dorf wie Frau P im Fd lebten. Nach der Heirat lebten der Angeklagte und Frau
Ynächst J der Großfamilie. Der Angeklagte arbeitete J der Landwirtschaft.
8
Als der Angeklagte zum Militärdienst J der fdischen Armee eingezogen werden sollte,
flüchtete die Familie J das kurdische Gebiet des Nordfds. Im Fd wurden ____ der Sohn
B2 und 1986 die Tochter B6 geboren.
9
10
Nach einem Angriff mit Chemiewaffen auf die Bevölkerung im Nordfd flüchtete die
Familie weiter J den kurdischen Teil des Irans. Im Iran wurde 1988 der Sohn B4
geboren.
11
12
____ kehrte die Familie J den Fd zurück. _____ wurde der Sohn Fr geboren. ____
wurde der Sohn B geboren.
13
14
_____ reiste der Angeklagte nach Deutschland, wo er auf einen entsprechenden Antrag
als Asylbewerber anerkannt wurde. _____ kamen Frau P und die Kinder des
Angeklagten im Rahmen der Familienzusammenführung nach. Die Familie lebte
zunächst J I4 an der ppp, wo ____ die Tochter B3 geboren wurde.
15
16
_____ zog die Familie nach C2/BB. Im November ______ zog die Familie von BB nach
L, wo sie seither unter der Anschrift C3 wohnte.
17
18
Der Angeklagte und seine Familie lebten J Deutschland im wesentlichen von
Sozialleistungen. Nur zeitweise ging der Angeklagte Aushilfstätigkeiten nach. Frau P
und die Kinder führten den Haushalt.
19
20
Frau P und die Kinder waren bestrebt, J Deutschland Fuß zu fassen und sich
anzupassen. Frau P kümmerte sich um die Erziehung der Kinder, um deren
Schulbesuch und Ausbildung. Der Angeklagte fand sich J Deutschland hingegen nicht
zurecht. Er schaffte es nicht, beruflich Fuß zu fassen, was auch an seinen mangelnden
Sprachkenntnissen lag. Der Angeklagte hatte zwar noch J I4 für rund 6 Monate einen
Deutschkurs besucht, spricht aber nur schlecht Deutsch. Er war auch J der Familie nicht
bereit, Deutsch zu sprechen. Der Angeklagte trank mehrmals J der Woche Alkohol. Er
trank sowohl J Gesellschaft als auch dann, wenn er alleine war. Teilweise konsumierte
er auch größere N2 Alkohol. Wenn der Angeklagte Alkohol getrunken hatte, verfiel er
häufig J eine schlechte Gemütslage und wurde dann auch leicht wütend.
21
22
Die Beziehung des Angeklagten zu seiner Ehefrau und den Kindern war gespannt. Frau
P und die älteren Kinder waren der Auffassung, der Angeklagte leiste keinen Beitrag
zum Familienleben, gehe insbesondere keiner regelmäßigen Arbeit nach. Sie warfen
ihm vor, stattdessen wiederholt und ohne Information der Familie länger abwesend zu
sein. Sie hatten den Verdacht, daß der Angeklagte Schleusertätigkeiten nachgehe, weil
ihnen einmal fremde Ausweispapiere im Besitz des Angeklagten aufgefallen waren.
Außerdem mißfiel ihnen der Alkoholkonsum des Angeklagten, den sie als übermäßig
ansahen. Sie warfen ihm vor, sich bei Besuchen unangemessen zu verhalten, indem er
die Gastgeber oder andere Besucher angreife und Streit provoziere, was sie auch auf
den Alkoholkonsum des Angeklagten zurückführten. Es kam häufig zu Streit mit Frau P,
die dem Angeklagten Vorhaltungen machte. Anläßlich dieser Streitigkeiten kam es vor,
daß der Angeklagte Frau P schlug.
23
24
Die Familie entfremdete sich zunehmend von dem Angeklagten. Sie ging dem
Angeklagte wegen seines unauskömmlichen Verhaltens, insbesondere dann, wenn
dieser getrunken hatte, aus dem Weg. Frau P schlief nicht mit dem Angeklagten J einem
Raum, sondern übernachtete gemeinsam mit ihren Kindern B und B3 J einem
Schlafzimmer. Der Angeklagte schlief stattdessen regelmäßig auf einer Matratze, die zu
diesem Zweck im Wohnzimmer vor den Fernseher gelegt wurde. Die übrigen Kinder
zogen sich bei Anwesenheit des Angeklagten regelmäßig J ihre Kinderzimmer zurück,
um dem Angeklagten zu entgehen. Frau P dachte an eine Scheidung vom Angeklagten,
worüber sie auch mit ihren älteren Kindern sprach. Die Kinder bestärkten Frau P darin,
sich von dem Angeklagten zu trennen und scheiden zu lassen. Frau P äußerte ihm
Rahmen von Streitigkeiten mehrmals gegenüber dem Angeklagten, daß dieser sich eine
andere Frau suchen und diese heiraten solle.
25
26
Der Angeklagte ist jezidischen Glaubens.
27
28
Er ist wie folgt vorbestraft:
29
30
Am 29. Dezember 1999 wurde er vom Amtsgericht S, Az.: ____--, wegen vorsätzlichen
Fahrens ohne Fahrerlaubnis J Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe
von 90 Tagessätzen zu je 15,00 DM verurteilt.
31
32
Am 19. Dezember 2000 wurde er vom Amtsgericht L, Az.: _______ wegen
gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr
verurteilt. Der Angeklagte hatte gemeinsam mit zwei weiteren, nicht bekannten
Personen auf dem Gelände der Gärtnerei J H mit Eisenstangen, T4 und Fäusten auf
33
Herrn B eingeschlagen und dessen Kopf gegen einen Lkw gestoßen. Nachdem Herr G
gekommen war, traten alle drei weiterhin auf diesen ein. Herr G verlor kurzzeitig das
Bewußtsein und erlitt multiple Prellungen, Hautabschürfungen und Blutergüsse an
Hand, Kopf und Brustkorb. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde für die Dauer von
2 Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Mit Wirkung vom 14. Januar 2003 wurde die Strafe
erlassen.
34
II.
35
Im April 2003 reiste der Angeklagte für 3 Monate J den Fd, wovon er seine Familie zuvor
nicht informiert hatte. Hierbei nahm er die baren Geldmittel der Familie mit. Die Familie,
die anfänglich nicht wußte, wo der Angeklagte sich aufhielt, erfuhr später während der
Abwesenheit des Angeklagten, daß dieser sich im Fd aufhielt. J der Nacht vom 17. Juli
auf den 18. Juli 2003 kehrte der Angeklagte auf dem Luftweg zurück nach E. Am
Flughafen E wurde er von einem Neffen abgeholt, bei dem er J I5 übernachtete. Von I5
aus fuhr er mit B5, einem anderen Neffen, nach I6, wo sie zwei Nächte blieben. Am 21.
Juli 2003 reisten der Angeklagte und B5 nach L. Von L aus fuhren sie zunächst nach H
zu Herrn N, einem Landsmann des Angeklagten. J dessen Wohnung waren
verschiedene andere fdische Bz. Vom Nachmittag bis zum Abend blieben der
Angeklagte und B5 J der Wohnung des Herrn N, wo man sich unterhielt und der
Angeklagte aus dem Fd berichtete. Es wurde Hähnchen gereicht und Bier getrunken.
Der Angeklagte trank während dieser Zeit ungefähr 4 bis 5 Flaschen mit jeweils 0,33
Litern Inhalt alkoholreduzierten Bieres. Das letzte Bier nahm er gegen 21.00 Uhr zu sich.
36
37
Anschließend begaben sich der Angeklagte und B5 zurück nach L. Sie wurden
gemeinsam mit B D von SM J dessen PKW mitgenommen. Während der Fahrt nach L
dämmerte es. SM setzte den Angeklagten und B5 J einer Parkbucht vor einem J der
Nähe der C-T-Straße gelegenen Musikcafe ab. Der Angeklagte sagte zu B D, der
mitausgestiegen war, daß dieser und SM kurz warten sollten. Der Grund hierfür konnte
nicht aufgeklärt werden. SM wollte aber nicht auf den Angeklagten warten und fuhr
weiter.
38
39
Der Angeklagte und B5 begaben sich im Anschluß zur Wohnung des Angeklagten C3.
Das Haus C3 ist ein viergeschossiges Mehrfamilienhaus und liegt J einer
geschlossenen Häuserzeile zwischen den Häusern C-T-Straße und 16. Die
Hauseingänge liegen erhöht auf Absätzen, die über Treppenaufgänge zu erreichen
sind. Die Wohnung der Familie des Angeklagten, Nr. 85, lag im 2. Obergeschoss links.
Die Wohnung bestand aus vier Räumen, einer Diele, einer Küche, einem Bad mit WC,
einem gesondertes WC und hatte einen Balkon. Hinter der Eingangstüre befand sich
eine Diele, welche gerade aus J das Wohn-/Esszimmer führte. Links von der Diele vor
dem Wohn-/Esszimmer lag der Küchenraum. Vom Wohn-/Esszimmer aus führte nach
links ein Flur zu den dahinter gelegenen Räumen. Zur rechten lag ein Schlafzimmer,
welches Frau P nutzte und J welchem auch die Kinder B und B3 übernachteten.
Dahinter folge rechts des Flurs das Zimmer der Tochter B6. Links des Flurs gegenüber
dem Schlafzimmer befand sich das gesonderte WC. Gegenüber dem zur rechten des
40
Flurs gelegenen Kinderzimmer knickte der Flur nach links ab und führte gerade aus J
einen weiteren Raum, der von den Kindern B2 und B4 genutzt wurde. Vor diesem Raum
lag zur linken des Flurs das Badezimmer mit WC. Auf den Balkon, der am Wohn-
/Esszimmer, dem von Frau P genutzten Schlafzimmer und dem dahinter liegenden
Kinderzimmer vorbeiführte, gelangte man über einen gegenüber der
Wohnungseingangstüre gelegenen Zugang vom Wohn-/Esszimmer aus. J dem von
Frau P genutzten Schlafzimmer standen links vom Zimmereingang ein Kleiderschrank
und rechts vom Eingang zwei Nachtischschränke sowie dazwischen eine
Spiegelschrankkommode. Vor dem Außenfenster mit einem geringfügigem Abstand zur
Wand stand ein Doppelbett quer im Raum. Das Kopfende zeigte nach rechts und das
Fußende nach links.
41
Der Angeklagte und B5 betraten die Wohnung, nachdem der Angeklagte die
Wohnungstüre mit seinem Schlüssel geöffnet hatte. J der Wohnung befanden sich seine
Ehefrau und die Kinder B2, B6, B4, B und B3. Frau P befand sich mit den Kindern B und
B3 J ihrem Schlafzimmer. Die anderen Kinder befanden sich ebenfalls J ihren Y.
42
43
Der Angeklagte, der seine Rückkehr zuvor nicht angemeldet hatte, wollte seine Familie
begrüßen und umarmen. Möglicherweise begrüßte der Angeklagte noch seine Ehefrau
und die Kinder B4 und B6. Jedenfalls stellte sich dem Angeklagten dessen Sohn B2
entgegen und verweigerte eine Begrüßung. B2 erklärte dem Angeklagten, daß er J der
Familie nicht mehr erwünscht sei und die Familie sowie die Wohnung verlassen solle.
Die Familie hatte die mehrmonatige Abwesenheit des Angeklagten als angenehm und
befreit empfunden, weil das Familienleben reibungsloser und ohne Streit verlief. Die
älteren Kinder wußten um die Trennungsgedanken der Mutter. B6 und B2 hatten
wiederholt mit Frau P über eine Trennung gesprochen und eine solche befürwortet.
Während der letzten Monate, als der Angeklagte abwesend gewesen war, waren B6
und B2 an einem Freitag mit Frau Ym Rathaus J L gefahren, um sich dort über eine
Scheidung zu informieren. Im Rathaus konnte Frau P jedoch keine Auskunft gegeben
werden, weil sie gegen Dienstschluß erschienen waren und die zuständige Abteilung
nicht mehr besetzt war.
44
45
Es entwickelte sich ein Streitgespräch, welches maßgeblich zwischen dem Angeklagten
und dessen Sohn B2 geführt wurde. J geringerem Umfang beteiligte sich auch B6 an
dem Streit.
46
47
Das Streitgespräch fand J dem vom Wohn- und Eßzimmer abgehenden Fluß vor den
Eingängen zum Schlafzimmer der Frau P und des gesonderten WC statt. B2 stand vor
dem Eingang zum gesonderten WC. Der Angeklagte stand davor J dem zum Wohn-
/Esszimmer führenden Flur. Frau P stand, nachdem sie sich zwischenzeitlich auch
wegen des Beiseins des B5 umgezogen hatte, J bzw. an der Türe zu ihrem
Schlafzimmer. B6 stand am Ende des Flurs bei dem Eingang zu ihrem Zimmer. B5
stand bei dem Angeklagten.
48
49
B2 erklärte dem Angeklagten, daß die Familie ihn nicht mehr wolle und forderte ihn auf,
die Familie und die Wohnung zu verlassen. Er hielt dem Angeklagten unter anderem
vor, daß dieser 3 Monate weggeblieben sei, ohne die Familie informiert zu haben. Der
Angeklagte tue nichts für die Familie. Er gab dem Angeklagten zu verstehen, daß er und
die Familie den Angeklagten als Oberhaupt und Vater nicht mehr anerkennen und
ablehnen würden. Der Angeklagte hielt dagegen, er habe alles für die Familie getan und
insbesondere die Familie nach Deutschland gebracht. Er könne tun, was er wolle, und
habe J der Familie zu bestimmen. Er sei das Oberhaupt der Familie und der Vater des
B2. B2 erklärte, daß den Angeklagten nicht mehr als seinen Vater ansehe. B6
unterstützte B2 mit gelegentlichen Äußerungen J dessen Vorhaltungen. Der Angeklagte
blickte während des Streitgesprächs wiederholt zu Frau P. Er erklärte gegenüber B2,
daß dieser von seiner Mutter "trainiert" worden sei und diese ihm die Vorwürfe
eingeredet habe. Frau P beteiligte sich nicht aktiv an dem Streitgespräch. Sie ließ B2
aber gewähren und schritt nicht gegen dessen Vorhaltungen ein.
50
51
Der Streit war lautstark geführt worden, wobei der Angeklagte wütend geworden war.
Frau P und B2 erkannten dies. Nachdem der Streit sich über rund 15 bis 20 Minuten
hingezogen hatte, versuchte Frau P, möglicherweise auch weil sie nicht wollte, daß die
Nachbarn aufgrund der Lautstärke aufmerksam würden, die Beteiligten zu beruhigen
und den Streit zu beenden. Sie erklärte, der Angeklagte und B2 sollten aufhören, zu
streiten. Die Angelegenheit solle morgen geklärt werden. Sie wolle morgen zu diesem
Zweck zum Rathaus gehen. Frau P erklärte, daß sich alle nunmehr schlafen legen
sollten, und gab zu erkennen, daß sie sich J ihr Schlafzimmer zurückziehen wolle.
52
53
B2 hatte aufgrund früherer Erfahrungen Sorge, daß der Angeklagte gegen seine Mutter
P2 handgreiflich werden könnte, wenn dieser J der Wohnung verbliebe. Er erklärte, daß
er nicht weg gehe und solange stehen bleibe, bis der Angeklagte gegangen sei. Frau P
gab B2 freie Hand, indem sie erklärte, daß er, B2, dies machen solle, wenn er es für
richtig halte. Der Angeklagte und B2 stritten noch kurze Zeit weiter, wobei der
Angeklagte sich eine Zigarette anzündete.
54
55
Spätestens jetzt entschloß sich der Angeklagte, seine Ehefrau P zu töten. Sein
Entschluß beruhte darauf, daß er während des Streits wütend und zornig über die
Vorhaltungen und Vorwürfe sowie die Zurückweisung durch die Familie geworden war.
Außerdem fühlte er sich hierdurch verkannt und gekränkt. Ihm war spätestens zum Ende
des Streits klar, daß das Verlangen zur Trennung von der Familie ernst gemeint war und
von Frau P gebilligt wurde. Der Angeklagte machte Frau P für die eingetretene Situation
verantwortlich und wollte diese hierfür auch bestrafen. Möglicherweise beruhte der
Entschluß zur Tötung zusätzlich darauf, daß der Angeklagte J seiner Ehe und Familie
dasjenige sah, was J seinem Leben bedeutsam und wichtig war, und er dieses für
zerstört und verloren hielt.
56
57
J der Absicht, Frau Y töten, ging der Angeklagte an B2 vorbei hinter Frau P J das
Schlafzimmer. Er wollte die Türe hinter sich schließen, um zu verhindern, daß die
Kinder Frau I2 leisten und die Tötung derselben verhindern könnten. Als B2 erkannte,
daß der Angeklagte die Türe von innen schließen wollte, drückte er von außen gegen
die fast geschlossene Schlafzimmertüre, um dieses zu verhindern. Er hatte aufgrund der
früheren Erfahrungen, bei denen der Angeklagte aufgrund von Streitigkeiten Frau P
geschlagen hatte, die Befürchtung, daß der Angeklagte ihre Mutter J seiner Wut erneut
schlagen würde. Schließlich gelang es dem Angeklagten aber nach kurzer Zeit, die
Türe gegen den gespürten Widerstand des B2 zuzudrücken und von innen
abzuschließen.
58
59
Im Schlafzimmer waren neben dem Angeklagten und Frau P auch die Kinder B und B3.
Der Angeklagte wußte, daß diese sich dort im Bett befanden.
60
61
Ohne daß der Angeklagte noch etwas zu Frau P sagte, schubste er Frau P, die vor dem
Bett im erleuchteten Schlafzimmer stand und zu diesem Zeitpunkt keinen Angriff auf ihr
Leben befürchtete, unmittelbar nach dem Eintreten J das Schlafzimmer und
Abschließen der Türe auf das Bett. Danach versetzte er Frau P, die auf dem Bett saß,
einen Faustschlag J das Gesicht, woraufhin Frau P aufschrie. Der Sohn B kletterte
daraufhin von seiner am Fenster gelegenen Bettseite zu seiner Mutter und umarmte
diese an Kopf und Hals, um diese zu schützen. Die Tochter B3 kam hinzu. Der
Angeklagte, der erkannte, daß er von den Kindern beobachtet wird und diese die Mutter
schützen wollen, schubste B3 zur Seite. Den Sohn B riß er aus der Umarmung der
Mutter und warf ihn auf den Fußboden.
62
63
Der Angeklagte hatte inzwischen ein mitgeführtes Klappmesser aufgeklappt. Das
Messer hatte eine Länge von insgesamt ca. 19 cm, wobei die feststehende Klinge ca. 8
cm lang war. Der Griff wies drei Mulden für die Finger auf und hatte J seiner Mitte vier
nebeneinander liegende Löcher. Mit diesem Klappmesser stach der Angeklagte auf
Frau P mehrmals ein, um seine Absicht zur Tötung der Frau P umzusetzen. Frau P
versuchte, die Stiche abzuwehren, wodurch sie mehrere Schnittverletzungen am
Handrücken und linken Ringfinger der linken Hand erlitt. Ein Stich des Angeklagten
gingen J den rechten Mundwinkel bis auf den Unterkieferknochen und ein weiterer tiefer
Stich J den Halsbereich der Frau P, wodurch die Luftröhre und eine Halsvene der Frau
P durchtrennt wurden. Drei weitere Stiche des Angeklagten führte der Angeklagte von
oben J Richtung des hinteren Kopfes. Zumindest einer dieser Stiche war mit großem
Kraftaufwand geführt. Er durchstieß den knöchernen Hinterhaupthöcker und
beschädigte die darunter liegende harte Hirnhaut. Die Spitze des Klappmessers wurde
hierbei verbogen. Ein weiterer Stich des Angeklagten traf Frau P J den Rücken, wobei
ein Stich J die hintere rechte Brustkorbseite um ca. 6 bis 7 cm J das Lungengewebe
hineindrang.
64
65
Frau P, die im Verlauf des Geschehens auf den C5 vor das Bett gefallen war, verstarb
unmittelbar aufgrund der Brust- J Verbindung mit der Halsstichverletzung. Aufgrund der
durch den Stich J den Hals erlittenen Durchtrennung der Luftröhre und einer Halsvene
kam es zum einen zu massiven Einatmung von Blut durch Frau P. Zugleich führte die
durch den Stich J die hintere Brustkorbseite erlittene Lungenverletzung zu einer
massiven Einblutung J die Lunge. Beide Verletzungen führten dazu, daß Frau P
erstickte, wobei auch jede dieser Verletzungen für sich tödlich gewesen wäre.
66
67
Nachdem der Angeklagte das Schlafzimmer betreten und die Tür von innen
abgeschlossen hatte, war B4 aus Angst um das Wohl seiner Mutter durch das
Wohnzimmer auf den Balkon und zum Fenster des Schlafzimmers der Mutter gelaufen.
Zumindest B2 und B4 hörten während dessen Geschrei der Mutter sowie
möglicherweise auch Schreie der ebenfalls im Schlafzimmer befindlichen Kinder B und
B3 aus dem Zimmer.
68
69
B2 lief vom Flur ebenfalls auf den Balkon zum Fenster des Schlafzimmers der Mutter.
B2 nahm ein auf dem Balkon abgestelltes Kinderfahrrad seiner Schwester B3 und warf
dieses durch die Scheibe des Schlafzimmers der Mutter. Er stieg durch das
zerschlagene Fenster J das Schlafzimmer, wo er den Angeklagten über der am C5
liegenden Frau P gebeugt sah. B2 nahm eine größere Scherbe mit beiden Händen und
stach bzw. schlug damit den Angeklagten am Rücken und am Kopf, um diesen von Frau
P abzubringen. Der Angeklagte ließ daraufhin von Frau P ab und wendete sich mit dem
Messer gegen B2, der auf dem Bett stand. Es kam zu einem heftigen Kampf zwischen
dem Angeklagten und B2, der auf dem Bett geführt wurde. Im Verlauf des Kampfes
erlangte der körperlich überlegene Angeklagte die Oberhand. Er lag über B2 und
versuchte, diesen mit dem Messer zu stechen. B6, die B2 nachgefolgt war, stieg
ebenfalls durch das eingeschlagene Schlafzimmerfenster J das Zimmer und versuchte,
den Angeklagten von ihrem Bruder B2 wegzuziehen.
70
B4 war J der Zwischenzeit zu seinem Zimmer gelaufen und alarmierte um kurz nach
23.00 Uhr die Polizei. Danach lief B4 wieder über den Balkon zum Schlafzimmerfenster
zurück. B2 rief seinem Bruder B4 zu, er solle ihm eine Scherbe geben, was dieser auch
tat. Mit dieser Scherbe stach bzw. schlug B2 nach dem Vater. Hierbei verletzte B2 auch
seine Schwester B6, die weiterhin versuchte, den Angeklagten von B2 wegzuziehen, an
der Hand. B6 sah ihren Bruder B und forderte diesen auf, die Türe aufzuschließen. B
suchte den Schlüssel, der nicht mehr im Schloß steckte, auf dem C5 und fand diesen
schließlich. Er schloß die Türe von innen auf.
71
72
B5 hatte inzwischen zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt die Wohnung
verlassen. Der Zeuge T2, ein Nachbar der Familie B, war durch Schreie und Geräusche
auf das Geschehen aufmerksam geworden. Er begab sich zur Wohnung der Familie B,
deren Türe offen stand. Er betrat die Wohnung und sah den Angeklagten und B2 durch
die inzwischen offene Schlafzimmertüre kämpfend auf dem Bett. Er zog den
Angeklagten von B2 weg. Der Angeklagte lief daraufhin aus der Wohnung auf die T-
73
Straße. B2 lief zunächst hinter dem Angeklagten her. Dann ging er zurück J die Küche,
wo er sich mit mehreren von dort greifbaren Messern und einem Fleischklopfer
bewaffnete. Mit den Messern und dem Fleischklopfer warf er im Flur nach dem
Angeklagten. Schließlich lief er hinter dem Angeklagten her auf die T-Straße.
B6 blieb im Zimmer bei der Mutter, die blutüberströmt und bäuchlings vor dem Bett auf
dem C5 lag.
74
75
Als der Angeklagte auf die T-Straße vor dem Haus lief, hatten sich dort bereits viele
Leute aus den umliegenden Wohnungen und Häusern aufgrund der aus der Wohnung
der Familie B zu hörenden Schreie und Geräusche versammelt. Der Angeklagte lief
zunächst zu einem Nebeneingang des Hauses, wo er sich versteckte. Nachdem jemand
auf ihn hinwies, ging B2 zum Angeklagten und beide gingen nochmals aufeinander los.
Schließlich lief der Angeklagte zum Eingang des Hauses C-T-Straße Nr. 16. Als dem
Angeklagten auf Klingeln niemand die Haustüre öffnete, setzte er sich auf den vor der
Eingangstür zum Haus C befindlichen Treppenabsatz, wo er das Klappmesser ablegte.
Schließlich trafen die Polizei und Rettungssanitäter ein. Der Angeklagte wurde J
Gewahrsam genommen und von den Rettungssanitätern versorgt.
76
77
B2 erlitt während des Kampfes Schnittverletzungen am Unterarm, auf der Brust und am
rechten Ohr, die ihm der Angeklagte zufügte. Die Schnittverletzungen mußten teilweise
genäht werden. An den Händen erlitt er durch die Scherben weitere
Schnittverletzungen. B6 erlitt infolge eines Hiebs des B2 eine Schnittverletzung an der
Hand. Der Angeklagte erlitt zwei Stichverletzungen am rechten oberen Rücken, zwei
Hiebwunden am Kopf sowie Schnittwunden am rechten Arm und an der rechten Hand,
die ihm B2 zugefügt hatte. Teilweise wurden diese Verletzungen genäht.
78
79
Nach der Tat waren die Leiche der Frau P und deren Kleidung wie auch das gesamte
Schlafzimmer der Frau P und die darin befindlichen Gegenstände blutverschmiert und
blutbespritzt. Das Bett im Schlafzimmer der Frau P war mit Scherben übersäht und der
Lattenrost eingebrochen. Auch J der Küche und im Hausflur war Blut verschmiert und
befanden sich Blutstropfen auf dem C5.
80
81
Eine dem zur Tatzeit voll schuldfähigen Angeklagten am 22.07.2004 um 02.00 Uhr
entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,00 Promille.
82
83
Am 22.07.2004 erließ das Amtsgericht L, Az: ____, Haftbefehl gegen den Angeklagten,
der sich seither J Untersuchungshaft befindet.
84
85
Am 26. Februar 2004, an welchem erstmals die Hauptverhandlung gegen den
Angeklagten durchgeführt werden sollte, wurde der Angeklagte, als dieser J das
Gerichtsgebäude geführt werden sollte, gegen 8.45 Uhr mit vier Schüssen von hinten
niedergeschossen. Als Täter wurde B2 festgenommen. er befindet sich seither J
Untersuchungshaft. Gegen ihn wurde zwischenzeitlich Angeklage erhoben. Der
Angeklagte erlitt hierbei erhebliche Schußverletzungen. Der Angeklagte hat infolge der
Schußverletzungen eine dauerhaft Querschnittslähmung.
86
87
III.
88
89
1.
90
a.
91
Hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse hat sich der Angeklagte weitgehende
entsprechend der getroffenen Feststellungen eingelassen. Nur hinsichtlich der
folgenden Angaben wich er von den getroffenen Feststellungen ab: Das Verhältnis J der
Familie sei gut gewesen. Die Familie sei J Deutschland gut zurecht gekommen. Er habe
sich gemeinsam mit seiner Frau um die Kinder, insbesondere um deren Schulbesuch
und deren Teilnahme an sportlichen Aktivitäten gekümmert. Die Kinder seien ihm hierfür
immer dankbar gewesen. Seine Frau habe während der 20 Jahre währenden Ehe nie
Trennungsabsichten gehegt.
92
Alkohol habe er nur dann getrunken, wenn er mit Freunden zusammen gewesen sei und
eine gute Stimmung geherrscht habe. Dann habe er auch schon mal mehr getrunken. Er
habe nie morgens, sondern allenfalls abends und auch nur gelegentlich getrunken. Es
sei auch nie zu Streit wegen seines Alkoholkonsums gekommen. Wenn er getrunken
habe, sei er immer müde geworden und sofort eingeschlafen.
93
Erst zuletzt sei es zu Problemen mit dem Sohn B2 gekommen, der von dessen Onkel P
negativ beeinflußt worden sei. P sei später nach Deutschland gekommen und habe
zeitweise J der Familie des Angeklagten gewohnt. Er habe vom Angeklagten und
dessen Familie viel Geld verlangt, was diese aber nicht gehabt hätten. Nachdem sie die
Zurverfügungstellung weiteren Geldes abgelehnt hätten, habe dieser B2 gegen ihn, den
Angeklagten, und Frau P aufgebracht.
94
95
Zur Sache hat der Angeklagte sich wie folgt eingelassen:
96
Die Fahrt J den Fd sei mit seiner Frau P abgestimmt gewesen. Dahinter habe die
Überlegung gestanden, daß die Familie je nach den Verhältnissen im Fd dorthin
zurückkehre. Im übrigen hat er die Vorgeschichte der Tat bis zum Eintreffen J der
Wohnung entsprechend der vorstehenden Feststellungen geschildert.
97
98
Zu Hause angekommen, sei er von seiner Frau P2 und den kleinen Kindern freudig
empfangen worden. Diese hätten ihn begrüßt und ihn geküßt. Auch n sei von diesen
begrüßt worden. Seine Frau habe sich umgezogen und er selbst sei kurz zur Toilette
gegangen. Als er von der Toilette zurückgekommen sei, sei B2 laut gewesen. Er habe
B2 begrüßen wollen. Dieser habe aber "Stop, Stop" gesagt und sei streitlustig gewesen.
B2 habe ihn herauswerfen wollen und habe geäußert, "er sei der Sohn der Spitzen".
Damit habe B2 gemeint, er sei nicht mehr der Sohn des Angeklagten. Der Streit mit B2
sei für ihn, den Angeklagten, plötzlich und überraschend gekommen. Er sei hiervon
stark betroffen gewesen. B2 sei unkontrolliert gewesen. Er habe versucht, B2 zu
mäßigen. Dieser sei aber laut und streitlustig geblieben. B6 habe B2 hierbei unterstützt.
Zwischen ihm, dem Angeklagten, und seiner Ehefrau P2 habe es keinen Streit gegeben.
Auch von einer Trennung sei nicht die Rede gewesen. Seine Frau habe B2 ebenfalls
mäßigen wollen und geäußert, daß er, B2, verrückt geworden sei.
99
100
Danach habe er sich gemeinsam mit seiner Frau P2 ins Schlafzimmer zurückgezogen.
Seine Frau habe die Türe wegen des vorangegangenen Streits im Flur abgeschlossen.
Im Schlafzimmer hätten er und seine Frau sich begrüßt und geküßt, wie Eheleute dies
täten. Auch hier habe es keinen Streit gegeben und es sei nicht von einer Trennung
gesprochen worden. Er habe gesehen, daß B und B3 im Zimmer gewesen seien.
101
102
Es habe keine Minute gedauert. Dann sei etwas von außen am Fenster gemacht
worden, was er nicht beschreiben könne. Die Kinder seien vor dem Fenster des
Schlafzimmers gewesen, welches ungehörig gewesen sei. Seine Ehefrau und er hätten
versucht, den Vorhang zu schließen, um zu verhindern, daß die Kinder von außen
hereinsähen.
103
104
Schließlich hätten B2 und B6 die Fensterscheibe des Schlafzimmers eingeschlagen.
Sie seien J das Zimmer eingedrungen und hätten ihn, den Angeklagten, und seine
Ehefrau mit einer Vielzahl von Messern, die die beiden Kinder bei sich geführt hätten,
angegriffen. Er, der Angeklagte, und seine Frau hätten sich mit bloßen Händen
verteidigt, bis T2 gekommen sei. Er selbst habe kein Messer mit sich geführt. Er habe
während des Angriffs der Kinder nur auf sich selbst geachtet und wisse nicht, wo im
Raum seine Frau gewesen sei und was mit ihr geschehen sei. B2 habe ihn zweimal mit
einem Messer gestochen. Auch nachdem T2 hinzugekommen sei, habe er seine Frau
nicht wahrgenommen. Er wisse nicht, wie die Türe geöffnet worden sei und könne sich
lediglich noch an die Frage des T2 erinnern, was geschehen sei. Er habe Angst um sein
Leben gehabt und sei aus dem Zimmer geflüchtet. Bei seiner Flucht habe er ein Messer
mitgenommen.
105
106
Auf der T-Straße vor dem Haupteingang seien viele Leute gewesen und er habe sich
vor einem Nebeneingang hingelegt. Nachdem jemand auf ihn hingewiesen habe, habe
B2 nochmals versucht, ihn anzugreifen, welches aber von T2 verhindert worden sei.
Schließlich habe er am Nachbarhaus Nr. 17 geklingelt und sich hingesetzt, bis die
107
Polizei gekommen sei. Er habe das mitgenommene Messer auf den C5 gelegt und den
Polizisten umarmt.
108
Vom Tod seiner Frau habe er erst durch die Polizei erfahren. Er habe dies zunächst
aber nicht geglaubt.
109
110
b.
111
Die Einlassung des Angeklagten zum unmittelbaren Tatgeschehen begegnet bereits
erheblichen Zweifeln, weil nach der Einlassung nicht nachzuvollziehen ist, warum B2
und B6 das Fenster zum Schlafzimmer eingeschlagen und den Angeklagte und seine
Ehefrau P2 im Schlafzimmer mit einer Vielzahl von Messern angegriffen haben sollten.
Ein Motiv derselben ist nicht erkennbar. Der vorangegangene Streit im Flur und der
hierzu vom Angeklagten geschilderte Inhalt des Streits offenbaren einen hinreichenden
Anlaß oder ein Motiv für ein derartiges Handeln der Kinder B2 und B6 nicht. Ein
vorangegangener Streit, selbst wenn er heftiger geführt wurde, erscheint für sich
betrachtet als Anlaß oder Motiv vor diesem Hintergrund nicht ausreichend. Auch wenn
entsprechend der Einlassung des Angeklagten J der letzten Zeit Probleme mit dem
Sohn B2 aufgetreten wären, bliebe ein Grund für einen derartig massiven Angriff nicht
erkennbar. Insbesondere bliebe auch unverständlich, warum sich B6, mit der es zuvor
keine Probleme gegeben haben soll, an einem derartigen Angriff des B2 beteiligen
sollte. Dies gilt auch, wenn B6 ihren Bruder B2 während des Streits im Flur
entsprechend der Darstellung des Angeklagten unterstützt hat. B2 hat den Angeklagten
nach dessen Einlassung im Flur auch nur verbal, nicht aber tätlich angegriffen. Ein
Grund, zu einem bewaffneten Angriff mit Messern überzugehen, nachdem sich der
Angeklagte und seine Frau J das Schlafzimmer zurückgezogen hatten, bleibt
unerfindlich. Die verbalen Angriffe des B2 richteten sich zudem gegen den Angeklagten
und nicht gegen Frau P. Danach ist nicht zu verstehen, warum B2 und B6 auch Frau P
derart massiv hätten angreifen sollen. Selbst dann, wenn Frau P entsprechend der
Einlassung des Angeklagten Partei gegen B2 ergriffen und diesen als verrückt
bezeichnet hätte, erscheint dies als Motiv oder Anlaß nicht plausibel. J diesem
Zusammenhang ist auch nicht verständlich, daß er und seine Ehefrau P2 sich zuvor J
das Schlafzimmer zurückgezogen hätten, um den Kindern B2 und B6 zu entfliehen, und
das Schlafzimmer aufgrund des vorangegangenen Streits im Flur abgeschlossen hätten.
Denn zu diesem Zeitpunkt war nur ein verbaler Streit vorangegangen. Nach dem vom
Angeklagten geschilderten Inhalt des Streits bestand kein konkreter Anlaß zu der
Befürchtung, daß B2 und B6 J das Zimmer folgen würden, um den Streit fortzuführen
oder gar diese tätlich anzugreifen.
112
113
Letztlich wird die Einlassung des Angeklagten, es sei ein Angriff der Kinder B2 und B6
auf ihn und seine Frau erfolgt, zur Überzeugung des Gerichts durch die erhobenen
Beweise widerlegt.
114
115
2.
116
a.
117
Die Kammer ist davon überzeugt, daß die Tat entsprechend der getroffenen
Feststellungen ablief.
118
119
Die Zeugin B3 hat ausgesagt, der Angeklagte habe die Schlafzimmertüre
abgeschlossen. Er habe Frau P, die auf dem Bett gesessen habe, zunächst eine
hereingeboxt, woraufhin diese heruntergefallen sei. Frau P habe geschrieen. Zuerst sei
ihr Bruder auf die Mutter gegangen, damit diese nicht so arg geschlagen würde. Sie sei
auf B gegangen. Der Angeklagte habe nach dem Faustschlag sein Messer hervorgeholt
und Frau P an drei Stellen gestochen. Hierbei zeigte die Zeugin mit ihrer Hand bei sich
auf die Körperstellen, wo der Angeklagte Frau P gestochen habe, nämlich auf den Hals,
die Brust und auf den Hinterkopf. Diese Körperstellen zeigte sie J einer nochmaligen
Schilderung nochmals an. Als der Angeklagte auf Frau P eingestochen habe, habe
diese nicht mehr geschrieen. Schließlich hätten ihre Geschwister das Fenster mit ihrem
Fahrrad kaput geschlagen und seien hereingekommen. Ihr Bruder B2 habe den
Angeklagten am Kopf geschlagen, nicht aber die Mutter. Diese habe bereits auf dem C5
gelegen und sich nicht mehr bewegt. Nachdem die Zeugin B3 insofern anfänglich
aussagte, B2 habe ein Messer aus der Küche gehabt, mit welchem er den Angeklagten
geschlagen habe, bekundete sie auf Nachfragen, daß B2 im Schlafzimmer eine
Glasscherbe vom Fenster und kein Messer gehabt habe. Als der herausgegangen sei,
habe B2 ein Messer nach dem Angeklagten nach oben geworfen. Die Türe zum
Schlafzimmer sei von ihrem Bruder U geöffnet worden, nachdem dieser auf Zurufen der
ebenfalls ins Zimmer gekommenen B6 diesen vom C5 genommen habe.
120
121
Der Zeuge U hat diese Aussage J eigenen Worten J vielen Einzelheiten bestätigt. Er hat
bekundet, der Angeklagte habe die Türe des Schlafzimmers von innen abgeschlossen
und Frau P2, die vor dem Bett gestanden habe, auf das Bett geschubst. Anschließend
habe der Angeklagte Frau P mit der Faust J das Gesicht geboxt. Er, der Zeuge, sei
daraufhin auf seine Mutter geklettert und habe diese am Kopf umarmt, um diese zu
schützen. Seine Schwester B3 habe dies ihm nachfolgend auch getan. Der Angeklagte
habe ihn auf den C5 geworfen. Danach habe der Angeklagte Frau P mit einem
Klappmesser, welches nicht groß gewesen sei, J den Hals gestochen, welche
Körperstelle der Zeuge mit seinem Finger zusätzlich bei sich anzeigte. Frau P habe vor
dem Messerstich noch geschrieen. Der Angeklagte habe mit Frau P im Schlafzimmer
nicht mehr gesprochen. Danach sei sein Bruder B2 J das Zimmer gekommen, nachdem
dieser das Fahrrad seiner kleinen Schwester gegen die Scheibe geschlagen habe. Zu
diesem Zeitpunkt habe Frau P bereits auf dem C5 gelegen und sich nicht mehr bewegt.
B2 und B6, die ebenfalls durch das Fenster gekommen sei, hätten keine Messer gehabt.
B2 habe ein Stück Scheibe genommen und dem Angeklagten damit auf den Kopf
geschlagen.
122
123
Die Aussagen dieser Zeugen sind glaubhaft.
124
Bei der Würdigung dieser Aussagen hat die Kammer bedacht, daß aufgrund deren
Ersetzung der Vernehmung durch die Vorführungen der Bild-Ton-Aufzeichnung deren
richterlicher Vernehmung vor dem Amtsgericht L am 29.08.2003 kein unmittelbarer
Eindruck von diesen erlangt wurde, und daß beide Zeugen zum Zeitpunkt der
richterlichen Vernehmung erst 5 Jahre (B3) bzw. 9 Jahre (U) alt waren. Andererseits ist
die vorgeführte richterliche Vernehmung rund einen Monat und eine Woche nach der
Tat relativ zeitnah zum Geschehen erfolgt, wodurch spätere Verfälschungen der
Erinnerung der kindlichen Zeugen weniger wahrscheinlich sind. Die den Zeugen
gestellten Fragen und deren Antworten einschließlich deren Reaktionen und Mimik
waren J der Vorführung der Videoaufzeichnung deutlich zu erkennen. Beide Zeugen
standen ersichtlich unter dem Eindruck des Geschehens, waren bedrückt und trauerten
um ihre Mutter. Es fiel ihnen ersichtlich schwer, ihre Erlebnisse zu schildern.
Anhaltspunkte dafür, daß die Zeugen aus Abneigung gegenüber dem Angeklagten
falsche Angaben gemacht hätten, bestehen nicht.
125
Die Aussagen der Zeugen waren relativ sachlich und unter Berücksichtigung des
kindlichen Alters der Zeugen detailliert und altersgemäß präzise. Dies spricht für die
Schilderung erlebten Geschehens. Beide Zeugen haben auch zwischen den von ihnen
wahrgenommenen Umstände und bloßen Vermutungen differenziert sowie angegeben,
wenn sie einzelne Umstände nicht wahrgenommen haben bzw. diese nicht erinnern
konnten. Lediglich hinsichtlich des Umstandes, ob B2 im Schlafzimmer ein Messer
hatte, machte die Zeugin B3 wechselnde Angaben und schien die Zeugin hinsichtlich
des nachfolgenden Geschehens außerhalb des Schlafzimmers eigene Wahrnehmung
und später Gehörtes zu vermischen. Insoweit ist im Verlauf deren Vernehmung durch
Nachfragen aber deutlich geworden, daß die Zeugin offensichtlich die Begriffe Messer
und Scherbe anfänglich nicht sauber trennte und sie im Schlafzimmer bei B2 nur eine
Scherbe, nicht aber ein Messer wahrgenommen hat.
126
Die Schilderungen beider Zeugen stimmen hinsichtlich der handelnden Personen und
des Geschehensablaufs im wesentlichen überein. Soweit Unterschiede vorhanden sind,
ergeben sich hieraus mit einer Ausnahme keine Widersprüche, sondern sind die
Unterschiede auf unterschiedliche Wahrnehmungen zurückzuführen und ergänzen sich
die Angaben beider Zeugen. Ein Widerspruch könnte lediglich bei ihren Angaben zu
dem Umstand, ob Frau P noch auf dem Bett saß, als der Angeklagte erstmals zustach,
oder ob Frau P bereits nach dem Faustschlag auf den C5 fiel und der Angeklagte erst
dort erstmal auf Frau P einstach, zu sehen sein. J diesem Punkt waren die
Bekundungen des Zeugen U allerdings nicht eindeutig. Zunächst antwortete der Zeuge
auf die Frage, ob der Messerstich schon erfolgt war, als Frau P auf dem C5 lag: "Ja. Mit
dem Messer ... auf dem C5". Er erklärte auf die Frage, ob seine Mutter auf dem Bett
gesessen habe, als der Angeklagte mit dem Messer gestochen habe, daß dieses nicht
der Fall gewesen sei, sondern diese ja direkt auf den C5 gefallen sei. Beides würde
bedeuten, daß Frau Ynächst vom Bett auf den C5 fiel und danach der Stich J den Hals
erfolgte. Dies würde mit der Angabe der Zeugin B3 übereinstimmen. Andererseits
erklärte der Zeuge im Rahmen späteren Nachfragens auf die Frage, wie es dazu
gekommen sei, daß die Mutter vom Bett auf den C5 gekommen sei: "Ja, er hatte ja das
Messer. Da ist sie ja direkt hingeflogen." Dies kann dahingehend zu verstehen sein, daß
der Stich J den Hals der Frau P erfolgt sei, bevor Frau P auf den C5 gefallen sei,
welches den Angaben der Zeugin B3 widersprechen würde. Zunächst ist diesbezüglich
aber die Möglichkeit zu beachten, ob der kindliche Zeuge die ihm zuletzt gestellte Frage
mangels entsprechender Ausdrucksmöglichkeiten lediglich mißverständlich beantwortet
127
hat. Aber auch dann, wenn J diesem Punkt von einem Widerspruch J der Aussage des
Zeugen U bzw. zur Aussage der Zeugin B3 ausgegangen wird, führt dies nicht dazu,
daß die Aussage des Zeugen U oder die Aussagen beider Zeugen insgesamt als
unrichtig angesehen werden könnten.
Soweit die Zeugin B3 hinsichtlich des Nachtatgeschehens außerhalb des
Schlafzimmers möglicherweise eigene Wahrnehmung und später Gehörtes vermischt
hat sowie aufgrund der Aussage des Zeugen U widersprüchlichen Angaben zu der
Frage, wo sich Frau P befand, als ihr J den Hals gestochen wurde, ausgegangen wird,
ist hinsichtlich beider Zeugen deren kindliches Alter zu beachten. Es ist nicht
ungewöhnlich, daß Kinder auch im Rahmen der Schilderung erlebten Geschehens
einzelne Umstände nicht richtig erinnern oder mangels entsprechender sprachlicher und
intellektueller Fertigkeiten mißverständlich oder widersprüchlich darstellen. Vorliegend
ist bezüglich des Aufenthaltsorts der Frau P insoweit zu berücksichtigen, daß dieser
Umstand im Gesamtzusammenhang des Geschehens nicht von derart zentraler Stellung
ist, daß allein aufgrund des Widerspruchs das im übrigen geschilderte
Gesamtgeschehen J Frage gestellt werden müßte. Es handelt sich nur um ein einzelnes
Detail im Rahmen eines äußerst dynamischen Geschehens, während alle anderen
Kriterien zur Würdigung der Aussagen nach vorstehender Darstellung für die
Glaubhaftigkeit der Aussagen sprechen.
128
129
Darüber hinaus stimmt die Darstellung der Kinder U und B3 im wesentlichen mit den
Ausführungen des Sachverständigen Dr. T3 überein, auf denen die Feststellungen der
Kammer zu den von Frau P erlittenen Verletzungen und der Todesursache beruhen. Der
Sachverständige Dr. T3 hat unter teilweiser Demonstration an den während der
Obduktion gefertigten Lichtbildern überzeugend ausgeführt, daß die Obduktion der Frau
P mehrere Stich- und Schnittverletzungen ergeben habe. Die Leiche der Frau P habe
mehrere Schnittverletzungen am Handrücken der linken Hand und am linken Ringfinger
sowie Hämatome am linken Unterarm aufgewiesen, welche auf Abwehrhandlungen
schließen ließen. Es habe eine Stichverletzungen im rechten Mundwinkel vorgelegen,
deren Stichkanal bis auf den Unterkieferknochen gereicht habe. Ferner sei eine tiefe
Stich-/Schnittverletzung im vorderen Halsbereich vorhanden gewesen, wobei die
Luftröhre und eine Halsvene der Frau P durchtrennt gewesen seien. Am Hinterkopf
habe die Leiche der Frau P eine Stich-/Schnittverletzung etwas zwei Querfinger über
der Haargrenze, eine darüber liegende Schnittverletzung und eine weitere
Schnittverletzung über dem Hinterhaupthöcker aufgewiesen. Die Stich-
/Schnittverletzung kurz über der Haargrenze habe den knöchernen Hinterhaupthöcker
durchstoßen und die darunter liegende harte Hirnhaut beschädigte. Aus dem
Durchstoßen des knöchernen Hinterhaupthöckers sei zu folgern, daß der
verursachende Stich mit großem Kraftaufwand geführt worden sei. Es sei ferner davon
auszugehen, daß ein hierbei verwendetes Messer verbogen sei. Schließlich habe eine
Stichverletzung am Rücken J die rechte Brustkorbseite vorgelegen. Der Stich sei ca. 6
bis 7 cm J das Lungengewebe hineindrungen. Aufgrund der Stich-/Schnittverletzung am
Hals J Verbindung mit der Stichverletzung am rückwärtigen Brustkorb sei unmittelbar
Tod der Frau P eingetreten. Infolge der bei dem Stich J den Hals erlittenen
Durchtrennung der Luftröhre und einer Halsvene sei es zu einer massiven Einatmung
von Blut durch Frau P gekommen. Zugleich habe die durch den Stich J die hintere
Brustkorbseite erlittene Lungenverletzung zu einer massiven Einblutung J die Lunge
geführt. Beide Verletzungen hätten J Verbindung miteinander zum Ersticken der geführt.
130
Allerdings wäre jeder dieser beiden Stiche für sich tödlich gewesen, wobei die
Halsstichverletzung den Tod schneller herbeigeführt habe.
Die von der Kammer überprüften, widerspruchsfreien und überzeugenden
Ausführungen des der Kammer aus früheren Verfahren als sachkundigt bekannten
Sachverständigen stimmen sowohl mit der Aussage der Zeugin B3 überein, die
Messerstiche J den Hals und auf den Kopf angegeben hat als auch des Zeugen U, der
einen Stich J den Hals bekundet hat. Soweit die Zeugin B3 ausgesagt hat, der
Angeklagte habe Frau P J die Brust gestochen, beeinträchtigt dies die Glaubhaftigkeit
deren Aussage nicht. Denn Frau P hat nach den Ausführungen des Sachverständige
neben der Halsstich-/schnittverletzung weiter Schnittverletzungen an der linken Hand
sowie Hämatome am linken Unterarm, welche auf Abwehrhandlungen schließen ließen,
und eine Stichverletzung am Mund erlitten. Danach ist es recht wahrscheinlich, daß der
Angeklagte das Messer zunächst J Richtung der Brust der Frau P führte, diese die
Stiche aber abwehrte und sich hierbei an der Hand verletzte. Eine genaue Feststellung
vermag die Kammer hierzu allerdings nicht zu treffen. Denn möglich ist auch, daß die
kindliche Zeugin B3 J diesem Punkt eine fehlerhafte Erinnerung hat, oder sie den Stich
des Angeklagten, der zur Verletzung am Mund führte, als Stich J Richtung der Brust
wahrgenommen hat.
131
132
Nicht festzustellen vermag die Kammer, J welcher Reihenfolge die Stiche geführt
wurden und ob Frau P sich zu Beginn des Messerangriffs noch auf dem Bett befand
oder schon infolge des Schlags auf den C5 gefallen war. Die Aussagen der Kinder B3
und U ergeben insoweit kein eindeutiges Bild, wozu auf obige Ausführungen Bezug
genommen wird. Der Sachverständige Dr. T3 hat bekundet, daß er dies nicht
beantworten und hierzu allenfalls Spekulationen anstellen könne.
133
134
Die Aussagen der Kinder U und B3 stimmen auch hinsichtlich des weiteren
Geschehens im Schlafzimmer nach der Tötung der Frau P mit den Angaben der Zeugen
B2, B6, B4 und T überein, auf deren Bekundungen die Feststellungen zu diesem
Geschehen ebenfalls beruhen.
135
136
Der Zeuge B2 hat bekundet, daß die Türe zum Schlafzimmer hinter dem Angeklagten
geschlossen worden sei, nachdem dieser hinter Frau P das Schlafzimmer betreten
habe. Er habe noch gegen die noch nicht verschlossene Tür gedrückt, weil er infolge im
Flur vorangegangenen Streits Angst gehabt habe, daß der Angeklagte Frau P schlagen
würde, wie dieser dies früher bereits getan habe. Die Türe sei aber gegen seinen
Widerstand zugedrückt und von innen abgeschlossen worden. Er habe von drinnen
Schreie gehört und sei J der vorbeschriebenen Angst über den Balkon zum
Schlafzimmerfenster gerannt. Er habe mit dem auf dem Balkon abgestellten Fahrrad die
Fensterscheibe des Schlafzimmers eingeworfen und sei J das Zimmer gestiegen. Dort
habe er gesehen, wie der Angeklagte über Frau P gebeugt gestanden habe, die bereits
am C5 gelegen habe. Er habe mit beiden Händen eine größere Scherbe des zerstörten
Schlafzimmerfensters genommen und von hinten auf den Kopf des Angeklagten
eingestochen, um diesen von Frau P abzubringen. Ein Messer habe er nicht gehabt. Der
137
Angeklagte habe sich mit dem Messer gegen ihn gewandt und es habe sich ein Kampf
zwischen ihm und dem Angeklagten entwickelt. Im Verlauf des Kampfes habe der
Angeklagte auf ihm gelegen. Der Angeklagte habe versucht, ich mit dem Messer zu
stechen und wahrscheinlich auch getroffen. B6 sei J der Zwischenzeit hinter ihm
ebenfalls durch das Fenster J das Schlafzimmer gestiegen und habe versucht, den
Angeklagten von ihm wegzuziehen. Er habe sich hierdurch ein bischen befreien
können. Er habe B4 am Fenster gesehen und diesen aufgefordert, ihm eine Scherbe zu
geben, was B4 gemacht habe. Mit dieser Scherbe habe er nach dem Angeklagten
gestochen. Schließlich sei es ihm gelungen, sich soweit zu befreien, daß er auf der
Bettkante gesessen habe. Er habe eine weitere Scherbe genommen und damit nach
dem Angeklagten gestochen. Er habe den Angeklagten mit der ersten Scherbe am Kopf
und später auch am Gesicht getroffen. Ob er diesem auch J den Rücken gestochen
habe, wisse er nicht mehr. Schließlich sei die Türe offen gewesen, wobei er nicht wisse,
wie es dazu gekommen sei. Dann sei der Nachbar T erschienen, woraufhin der
Angeklagte sich befreit habe und aus dem Zimmer gelaufen sei. Er habe seine Mutter
auf dem C5 liegen sehen und sei hinter dem Angeklagten hergelaufen. Dann sei er
nochmals zurück zu seiner Mutter gelaufen.
138
Dies stimmt J vielen Einzelheiten überein mit der Aussage seiner Schwester B6, die
ausgesagt hat, daß der Angeklagte J das Schlafzimmer gegangen sei und dieses
abgeschlossen habe. Sie sei über den Balkon zum Schlafzimmerfenster gelaufen und
durch das zerstörte Fenster J das Zimmer gestiegen. Dort habe sie ihren Bruder B2 im
Kampf mit dem Angeklagten gesehen. Der Angeklagte habe über B2 gelegen und ein
Messer gehabt. B2 habe mit einer Glasscherbe gekämpft, mit der er sie versehentlich
verletzt habe. Sie habe versucht, den Angeklagten von B2 wegzuziehen. Messer hätten
weder sie noch B2 gehabt. Sie habe ihrem Bruder B zugerufen, daß dieser die Türe
aufmachen soll und schließlich sei die Türe aufgewesen. Sie wisse aber nicht, wie dies
geschehen sei. Der Angeklagte sei aus dem Zimmer gelaufen und B2 hinterher. Sie sei
bei ihrer Mutter geblieben, die regungslos am C5 gelegen habe. Alles sei voller Blut
gewesen und sie habe einen Einstich bei der Mutter gesehen.
139
140
Auch der Zeuge B4 hat das Geschehen J eigenen Worten und mit anderen Details
geschildert, was gegen eine komplottartige Absprache der Kinder spricht. Er hat
ausgesagt, der Angeklagte habe Frau P J das Zimmer geschubst und die Türe
zugemacht. B2 habe noch gegen die Türe gedrückt, die aber verschlossen gewesen sei.
Er habe Angst gehabt, daß der Angeklagte seine Mutter schlägt, und sei über den
Balkon zum Schlafzimmerfenster gelaufen. B2 sei gekommen, habe die Scheiben mit
einem Fahrrad eingeschlagen und sei J das Zimmer eingestiegen. Er, B4, sei zu seinem
eigenen Zimmer gelaufen und habe die Polizei oder den Krankenwagen gerufen.
Danach sei er wieder zum Schlafzimmerfenster gelaufen. Im Schlafzimmer hätten
überall Scherben gelegen und sei alles voller Blut gewesen. B2 und der Angeklagte
hätten miteinander gekämpft. B2 habe ihn, B4, aufgefordert, ihm eine Scherbe zu geben,
welchem er nachgekommen sei. B6 sei auch im Zimmer gewesen. Diese habe U
zugerufen, er solle die Türe aufmachen. Ein Messer hätten weder B2 noch B6 gehabt.
Er habe auch beim Angeklagten kein Messer gesehen. Frau P habe auf dem C5
gelegen. Danach sei er zu wieder J sein Zimmer gelaufen und habe nochmals die
Polizei oder den Krankenwagen gerufen. Als er zurückgekommen sei, sei die Türe zum
141
Schlafzimmer aufgegangen. Der Nachbar T sei gekommen und der Angeklagte sei aus
dem Schlafzimmer gelaufen. B6 und B2 wären bei der Mutter gewesen. Dann sei B2
ebenfalls aus dem Zimmer gelaufen.
142
Auch die Aussage des hinzugeeilten Nachbarns stimmt mit den Aussagen der Kinder
überein. Der Zeuge T hat bekundet, er habe um kurz nach 23.00 Uhr laute Geräusche
gehört, sei auf den Balkon gegangen und habe gehört, daß die Kinder der Familie B laut
waren. Er sei zu deren Wohnung heruntergelaufen, deren Tür aufgestanden habe. Die
Kinder der Familie B hätten gerufen, daß der Angeklagte die Mutter umgebracht habe.
Er habe die Türe zum Schlafzimmer öffnen wollen, welches ihm aber nicht gelungen sei.
Später sei die Türe aufgegangen, woraufhin er gesehen habe, daß der Angeklagte und
B2 auf dem Bett kämpften. Beide hätten sich gegenseitig geschlagen und er habe den
Eindruck gehabt, daß beide sich gegenseitig töten könnten. Es könne sein, daß der
Angeklagte etwas J den Händen gehalten habe und glaube, daß B2 eine Glasscherbe J
der Hand gehabt habe. Er wisse aber nicht mehr, was er genau gesehen habe. Auf dem
C5 des Zimmers, welches voller Blut gewesen sei, habe eine Person mit dem Gesicht
nach unten gelegen. Er habe die Stimme des Mädchens gehört, die gesagt habe, "Hilfe,
bring uns weg von ihm", womit der Angeklagte gemeint gewesen sei. Er habe die
Hände des Angeklagten gefaßt und diesen von B2 heruntergebracht. Er habe nicht mit
dem Angeklagten gesprochen. Der Angeklagte habe das Zimmer dann verlassen.
143
144
Die vorstehenden Aussagen der Zeugen B2, B6, B4 und T sind glaubhaft. Die
Aussagen stehen im Einklang miteinander und ergänzen sich gegenseitig. Zwar war
während der Aussagen der Zeugen B2, B6 und B4 deutlich, daß diese Groll gegen den
Angeklagten hegten, der - seine Täterschaft unterstellt - bei B2 so groß gewesen sein
könnte, daß er deshalb seinen Vater am 26.02.2004 niedergeschossen hat. Ebenso hat
die Kammer bei der Würdigung deren Aussagen berücksichtigt, daß die Zeugen B2 und
B6 vom Angeklagten bezichtigt werden, ihn und seine Ehefrau angegriffen zu haben.
Zweifel am Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen sind aber nicht geboten. Die Aussagen
stimmten mit den Angaben der Kinder U und B3 überein, die diese im Rahmen deren
richterlicher Vernehmung gemacht haben, deren Ton-Bildaufzeichnung vorgeführt
wurde. Ferner haben die Zeugen konkret und differenziert ausgesagt, wobei sie sich
erkennbar auf die Wiedergabe dessen beschränkt haben, was sie selbst
wahrgenommen haben und woran sie sich erinnern konnten. Soweit sie Vermutungen
äußerten, machten sie dies kenntlich. Der Zeuge T steht außerhalb der Familie und es
sind keine Anhaltspunkte vorhanden, daß die von ihm angegebenen Umstände
unrichtig wären.
145
146
b.
147
Die Kammer ist davon überzeugt, daß der Angeklagte das J den Feststellungen
beschriebenen Klappmesser, welches später vor dem Eingang zum Haus C4 lag, vor
der Tat mit sich führte und die Tötung der Frau P mit diesem Messer ausgeführt hat.
148
149
Zwar können aufgrund des verlesenen Gutachtens des Landeskriminalamtes vom
22.10.2003 über die molekulargenetische Untersuchung der auf den Messern und
Scherben gefundenen Blutspuren keine Rückschlüsse darauf gezogen werden, mit
welchem Messer Frau P erstochen wurde. Keine der untersuchten Blutanhaftungen
konnte Frau Ygeordnet werden.
150
151
Der Angeklagte führte zum Ende des Gesamtgeschehens jedoch das J den
Feststellungen beschriebene Klappmesser bei sich und legte dieses bei seiner
Festnahme auf dem Treppenabsatz vor dem Eingang zum Haus C4 ab. Der Angeklagte
räumte ein, zum Schluß ein Messer bei sich geführt und dort abgelegt zu haben. Der
Zeugen I bestätigte dies. Nach den J Augenschein genommenen Lichtbildern Nr. 98 und
100 der Lichtbildmappe zum Außentatort lag vor dem Hauseingang C das beschriebene
Klappmesser. Der Zeugen C3 bestätigte glaubhaft, daß vor dem Hauseingang C4 ein
Klappmesser gelegen habe, und die J Augenschein genommenen Lichtbilder dieses
Messer zeigten.
152
153
Die Kammer hat Lichtbilder der J der Küche, im Hausflur und vor dem Gebäudekomplex
aufgefundenen Messer aus den Lichtbildmappen zum Innentatort und zum Außentatort
sowie aus dem molekulargenetischen Gutachtens des Landeskriminalamtes vom
22.10.2003 J Augenschein genommen und den Zeugen vorgehalten. Der Zeuge B2
sagte aus, das Messer, daß der Angeklagte verwendet habe, nicht gesehen zu haben.
Alle gezeigten Messer mit Ausnahme des Klappmessers - welches vor dem
Hauseingang C gefunden wurde - stammten aus der Küche. Das Klappmesser habe er
jedoch noch nie gesehen. Der Zeuge B4 gab an, bei dem Angeklagten kein Messer
gesehen zu haben. Von den gezeigten Messern erkenne er einige aus der Küche
wieder. Das - vorbezeichnete - Klappmesser habe er hingegen noch nie gesehen. Beide
Aussagen sprechen dafür, daß das betreffende Klappmesser vorher nicht zu den
Küchenmessern der Familie P gehörte.
154
Auf den Lichtbildern ist ferner erkennbar, daß die Spitze des Klappmesser, nicht aber
eines der anderen aufgefundenen Messer verbogen ist. Zugleich hat der
Sachverständige Dr. T3 überzeugend ausgeführt, daß der Stich J den Hinterkopf, der
den knöchernen Hinterhaupthöcker durchstoßen hat, mit großer Wucht geführt worden
sein muß. Es sei wahrscheinlich, daß die Spitze eines hierbei verwendeten Messers
verbogen sei. Auch dies spricht dafür, daß das bei dem Angeklagten vor dem
Hauseingang C aufgefundene Klappmesser die Tatwaffe war.
155
Letztlich spricht dafür auch die Aussage des Zeugen U, der geschildert hat, der
Angeklagte habe ein Klappmesser hervorgeholt, wobei er zur näheren Beschreibung
des Begriffs Klappmesser ergänzend angab, daß man das Messer aufklappen müsse.
156
157
J der Zusammenfassung lassen die vorstehenden Aussagen J Verbindung mit den
Lichtbildern der Messer den sicheren Schluß zu, daß der Angeklagte das J den
Feststellungen beschriebene Klappmesser mitgeführt hat und auf Frau P mit diesem
158
Messer eingestochen hat.
159
c.
160
Die zum Familienleben vor der Tat und zum Geschehen vor der Tötung im
Schlafzimmer festgestellten Tatsachen stehen zur Überzeugung der Kammer aufgrund
der Einlassung des Angeklagten, soweit dieser gefolgt werden konnte, den Aussagen
der Zeugen B2, B6 und B4 sowie der Inaugenscheinnahme des Lichtbildes Nr. 158 aus
der Lichtbildmappe zum Innentatort fest.
161
162
Die Zeugen haben übereinstimmend ausgesagt, daß sich das Familienleben mit dem
Angeklagten vor der Tat schwierig gestaltet habe. Aufgrund des Verhaltens des
Angeklagten sei sowohl die Beziehung zu Frau P als auch zu den Kindern gespannt
gewesen. Der Angeklagte habe regelmäßig Alkohol getrunken, was die Familie als
übermäßig angesehen habe. Es habe oft Streit mit Frau P gegeben und der Angeklagte
habe Frau P wiederholt geschlagen.
163
Der Zeuge B2 hat hierzu weiter ausgesagt, Frau P und die älteren Kinder seien der
Auffassung gewesen, der Angeklagte leiste keinen Beitrag zum Familienleben,
insbesondere durch Ausübung einer regelmäßigen Arbeit. Sie hätten den Verdacht
gehabt, daß der Angeklagte Schleusertätigkeiten nachgehe, weil ihnen einmal fremde
Ausweispapiere im Besitz des Angeklagten aufgefallen seien, und dieser wiederholt
und ohne Information der Familie vorübergehend abwesend gewesen sei. Der
Angeklagte habe mehrmals J der Woche abends Alkohol getrunken. Er sei dann
regelmäßig J eine schlechte Gemütslage verfallen und leicht wütend geworden.
Außerdem habe der Angeklagte sich bei Besuchen unangemessen verhalten, indem er
die Gastgeber oder andere Besucher angegriffen und Streit provoziert habe, was sie
auch auf dessen Alkoholkonsum zurückgeführt hätten. Zum Streit mit Frau P sei es
gekommen, weil diese dem Angeklagten wegen des vorbeschriebenen Verhaltens
Vorhaltungen gemacht habe oder weil der Angeklagte infolge Alkoholkonsums wütend
gewesen sei. Die Familie sei dem Angeklagten, insbesondere dann, wenn dieser
getrunken gehabt habe, aus dem Weg gegangen. Frau P habe nicht mit dem
Angeklagten J einem Raum geschlafen, sondern J ihrem Schlafzimmer gemeinsam mit
ihren Kindern B und B3 übernachtet. Der Angeklagte habe stattdessen regelmäßig auf
einer Matratze geschlafen, die zu diesem Zweck im Wohnzimmer vor den Fernseher
gelegt worden sei. Die Kinder hätten sich bei Anwesenheit des Angeklagten regelmäßig
J ihre Kinderzimmer zurückgezogen, um dem Angeklagten zu entgehen. Frau P habe an
eine Scheidung vom Angeklagten gedacht und darüber auch mit B6 und ihm, B2,
gesprochen. Sie hätten Frau P bestärkt, sich von dem Angeklagten zu trennen und sich
scheiden zu lassen. Kurz bevor der Angeklagte aus dem Fd zurückgekommen sei, sei er
mit B6 und seiner Mutter zum Rathaus J L gefahren, wo sich seine Mutter wegen einer
Scheidung hätte informieren wollen. Er habe auf B6 und seine Mutter im Auto gewartet.
Gegenüber dem Angeklagten habe Frau P nie direkt von einer Scheidung gesprochen.
Im Rahmen von Streitigkeiten habe sie allerdings mehrmals gegenüber dem
Angeklagten geäußert, daß dieser sich eine andere Frau suchen und diese heiraten
solle. Um die Kinder und deren Erziehung, insbesondere deren Schulbesuch und
Ausbildung habe sich Frau P und nicht der Angeklagte gekümmert.
164
Die Zeugin B6 hat J Übereinstimmung zum Zeugen B2 hierzu ausgesagt, daß der
Angeklagte sich nicht um die Kinder gekümmert habe. Er habe es abgelehnt, wenn J der
Familie deutsch gesprochen worden sei. Er sei häufig abwesend gewesen. Frau P habe
häufiger mit B2 und ihr, B6, über eine Trennung vom Angeklagten gesprochen, dies
aber letztlich nie umgesetzt. Sie sei nur einmal kurz vor der Rückkehr des Angeklagten
aus dem Fd mit B2 und ihr zum Rathaus J L gefahren, um sich über eine Scheidung zu
informieren. Dort hätten ihre Mutter und sie aber keine Auskunft mehr erhalten, weil es
Freitag gegen Dienstschluß gewesen und die zuständige Abteilung nicht mehr besetzt
gewesen sei.
165
166
Die Zeugen B2, B6 und B4 haben ferner übereinstimmend bekundet, daß der
Angeklagte J den Fd gereist sei, ohne die Familie vorher zu informieren, wobei der
Angeklagte weiter angab, daß der Angeklagte das Bargeld der Familie bei seiner
Abreise mitgenommen habe. Die Familie habe erst im Verlauf dessen Abwesenheit
erfahren, daß dieser sich im Fd aufhalte. Während der Zeit der Abwesenheit des
Angeklagten habe sich das Familienleben harmonisch gestaltet.
167
168
Die Zeugen B2, B6 und B4 bekundeten ferner übereinstimmend, der Angeklagte sei am
späten abend des 21.07.2003 unerwartet und ohne vorherige Anmeldung J Begleitung
des B5 zurückgekommen. B2 habe sich dem Angeklagten entgegengestellt und es sei
zwischen diesen im Flur vor dem Schlafzimmer der Frau P ein Streitgespräch entbrannt.
Frau P habe während dessen J der Tür zum Schlafzimmer gestanden.
169
Der Zeuge B2 schilderte den Ablauf und den Inhalt des Streits entsprechend der
getroffenen Feststellungen. Er habe während dessen bei dem gesonderten WC
gegenüber dem Schlafzimmereingang vor dem Angeklagten gestanden, der J dem zum
Wohnzimmer führenden Flurbereich gestanden habe. Bei dem Angeklagten habe B5
gestanden. Der Angeklagte sei zunächst überrascht gewesen, weil er sich vorher immer
durchgesetzt und bestimmt habe. Ihm, B2, sei klar gewesen, daß Frau P mit dem Begriff
des Rathauses die Scheidung gemeint habe. Ob der Angeklagte deren Äußerung
gleichermaßen verstanden habe, könne er nicht sagen. Jedenfalls habe er dem
Angeklagten deutlich gemacht, daß er J der Familie nicht mehr erwünscht sei, wobei
Frau P ihn habe gewähren lassen. Der Angeklagte habe im Verlauf des Streits
wiederholt zu Frau P geblickt, wenn er diesem Verhaltungen gemacht habe. Der
Angeklagte habe ihm gesagt, er sei von der Mutter "trainiert" worden und diese habe
ihm die Vorwürfe eingeredet. Der Angeklagte sei im Verlauf des Streits wütend
geworden, habe sich aber, nicht anders als sonst verhalten, wenn er wütend gewesen
sei. Dies habe sich auch nach der Äußerung der Mutter, sie werde morgen zum Rathaus
gehen und deren Äußerung, er solle stehen bleiben, bis der Angeklagte gegangen sei,
wenn er dies für richtig halte, nicht erkennbar geändert. Mit letztgenannter Äußerung
habe Frau P seine Ankündigung unterstützt und gebilligt. Sie sei nicht J dem Sinne
gemeint gewesen, daß es ihr egal seie, was er tue. Danach habe sich der Streit mit dem
Angeklagten noch kurz fortgesetzt, der sich dabei eine Zigarette angezündet habe. Die
Zeugen B6 hat hiermit übereinstimmend ausgesagt, B2 habe dem Angeklagten gesagt,
daß die Familie ihn nicht mehr wolle und er gehen solle. Der Angeklagte habe erwidert,
der Vater zu sein. Er könne bestimmen und machen, was er wolle. Er habe die Familie
170
nach Deutschland gebracht. Der Angeklagte sei während des Streites wütend gewesen.
Frau P habe gesagt, sie sollten aufhören zu diskutieren. Es sei dabei auch um Trennung
gegangen. Ob die Mutter den Begriff des Rathauses verwendet habe, könne sie nicht
mehr erinnern. Sie könne auch nicht mehr sagen, ob der Angeklagte Frau P sofort nach
deren Äußerung J das Zimmer gedrückt hat oder erst nach der weiteren Äußerung des
B2. Sie selbst habe den Eindruck gehabt, daß der Angeklagte ihre Mutter für die
Situation verantwortlich mache. Während des Streits habe sie im Flur vor ihrem Zimmer
gestanden.
Der Zeuge B4 hat ebenso bestätigt, daß B2 dem Angeklagten gesagt habe, dieser solle
gehen. Entweder gehe er oder die Familie. B2 habe sich getraut, dem Vater alles zu
sagen und diesem vorgehalten, drei Monate weg gewesen zu sein und zu tun, als sei
nichts gewesen. Der Angeklagte habe erklärt, es sei sein Haus, er könne gehen, wann
er will und dies brauche B2 nicht zu interessieren. Er sei der Vater. Der Angeklagte sei
sauer gewesen. Frau P habe schließlich gesagt, sie sollten still sein. Sie würde morgen
zum Rathaus gehen und das klären. Damit habe sie gemeint, sich vom Angeklagten zu
trennen.
171
172
Auch die diesbezüglichen Angaben der Zeugen sind glaubhaft.
173
Zwar war bei allen Zeugen ein Groll gegen den Angeklagten zu erkennen und ist zu
berücksichtigen, daß die Zeugen B2 und B6 vom Angeklagten bezichtigt werden, ihn
und die Mutter angegriffen zu haben. Alle drei Zeugen haben jedoch detaillierte
Angaben gemacht und angegeben, wenn sie einzelne Umstände nicht erinnern konnten
oder diese nicht wahrgenommen haben. Ihre Aussagen stehen J wesentlichen
Bereichen im Einklang. Insbesondere stimmen die Aussagen der Zeugen B6 und B4 mit
derjenigen des u überein, im Rahmen dessen Vernehmung keinerlei überschießende
Belastungstendenzen erkennbar geworden ist. Für die Richtigkeit der Aussage des
Zeugen B2, der Angeklagte habe sich noch kurz bevor er ins Schlafzimmer gegangen
sei, eine Zigarette angezündet, spricht zudem das J Augenschein genommene Lichtbild
Nr. 158 der Lichtbildmappe zum Innentatort. Auf diesem Bild ist deutlich eine
angerauchte Zigarette zu erkennen, die auf dem Bettbezug zwischen Scherben liegt.
Die Zeugen haben bei ihren Aussagen zum Geschehen im Flur bei inhaltlichem
Gleichklang unterschiedliche Formulierungen gewählt und die Aussagen weisen auch
eine Reihe unterschiedlicher Details auf, die sich nicht widersprechen, sondern zu
einem einheitlichen Geschehen J Einklang bringen lassen. Die spricht ebenso für die
Wiedergabe erlebten Geschehens. Letztlich spricht für wahrheitsgemäße Angaben der
Zeugen zu dem vorstehenden Komplex auch, daß sich ihre Angaben zu dem späteren
Geschehen im Schlafzimmer nach obigen Ausführungen mit den vorgeführten
Aussagen der Kinder U und B3 sowie den Angaben des Zeugen T decken.
174
175
d.
176
Die Kammer ist davon überzeugt, daß der Angeklagte die Absicht hatte, Frau Y töten,
wobei er den Entschluß zu deren Tötung spätestens faßte, unmittelbar bevor er J das
Zimmer hineinging.
177
178
Der Wille des Angeklagten, Frau Y töten, ergibt sich bereits ohne Zweifel aus der
Anzahl und Art der Messerstiche. Diese sprechen zudem dafür, daß der Angeklagte mit
der Absicht zur Tötung handelte. Der Angeklagte versetzte Frau P sechs Messerstiche,
die diese am Hals, im Mundwinkel, drei Mal am Hinterkopf und J den rückwärtigen
Brustkorb trafen. Zumindest ein Stich J den Hinterkopf war mit großer Heftigkeit geführt.
Es liegt auf der Hand, daß Stiche J diese Körperregionen der Frau P tödliche Folgen
auslösen würden. Für die Absicht zur Tötung sprechen auch die Bekundungen des
Zeugen B2, wonach der Angeklagte sich erst von Frau P abgewandte, als der Zeuge
dem Angeklagten mit einer Scherbe am Kopf stach.
179
180
Das Geschehen lief ab dem Moment, J dem der Angeklagte das Schlafzimmer betrat, J
einem fortlaufend und ohne zeitliche Zäsur ab. Diese Dynamik spricht dafür, daß der
Angeklagte bereits bei Betreten des Zimmers die Absicht hatte, Frau Y töten. Dafür
spricht auch, daß vor der Tötung im Schlafzimmer kein Gespräch oder Streit mehr
zwischen Frau P und dem Angeklagten im Schlafzimmer stattfand. Dies wird durch den
Umstand untermauert, daß der Angeklagte die Türe gegen den Widerstand des B2
zugedrückt und verschlossen hat. Dies läßt darauf schließen, daß der Angeklagte
verhindern wollte, daß er von den Kindern gestört wird. Endlich spricht hierfür der
Umstand, daß der Angeklagte, nachdem er Frau P niedergeschlagen und bevor er mit
dem Messer zustach, die Kinder B und B3 zur Seite stieß, die versuchten, die Mutter zu
schützen. Dies läßt darauf schließen, daß der Angeklagte zur Tötung der Frau P fest
entschlossen war und sich nicht abbringen lassen wollte. Anhaltspunkte dafür, daß der
Angeklagte den Entschluß zur Tötung der Frau P erst später im Schlafzimmer faßte,
sind nicht gegeben. Insbesondere ist kein Umstand oder Anlaß ersichtlich, warum der
Angeklagte einen zunächst nicht vorhandenen Tötungsentschluß im Schlafzimmer doch
noch gefaßt haben sollte. Aus dem Zusammenhang der geschilderten Umstände ist der
sichere Schluß zu ziehen, daß der Angeklagte bereits bei Betreten des Schlafzimmers
die feste Absicht hatte, Frau Y töten.
181
182
Soweit von dem Nebenkläger P im X-Weg des Hilfsbeweisantrages beantragt worden
ist, B5 und Frau als Zeugen zu vernehmen, war dem nicht nachzukommen. Auch wenn
Frau die unter Beweis gestellten Aussagen des n bestätigt, ließen sich hieraus keine
weiteren bedeutsamen Erkenntnisse gewinnen. Zum einen ließe sich aus der Äußerung
des B5 nicht der Rückschluß ziehen, daß der Angeklagte auch für die Tötung der Frau
des B5 verantwortlich ist. Zum anderen ließe sich nach obigen Ausführungen aus einer
dahingehenden Täterschaft nicht darauf schließen, daß der Angeklagte dies auch
vorliegend von vornherein beabsichtigte. Der Zeuge B5 ist mit unbekanntem Aufenthalt
untergetaucht und unerreichbar (§ 244 Abs. 3 StPO). Außerdem ist der Beweisantritt nur
für den Fall einer - hier nicht eingetretenen - Bedingung gestellt worden.
183
184
Die Kammer ist davon überzeugt, daß der Angeklagte den Entschluß zur Tötung der
Frau P faßte und umsetzte, weil er wütend und zornig über die Vorhaltungen und
Vorwürfe sowie die Zurückweisung durch die Familie war, und seine Wut und sein Zorn
185
sich auch gegen Frau P richteten. Die Zeugen B2 und B6 haben übereinstimmend
geschildert, daß der Angeklagte ihnen während des Streits im Flur wütend erschienen
sei. Nach dem Eindruck des Zeugen B4 war der Angeklagte "sauer". Für eine
dahingehende, aufgebrachte Gefühlslage des Angeklagten spricht ferner, daß der Streit
auch vom Angeklagten lautstark geführt wurde. Sie läßt sich ebenso mit dem Inhalt und
dem Ablauf des Streitgesprächs im Flur J Einklang bringen. Hiernach hatte B2 dem
Angeklagten nämlich Vorhaltungen und Vorwürfe gemacht, dem Angeklagten eröffnet,
daß die Familie ihn ablehne und nicht mehr wolle, sowie damit die Aufforderung an den
Angeklagten verbunden, die Wohnung und die Familie zu verlassen. Zugleich ist aus
dem Umstand, daß der Angeklagte auf seine Stellung als Oberhaupt der Familie und
Vater des B2 verwies, zu folgern, daß der Angeklagte die Vorhaltungen, Vorwürfe und
das Verlangen, die Wohnung und die Familie zu verlassen, aus seinem
Rollenverständnis heraus als unangemessen und ungehörig ansah. Er erwartete
stattdessen Respekt und Gehorsam von B2 und der Familie. Hinzu kommt, daß aus den
weiteren Umständen zu folgern ist, daß dem Angeklagten spätestens zum Ende des
Streits klar war, daß die offenbarte Ablehnung und das J der Aufforderung, die Wohnung
und die Familie zu verlassen, liegende Verlangen zur Trennung von der Familie ernst
gemeint war und von Frau P geteilt wurde, wofür er diese verantwortlich machte. Die
Kammer vermag zwar nicht festzustellen, daß der Angeklagte die Äußerung der Frau P,
sie werde morgen zum Rathaus gehen, dahingehend verstanden hat, daß Frau P sich
scheiden lassen wolle. Die Zeugen konnten nicht bestätigen, daß dem Angeklagten die
Bedeutung dieses Ausdrucks als Synonym für die Scheidung bekannt gewesen sei.
Dennoch hatte Frau P weder ihrem Sohn B2 noch ihrer Tochter B6, die B2 durch
gelegentliche Äußerungen unterstützt hatte, während des Streitgesprächs J irgendeiner
Weise widersprochen. Sie hatte beide zunächst gewähren lassen und zuletzt auch B2
hinsichtlich dessen Ankündigung, das Verlassen der Wohnung durch den Angeklagten
sicherzustellen, freie Hand gegeben. Zudem waren dem Angeklagten die früheren
Äußerungen der Frau P erinnerlich, er solle sich eine andere Frau suchen. Der
Umstand, daß der Angeklagte während des Streits mehrfach zu Frau P blickte und
gegenüber u äußerte, seine Mutter habe ihm dies eingeredet und ihn "trainiert", läßt zum
einen den Schluß zu, daß der Angeklagte Frau P als Urheberin der Vorwürfe und des
Verlangens, die Wohnung und die Familie zu verlassen, sah und diese für die Situation
verantwortlich machte. Zum anderen ist zu folgern, daß der Angeklagte bereits die
Passivität der Frau P als Unterstützung des B2 und der B6, aufgefaßt hat. Jedenfalls war
dem Angeklagten spätestens ab dem Moment, als Frau P ihrem Sohn B2 J dessen
Bestreben freie Hand gab, die Herausweisung des Angeklagten aus der Wohnung und
der Familie durchzusetzen, klar, daß Frau P die Forderungen der Kinder und den Willen
zur Trennung der Familie von ihm, dem Angeklagten, billigte. Für den Umstand, daß der
Angeklagte Frau P für die eingetretene Situation verantwortlich machte und seine Wut
und seinen Zorn gegen Frau P richtete, spricht nicht zuletzt auch, daß der Angeklagte
schließlich nicht B2 und B6, sondern Frau P angriff, die selber keine Vorwürfe
ausdrücklich geäußert hatte. Endlich ist aus dem zeitlichen Ablauf, wonach der
Angeklagte sich aus dem unmittelbaren Streit heraus zur Tötung der Frau P entschloß
und hierzu ansetzte, zu schließen, daß die Gefühle der Wut und des Zorn den
Angeklagten zu und bei der Tötung der Frau P angetrieben haben.
186
Ferner ist aus den Äußerungen des Angeklagten während des Streits sicher zu
schließen, daß der Angeklagte den Entschluß zur Tötung faßte und umsetzte, weil er
sich verkannt fühlte und gekränkt war. Der Angeklagte berief sich während des Streits
187
neben seiner Stellung als Oberhaupt der Familie und Vater auf seine Verdienste für die
Familie. Er habe alles für die Familie getan und diese nach Deutschland gebracht. Dies
läßt den Schluß zu, daß der Angeklagte von sich und seiner Stellung J der Familie ein
Bild hatte, zu dem die Vorhaltungen und Vorwürfe sowie die Aufforderung, die Wohnung
und die Familie zu verlassen, nicht paßten. Seine Äußerungen lassen darauf schließen,
daß er neben Gehorsam und Respekt J seiner Rolle als Vater und Oberhaupt der
Familie auch Anerkennung J dieser Rolle und für seine Verdienste um die Familie
erwartete. Diese Erwartungshaltung läßt J Verbindung mit der wütenden und zornigen
Reaktion folgern, daß der Angeklagte die J den Vorhaltungen und Vorwürfen sowie dem
Verlangen nach Trennung liegende Versagung der Anerkennung als Verkennung
seiner Person und als Kränkung empfand und hierdurch mit J seinem Handeln bestimmt
wurde. Aus den bereits dargestellten Gründen ist ferner davon auszugehen, daß der
Angeklagte für die Verkennung seiner Person und die Kränkung Frau P verantwortlich
machte. Auch insoweit ist aus dem zeitlichen Ablauf zu folgern, daß der Angeklagte zu
und bei der Tötung von den Gefühlen der Verkennung und Kränkung angetrieben
wurde.
188
Letztlich ist aus der Verbindung der Umstände, daß der Angeklagte sich gekränkt fühlte
und sich zur Tötung von Frau P entschloß, weil er für die Situation verantwortlich
machte, zu schließen, daß der Angeklagte Frau P für die eingetretene Situation und die
erlittene Kränkung bestrafen wollte.
189
190
Nicht auszuschließen vermag die Kammer, daß der Angeklagte Frau Ydem tötete, weil
er J seiner Ehe und Familie dasjenige sah, was J seinem Leben bedeutsam und wichtig
war, und er dieses für zerstört und verloren hielt. Nach vorstehenden Ausführungen war
dem Angeklagten klar, daß zumindest die Kinder B2 und B6 ihn ablehnten und die
Trennung von ihm verlangten, wobei Frau P dieses Verlangen billigte. Die Kammer
vermag jedoch keine sicheren Schlüsse zu der Frage zu ziehen, welche Bedeutung die
Ehe und die Familie nach seinen Vorstellungen J seinem Leben einnahmen. Umstände,
die sicheren Aufschluß zu dieser Frage geben könnten, sind nicht zu erkennen.
191
192
Nicht festzustellen vermag die Kammer ferner, ob und welcher der vorgenannten
Handlungsantriebe bei der Tat im Vordergrund stand und maßgebend war. Auch
insoweit lassen die aufklärbaren Umstände keinen sicheren Rückschluß zu.
193
194
e.
195
Die Überzeugung des Gerichts hinsichtlich der Feststellungen zum Geschehen,
nachdem der Angeklagte das Schlafzimmer verlassen hatte, beruht auf der Einlassung
des Angeklagten, soweit dieser gefolgt werden konnte, den Aussagen der Zeugen B2,
B4, T und I sowie der Inaugenscheinnahme der Lichtbilder von der Küche, vom Flur und
vom Bereich vor dem Gebäudekomplex C-T-Straße aus den Lichtbildmappen zum
Innen- und Außentatort
196
197
Der Zeuge B2 hat J Übereinstimmung mit der Einlassung des Angeklagten bekundet er
sei nach dem Geschehen im Schlafzimmer hinter dem Angeklagten hergelaufen. Er sei
auf den Angeklagten wütend gewesen, nachdem er seine Mutter am C5 habe liegen
sehen. J seiner Wut habe er sich Messer J der Küche geholt, die er dem Angeklagten im
Flur hinterhergeworfen habe. Der Zeuge B4 hat ebenfalls bekundet, daß der Zeuge B2
den Angeklagten, nach dem dieser das Zimmer verlassen habe, gefolgt sei.
Anschließend hätten J der Küche alle Schränke und Schubladen aufgestanden. Die
Küchenmesser seien nicht mehr J den Schubladen gewesen. Diese Angaben decken
sich mit den J Augenschein genommenen Lichtbildern der Küche und des Hausflures.
Auf diesen Lichtbildern ist zu erkennen, daß die Schubladen J der Küche auf- und
teilweise herausgezogen waren. Auf den Stufen und Absätzen im Hausflur lagen
verschiedene Messer und ein Fleischklopfer, wobei die Zeugen B2 und B4 nach den
vorstehend wiedergegebenen Aussagen bestätigten, daß es sich hierbei um Messer
aus der Küche der Familie P gehandelt habe. Dies bestätigten sie auch hinsichtlich des
Fleischklopfers.
198
199
Der Zeuge T bestätigte die Einlassung des Angeklagten, nach dem Verlassen des
Hauses zunächst zu einem Seiteneingang des Hauses gegangen zu sein, wobei der
Zeuge vom Kellerausgang sprach. Der Zeuge T bekundete glaubhaft weiter, daß B2
zum Angeklagten gegangen und beide nochmals aufeinander losgegangen seien. Er
habe die Hände des Isa festgehalten. Dies bestätigt die Einlassung des Angeklagten
insoweit, als sich der Konflikt zwischen dem Angeklagten und B2 außerhalb des
Hauses noch fortsetzte, nicht aber einen einseitigen Angriff des B2. Auf den vor dem
Gebäudekomplex aufgenommenen Lichtbildern waren verschiedene Messer und
Blutspuren vor dem Gebäude liegend erkennbar.
200
201
Letztlich hat der Zeuge I übereinstimmend mit der diesbezüglichen Einlassung des
Angeklagten glaubhaft bekundet, er sei nach Alarmierung der Polizei gegen 23.07 Uhr
mit dem ersten Funkstreifenwagen eingetroffen. Vor Ort habe der Angeklagte auf dem
Treppenabsatz zum Eingang des Hauses auf der C-T-Straße gesessen, wo später ein
Messer gelegen habe. Der Angeklagte habe Blut über dem Auge gehabt und sei die
Treppe heruntergewankt. Es sei ihm erschienen, als wenn der Angeklagte das
Gleichgewicht zu verlieren drohe und er habe diesen gestützt. Dann habe sich gezeigt,
daß der Angeklagte am Rücken verletzt war, woraufhin er von eingetroffenen
Rettungssanitätern behandelt worden sei.
202
203
e.
204
Die Feststellungen zu den Vorstrafen des Angeklagten beruhen auf der Verlesung des
Bundeszentralregisterauszuges vom 23.07.2003 und der Feststellungen des Urteils des
Amtsgerichts L vom 19.12.2000, Az: _________________.
205
206
Die Feststellungen zu den Örtlichkeiten J der Wohnung beruhen auf der
Inaugenscheinnahme der Grundrißzeichnung der Wohnung sowie der damit
übereinstimmenden Schilderungen der Kinder.
207
208
Die weiteren Feststellungen zur Situation nach der Tat J der Wohnung, im Hausflur
sowie vor dem Gebäudekomplex C-T-Straße beruhen auf den Aussagen der Zeugen
B6, B4, T, F und K C3 sowie der Inaugenscheinnahme der Lichtbilder aus den
Lichtbildmappen zum Innen- und Außentatort.
209
Auf den Lichtbildern ist insbesondere zu erkennen, daß die Leiche der Frau P sowie das
gesamte Schlafzimmer blutbefleckt und blutbespritzt waren. Das Bett und der C5 neben
der Leiche der Frau P waren mit Scherben übersäht. Der Lattenrost des Bettes war
eingebrochen. Die Zeugen haben bestätigt, daß die Lichtbilder den Zustand J der
Wohnung, im Hausflur und vor dem Gebäudekomplex wiedergeben.
210
211
Soweit die Leiche der Frau P auf dem Rücken liegend abgelichtet ist und daneben
Gummihandschuhe erkennbar sind, ist die Kammer sicher, daß dies auf die
Bemühungen zur Hilfeleistung und Rettung derselben zurückzuführen ist. Die Zeugin
B6 hat glaubhaft angegeben, nach dem Geschehen bei der Mutter geblieben zu sein
und sich um diese gekümmert zu haben. Der Zeuge C3 hat glaubhaft angegeben, daß
sich auch der Rettungsdienst um Frau P gekümmert habe. Diese Angaben legen es
nahe, daß Frau Yr Hilfeleistung auf den Rücken gedreht wurde und die
Gummihandschuhe vom Rettungsdienst verwandt sowie später zurückgelassen wurden.
212
213
f.
214
Das Gericht ist aufgrund der gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. Q
sowie der Verlesung des Blutalkoholgutachtens des Labors Dr. L2 und Partner J I3 vom
23.07.2003 davon überzeugt, daß der Angeklagte bei Begehung der Tat
uneingeschränkt schuldfähig war. Er war J der M, das Unrecht seiner Tat einzusehen
und nach dieser Einsicht zu handeln.
215
216
Auszuschließen ist zunächst, daß der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat infolge des vor
der Tat genossenen Alkohols J seiner Fähigkeit zur Unrechtseinsicht und Steuerung
eingeschränkt war. Der Angeklagte hat nach seiner Einlassung zwar über den
Nachmittag verteilt bis zu fünf Flaschen mit jeweils 0,33 Liter Inhalt alkoholreduzierten
Bieres konsumiert, wobei er das letzte Bier gegen ca. 21.00 Uhr trank, sich aber nicht
hierduch beeinflußt gefühlt. Eine bei dem Angeklagten am 22. Juli 2003 gegen 2.00 Uhr,
d.h. rund drei Stunden nach der Tat entnommene Blutprobe ergab eine
Blutalkoholkonzentration von 0,00 ‰. Daraus ergibt sich für die kammer im X-Weg der
Rückrechnung eine maximale Blutalkoholkonzentration von 0,8 ‰ zur Tatzeit - der
217
Sachverständige hat diese auf 0,63 ‰ berechnet - die nicht zu einer erheblichen
Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit beim Angeklagten geführt hat.
Gegen die Annahme einer Störung trotz einer geringen Alkoholmenge spricht ebenso
auch, daß der Angeklagte nach den übereinstimmenden und glaubhaften Aussagen der
Zeugen B2, B6 und B4 zumindest als alkoholgewöhnt anzusehen ist. Letztlich haben
die Zeugen, von denen B2 einen leichten Alkoholgeruch bei dem Angeklagten erkannte,
auch keinerlei Verhaltensauffälligkeiten oder Ausfallerscheinungen des Angeklagten,
die auf eine Trunkenheit schließen ließen, geschildert oder erkannt.
218
Der Sachverständige Dr. Q führte aus, daß bei dem Angeklagten keine krankhafte
seelische Störung, Schwachsinn oder andere schwere seelische Abartigkeit vorliege.
Hinsichtlich des von den Kindern abweichend zur Einlassung des Angeklagten
geschilderten Alkoholkonsums sei von einem Alkoholmißbrauch, nicht aber von einer
Alkoholabhängigkeit des Angeklagten auszugehen. Die von ihm herangezogenen
Gesundheitsunterlagen gäben keinerlei Hinweis auf eine Abhängigkeit. Auch habe der
Angeklagte zu Beginn der Untersuchungshaft keine Entzugserscheinungen gezeigt. Die
Kammer schließt sich den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Q
an und macht sich diese zu eigen.
219
220
Ebenso befand sich der Angeklagte bei Begehung der Tat nicht J einem Zustand
tiefgreifender Bewußtseinsstörung, die bei ihm die Fähigkeit, das Unrecht der Tat
einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln ausschloß oder erheblich verminderte.
221
222
Eine affektive Erregung stellt bei den meisten vorsätzlichen Tötungsdelikten den
Normalfall dar. Ob der Affekt einen solchen Grad erreicht hat, daß er zu einer
tiefgreifenden Bewußtseinsstörung geführt hat, kann grundsätzlich nur nach einer Reihe
von tat- und täterbezogenen Merkmalen beurteilte werden, die als Indizien für und
gegen die Annahme eines schuldrelevanten Affekts sprechen können. Dabei sind die
Indizien im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu beurteilen. Für einen affektiven
Ausnahmezustand können etwa sprechen Ansteigen chronischer Affektspannungen,
psychopathologische Dispositionen der Persönlichkeit, konstellative Faktoren wie
Alkoholgenuß oder Erschöpfung, abrupter Tatablauf mit elementarer Wucht, gleichsam
rechtwinkliger Affektverlauf, schwere Erschütterung nach der Tat, hochgradige
Einengung des Wahrnehmungsfeldes und der seelischen Abläufe, starke
Erinnerungsstörungen, Persönlichkeitsfremdheit, Störung der T2- und
Erlebniskontinuität, während gegen eine tiefe Bewußtseinsstörung etwa sprechen
können aggressive Vorgestalten der Tat J der Phantasie, Ankündigungen der Tat,
aggressive Handlungen J der Tatanlaufzeit, Tatvorbereitungen, Herbeiführen der
Tatsituation durch den Täter, Gestaltung des Tatablaufs durch den Täter, lang
hingezogenes Tatgeschehen, komplexer Handlungsablauf J Etappen, erhaltene
Introspektionsfähigkeit bei der Tat, exakte, detailreiche Erinnerung, zustimmende
Kommentierungen des Tatgeschehens, Fehlen von vegetativen, psychomotorischen
und psychischen Begleiterscheinungen heftiger Affekterregungen (BGH, Beschluß vom
19.06.1990, Az: 1 StR 278/90, StV 1990, S. 493 und Urteil vom 12.08.1996, Az: 2 StR
212/96, NStZ 1997, S. 81).
223
224
Der Sachverständige hat im Rahmen einer Gesamtwürdigung von tat- und
täterbezogenen Merkmalen das Vorliegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung
verneint. Er hat hierzu ausgeführt, daß zur Beantwortung dieser Frage zwischen dem
Geschehen vor der Tat, dem Tatgeschehen selbst und dem Geschehen nach der Tat zu
differenzieren sei.
225
Hinsichtlich des Geschehens vor der Tat spreche für die Annahme eines Affektsturmes,
daß der Tat eine über lange Zeit zunehmende Zerrüttung J der Täter-Opfer-Beziehung
sowie des Verhältnisses des Angeklagten zur Familie vorangegangen sei. Der
Angeklagte sei leicht alkoholisiert gewesen, welches das Auftreten eines Affektes
unterstützen könne. Unmittelbar vor der Tat sei er nach seiner Rückkehr für ihn
überraschend massiven Kränkungen ausgesetzt gewesen, indem sein Sohn B2 ihm
Vorwürfe gemacht und er von der Familie ausgegrenzt worden sei. Die von den
Beteiligten geschilderte Streitsituation sei als affektbeladen einzustufen. Gegen das
Auftreten eines Affektes spreche, daß der Angeklagte vor der Tat von seiner
dreimonatigen Fdreise zurückgekommen sei. Insofern habe sich die Tat nicht
unmittelbar an die lange andauernde Konfliktsituation J der Familie angeschlossen,
sondern sei der Angeklagte diesem Konflikt für längere Zeit nicht mehr ausgesetzt
gewesen. Aus den von den Zeugen beschriebenen Emotionen des Angeklagten ließen
sich keine konkreten Rückschlüsse ziehen. Danach ließe sich nur erkennen, daß der
Angeklagte wütend gewesen sei.
226
Bezüglich der unmittelbaren Tatsituation ließen die erkennbaren Umstände und das
Verhalten des Angeklagten nicht auf einen Affektsturm schließen. Ein Anlaß oder
Auslöser für einen Affektsturm sei nicht zu erkennen. Der Streit im Flur habe sich über
eine längere Zeit hingezogen. Zudem sei nach dem früheren Verhalten des
Angeklagten auch J dessen Wut nur zu erwarten gewesen, daß der Angeklagte Frau P
schlage, nicht aber, daß er diese töte. Gegen ein affektives Handeln spreche, daß der
Angeklagte sich vor seiner Tat abgesichert und sich Raum zum Handeln verschafft
habe, indem er die Schlafzimmertüre verschlossen habe. Ferner habe der Angeklagte
bei der Tötung differenziert gehandelt, indem er die Kinder B und B3 von der Mutter
weggezerrt habe, bevor er auf diese eingestochen habe. Ein Affekt gehe mit einer
Einengung der Wahrnehmung auf einen Ausschnitt der realen Umwelt einher. Danach
wäre es beim Vorliegen eines Affektes wahrscheinlich gewesen wäre, daß der
Angeklagte nach Beginn des Angriffs nicht zwischen seinen Kindern und Frau P
differenziert hätte, sondern auch die Kinder verletzt hätte. Ferner spreche der Umstand,
daß der Angeklagte Frau P und nicht B2 angegriffen habe, gegen einen Affekt. Dies
lasse auf eine Reflektion über Hintergründe und ein gesteuertes Verhalten des
Angeklagten schließen. Bei einem Affekt sei hingegen nicht mit einer Reflektion über
Hintergründe, sondern mit einem Angriff auf den unmittelbaren Gegner zu rechnen. Der
Streit sei unmittelbar zwischen dem Angeklagten und B2 geführt worden und letzterer
habe die Kränkungen ausgesprochen. Der Angeklagte habe hingegen Frau P gesteuert
angegriffen, die er für das Verhalten der Kinder verantwortlich gemacht habe. Ebenso
spreche gegen einen Affektsturm, daß der Angeklagte nach dem Eingreifen des n sein
Handeln fortgesetzt und mit diesem gekämpft habe. Beim Vorliegen eines Affektes sei
normalerweise mit einem Aufwachen des Täters aus dem Affekt zu rechnen, wenn von
außen eingegriffen werde.
227
Das Verhalten des Angeklagten nach der Tat spreche ebenfalls nicht für ein Handeln im
Affektsturm. Für ein Handeln im Affekt könne sprechen, daß ein Täter sich nach der Tat
emotional betroffen zeige und die Tat bereue. Bei dem Angeklagten sei dies nicht
erkennbar geworden. Das Fehlen einer solchen Reaktion sei auch nicht durch den
persönlichen und kulturellen Hintergrund des Angeklagten als Kurde jezidischen
Glaubens zu erklären. Der Angeklagte habe J seiner Exploration deutlich zu erkennen
gegeben, daß auch für Bz jezidischen Glaubens die Tötung der Ehefrau verboten sei
und ein Tabu darstelle.
228
Bei Gesamtwürdigung aller Umstände sei davon auszugehen, daß eine stark
affektbeladenen Situation vorgelegen habe und der Angeklagte affektiert gewesen sei.
Eine tiefgreifende Bewußtseinsstörung sei hingegen auszuschließen.
229
230
Die Kammer schließt sich diesen nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen
des erfahrenen Sachverständigen Dr. Q an und macht sich diese zu eigen. Der
Sachverständige, der als Facharzt für Psychiatrie J den Rheinischen Kliniken C2 tätig
ist, verfügt als Facharzt für Psychiatrie über langjährige Erfahrungen bei der
Begutachtung von Straftätern. Auch nach Auffassung der Kammer sind bei einer
Gesamtwürdigung der dargestellten tat- und täterbezogenen Merkmale unter
Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Voraussetzungen
einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung nicht gegeben.
231
232
IV.
233
Der Angeklagte hat sich nach den getroffenen Feststellungen wegen Totschlags gemäß
§ 212 Abs. 1 StGB schuldig gemacht, indem er Frau P2 mit sechs Messerstichen tötete.
234
235
Der Angeklagte ist hingegen nicht des Mordes gemäß § 211 StGB schuldig, da das
Vorliegen von Mordmerkmalen nicht festgestellt werden konnte.
236
237
Es liegt zunächst keine Heimtücke vor. Heimtücke setzt das bewußte Ausnutzen der
Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers J feindlicher Willensrichtung voraus (vgl.
Tröndle/Fischer, Kommentar zum StGB, 51. Auflage, § 211, R. 16, 21). Vorliegend kann
nicht sicher festgestellt werden, daß Frau P arglos war. Arglos ist, wer sich dem
Zeitpunkt, J dem der erste mit Tötungsvorsatz geführte Angriff geführt wird, keines
Angriffs versieht (vgl. Tröndle/Fischer, w.o., R. 17). Arglist wird jedoch nicht dadurch
ausgeschlossen, daß das Opfer irgendeinen Angriff für möglich hält, sondern nur dann,
wenn es konkret mit einem Angriff rechnet, wobei sich dieser nach der Vorstellung des
Opfers gegen dessen Leben oder zumindest körperliche Unversehrtheit richten muß
(vgl. BGHSt 33, 363, 365). Der Angriff des Angeklagten begann J dem Moment, als er
hinter Frau P J das Schlafzimmer ging. Es kann nicht festgestellt werden, daß Frau Y
diesem Zeitpunkt noch arglos war. Die Kammer vermag nicht auszuschließen, daß Frau
Y dem Zeitpunkt, als sie sich J das Schlafzimmer zurückziehen wollte, schon mit einem
238
Angriff des Angeklagten auf ihre körperliche Unversehrtheit rechnete. Frau P war bereits
vor der Tat nach Streitigkeiten mit dem Angeklagten von diesem geschlagen worden.
Sie erkannte, daß der Angeklagte wütend war und war anwesend, als der Angeklagte
gegenüber B2 äußerte, seine Mutter habe ihm die Vorwürfe eingeredet und ihn gegen
den Angeklagten "trainiert". Danach ist es wahrscheinlich, daß Frau P erkannte, daß der
Angeklagte ihr das Verhalten des B2 vorwarf. Es erscheint möglich, daß sie aufgrund
ihrer früheren Erfahrung damit rechnete, von dem Angeklagten geschlagen zu werden
und sich ins Schlafzimmer zurückziehen wollte, um dieses zu vermeiden.
239
Darüber hinaus kann die Kammer nicht feststellen, daß der Angeklagte sonst aus
niedrigen Beweggründen gehandelt hat. Dies ist der Fall, wenn die Motive zur Tötung
nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sind und auf tiefster Stufe
stehen. Die Beurteilung von Beweggründen als "niedrig" setzt eine Gesamtwürdigung
voraus, bei der insbesondere auch das Verhältnis zwischen Anlaß und Tat, die
Vorgeschichte der Tat einschließlich einer eventuell den Täter oder das Opfer treffenden
Verantwortung an einer Konflikt-Eskalation, das unmittelbar vorherrschende Tatmotiv
insbesondere auch im Zusammenhang mit sonstigen Beweggründen,
Handlungsantrieben und "Einstellungen" des Täters gegenüber der Person und dem
Lebensrecht des Opfers zu berücksichtigen. Bei mehreren Tatmotiven müssen im Falle
der Annahme von § 211 StGB die "niedrigen" die Hauptmotive sein. Läßt sich nicht
feststellen, welches von mehreren Motiven tatbestimmend war, so darf ein Handeln aus
niedrigen Motiven insgesamt nur angenommen werden, wenn andere, möglicherweise
nicht auf tiefster Stufe stehende Motive sicher ausgeschlossen sind. Bei Motiven wie
Verärgerung, Eifersucht, Wut oder Haß, also normal-psychologischen Affekten, denen
eine Bewertung als "niedrig" für sich allein nicht zukommt, kommt es darauf an, ob sie
ihrerseits auf niedriger Gesinnung beruhen und inwieweit der Täter seine M selbst
verschuldet hat. (Tröndle/Fischer, w.o., R. 9 und 11). Vorliegend hat der Angeklagte aus
mehreren Motiven heraus gehandelt, wobei nicht festgestellt werden konnte, daß eines
oder bestimmte Motive bei der Tat im Vordergrund gestanden haben und für die Tat
ausschlaggebend waren. Der Angeklagte handelte einerseits aus Wut und Zorn über
die Vorhaltungen und Vorwürfe sowie die Zurückweisung durch die Familie.
Andererseits handelte er, weil er sich hierdurch verkannt und gekränkt fühlte.
Schließlich handelte er, um Frau P für die erlittene Kränkung zu bestrafen. Die
Handlungsantriebe des Angeklagten können nach der vorzunehmenden
Gesamtwürdigung nicht als "niedig" eingestuft werden. Denn es kann nicht
ausgeschlossen werden, daß die ausschlaggebenden Antriebe J der Wut und/oder dem
Zorn lagen und diese ihrerseits nicht auf niedriger Gesinnung beruhten. Es ist insofern
möglich, daß die Wut und der Zorn des Angeklagten auch dadurch begründet waren,
daß der Angeklagte seine Ehe und Familie für verloren und zerstört hielt, und er hierin
alles sah, was J seinem Leben Gewicht und Bedeutung hatte. J diesem Fall wäre seine
Wut und sein Zorn nicht aus einer niedrigen Gesinnung entsprungen.
240
241
V.
242
Das Strafmaß für den vom Angeklagten begangenen Totschlag ist aus § 212 Abs. 2
StGB zu entnehmen. Ein minder schwerer Fall des Totschlags (§ 213 StGB) liegt nicht
vor, weil der Angeklagte nicht durch das Opfer zum Zorn gereizt wurde. Zudem hat er
243
durch sein Verhalten die familiäre Auseinandersetzung und den darauf gegründeten
Streit selbst verschuldet. Schließlich ergibt eine Gesamtwürdigung, wie nachstehend
ausgeführt wird, daß sich die Tat nicht als ein minder schwerer Fall des Totschlags
darstellt. Vielmehr liegt ein besonders schwerer Fall des Totschlags vor.
244
Das Vorliegen eines besonders schweren Falles ist nach einer Abwägung aller
Umstände, die für die Würdigung von Tat und Täter J Betracht kommen, wenn sie der
Tat inne wohnen oder doch wenigstens im Zusammenhang mit ihr stehen, zu beurteilen.
Hinsichtlich der zur Abwägung heranzuziehenden Umstände ist es gleichgültig, ob es
sich um objektive, subjektive oder die Persönlichkeit des Täters betreffende Umstände
handelt. Ein besonders schwerer Fall liegt vor, wenn ein Fall innerhalb der
Gesamtwürdigung bei Abwägung aller Zumessungstatsachen nach dem Gewicht von
Unrecht und Schuld vom Durchschnitt der praktisch vorkommenden Fälle sich soweit
abhebt, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist (Tröndle/Fischer,
w.o., § 46 Rdnr. 88).
245
246
Für die Annahme eines besonders schweren Falles des Totschlags gemäß § 212 Abs.
2 StGB muß der Unrechts- und Schuldgehalt des Totschlags wertungsmäßig einem
Mord entsprechen. § 211 StGB, der ebenfalls die lebenslange Freiheitsstrafe als
absolute Strafandrohung enthält, gibt insofern Hinweise für die Auslegung. Die
Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe setzt voraus, daß das J der Tat zum
Ausdruck kommende Verschulden des Täters außergewöhnlich groß ist. Hierbei ist
nicht erforderlich, daß Umstände vorliegen, die Mordmerkmalen nahe kommen.
Andererseits genügt die bloße Nähe der Umständen zum Mordmerkmal insoweit
ebenso nicht. Vielmehr ist auch bei Vorliegen mordmerkmalsnaher Umstände für den
Sprung von der zeitigen zur lebenslangen Freiheitsstrafe erforderlich, daß unrechts- und
schulderhöhende Umstände hinzukommen, die besonderes Gewicht haben. (vgl. BGH,
Beschluß vom 04.03.1993, Az: 2 StR 520/92, NStZ 1993, S. 342; BGH, Urteil vom
07.08.2001, Az: 1 StR 174/01, NStZ 2001, S. 647; Münchener Kommentar zum StGB,
Band 3, Bearbeiter: Schneider, 1. Auflage, § 212, Rdnrn. 62 und 64; Tröndle/Fischer,
w.o., § 212, R. 11).
247
248
Vorliegend ist zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, daß der Angeklagte J
einer affektbeladenen Situation gehandelt hat. Ebenso ist der Angeklagte seit dem
einige Monate später erfolgten und durch Selbstjustiz motivierten Angriff
querschnittsgelähmt. Letztlich ist der Angeklagte als nicht integrierter Ausländer und
durch seine Querschnittslähmung als besonders haftempfindlich anzusehen.
249
250
Zu Lasten des Angeklagten ist zu berücksichtigen, daß die Umstände der Tat eine Nähe
zu zwei Mordmerkmalen aufweisen. Es liegt eine Nähe zum Mordmerkmal der
Heimtücke vor. Denn der Angeklagte hat bewußt eine hilflose M für das Opfer, Frau P,
geschaffen und diese ausgenutzt, indem er sich mit dieser im Schlafzimmer
eingeschlossen hat, um Hilfe von außen zu verhindern und die Tat ungestört umsetzen
251
zu können. Weiter liegt eine Nähe zum Mordmerkmal sonstiger niedriger Beweggründe
vor. Denn mit Ausnahme des Motivs, daß der Angeklagte aus Wut und Zorn darüber,
daß alles, was ihm wichtig im Leben war, aus seiner Sicht zerstört und verloren
erschien, wären die übrigen Beweggründe als niedrig anzusehen. Nach der
Vorgeschichte der Tat lag die Ursache dafür, daß ihm die Familie Vorhaltungen und
Vorwürfe machte und sich von ihm trennen wollte, im eigenen Verhalten des
Angeklagten begründet. Dieser hatte sich den Bemühungen der Familie um Integration
entzogen und es unterlassen, einen positiven Beitrag zum Familienleben zu leisten,
insbesondere keine wesentlichen Bemühungen um eine Verbesserung seiner
beruflichen Situation unternommen. Stattdessen verhielt er sich unauskömmlich, trank er
übermäßig und schlug er Frau P, so daß die Familie sich von ihm entfremdete und ihm
aus dem Weg ging. Er zeigte auch J keiner Weise, daß er bereit sei, sein Verhalten zu
ändern. Das aus den Vorhaltungen, Vorwürfen und dem Verlangen der Trennung beim
Angeklagten eingetretene Gefühl der Kränkung und des Verkanntwerdens stellt sich
gegenüber der Tötung der Frau P als gänzlich geringfügiger Anlaß dar. Das gleiche
ebenso für den Umstand, daß sich Frau P und die Familie vom Angeklagten für diesen
erkennbar trennen wollten (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.2004, Az: 2 StR 452/03), soweit
seine Wut und sein Zorn hierauf beruht haben sollten und für seinen Motiv, Frau Y
bestrafen. Bei zusammenfassender Würdigung aller anderen Handlungsantriebe wären
diese als verachtenswert und als auf tiefster Stufe stehend anzusehen gewesen.
Zu Lasten des Angeklagten geht ferner, daß er bereits einmal wegen eines
Gewaltdelikts vorbestraft war. Außerdem fällt erschwerend ins Gewicht, daß er im
Rahmen der Tat auch seinen ältesten Sohn B2 unter Einsatz eines Messers angegriffen
und verletzt hat.
252
Besonders erschwerend bemißt die Kammer, daß der Angeklagte die Tötung der Mutter
im Beisein und vor Augen der kleinen Kinder B und B3 durchgeführt hat, obwohl er sich
deren Anwesenheit und Beobachtung bewußt war. Für die Kinder stellt dies ein
erhebliches Trauma mit erheblichen Folgen für deren weitere Entwicklung dar.
Hinsichtlich der Folgen der Tat ist ferner zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen,
daß dieser durch die Tat seinen sechs Kindern ihre Mutter genommen hat.
253
254
Bei Gesamtwürdigung aller zugunsten und zu Lasten des Angeklagten sprechender
Umstände ist ein besonders schwerer Fall zu bejahen.
255
256
Gemäß § 212 Abs. 2 StGB ist danach auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.
257
258
Eine Feststellung gemäß § 57 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB vermag die Kammer nicht zu
treffen. Alle Umstände, die der Tat einen besonders schweren Schuldgehalt verleihen,
sind bereits im Rahmen der Feststellung des Vorliegens eines besonders schweren
Falls des Totschlags berücksichtigt worden.
259
260
261
262
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465, 472 StGB.
263