Urteil des LG Kiel vom 15.03.2017

LG Kiel: fahrzeug, reparaturkosten, hauptsache, fälligkeit, versicherer, zustand, verkehrsunfall, anerkennung, fristablauf, wiederherstellung

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Gericht:
LG Kiel 10.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 S 65/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 823 BGB
Schadensersatz bei Verkehrsunfall: Ersatz und Fälligkeit
von Reparaturkosten unter Berücksichtigung des
Integritätsinteresses
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Kiel vom 22.
Oktober 2007 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird für den Zeitraum bis zum 21. Februar 2008 auf 4.574,17 €
festgesetzt und für die Zeit danach auf bis zu 700,00 €.
Tatbestand
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird gemäß § 540
Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden, in der
Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
1. Anhängig ist die Hauptsache in der Berufungsinstanz noch hinsichtlich der
Zinsen auf die Hauptforderung sowie hinsichtlich der Nebenforderung von 256,62 €
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen. Im Übrigen - d. h. hinsichtlich
der Hauptforderung - haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der
Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem die sog. Sechsmonatsfrist abgelaufen
und die Hauptforderung durch die Beklagte beglichen worden ist.
2. Ob die Nebenforderungen bestehen und wie im Übrigen die Kosten zu verteilen
sind, ist ausschließlich abhängig von der Frage, ob der Kläger erst nach Schluss
der mündlichen Verhandlung in erster Instanz, namentlich nach Ablauf der sog.
Sechsmonatsfrist, die den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigenden
Reparaturkosten verlangen konnte.
a) Das Amtsgericht ist zunächst zutreffend und in Übereinstimmung mit der
ständigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die den
Wiederbeschaffungsaufwand übersteigenden Reparaturkosten - bis zur 130-%-
Grenze - nur verlangt werden können, wenn ein Interesse an der Integrität gerade
des konkreten Fahrzeuges besteht. Der BGH beschreibt dieses Interesse damit,
dass der Eigentümer eines Kfz um dessen besondere Umstände weiß, etwa wie
das Fahrzeug ein- und weitergefahren, gewartet und sonst behandelt worden ist,
ob und welche Mängel dabei aufgetreten und auf welche Weise sie behoben
worden sind (BGH, Urt. v. 27. November 2007, Az. VI ZR 56/07, Juris Rn. 6). Das
Amtsgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass dieses
Integritätsinteresse im zu beurteilenden Einzelfall vorliegen und vom Geschädigten
bewiesen werden muss.
b) Unrichtig ist die Entscheidung allerdings insoweit, als das Amtsgericht meint,
alleine die Durchführung der Reparatur belege ein Integritätsinteresse des
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alleine die Durchführung der Reparatur belege ein Integritätsinteresse des
Geschädigten. Erforderlich ist vielmehr, dass der Geschädigte von der o. g.
Vertrautheit mit den Besonderheiten des konkreten Fahrzeuges auch selbst
tatsächlich weiter profitieren will und profitiert. Nach der Rechtsprechung des BGH
kann der Geschädigte den Differenzbetrag deshalb nur verlangen, wenn „er den
Zustand des ihm vertrauten Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt, um
dieses Fahrzeug nach der Reparatur weiter zu nutzen“. Sein für den Zuschlag von
bis zu 30 % ausschlaggebendes Integritätsinteresse bringe der Geschädigte im
Regelfall dadurch hinreichend zum Ausdruck, dass er das Fahrzeug nach der
Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt (BGH, Urt. v. 13. November 2007, Az.
VI ZR 89/07, Juris Rn. 9). Mag es damit zwar für die Entstehung des Anspruchs auf
den Differenzbetrag ausreichend sein, dass der Geschädigte im Zeitpunkt der
Reparatur die Weiternutzungsabsicht hat (also ein rein subjektiver Umstand, näher
dazu sogleich), so genügt die Reparatur alleine aber jedenfalls nicht für dessen
Nachweis. Die gegenteilige Entscheidung des OLG Celle (Beschl. v. 22. Januar
2008, Az. 5 W 102/07) verkennt, dass sich alleine dem Umstand der Durchführung
der Reparatur nicht entnehmen lässt, zu welchem Zwecke sie erfolgt,
insbesondere nicht, ob sie nicht lediglich zum Zwecke der besseren Veräußerung
(dann unstreitig kein beachtenswertes Integritätsinteresse) erfolgt.
c) Entgegen der Auffassung der Berufungsführerin folgt daraus aber nicht, dass
der Anspruch auf den Differenzbetrag erst nach Ablauf der Sechsmonatsfrist fällig
würde oder gar erst entstehen würde (so auch , JurisPR-VerkR 2/2008
Anm. 2 Buchst. D, ausdrücklich für die von der Berufungsführerin zitierte
Entscheidung; anders demgegenüber - ohne Begründung - OLG Düsseldorf,
Beschl. v. 3. März 2008, Az. I-1 W 6/08). Explizit hatte der BGH diese Frage soweit
ersichtlich noch nicht zu entscheiden. Seiner Rechtsprechung lässt sich das
Ergebnis aber entnehmen (so auch , JurisPR-VerkR 1/2007 Anm. 6 Buchst.
C): Der Anspruch entsteht spätestens mit der Reparatur und ist auch sofort fällig,
er lässt sich aber erst mit Ablauf der Sechsmonatsfrist nachweisen - weil erst dann
das Integritätsinteresse belegt ist - und damit im Ergebnis auch erst dann
realisieren (wie hier LG Kiel, Beschl. v. 5. Februar 2008, Az. 1 S 161/07).
(1) Das folgt zum einen schon aus der vom BGH gewählten Formulierung:
Erforderlich ist danach materiellrechtlich nur, dass der Geschädigte „den Zustand
des ihm vertrauten Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt, um dieses
Fahrzeug nach der Reparatur weiter zu nutzen“. Der Anspruch entsteht also mit
der Wiederherstellung, wenn in diesem Zeitpunkt die Weiternutzungsabsicht
besteht. Das weitere Erfordernis der Sechsmonatsfrist ändert hieran und auch an
der Fälligkeit nichts. Es zielt ausschließlich auf den Nachweis der
Weiternutzungsabsicht. Der Geschädigte bringe sein Integritätsinteresse im
Regelfall dadurch hinreichend zum Ausdruck, dass er das Fahrzeug nach der
Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt (BGH, Urt. v. 13. November 2007, Az.
VI ZR 89/07, Juris Rn. 9). An anderer Stelle spricht der BGH sogar ausdrücklich
davon, das Integritätsinteresse sei mangels Ablauf der Sechsmonatsfrist nicht
„nachgewiesen“ (BGH, Urt. v. 27. November 2007, Az. VI ZR 56/07, Juris Rn. 9).
(2) Das Ergebnis folgt weiter daraus, dass der BGH in Fällen der Weiternutzung (bei
Anerkennung eines Integritätsinteresses) den Wiederbeschaffungsaufwand ohne
Abzug des Restwertes berechnet. Er begründet dies damit, dass „der Restwert,
wenn und solange der Geschädigte ihn nicht realisiert“, lediglich einen
hypothetischen Rechnungsposten darstelle, der sich in der Schadensbilanz nicht
niederschlagen dürfe (BGH, Urt. v. 23.05.2006, VI ZR 192/05, Juris Rn. 8). Auch hier
lässt also ein späterer Verkauf das Integritätsinteresse ab diesem Zeitpunkt
entfallen und entsteht nicht umgekehrt das Integritätsinteresse erst mit Fristablauf
ohne Verkauf (so auch , JurisPR-VerkR 1/2007 Anm. 6 Buchst. C).
(3) Damit muss der Geschädigte i. E. also nicht den Ablauf der sechs Monate
abwarten. Tut er dies, ist er „auf der sicheren Seite“, weil er sein
Integritätsinteresse dadurch „im Regelfall“ (BGH a. a. O.) ohne weitere
Beweismittel belegen kann. Er hat aber schon nach dem Ende der angemessenen
Bearbeitungsfrist Anspruch auf die Reparaturkosten, die ihm bei Verzug auch
verzinst werden müssen. Entsprechende Klagen sind begründet und, sollte
während des Rechtsstreits Erledigung eintreten, sind die Prozesskosten nach § 91a
ZPO dem Versicherer aufzuerlegen Der Versicherer seinerseits ist an diese
Abrechnung nicht gebunden. Er kann überprüfen, ob der Geschädigte das
Fahrzeug tatsächlich insgesamt sechs Monate gehalten hat. Wenn nicht, kann er
den über den Wiederbeschaffungswert hinausgehenden Betrag zurückfordern (
, JurisPR-VerkR 1/2007 Anm. 6 Buchst. C). Ein Kostenrisiko bei Prozessen vor
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, JurisPR-VerkR 1/2007 Anm. 6 Buchst. C). Ein Kostenrisiko bei Prozessen vor
Ablauf der Sechsmonatsfrist tragen beide Seiten.
(4) Vorliegend ist die Sechsmonatsfrist noch vor Eintritt der Rechtskraft
abgelaufen, so dass sich das Risiko auf Seite der Beklagten verwirklicht hat. Der
Kläger hat durch die Weiternutzung über 6 Monate belegt, dass er die Reparatur
seinerzeit in Weiternutzungsabsicht vorgenommen hat. Die vom Amtsgericht
tenorierten Ansprüche standen dem Kläger von Anfang an zu, so dass die
Entscheidung im Ergebnis zutreffend ist.
Die Berufung war - soweit noch anhängig - zurückzuweisen. Die
Kostenentscheidung erster Instanz hat Bestand. Soweit die Hauptsache jetzt
übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, folgt die Kostentragungspflicht der
Beklagten aus § 91a ZPO, da sie insoweit nach den vorstehenden Ausführungen
unterlegen wäre. Die Kosten der Berufungsinstanz waren der Beklagten nach § 97
Abs. 1 ZPO aufzuerlegen.
Nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat die Kammer die Revision zugelassen, weil die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Bei der streitentscheidenden Frage
der rechtlichen Bedeutung der Sechsmonatsfrist handelt es sich um eine
klärungsbedürftige Frage, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von
Fällen zu erwarten ist (vgl. , in: , § 543 Rn. 11, m. w. Nachw.).
Die Streitwertfestsetzung für den Zeitraum nach dem 21. Februar 2008
(übereinstimmende Erledigungserklärung) beruht auf § 43 Abs. 2 GKG (Zinsen auf
Hauptforderung, vorgerichtliche Anwaltskosten und Zinsen hierauf).