Urteil des LG Kleve vom 06.11.2007

LG Kleve: tinnitus, ärztliches gutachten, ärztliche behandlung, versicherer, versicherungsnehmer, versicherungsschutz, fristablauf, verkehrsunfall, willenserklärung, vollstreckung

Landgericht Kleve, 3 O 201/07
Datum:
06.11.2007
Gericht:
Landgericht Kleve
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 O 201/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen,
die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht
die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
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Die Klägerin begehrt Versicherungsschutz wegen eines Unfallereignisses vom
08.09.2004 aus einer bei der Beklagten bestehenden Unfallversicherung.
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Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung mit der
Versicherungsschein-Nr. 527341700005, für welche die AUB 2000 gelten. Nach Ziffer
2.1.1.1 AUB 2000 ist ein Anspruch ausgeschlossen, wenn die Invalidität nicht innerhalb
eines Jahres nach dem Unfall eingetreten, sowie spätestens vor Ablauf einer Frist von
15 Monaten nach dem Unfall ärztlich festgestellt und geltend gemacht worden ist. Die
Versicherungssumme beträgt 27.000,00 €. Als Invaliditätsgrad für ein Ohr sind 30
Prozent vereinbart.
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Am 08.09.2004 war die Klägerin als Radfahrerin an einem Verkehrsunfall beteiligt. Sie
wartete als Geradeausfahrerin an einer "Rot" zeigenden Lichtzeichenanlage. Links
neben ihr befand sich ein Pkw mit einem Anhänger, welcher deutlich breiter war als das
Zugfahrzeug. Als die Lichtzeichenanlage auf "Grün" wechselte, fuhren die Klägerin und
der Pkw-Fahrer an. Die Klägerin wurde vom Radkasten des Anhängers erfasst und zu
Boden geschleudert. Beim Sturz schlug sie mit dem Kopf auf den Asphalt auf. Die Räder
des Anhängers fuhren über ihre Füße, wodurch die Klägerin u. a. offene Fußbrüche
erlitt. Wegen dieser wurde sie längere Zeit im xy behandelt.
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Am 19.07.2005 stellte sich die Klägerin Herrn Dr. aa, einem Arzt für Hals-, Nasen- und
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Ohrenkrankheiten, vor. Dieser diagnostizierte eine gering- bis mittelgradige kombinierte
Schwerhörigkeit beiderseits sowie Tinnitus beiderseits. Unter dem 06.04.2006 verfasste
Dr. Hermes ein Schreiben an die Beklagte, in der er dieser seine Diagnose mitteilte. Zur
Kausalität merkte er an, er könne den Befund nicht mit letzter Sicherheit auf das
Unfallereignis zurückführen.
Die Beklagte holte ihrerseits ein Gutachten bei der Hals-Nasen-Ohrenklinik der
Universität zu x ein. Der Sachverständige Prof. Dr. y kam in seinem Gutachten vom
06.11.2006 zu dem Ergebnis, es könne nicht mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass eine beiderseitige Hörminderung und ein
diffuses Geräusch im Kopf kausal auf den Unfall zurückzuführen seien.
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Mit Schreiben vom 14.11.2006 lehnte die Beklagte den Versicherungsschutz ab und
wies darauf hin, dass vom Versicherer nicht anerkannte Ansprüche ausgeschlossen
seien, wenn der Versicherungsnehmer ab Zugang der Erklärung des Versicherers eine
Frist von sechs Monaten verstreichen lasse, ohne die Ansprüche gerichtlich geltend
gemacht zu haben. Das Schreiben ging der Beklagten am 16.11.2006 zu.
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Mit Klageschrift vom 16.05.2007, bei Gericht am selben Tage eingegangen, hat die
Klägerin Klage erhoben. Die Klage ist der Beklagten am 20.06.2007 zugestellt worden.
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Die Klägerin begehrt Gewährung von Versicherungsschutz wegen einer beidseitigen
Hörminderung sowie wegen Tinnitus aus Anlass des Unfallereignisses vom 08.09.2004.
Ferner begehrt sie Ersatz ihr entstandenen Verzugsschadens in Höhe von 406,86 €
wegen außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
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Die Klägerin behauptet, sie habe bereits kurze Zeit nach dem Unfallereignis über starke
Ohrgeräusche geklagt und auch den behandelnden Ärzten hiervon Mitteilung gemacht.
Diese hätten den Ohrgeräuschen jedoch keine größere Bedeutung beigemessen und
ihr erklärt, sie solle abwarten, die Ohrgeräusche verschwänden und die Hörfähigkeit
stellte sich wieder ein. Sie habe festgestellt, dass nach dem Verkehrsunfall ihre
Hörfähigkeit zurückgegangen sei. In der Folgezeit nach dem Verkehrsunfall sei es
immer häufiger vorgekommen, dass sie bei Unterhaltungen Dinge nicht verstanden
habe und habe nachfragen müssen.
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Im Rahmen des geltend gemachten Anspruchs auf Ersatz vorgerichtlicher
Rechtsanwaltsgebühren legt die Klägerin einen Streitwert von 10.530,00 € zugrunde.
Diesbezüglich trägt sie vor, ihre Hörfähigkeit sei an beiden Ohren jeweils um 60 %
gemindert. Hinzu komme ein Tinnitus auf beiden Ohren, welcher zu einer weiteren
Minderung um jeweils 5 % führe.
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Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Versicherungsschutz wegen einer
beidseitigen Hörminderung sowie wegen Tinnitus aus Anlass eines
Unfallereignisses vom 08.09.2004 zu gewähren.
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 406,86 €
nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem
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15.11.2006 zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, der Feststellungsantrag sei bereits unzulässig, da die
Klägerin einen Zahlungsantrag stellen könne. Ferner sei die Kausalität zwischen
Unfallereignis und Hörminderung nicht gegeben.
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Die Klagefrist nach § 12 Abs. 3 VVG sei abgelaufen, ebenso die 15-Monatsfrist zur
Vorlage der ärztlichen Invaliditätsbestätigung und zur Geltendmachung der Invalidität
nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2000, welche am 08.12.2005 geendet habe. Die Klägerin habe
eine Obliegenheitsverpflichtung aus Ziff. 7.1 AUB 2000 verletzt, weil sie sich erst etwa
10 Monate nach dem Unfallereignis wegen des jetzt geltend gemachten Schadens in
ärztliche Behandlung begeben habe.
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Auch hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren sei sie nicht verpflichtet.
Verzug mit der Regulierung sei zum Zeitpunkt der Beauftragung der
Prozessbevollmächtigten nicht gegeben gewesen.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen in der Gerichtsakte verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung von
Versicherungsschutz wegen einer beiseitigen Hörminderung sowie wegen Tinnitus aus
Anlass des Unfallereignisses vom 08.09.2004 aus dem Versicherungsvertrag zur
Versicherungsschein-Nr. 527341700005.
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Dabei kann dahinstehen, ob die Hörfähigkeit der Klägerin durch den Unfall auf beiden
Ohren dauerhaft beeinträchtigt ist und ob durch den Unfall ein Tinnitus beiderseits
verursacht worden ist. Ferner kann offen bleiben, ob die Invalidität fristgemäß festgestellt
worden ist.
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Jedenfalls fehlt es an einer fristgemäßen Geltendmachung der Invalidität. Die Klägerin
hat entgegen Ziff. 2.1.1.1 AUB 2000 die von ihr behauptete Invalidität in Form einer
beiderseitigen Hörminderung und eines beiderseitigen Tinnitus nicht vor Ablauf einer
Frist von 15 Monaten nach dem Unfall geltend gemacht. Der Unfall, der nach dem
Klägervortrag Ursache der Invalidität sein soll, ereignete sich am 08.09.2004. Mithin
endete die Frist mit Ablauf des 08.12.2005. Bei der Frist handelt es sich um eine
Ausschlussfrist (vgl. Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage 2004, § 7 AUB 94
Rn. 21, zu der vergleichbaren Vorschrift des § 7 AUB 94).
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Die Geltendmachung des Anspruchs auf Invaliditätsleistung setzt voraus, dass der
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Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer eine schriftliche Willenserklärung
abgibt, mittels derer er die Invalidität unter Berufung auf die konkret eingetretene und
festgestellte dauernde Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen
Leistungsfähigkeit geltend macht (OLG Saarbrücken, Urteil vom 18.10.2006, Az.: 5 U
222/06, veröffentlicht bei juris).
Die Klägerin hat nicht vorgetragen, gegenüber der Beklagten vor Ablauf der 15-
Monatsfrist eine entsprechende schriftliche Willenserklärung abgegeben zu haben,
mittels derer sie die Invalidität geltend gemacht habe.
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Der nicht nachgelassene Schriftsatz vom 22.10.2007 ist gem. § 296 a ZPO verspätet
und somit nicht zu berücksichtigen. Sein Inhalt bietet keinen Anlass, gem. § 156 ZPO
die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Im übrigen hat die Klägerin auch in
diesem Schriftsatz nicht substantiiert dargelegt, wann und mit welchem Schreiben sie
gegenüber der Beklagten eine Invalidität ihres Gehörs und eine Beeinträchtigung durch
Tinnitus, welche auf den Unfall vom 08.09.2004 zurückzuführen wären, geltend gemacht
haben will.
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Des weiteren kann die Klägerin ihre Fristversäumung auch weder entschuldigen, noch
ist die Berufung der Beklagten auf die Fristversäumung treuwidrig.
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Zwar wird grundsätzlich wie in § 12 Abs. 3 VVG der Entschuldigungsbeweis zugelassen
(Knappmann, a. a. O., § 7 AUB 94 Rn. 21). Außerdem kann nach der Rechtsprechung
das Berufen auf die Fristversäumung treuwidrig sein, und zwar, wenn der Versicherer
den Versicherungsnehmer entgegen einer entsprechenden Verpflichtung nicht über die
Frist des § 7 AUB 88 und die Voraussetzungen ihrer Wahrung belehrt hat (OLG
Saarbrücken, Urteil vom 18.10.206, 5 U 222/06, veröffentlicht bei juris).
Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn dem Versicherer ein Belehrungsbedarf des
Versicherungsnehmers hinsichtlich der Rechtsfolgen der Fristversäumnis deutlich wird,
er aber gleichwohl eine solche Belehrung unterlässt (BGH, Urteil vom 30.11.2005, Az.:
IV ZR 154/04, veröffentlicht bei juris). Ein solcher Fall kann vorliegen, wenn der
Versicherte Invaliditätsansprüche rechtzeitig geltend macht, seine Angaben oder die
von ihm vorgelegten ärztlichen Atteste den Eintritt eines Dauerschadens nahe legen, die
erforderliche ärztliche Feststellung der Invalidität aber noch fehlt. Gleiches kommt in
Betracht, wenn der Versicherer nach Geltendmachen von Invalidität von sich aus noch
innerhalb der Frist zur ärztlichen Feststellung ein ärztliches Gutachten einholt, ohne den
Versicherungsnehmer darauf hinzuweisen, dass er unbeschadet dessen selbst für eine
fristgerechte ärztliche Feststellung der Invalidität zu sorgen habe (BGH, a. a. O.). Eine
generelle Belehrungspflicht besteht jedoch nicht (OLG Saarbrücken, a. a. O.;
Knappmann, a. a. O., § 7 Rn. 22).
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Vorliegend sind jedoch keine Umstände für ein fehlendes Verschulden der Klägerin an
der Fristversäumung ersichtlich. Die Berufung der Beklagten auf die Fristversäumung
erscheint zudem nicht treuwidrig. Der Beklagten ist kein Belehrungsbedarf der Klägerin
erkennbar geworden. Die über den Unfall als solchen frühzeitig informierte Beklagte
hatte mangels entsprechender Mitteilungen der Klägerin keinerlei Kenntnis davon, dass
bei dem Unfall überhaupt das Gehör beeinträchtigt worden wäre. Die Klägerin hat eine
Invalidität das Gehör betreffend nicht fristgerecht geltend gemacht. Es ist auch nicht
ersichtlich, dass der Beklagten eine Beeinträchtigung des Gehörs im Zusammenhang
mit den Verletzungen der Beine bekannt geworden wäre. Ihr waren keine Unterlagen
überlassen worden, die erkennen ließen, dass der Eintritt unfallbedingter Invalidität
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hinsichtlich des Gehörs nicht fernlag.
Die Beklagte hat auch durch die Einholung eines eigenen Gutachtens des
Sachverständigen Prof. Dr. med. y nach Fristablauf keinen Vertrauenstatbestand
gesetzt, welcher einer Berufung auf den Fristablauf entgegen stünde. Ein
Vertrauenstatbestand, der Versicherer werde sich auf die Ausschlussfrist nicht berufen,
wird auch dann geschaffen, wenn sich der Versicherungsnehmer nach Fristablauf auf
Veranlassung des Versicherers nicht unerheblichen Untersuchungen unterzogen hat
(zuletzt LG Dortmund, Urteil vom 14.12.2006, Az.: 2 O 270/06). Die Einholung des
Gutachtens durch Prof. Dr. med. y war jedoch für die Klägerin nicht mit besonders
belastenden Maßnahmen verbunden. In der Einholung des Gutachtens ist ein bloßes
Entgegenkommen der Beklagten zu sehen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711
ZPO.
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Streitwert: 10.530,00 €
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