Urteil des LG Kleve vom 27.04.2007

LG Kleve: technisches gerät, gebrauchsanweisung, brand, grobe fahrlässigkeit, feuer, inbetriebnahme, stoff, verhütung, gefahr, original

Landgericht Kleve, 5 S 48/06
Datum:
27.04.2007
Gericht:
Landgericht Kleve
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 S 48/06
Schlagworte:
Mikrowelle, Körnerkissen, Gelkissen, Kirschkernkissen, grobe
Fahrlässigkeit
Normen:
VVG § 61
Leitsätze:
Die Außerachtlassung konkreter Sicherheitshinweise, die in der
Gebrauchsanweisung eines technischen Gerätes schriftlich fixiert sind,
begründet den Vorwurf der grob fahrlässigen Herbeiführung des
Versicherungsfalls. Die Pflicht zur Beachtung einer
Gebrauchsanweisung besteht in gesteigertem Maße, wenn ein
technisches Gerät (Mikrowelle) nicht zu seiner ursprünglichen
Bestimmung (Erwärmung von Speisen), sondern zu anderen Zwecken
(Aufheizen eines Körnerkissens) eingesetzt wird.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Kleve
vom 17. Februar 2006 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
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I.
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Der Kläger macht Ansprüche aus einer Hausratversicherung geltend. Am 14.5.2005
gegen 20:30 Uhr geriet in der Mikrowelle des Klägers ein Kornsäckchen in Brand,
wodurch es zur Beschädigung der Innenwände der Mikrowelle kam und die Mikrowelle
unbrauchbar wurde. Für den Kauf und den Einbau einer neuen Mikrowelle desselben
Typs Miele 621/1 S verlangt der Kläger 750,17 €.
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Der Kläger hat vorgetragen, es handele sich um einen im Rahmen der
Hausratversicherung versicherten Brand. Das durch das brennende Kornsäckchen
verursachte Feuer in der Mikrowelle habe sich aus eigener Kraft auf die Wände der
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Mikrowelle ausgebreitet.
Die Beklagte hat sich darauf berufen, zu Entschädigungsleistungen nicht verpflichtet zu
sein, da ein Brand im Sinne des § 4 Nr. 1 VHB 92 nicht vorgelegen habe. Da die Wände
einer Mikrowelle aus Metall, also einem nicht brennbaren Stoff bestünden, könnten
diese nicht in Brand geraten sein und dass Feuer könne sich nicht aus eigener Kraft
ausgebreitet haben. Im übrigen reichten die bei der Verbrennung eines Kornsäckchens
entstehenden Temperaturen bei weitem nicht aus, Schäden an der Wand der
Mikrowelle hervorzurufen. Der Schaden müsse durch einen technischen Defekt
entstanden sein, der vom Versicherungsumfang nicht erfasst sei.
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Das Amtsgericht hat der Klage statt gegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die
Mikrowelle des Klägers sei durch einen Brand im Sinne des § 4 Nr. 1 VHB 92 zerstört
worden. Das Feuer, welches ohne bestimmungsgemäßen Herd entstanden sei, sei
ausbreitungsfähig. Es habe schon so viel Hitze entwickelt, dass die aus
hitzebeständigen und nicht brennbarem Material bestehenden Innenwände der
Mikrowelle teilweise geschmolzen seien. Wenn das Feuer nicht von den Wänden der
Mikrowelle aufgehalten worden wäre, hätte es auf brennbare Materialien übergreifen
können. Darauf, ob sich das Feuer tatsächlich ausgebreitet habe, komme es bei der
Frage der Beurteilung der Ausbreitungsfähigkeit im Sinne des § 4 Nr. 1 VHB 92 nicht
an.
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Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung und beruft sich weiterhin darauf,
die Voraussetzungen des § 4 Nr. 1 VHB 92 lägen nicht vor, weshalb kein
Versicherungsschutz zu gewähren sei. Da die Wände einer Mikrowelle aus Metall,
einem nicht brennbaren Stoff bestünden, könnten diese Wände nicht in Brand geraten
seien und es fehle folglich an jeglicher Ausbreitungsfähigkeit des Feuers. Im Übrigen
sei die Beklagten schon wegen grob fahrlässigen Verhaltens von der Verpflichtung zur
Leistung frei. Die Inbetriebnahme einer Mikrowelle entgegen den Warnungen und
Sicherheitshinweisen stelle sich als grob fahrlässig dar.
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II.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung einer
Versicherungssumme in Höhe von 750,17 € aus dem mit dieser geschlossenen
Hausratversicherungsvertrag zu. Hierbei kann dahinstehen, ob ein Brand im Sinne des
§ 4 Nr. 1 VHB 92 überhaupt vorgelegen hat und der Versicherungsfall gemäß § 3 Nr. 1
VHB 92 eingetreten ist. Denn die Beklagte ist gemäß § 61 VVG schon deshalb nicht
verpflichtet, Entschädigungsleistungen zu erbringen, weil das Schadensereignis vom
14.05.2005 auf einem grob fahrlässigen Verhalten der mitversicherten Ehefrau des
Klägers beruht, was sich der Kläger zurechnen lassen muss.
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Grob fahrlässig verhält sich nach ständiger Rechtssprechung, wer nicht beachtet, was
unter den gegebenen Umständen allgemein einleuchtet. Die völlige Außerachtlassung
allgemeingültiger Sicherheitsregeln oder Sicherheitsvorschriften, die zur Verhütung
typischer Gefahren aufgestellt sind, begründet den Vorwurf grober Fahrlässigkeit, wenn
der Versicherer nach der Art der Sicherungsbestimmungen und des versicherten
Risikos ihre Beachtung erwarten durfte, also mit solchem Fehlverhalten im Rahmen des
kalkulierten Nachlässigkeitsrisikos nicht zu rechnen brauchte (BGH, VersR 1977, 465).
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Begründet schon die Außerachtlassung allgemeingültiger Sicherheitsregeln oder
Sicherheitsvorschriften, die zur Verhütung typischer Gefahren aufgestellt sind, den
Vorwurf grober Fahrlässigkeit, ist bei der Außerachtlassung konkreter
Sicherheitshinweise, die in der Gebrauchsanweisung eines technischen Gerätes
schriftlich fixiert sind, der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit erst recht begründet.
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So liegen die Dinge hier. Die Ehefrau des Klägers hat objektiv grob fahrlässig
gehandelt. Sie hat nämlich bei der Benutzung des Mikrowellengerätes die hierfür
ausgegebene Gebrauchsanweisung nicht beachtet. Hierin heißt es wörtlich: "Mit
Körnern, Kirschkernen oder Gel gefüllte Kissen nicht im Mikrowellengerät erwärmen.
Diese Kissen können sich entzünden, auch wenn sie nach der Erwärmung aus dem
Gerät genommen werden. Brandgefahr!" Gleichwohl hat sie ein Kornsäckchen in der
Mikrowelle erhitzt. Dieses Körnerkissen ist in der Mikrowelle in Brand geraten, womit
sich die in der Bedienungsanleitung angesprochene Gefahr realisiert hat.
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Dieses Verhalten ist auch in subjektiver Hinsicht grob fahrlässig. Daran ändert der
Umstand, dass der Kläger die Bedienungsanleitung mit 35 Textblöcken auf fünf Seiten
für unübersichtlich hält, nichts. Bei einer Mikrowelle handelt es sich um ein technisches
Gerät, von dem bei unsachgemäßer Benutzung – wie der Streitfall zeigt – erhebliche
Gefahren ausgehen können. Deshalb ist es unerlässlich, vor Inbetriebnahme die
Bedienungsanleitung, insbesondere die Sicherheitshinweise und Warnungen, denen,
wie sich aus dem Inhaltsverzeichnis der Bedienungsanleitung ergibt, ein eigenes
Kapitel gewidmet ist, zu lesen. Dem Rechnung tragend enthält die
Gebrauchsanweisung auf Seite 1 den eindringlichen Hinweis: "Lesen Sie
unbedingt
(Hervorhebung durch Fettdruck im Original) die Gebrauchsanweisung vor Aufstellung –
Installation - Inbetriebnahme. Dadurch schützen Sie sich und vermeiden Schäden an
Ihrem Gerät." Die Pflicht zur Beachtung einer Gebrauchsanweisung besteht in
gesteigertem Maße, wenn das technische Gerät wie hier nicht seiner ursprünglichen
Bestimmung gemäß, nämlich zum Erwärmen von Speisen, sondern zu anderen
Zwecken eingesetzt wird. Zumindest in diesem Fall muss sich der Benutzer vorher
Gewissheit darüber verschaffen, ob die anderweitige Nutzung überhaupt zulässig ist.
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Sollten der Kläger bzw. seine Ehefrau die Sicherheitshinweise und Warnungen vor
Inbetriebnahme gar nicht gelesen haben, so stellt sich ein solches Verhalten als grob
fahrlässig dar. Gleiches gilt, wenn sie die Sicherheitsvorschriften zwar zur Kenntnis
genommen, aber im Hinblick auf die Gebrauchsanleitung des Körnerkissens außer Acht
gelassen haben. Denn dann haben sie eine ausdrückliche Sicherheitsregel des
Herstellers für den Betrieb eines elektrischen Geräts im Hinblick auf eine ganz
erhebliche Gefahr (Brandgefahr) bewusst ignoriert. Auch das wäre grob fahrlässig. Die
Darstellung des Klägers, man habe die Gebrauchsanweisung zwar gelesen, die
entscheidende Textpassage aber übersehen, ist nicht nachvollziehbar. Wenn der Kläger
und seine Ehefrau die Absicht hatten, die Mikrowelle auch zum Erhitzen von
Körnerkissen zu verwenden, kann ihnen beim Lesen der Gebrauchsanweisung die
Textpassage, die genau diesen Fall betrifft und das beabsichtigte Verhalten verbietet,
schlechterdings nicht entgangen sein. Soweit der Kläger sich des weiteren auf sein
Allgemeinwissen beruft und meint, die Erwärmung von Körnerkissen in Mikrowellen sei
ein allgemein üblicher Vorgang des täglichen Lebens, so ist diese Einstellung ebenfalls
als grob fahrlässig einzustufen. Angesichts der zahlreichen auf dem Markt angebotenen
Mikrowellengeräte der verschiedenen Hersteller mit möglicherweise unterschiedlichen
Warnhinweisen ist es grob fahrlässig, wenn der Benutzer die Gebrauchsanweisung des
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von ihm erworbenen Gerätes nicht beachtet und sich statt dessen auf sein
Allgemeinwissen verlässt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.
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Es besteht kein gerechtfertigter Anlass, die Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO
zuzulassen. Weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache noch zur
Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung ist eine
Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich. Die Gründe, die im Streitfall zur
Bejahung der groben Fahrlässigkeit geführt haben, sind einzelfallbezogen –
insbesondere soweit sie auf die optische Aufmachung der vorliegenden
Gebrauchsanweisung abstellen – und daher nicht auf eine unbestimmte Vielzahl von
Fällen übertragbar.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 750,17 €
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