Urteil des LG Kleve vom 15.02.2008

LG Kleve: grad des verschuldens, körperliche unversehrtheit, billige entschädigung, unterbringung, emrk, einzelhaft, menschenwürde, zelle, verfügung, vollstreckung

Landgericht Kleve, 1 O 238/07
Datum:
15.02.2008
Gericht:
Landgericht Kleve
Spruchkörper:
1. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 O 238/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen,
die Vollstreckung durch die Beklagte abzuwenden durch Erbringen einer
Si-cherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden
Betra-ges, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt Entschädigung für die Art und Weise der Unterbringung im
Strafvollzug. Er verbüßte im Jahr 2006 eine Freiheitsstrafe in der JVA H. Im März 2006
wurde er von der JVA G antragsgemäß in die JVA H verlegt, um dort an einer
Ausbildungsmaßnahme teilzunehmen. Bei Aufnahme in die JVA H wurde er auf die
Belegungssituation und die wahrscheinlich anstehende Doppelbelegung hingewiesen.
Im maßgeblichen Zeitraum verfügte die JVA H über eine Belegungskapazität von 679
Haftplätzen. Davon konnten jedoch 180 Haftplätze vorübergehend nicht belegt werden,
weil ein dreigeschossiges Hafthaus mit dieser Anzahl an Plätzen saniert werden
musste. Dem Kläger wurde daher die Möglichkeit einer Rückverlegung in die JVA G
angeboten.
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Jedenfalls vom 23.03.2006 bis zum 03.08.2006 war der Kläger sodann gemeinschaftlich
mit einem weiteren Gefangenen in einem zur Einzelhaft konzipierten Haftraum
untergebracht. Dort befand sich eine offene Toilette mit einem notdürftigen Sichtschutz
in Form eines Bretterverschlags. Der Haftraum hatte eine Größe von ungefähr acht
Quadratmetern, davon war etwa eine Fläche von vier Quadratmetern mit einem
Etagenbett, einem Kleiderschrank, einem Tisch und zwei Stühlen möbliert.
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Am 29.03.2006 stellte der Kläger bei der JVA H den Antrag auf Einzelhaft mit dem
Zusatz "sofern dies möglich sei". Weitere schriftliche Anfragen, Beschwerden oder
Rechtsmittel trug er nicht vor.
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Der Kläger behauptet, er sei insgesamt 135 Tage seit dem 21.03.2006 in der Haftzelle
mit Doppelbelegung untergebracht gewesen. Auch habe er sich fortlaufend mündlich
über die Art der Unterbringung bei JVA- Bediensteten beschwert. Die Hafträume seien
samstags und sonntags jeweils 23 Stunden und während der Woche 21 Stunden
verschlossen gewesen.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.000,- € nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.08.2006 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behauptet, die angegriffene Unterbringung habe erst seit dem 23.03.2006
stattgefunden. Der Kläger sei während der Woche nur zur Ruhezeit von 21:00 Uhr bis
06:00 Uhr in der Haftzelle eingeschlossen gewesen, da in dieser Haftabteilung lediglich
ein sog. Nachtverschluss praktiziert worden sei. Die übrige Zeit habe der Kläger
außerhalb des Haftraums verbringen können. Es habe die Möglichkeit bestanden an
Freizeitveranstaltungen und Lernumschlüssen teilzunehmen. In dieser Zeit habe der
Kläger separate Toiletten benutzen können. Konkret habe der Kläger zwischen 08:00
Uhr und 16:00 Uhr an einer Berufsbildungsmaßnahme in einem gesonderten Bereich
teilgenommen. Hätte der Kläger ein Rechtsmittel gegen die Art der Unterbringung
eingelegt, wäre es innerhalb weniger Tage möglich gewesen, den Kläger alleine in
einer Einzelhaftzelle unterzubringen. Denn eine Vielzahl an Strafgefangenen sei bereit
gewesen, ihre Einzelhaftzelle zu tauschen.
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Hilfsweise erklärt die Beklagte die Aufrechnung mit den unstreitigen Gegenforderungen
in Höhe von 10.429,50 € aus dem Strafverfahren der StA C (46 Js 147/02) und in Höhe
von 4.068,- € aus dem Verfahren vor dem Landgericht C mit dem Aktenzeichen 25 O
8/05.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen
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den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf
Entschädigung nach §§ 839, 847 BGB i. V. m. Art. 34 GG zu. Zwar verstößt die
Unterbringung von zwei Menschen in einem Raum, der als Einzelhaftraum erstellt und
mit einer offenen Toilette versehen ist, nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung
und Literatur (OLG Frankfurt NJW 2003, 2845 m. w. N.) gegen die durch Art. 1 Abs. 1 GG
geschützte Menschenwürde. Dabei sind auch einfachgesetzliche Regelungen nicht
geeignet, Beschränkungen des nicht mit einem Gesetzesvorbehalt versehenen
Schutzes der Menschenwürde zu rechtfertigen.
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Dem Entschädigungsanspruch steht jedoch § 839 Abs. 3 BGB entgegen. Denn dem
Kläger wäre es hinsichtlich des überwiegenden Zeitraums der Doppelbelegung der
Einzelzelle möglich gewesen, nach §§ 109, 114 Abs. 2 S. 2 StVollzG den Erlass einer
einstweiligen Anordnung zu beantragen und folglich binnen eines Zeitraums von
wenigen Wochen Abhilfe zu erlangen. Es sind keine Umstände erkennbar, aus denen
sich ergeben würde, dass die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
L dem Antrag entgegen § 18 StVollzG nicht stattgegeben hätte. Denn wie bereits zuvor
dargelegt entspricht es gefestigter Rechtsprechung, dass die vom Kläger dargelegte Art
der Unterbringung nicht mit der Menschenwürde zu vereinbaren ist. Der regelmäßig mit
vergleichbaren Fällen befasste Kammer ist bekannt, dass, sofern ein Antrag auf
gerichtliche Entscheidung gestellt wird, nicht ausgeschlossen ist, dass ein
Einzelhaftraum zur Verfügung gestellt wird. Der Kläger hat hinsichtlich der
Nichteinlegung des Rechtsmittels auch schuldhaft gehandelt. Er war aufgrund der
Belehrungen der ihm ausgehändigten Hausordnungen über die Möglichkeit, bei der
zuständigen Strafvollstreckungskammer einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu
stellen, ausreichend informiert. Zudem ist nicht ersichtlich, dass keine Möglichkeit
bestanden hätte, den Kläger nach einem erfolgreichen Rechtsmittel in eine Einzelzelle
mit einfacher Belegung zu verbringen. Nach dem Vortrag des Beklagten bestand für
einzelne Gefangene in dieser Zeit die Möglichkeit der Einzelunterbringung. Eine
Einzelhaft des Klägers wäre demnach durch einen Tausch jederzeit möglich gewesen.
Das gegenteilige Vorbringen des Klägers ist insoweit pauschal und substanzlos.
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Aber auch für den Zeitraum, der für eine Entscheidung durch die
Strafvollstreckungskammer notwendig gewesen wäre, steht dem Kläger ein
Schadensersatzanspruch gem. § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG nicht zu. Denn nach
höchstrichterlicher Rechtsprechung besteht nur bei schwerwiegenden Verletzungen des
Persönlichkeitsrechts ein Anspruch des Geschädigten auf billige Entschädigung in Geld
(BGH NJW 2005, 58, 59 f.). Zur Beurteilung sind dabei im Einzelfall Bedeutung und
Tragweite des Eingriffs, Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad des
Verschuldens heranzuziehen. Danach kommt vorliegend für einen Zeitraum von
wenigen Wochen, binnen derer eine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zu
erwarten gewesen wäre, eine Entschädigung in Geld nicht in Betracht. Denn es handelt
sich um einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum und es ist gerade nicht ersichtlich, dass
die Doppelbelegung der Zelle auf ein schikanöses Verhalten des Beklagten zurück zu
führen ist, da es sich um eine durch Umbauarbeiten bedingte Überbelegungssituation
der JVA H handelte. Überdies ist nicht ersichtlich, dass die Doppelbelegung der Zelle
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beim Kläger schwerwiegende Nachteile verursacht hätte. Gesundheitliche Folgen
wurden gerade nicht vorgetragen und unter Beweis gestellt.
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Ein Schmerzensgeldanspruch folgt für den Kläger wegen Verletzung der Freiheit auch
nicht aus Art. 5 Abs. 5 EMRK. Art. 5 MRK schützt nicht unmittelbar die körperliche
Unversehrtheit (vgl. Guradze, EMRK-Kommentar, Art. 5 Anm. 1, 3; Frowein/Peukert,
EMRK, 1985, Art. 5). Der Betroffene soll zwar vor der Beeinträchtigung der Person, der
Ehre und des Vermögens durch Haft bewahrt werden. Die Garantie bezieht sich aber
nur auf die Freiheitsentziehung als solche, nicht auf die Modalitäten des Vollzugs der
Untersuchungs- oder Strafhaft (vgl. Partsch, Die Rechte und Freiheiten der EMRK, in:
Bettermann/Neumann/Nipperdey, Die Grundrechte Bd. I/1, S. 358); daher ergeben sich
aus ihr keine Rechte von verhafteten Personen in Bezug auf ihre Behandlung in der Haft
(Ganter, die Spruchpraxis der EMRK auf dem Gebiet des Strafvollzugs, 1974, S. 68, 71 f
insbes. Fn. 267). Eine schwerwiegende Beeinträchtigung hat der Kläger vorliegend
gerade nicht dargelegt. Zudem wäre dem Kläger ein erhebliches Mitverschulden mit der
Folge eines Wegfalls der Ersatzpflicht nach dem auch insoweit anwendbaren § 254
BGB (OLG Düsseldorf v. 28.07.2004, Az. 18 W 14/04) anzulasten, da er von den zur
Verfügung stehenden Rechtsmitteln schuldhaft keinen Gebrauch gemacht hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Streitwert: 4.000,- €
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